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»Der Friede in dieser Region bleibt zu brechen«

Einleitung

Interview mit Antifas der Kampagne Landfriedensbruch (LFB) aus Tostedt. 

Die Neonaziproblematik in Tostedt ist ja überregional durch die Kampagne Landfriedensbruch wieder bekannter geworden1 . Könnt ihr die Kampagne kurz beschreiben?

Im Jahr 2011 hat sich auf Grund der starken Neonaziszene in der Region und der von ihnen ausgehenden Übergriffe die Kampagne gegründet. Ein rechter Übergriff an Pfingsten 2011 in Wistedt, bei dem Neonazis eine Wohn­gemeinschaft angriffen und mehrere Menschen schwer verletzten, war ein Grund dafür, dass sich nord­deutsch­land­weit antifaschistische Gruppen zu­sam­­­mengesetzt haben und sagten: »Alles klar, da müssen wir jetzt was ma­chen«. Mit der Kampagne wurde vor­ran­gig versucht, das gesell­schaft­liche Klima in Tostedt zu ändern und den Neonazis auch auf der Straße etwas ent­gegenzusetzen. Es sollten, zumindest temporär, Freiräume für nicht-rechte Jugendkultur geschaffen werden.

Was gab es an konkreten Aktionen?

Neben einem Skatecontest eine überregionale Demo mit ca. 800 Menschen – was für die Region sehr viel war. Es gab ein LKW-Konzert auf dem Dorfplatz und einen öffentlichen Vortrag von Andreas Speit. Die Veranstaltung musste auch auf dem Dorfplatz statt­finden, da der eigentliche Raum auf Grund von Drohungen durch Neonazis gegen den Besitzer nicht mehr zur Verfügung stand. Außerdem gab es eine Infotour durch Norddeutschland.

Und wie hat sich die Zivilgesell­schaft verhalten? Ein Vorwurf von Antifaschist_innen war ja, dass von der Seite aus viel zu wenig passierte und das Problem kleingeredet wurde?
Die Zusammenarbeit war eher schwie­rig. Es gibt das »Forum für Zivilcourage«, das allerdings stark an der Extremismustheorie und einem staats­tragenden Antifaschismus festhält. Aber, um das hier deutlich zu machen, die einzelnen Personen aus dem Forum waren bei den meisten Veranstaltungen und auch bei der Demo dabei. Natürlich gab es Probleme, da die Kam­pagne eher als »Nestbeschmutzung« angelegt war. Aber es sollte schon deutlich gemacht werden, dass ein Teil des Problems auch die Menschen und Institutionen in Tostedt sind, die das Neonaziproblem kleinreden.

Welche neonazistischen Aktivitäten und Gruppen gibt es aktuell in Tostedt?

Im Moment ist das ganze sehr unübersichtlich geworden. Die Neonazis treten nicht mehr unter klaren Labels, wie etwa »Gladiator Germania« oder »NW Tostedt« auf. Es gibt einen Blog (»Tostedt gegen Links«), der unregelmäßig Berichte über die Region bringt, aber vor allem dazu genutzt wird, Linke zu outen.

Die Kampagne lief mehr als ein Jahr und hat viel gepusht. Was, würdet ihr sagen, hat sich positiv verändert und kann das konkret auf die Kampagne zurückgeführt werden?

Zum einen ist die Neonazipräsenz auf der Straße deutlich zurückgegangen, es gibt weniger Übergriffe gegen nicht-rechte Jugendliche und die rechten Strukturen sind transparent gemacht worden. Auch der Neo­naziladen (Streetwear Tostedt) hat geschlossen und zivilgesell­schaft­liches Engagement, wie etwa das des Forums, hat sich erhöht. Das ist sicher nicht nur auf die Kampagne zurückzuführen, aber insgesamt ist das Thema stärker ins Bewusstsein gerückt. In einer Kneipe, in der früher eher Rechte rumhingen, veranstalten nicht-rechte Jugendliche jetzt ab und an mal ein Elektrocafe. Es ist zwar ein Kern an Neonazis und deren Umfeld übriggeblieben, aber die äußern sich kaum noch und machen nur sehr wenige Aktionen.

Seit Mitte 2012 gab es keine Aktionen mehr der Kampagne. War das eine bewusste Entscheidung?
Ja. Das grundlegende Ziel – die Neo­nazigewalt und den Umgang damit im Ort zu thematisieren, ist erreicht worden. Auch konnte den Neonazis auf der Straße konkret und nachhaltig etwas entgegengesetzt werden. Derzeit finden keine Aktionen statt, da es dafür keinen Grund gibt. Auch werden gerade bei anderen Dingen, wie etwa anstehenden Prozessen, Kapazitäten gebraucht.

Aber trotz der Erfolge sprecht ihr davon, dass es noch vereinzelt Übergriffe gibt?

Ja, das stimmt. Es ist weniger der »harte Kern« als vielmehr ein paar jüngere Neonazis, die Stress machen. Neu ist, dass die Neonazis mittlerweile Leute anzeigen. Das machen sie im Bewusstsein, dass die Cops eher in Richtung Links ermitteln. Vor kurzem wurde ein Genosse angegriffen. Der neonazisti­sche Angreifer hatte vorher bei den Cops angerufen und behauptet, er würde angegriffen. Die Cops sind dann gekommen und haben eine Anzeige gegen den Genossen aufgenommen.

Die Polizei ermittelt also eher in Richtung Antifas?

Als das öffentliche Interesse groß war, gab es auch viele Prozesse gegen Neonazis. Aber unser Eindruck ist der, dass die Cops mittlerweile vermehrt gegen Linke vorgehen. Wir hatten das Gefühl, dass die Situation im Ort wieder »runtergekocht« werden sollte, auch um deutlich zu machen, wer das Sagen hat. Es war häufig so, dass der Staatsschutz in Zivil am Wochenende in der Stadt gewartet hat, bis sie vermeintlich linke Jugendliche getroffen haben, um diese dann zu kontrollieren. Einmal gab es eine Situation, wo ein paar Linke auf dem Weg zu einer Kneipe waren und der Abend dann urplötzlich – unter Zuhilfenah­me einer Hundestaffel und sechs Einsatzwagen – im Gewahrsam endete.

Es gibt oder gab also nicht nur Probleme mit Neonazis, sondern auch mit Repression?

Definitiv. Es war bisher so, dass es sehr viele Anzeigen gab, die aber auf so absurden Vorwürfen basierten, dass die meisten eingestellt wurden. Allerdings gab es auch Verurteilungen. So wurde ein Genosse zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Außerdem stehen jetzt gerade ein paar größere Verfahren an, die vermutlich bald vor Gericht gehen. Es ist teilweise so, dass da einige Genos­s_innen bis zu zehn Verfahren gleich­zeitig offen haben. Da wird deutlich, dass die Cops nach jedem Stroh­halm greifen, damit es zu einer Verurteilung kommt.

Standen die Hausdurchsuchungen in der Region und in Hamburg Anfang des Jahres auch in diesem Zusammenhang?
Das ist zum Beispiel so ein Fall, bei dem Neonazis und Staat Hand in Hand arbeiten. Da wird behauptet, dass Neonazis bei einer Aktion in Buchholz aus einem Parkhaus heraus foto­grafiert wurden und als sie das dann »klären« wollten, was nichts anderes bedeutet, als die vermeintlichen Foto­graf_innen anzugreifen, wurden die Neonazis – nach eigenen Aussagen – plötzlich von einem Dutzend Antifas, die aus dem Nichts aufgetaucht sein sollen, angegriffen. Dabei sollen sie unter anderem mit Säure attackiert worden sein. Das haben die Cops natürlich dankbar aufgenommen, ein riesiges Ermittlungsverfah­ren eingeleitet, in dessen Zuge es eben auch zu den Hausdurchsuchungen kam.

Welche antifaschistische Perspektive seht ihr für die Region?

Eine Reorganisierung der Neonazis könnte wieder zu Konflikten führen. Eine Hoffnung ist, dass sich in den Köpfen der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung in Tostedt politisch etwas getan hat und das Problem in Zukunft nicht mehr so runtergespielt wird, wie vor der Kampagne. Dass die Antifa-Strukturen, die auch – aber natürlich nicht nur – auf Grund der Kampagne entstanden sind bzw. Auftrieb bekommen haben, dem Druck der Cops und der Neonazis standhalten können und nicht von vorne angefangen werden muss, wenn es darum geht Vernetzung und Strukturen gegen Neonazis an den Start zu bringen. Perspektivisch müssen wir jetzt erst mal abwarten wie sich das alles in der Region entwickelt. Auch der Wegfall des neonazistischen Ladens »Street­­wear Tostedt« muss erst mal beobachtet werden. Klar ist, dass das Problem noch nicht gelöst ist, sondern vorerst nur ein Teil der Szene weggefallen ist.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die anstehenden Prozesse.
 

  • 1Auch überregional fällt die Gemeinde Tostedt  mit bereits in den 1990er Jahren in Erscheinung getretenen starken Neonazistrukturen auf. (vgl. auch Antifaschistisches Infoblatt # 88, 2010: Brennpunkt Tostedt)