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„Wachsendes Verständnis für die Antifa“

Interview mit Mark Bray über Antifa in den USA
Einleitung

Mark Bray, Historiker und politischer Aktivist, lehrt am Dartmouth College im US-Bundesstaat New Hampshire. Er ist Autor zahlreicher Bücher über die Geschichte des Anarchismus und des Buches „Antifa. The Anti-Fascist Handbook“, das im vergangenen Herbst erschienen ist.

Foto: Ted Eytan, CC BY-SA 2.0

Max Böhnel: Vor etwas mehr als einem Jahr wurde die Antifaschistin Heather Heyer bei antirassistischen Protesten von einem Neonazi umgebracht. Welche Auswirkungen hatte ihr Tod auf die US-amerikanische antifaschistische Bewegung?

Mark Bray: Nach dem Mord an Heather Heyer in Charlottesville letztes Jahr wurde Antifaschismus, ganz besonders der Begriff „Antifa“, zum Teil des politischen Mainstream-Diskurses. Die antifaschistische Bewegung, ihre Ziele und Aktionsformen traten ins öffentliche Bewusstsein ein. Gleichzeitig stieg das Interesse von jungen Linken und radikalen Aktivist_innen, sich in antifaschistischen Gruppierungen zu organisieren. Der augenscheinlichste Wandel, den Heathers Tod nach sich zog, waren mehr Öffentlichkeit, ein größerer  Bekanntheitsgrad und ein wachsendes Verständnis für die Antifa. Die Strategie und Taktik der bereits  bestehenden aktiven Gruppen hat er nicht verändert. Vor Charlottesville war die Medienberichterstattung über Antifaschismus, die bei den Gegenprotesten gegen den Alt-Right-Provokateur Milo Yiannopoulos in Berkley in 2017 begonnen hatte, sehr abwertend. Sie stellte Antifaschismus und Faschismus meist gleich. Nach Charlottesville veränderte sich dieses Narrativ bei einigen Medien für eine Weile. Der Grund war wohl, dass Trump diesen berüchtigten Kommentar von den „guten Menschen auf beiden Seiten“ abgegeben hatte – was den Medien sauer aufstieß. 

Max Böhnel: Wie war der Zustand der Bewegung in den Jahren vor Trump?

Mark Bray: Die US-Bewegung hatte sich ursprünglich, was ihre Militanz angeht, in den späten 1980er Jahren von Antifa-Aktivitäten in England und Deutschland inspirieren lassen. Das bestehende autonome Netzwerk „Antiracist Action“, das in den 1990er Jahren aus hunderten von Gruppen bestand, nationale Treffen ins Leben rief und auch Geld für Gefangene zur Verfügung stellte, war in den Nullerjahren geschrumpft. Sein Nachfolger war das kleinere „Torch Network“, ebenfalls autonom organisiert. Von 2010 bis 2012 standen antifaschistische Aktivitäten und Organisationsarbeit auf der Prioritätenliste radikaler Linker weit unten. In großen Teilen der US-Linken herrschte Unverständnis darüber, weshalb man sich zur Zeit des ersten afroamerikanischen Präsidenten – Barack Obama – ausgerechnet auf den Kampf gegen extrem Rechte­ konzentrieren solle. Antifaschismus war damals in der radikalen Linken ein Randphänomen. Das änderte sich aber schnell mit dem Aufkommen der Alt-Right und mit dem Trump-Wahlkampf in den Jahren 2015 und 2016.

Max Böhnel: Trump führte zur Wiederbelebung von antifaschistischem Engagement?

Mark Bray: Viele neue Antifa-Gruppen bildeten sich als Reaktion auf ihn und die Alt-Right. Verallgemeinernd kann man sagen, dass der Aufstieg und Niedergang von antifaschistischer Organisierung in den USA direkt mit dem Aufstieg und Niedergang der extremen Rechten zusammenhängt. 

Max Böhnel: Wie ist „Antifa USA“ zu definieren?

Mark Bray: Antifaschismus ist eine sehr breiter Begriff. Darin sind verschiedene Traditionen enthalten. Historiker_innen benutzen ihn oft im weitesten Sinne, indem sie darunter jede Kraft fassen, die gegen die Achsenmächte des II. Weltkriegs Widerstand leisteten. Der sozialistisch-antikapitalistischen Definition nach, die sich davon unterscheidet, hat der Widerstand gegen den Faschismus nicht nur deshalb zu erfolgen, weil er tyrannisch und undemokratisch ist, sondern auch, weil er einen Verteidigungsmechanismus des kapitalistischen Systems darstellt. Antifa, wie ich ihn verwende, erfolgt in der englischsprachigen Definition aus einer „militant antifascist tradition“ heraus. Der Staat, die Polizei und die Gerichte können dabei nicht die Rolle des antifaschistischen Akteurs einnehmen, weil sie strukturell dazu nicht in der Lage sind. Insofern bedeutet „Antifa“ staatsfeindliche oder staatsferne Politik.  

Max Böhnel: Was bedeutet „Antifa“ us-amerikanischer Prägung? 

Mark Bray: In den USA rührt diese „militant antifascist tradition“, also Antifa, von der Tradition des Netzwerks Antiracist Action seit den 1980er Jahren her. Der Begriff wird in den USA erst seit Mitte der Nullerjahre  verwendet. Viele US-Linke teilen die strategischen und taktischen Perspektiven des militanten Antifaschismus nicht und identifizieren sich auch nicht mit dem Begriff „Antifa“.

Max Böhnel: Wie sieht die US-Antifa die Trump-­Regierung?

Mark Bray: Die Trump-Regierung wird von den einen als faschistisch, von anderen als rechtspopulistisch eingestuft. „Antifa“ und Antifaschist_innen in den USA umfassen ja inzwischen allerlei Linke, also Anarchist_innen, Sozialist_innen und Kommunist_innen unterschiedlichster Couleur. Es gibt keine einheitliche Definition.

Max Böhnel: Welche faschistischen Bedrohungen sind aus Antifa-Sicht am gefährlichsten?

Mark Bray: Rechte Gewalt hat in den letzten Jahren zugenommen, besonders seit Trumps Wahlkampf. Es gab sehr viel mehr antisemitische sowie antimuslimische Gewalt und Übergriffe, Angriffe auf queere und Trans-Menschen, auf Linke. Ich sehe zwei Arten von Gefahren. Das  Offensichtlichste ist physische Gewalt. Die Gruppe „Atomwaffen“ zum Beispiel hortete Bombenbaumaterial und plante ernsthafte Anschläge. Neben explizit faschistisch-nazistischen Gruppen wie dieser gibt es die „Identitären“. Deren Ideologie zufolge haben sie, wenn es schwarzen Nationalismus oder schwarze Identitätspolitik gibt, ebenso das Recht, dasselbe zu vertreten -in diesem Fall eben für Weiße. Die Organisation „Identity Evropa“ versucht, sich an Universitäten breit zu machen. Wenn sie nicht aufgehalten wird, ist eine gewaltige Einflussnahme auf entfremdete weiße Menschen zu befürchten. Es gab weitere Versuche, die „Traditionalist Workers Party“ zu gründen, die mit der angeblichen Arbeiternähe des Faschismus warb. Aber die Partei fiel wieder auseinander.

Max Böhnel: Wie gefährlich ist die Alt-Right?

Mark Bray: Der Begriff Alt-Right ist ein weiter Begriff, unter deren Schirm sich all diese extrem rechten Gruppierungen und Tendenzen bewegen. Dazu kommen rechte Libertäre und die „Incels“, also frauenfeindliche, weiße, heterosexuelle Internet-Subkulturen. Richard Spencer hatte den Begriff Alt-Right geprägt mit dem Ansinnen, sich von KuKluxKlan-Roben und Naziuniformen zu distanzieren und mit der Modernisierung von extrem rechtem Gedankengut US-Jugendliche zu rekrutieren. Seit Charlottesville ist diese Rekrutierungsfähigkeit stark zurückgegangen, denn jetzt wird Alt-Right vom Mainstream ziemlich klar mit „Nazi“ gleichgesetzt.

Max Böhnel: Welche Bedeutung haben die „Proud Boys“? 

Mark Bray: Die „Proud Boys“ sind eine frauenfeindliche, westlich-chauvinistische Organisation von hauptsächlich wütenden jungen Männern. Vor Kurzem demonstrierte eine Proud-­Boy-Gruppierung in Portland im Bundesstaat Oregon zusammen mit einer anderen extrem rechten Gruppierung namens „Patriot Prayer“. Beide haben gemeinsam versucht, ein militante Präsenz zu entfalten. Es gab in den letzten Monaten mehrere Straßenschlachten mit Antifaschist_innen, besonders im pazifischen Nordwesten der USA, also in den Staaten Oregon, Washington State und im nördlichen Kalifornien. Das sind andere gefährliche Gewaltgruppierungen, die sich auf der Straße austoben wollen, jenseits der Bombenbastler und derjenigen, die Waffen einsetzen wollen.

Max Böhnel: Welche Bündnispolitik verfolgen die Antifa-­Gruppierungen in den USA? 

Mark Bray: So breite Bündnisse wie möglich. Schon in Oregon gab es das. Auch in der US-­Hauptstadt Washington ging im August ein breites Bündnis gegen die faschistischen „Unite the Right 2“-Aufmarschversuche auf die Straße, inklusive Einzelgewerkschaften, „Black Lives Matter“ und linker und liberaler Menschen. Aber solche Bündnisse und Demonstrationen reichen bei weitem nicht aus. Ein probates Mittel ist zur Zeit das sogenannte Doxxing, mit dem die Daten von Neonazis, Faschisten und anderen extremen Rechten veröffentlicht werden. Ein Grund, weshalb die Teilnehmendenzahl der Faschistendemo „United the Right 2“ so klein war, bestand in der Tatsache, dass einige führende Neonazis ihren AnhängerInnen von der Teilnahme abgeraten hatten, weil sie ansonsten ihre Jobs verlieren würden. Das Doxxing hatte nach Charlottesville Erfolge gezeigt, als TeilnehmerInnen feststellen mussten, dass sie gekündigt worden waren. Es waren Bilder und Fotos von ihnen erschienen und Familienmitglieder hatten sich von ihnen distanziert. 

Max Böhnel: Wird in der US-Antifa Bewaffnung diskutiert? 

Mark Bray: Es gibt ein US-weites Netzwerk von Aktivist_innen namens „Redneck Revolt“ in mehreren US-Bundesstaaten, in denen die Schuss­waffengesetzgebung Bewaffnung zulässt. „Redneck Revolt“ bezieht sich auf die Tradition etwa der Black Panther Party in den 1960ern und 1970ern mit Bezug auf eine revolutionäre Unterklassenpolitik und bewaffnete Selbstverteidigung. Ein Großteil der Aktivitäten besteht in der Waffenausbildung in zugelassenen Clubs. Ein Teil ihrer Politik besteht darin, das Monopol der extremen Rechten in der Waffenkultur zurückzudrängen. „Redneck Revolt“ rekrutiert  beispielsweise auf Gun Shows. Das Netzwerk war vor zehn Jahren gegründet worden, versackte dann und ist vor gut drei Jahren wieder auferstanden, mit wachsendem Zulauf. •

(Das Interview wurde geführt von Max Böhnel aus New York)