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»National Socialist Hardcore«

Kampagne »National Socialist Hardcore ausschalten«
Einleitung

Begleitmusik zur Modernisierung rechter Erlebniswelten, Diskurspiraterie und Enteignungsstrategien

Die T-Shirts und Kapuzenpullover, die die Marke Dryve By Suizhyde aus Thüringen anbietet, unterscheiden sich optisch nicht von Kleidungsstücken, wie sie in der Hardcore- oder Emo-Szene zu finden sind: Grelle Farben, Comiczeichnungen und der Schriftzug der Marke in verschnörkelten Schreibweisen dominieren hier. Es soll der Eindruck erweckt werden, dass man es hier mit einer »normalen«, auf diese Szenen abgestimmten Modemarke zu tun hat. Doch der Schein trügt: Macher von Dryve by Suizhyde ist Rene Weiße, Sänger der Band Brainwash aus Thüringen. Mit dieser trat er auf verschiedenen Events der Neonaziszene, so auch 2008 bei dem »Fest der Völker«, auf. Deutlich wird, dass mit Rene Weiße eine Person hinter Dryve by Suizhyde steht, die zahlreiche Beziehungen zur Neonaziszene unterhält. Dies Beispiel steht stellvertretend für eine Entwicklung im Bereich der Neonaziszene, in die auch eine, mit dem erst in den letzten Jahren verwendeten Begriff »National Socialist Hardcore« (NSHC) bezeichnete Musikrichtung eingebunden ist und die eine wichtige Rolle als begleitende musikalische Strömung spielt.

Bild: attenzione-photo.com

»National Socialist Hardcore«-Szenestrukturen in Deutschland

Die Szene explizit rechter Hardcorebands in Deutschland ist stetig am wachsen. Dies spiegelt sich auch an ständig neugegründeten Bands wieder. So verwundert es nicht, dass Musiklabels wie Until the End Records aus Magdeburg, One People One Struggle Records aus Dresden oder 2yt4u-Records aus Wallersdorf in Bayern mittlerweile auf eine große Menge von Veröffentlichungen zurückblicken können. Mit diesen versuchen Neonazis die ursprünglich alternative und in den meisten Fällen mit antifaschistischen Inhalten verbundene Kultur von Punk und Hardcore mit rassistischen, antisemitischen und neonazistischen Botschaften zu füllen. Bands aus diesem Spektrum gibt es viele, wie ein 2008 auf Until the End Records erschienener Sampler zeigt: Auf ihm sind 22 Songs von neonazistischen Hardcorebands zu finden, die Namen tragen wie: Daily broken Dream, Eternal Bleeding, 2 Minutes Warning, Path of Resistance, Fear Rains Down, Painful life, Painful Awakening und Inborn Hate. Mit seiner szenetypischen, aus dem Hardcore entnommenen Zeichensprache lässt der Sampler jedoch zunächst keinen Rückschluss darauf zu, dass hier Neonazis am Werk sind. Genau wie Dryve by Suizhyde setzen auch die oben genannten Labels samt ihrer Versände auf Produkte, die sich auf den ersten Blick kaum vom Stil nicht-rechter Hardcorebands unterscheiden. Uneindeutige Motive und Trendprodukte wie Truckercaps und knallig bunte T-Shirts bestimmen das Merchandisesortiment der neuen Neonazibands. Diese sind dabei für Außenstehende nicht ohne weiteres als aus der Neonaziszene kommende Artikel erkennbar, können jedoch intern durchaus als Erkennungszeichen interpretiert werden. Inhaltlich melden sich die Bands der NSHC-Szene hauptsächlich in Interviews mit szeneeigenen Medien zu Wort, in denen sie aus ihrem rechten Weltbild keinen Hehl machen. Auf den Webseiten der einschlägigen Labels (z.B. Until the End Records) sind zahlreiche Bandinterviews zu finden. So dienen diese nicht mehr nur ausschließlich dem Vertrieb von NSHC-Artikeln, sondern auch als Informationsforen, um die Szene zu unterstützen und zu vernetzen. Weiterhin bieten Portale wie Mosh Music oder das New Hate Zine (beide momentan inaktiv) Hörproben, Rezensionen und Interviews mit NSHC-Bands an. Auf der Seite des New Hate Zines findet man außerdem ausführliche Diskographien der Bands, teilweise mit Texten. Darüberhinaus gehende wichtige szeneinterne Kommunikationsmittel sind Internetforen wie beispielsweise das 2hard4u-Forum, auf dem sich nach vorheriger Anmeldung rege über Musik, Konzerte, Bands, Labels, Politik, »Geschichte« und Vegetarismus/Veganismus ausgetauscht werden kann.

Enteignungsstrategien und Diskurspiraterie

Die Enteignung linker und/oder subkultureller Ästhetik, wie sie die »Autonomen Nationalisten« bereits seit einiger Zeit praktizieren, gehört fest ins Repertoire der NSHC-Szene. Sie findet auf der Ebene von Symbol- und Zeichensprache statt und dient auch als Ausgangsposition einer inhaltlichen Diskurspiraterie. Gleichzeitig lässt sich von der rechten Hardcoreszene eine Modernisierungswirkung für eine sich jugendkulturell verortende Neonaziszene feststellen. Eine Wechselwirkung von NSHC-Szene und neuen rechten Identitätsangeboten wie dem der »Autonomen Nationalisten« lässt sich hier vermuten. Der Begriff der rechten Diskurspiraterie meint hier eine vermeintliche Aneignung linker Positionen mit dem Ziel, diese mit rechten Inhalten aufzuladen. So sind im NSHC eindeutig rechte Texte fast vollständig gewichen zugunsten von Aussagen, die zunächst Anschluss an aktuelle linke Themen suchen und erst in einem zweiten Schritt mit rechten Inhalten aufgeladen werden. Die Band Brainwash formuliert das Ziel dieser Strategie in einem Interview so: »Wir können uns einen Brückenschlag vorstellen, da sich unser Kampf nicht in diesem Rechts/Links-Schema abspielt. Es ist der Kampf ›Oben gegen Unten‹ oder ›Unterdrückte gegen Herrschende‹ welcher unser Streben besser beschreibt. [...] Wir müssen uns loslösen von den üblichen Feindbildern und jene welche bereit sind, sich zu beteiligen an einer wahren Front gegen denselben Feind nicht außen vorlassen.« Dies entspricht einem Vorgehen, das in der Neonaziszene der letzten Jahre verstärkt Einzug gehalten hat und beispielsweise in der rechten Agitation in Richtung sozialer Bewegungen zu finden ist: Augenscheinlich soll dabei versucht werden, in Diskussionen um »angesagte Themen« wie soziale Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung oder Herrschaftkritik als Gesprächspartnerin akzeptiert zu werden, um erst im zweiten Schritt eine rechte, völkische oder rassistische Aufladung dieser Themen in die Diskussion einzubringen. Hintergedanke ist es, potentielle DiskussionspartnerInnen nicht von vorne herein durch offen rechte Parolen abzuschrecken, sondern durch das anfängliche Betonen angeblicher Gemeinsamkeiten einen Ausgangspunkt für Kommunikation zu schaffen. Mögliche Beispiele hierfür sind kapitalismuskritische Aussagen, die jedoch in einer Ablehnung demokratischer Gesellschaftsformen sowie in der Betonung völkisch ausgerichteter Kollektive münden. Weiteres Beispiel ist die Aufnahme des Straight-Edge-Gedankens. Hierbei wird nicht auf die positive, persönliche Entscheidung Bezug genommen, wie von nicht-rechten Straight-Edge-Bands propagiert, sondern mit der Vision eines »gesunden deutschen Volkes« aufgeladen. Im direkten Gespräch wird ein offensives Bekenntnis zum Nationalsozialismus deutlich, wenn z.B. die NSHC-Band Daily Broken Dream aus Mageburg formuliert: »Mir ist durchaus bewusst, dass der Nationalsozialismus als Begriff selber in den meisten Fällen nur negative Empfindungen und Ablehnung herbei ruft. Es ist ein völlig nachvollziehbares Resultat jahrelanger Umerziehung und Lügenverbreitung, die dem Volke jegliche Realitätsempfindungen genommen hat.« Auftreten und Stil von NSHC-Bands dienen als Beispiel einer Diskurspiraterie im ästhetischen Feld. Bemerkenswert an der neu entstehenden Szene ist allerdings die vollständige Adaption von Stil und Musik nicht-rechten Hardcores. Eindeutige Erkennungsmerkmale sind fast gänzlich verschwunden und die neue Szene gibt sich lifestylebewusst, schick und rebellisch. Professionelles Auftreten sowohl in der gespielten Musik als auch in der Eigenvermarktung spielen eine große Rolle, um neue Konsumenentschichten anzusprechen. Teure Produktionen, eine professionelle Promotion, von Webdesignern gestaltete Internetauftritte, so zum Beispiel die Myspace-Auftritte der Bands Mortuary oder Daily Broken Dream, die von der Webdesign-Agentur defiant graphic design gestaltet wurden. Darüber hinaus sind teilweise sogar professionelle Musikvideoproduktionen, wie sie die Band Moshpit für ihren Song »Caught between two hells« erstellt hat, Beispiele für solche Professionalisierungstendenzen. Dabei darf die beobachtete Diskurspiraterie nicht verkürzt nur als Unterwanderungsversuch und sozusagen »generalstabsmäßig geplantes« Hineinwirken rechter Szenen in linke und alternative Zusammenhänge verstanden werden. Mit diesem Erklärungsmuster wäre die Entstehung der NSHC-Szene nur ungenügend erklärt. Es ist auffällig, dass die Akteure gut über Bands, Codes und Styles sowie Praxen aus verschiedenen Hardcoreszenen Bescheid wissen. Ihre Adaption wirkt nicht wie eine einfache Übernahme oberf lächlicher Szenemerkmale mit dem einzigen Ziel der Unterwanderung. Es scheint, dass die Akteure des NSHC deshalb so sicher und selbstverständlich mit den Zeichen der Szene umgehen, weil sie sich tatsächlich mit Teilen der Subkultur des Hardcore identifizieren können und sich dann neonazistischen Positionen zugewandt haben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die NSHC-Szene inhaltlich wie stilistisch eine Strategie der Uneindeutigkeit pflegt, die auch darauf abzielt, Zielgruppen zu erreichen, die bisher von rechter Musik nicht erreicht wurden. Hierbei ist die oben beschriebene Diskurspiraterie sowohl auf inhaltlicher wie auch auf ästhetischer Ebene das Mittel ihrer Wahl, um diese Strategie umzusetzen. Die neuen Neonazihardcorebands wollen durch das Anknüpfen an Diskussionen, wie sie in nicht rechten Hardcoreszenen geführt werden, auf diese einwirken und sie mit ihren Positionen konfrontieren. Wichtig ist es jedoch, festzuhalten, dass der Großteil der NSHC-Bands ihre Musik keinesfalls als unpolitisch sieht, sondern sie sehr klar als politisches Propagandamittel versteht. Das folgende Zitat der NSHC-Band Moshpit1 stellt dies klar: »Wir sind Nationale Sozialisten und wollen mit intilligent verpackten Texten unseren Beitrag leisten, im Kampf gegen Ungerechtigkeit, Meinungsdiktatur und der Unterdrückung der freien Entfaltung der Völker. [..] Wir sind politische Kämpfer.« (Fehler im Original)

Abschließende Bewertung

Die Zuwendung zu hardcoretypischen Ausdrucksformen in der aktuellen Neonaziszene spiegelt einen Trend in dieser Szene wieder, in den sie gut hineinpasst. Ihre äußerliche Modernisierung hin zu Erlebniswelten, die sich jungendkulturell »cool«, subversiv und rebellisch gibt, hat sich im musikalischen Bereich unter anderem in Form neonazistischer Hardcorebands manifestiert. Wer die rechte Musikszene beobachtet, kann sehen, dass NSHC zu einem immer bedeutenderen Faktor in diesem Bereich wird. Ein eindeutiges Bekenntnis zu Nationalsozialismus, Antisemitismus, Rassismus und Sozialdarwinismus ist auch für diese Szene kennzeichnend und macht die erwähnte Modernisierung nur oberflächlich. Wichtig ist, dass Akteure der NSHC-Szene durch zunächst »neutrales« Auftreten sowie einer professionelleren Aufmachung ihrer Produkte versuchen, an ein Publikum heranzutreten, welches mit bisherigen Identitätsangeboten aus der Neonaziszene nichts anfangen kann. Das Anknüpfen an Themen, Sprachgebrauch und Ästhetik, die diesen potentiellen neuen HörerInnen bekannt sind, stellt im kulturellen Feld das Pendant zur inhaltlichen Enteignungsstrategie der Neonazis dar. Eine Analyse sollte sich davor hüten, ausschließlich verschwörungstheoretisch von einem Unterwanderungsversuch der Hardcoreszene zu sprechen. Nach Anknüpfungspunkten in der nicht rechten Hardcoreszene wird zu suchen sein, um die Besetzung dieser subkulturellen Ausdrucksform durch Neonazis vollständig erklären zu können. Die Kampagne »National Socialist Hardcore ausschalten« hat solche Anknüpfungspunkte aus ihrer Sicht in dem von ihr im Internet veröffentlichten Reader dargelegt. Eine breit angelegte und selbstkritische Diskussion dieser Thesen innerhalb der nicht- rechten Hardcoreszene steht jedoch noch aus. Sie wird unverzichtbar sein, um sich nicht bald in einer ähnlichen Situation wiederzufinden, wie sie andere Subkulturen zu meistern haben.

Mehr Infos unter: http://ausschalten.wordpress.com; Kontakt zur Kampagne: nshc_recherche(a)gmx.de

  • 1Anmerkung der Redaktion: Hinter der NSHC-Band Moshpit soll nach Aussagen von Szene-Insidern der Musiker Oliver Geidel aus Altenburg stehen. Er soll als Schlagzeuger auch bei der NSHC-Band Eternal Bleeding mitspielen.