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Österreichs Superjubiläumsjahr 2005

Manu Tesak
Einleitung

2005 - ein Superjubiläumsjahr, eine staatlich geplante Geschichtsinszenierung, die ein neues Österreich konstruieren soll: Das Österreich, das der konservativen Regierungskoalition und deren Geschichtsauffassung entspricht. Die Feierlichkeiten, Clubbings und Inszenierungen werden nichts »rückwärtsgewandtes« an sich haben. »Verordnete Geschichtsbilder«, womit wohl sozialdemokratische und antifaschistische gemeint sind, will Kunststaatssekretär und Koordinator der Festivitäten Franz Morak nicht zulassen. Diese kritischen Stimmen sollen in der gemeinsamen Feierstimmung erst gar nicht aufkommen können. Gefühle der Beklemmung, wie sie sonst nur ein Jelinek Roman auslösen kann, stellen sich ein.

Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0922-500 /CC BY-SA 3.0

Adolf Hitler verkündet vom Balkon der Hofburg den jubelnden Massen auf dem Heldenplatz den Anschluss Österreichs am 15. März 1938.

Die Nation feiert

Geht es nach Kanzler Schüssel werden 60 Jahre Ausrufung der Republik gefeiert und nicht der 60 Jahre Kriegsende gedacht. Da trifft es sich natürlich gut, dass der 1955 folgende Staatsvertrag - Österreich erhielt volle staatliche Souveränität mit der »immerwährenden Neutralität« als Auflage und die alliierten Truppen wurden abgezogen - nicht durch weltpolitische Notwendigkeiten und die Alliierten zustande kam, sondern durch einen braven, nationalen, christlich-sozialen Österreicher Leopold Figl. Der damalige, 1965 verstorbene, Außenminister gilt bis heute als eine Ikone der ÖVP. Er war der schon im austrofaschistischen Wehrverband Ostmärkische Sturmschar (OSS) aktiv gewesen und wegen seines Österreich-Patriotismus ins KZ gekommen. Mit der Berufung auf Figl hat quasi die ÖVP, seit 2000 die Führung der Regierungskoalition, Nachkriegsösterreich aus der Taufe gehoben hat.
Endlich ist klar, dass nicht WiderstandskämpferInnen, NS-Opfer und RückkehrerInnen Österreich ermöglicht haben, sondern die braven Täter. Der dritte Eckpfeiler der Feierlichkeiten neben Republiksausrufung 1945 und Staatsvertrag 1955 ist die 10jährige EU-Mitgliedschaft, die schließlich ein Anschluss an das westliche, christliche, konservative Europa und ganz im Sinne der ÖVP und des Österreichers ist. Zumindest werden wir das nach diesem Jahr alle eingebläut bekommen haben.
Das Jahr 2005 soll die neue Hegemonialmacht der Konservativen, Nationalbewussten und Neoliberalen verankern. Nicht kritische Auseinandersetzung, sondern »Zeitgeschichte aktiv erleben« ist das Motto des Unterrichtsministeriums in seinen Richtlinien für den Schulunterricht 2005. Mit Österreichquiz, Österreich-Album 1945-1955 und Pflege des kulturellen Erbes soll in der Schule das neue Österreichbewusstsein installiert werden. Hier wird klargemacht, dass Tradition und Denkmalpflege eine wichtige Säule der eigenen Identität sein muss: «So kann sich etwa eine Tourismusschule damit beschäftigen, ein örtliches Denkmal im Fremdenverkehr der Region wirkungsvoll zu positionieren.«1 - Kriegerdenkmäler dürfen wieder glänzen.

Opfermythos I revisited

Wieso ist es notwendig österreichische Identität neu zu konstruieren? Österreich nach 1945 und in Folge nach dem Staatsvertrag 1955 war ein Land ohne österreichisches Nationsbewusstsein und ein Land mit einer hohen Dichte an ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Um alle in das Nachkriegsösterreich zu integrieren, half die Opferthese. Laut dieser war Österreich 1938 das erste Opfer des deutschen Faschismus geworden. Damit waren alle Österreicher in erster Linie Opfer und auch wenn sie Täter waren, waren sie dies quasi als Opfer. Damit glaubte man im Gegensatz zur ersten Republik ein Gegengift gegen deutschnationale Gedanken und damit Faschismus gefunden zu haben. Das hieß den Teufel mit dem Beelzebub austreiben und verhinderte Entnazifizierung und Aufarbeitung, sicherte aber allen Parteien Wählerstimmen der ehemaligen NSDAP-Mitglieder. Dieser Opfermythos wurde im Ge- und Bedenkjahr 1938/88, in dem sich der 1938 erfolgte Anschluss Österreichs an Nazideutschland durch eine Volksabstimmung jährte, geschwächt und zum Teil von sozialdemokratischen Politikern relativiert, die zum ersten Mal eine Mitschuld am Holocaust zugestanden. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel betreibt seit seinem Amtsantritt Revision dieser Mitschuldthese. Im offiziellen Jubiläumsband bekräftigt er noch einmal seine Sicht der Dinge: »Wer war Opfer, wer war Täter, wer war beides? Vor Pauschalurteilen sei gewarnt. Der Durchschnittsösterreicher überlebte die Katastrophenjahre ( ... Nicht jeder konnte sich verstecken .. ) in eine fremde Uniform gezwängt und in blutige Schlachten kommandiert. Auf die Überlebenden wartete demütigende Gefangenschaft und - endlich in der Heimat - niederdrückende Not«2

Opfermythos II revisited

Eine wichtige Variation des Opfermythos ist die Erzählung vorn »Geist der Lagerstrasse«: Sozialdemokraten und Christlichsoziale sollen sich, gleichermaßen vorn NS-Regime verfolgt, durch gemeinsame KZ-Erfahrung zusammengeschweißt und durchdrungen von Österreichgefühl, an die Errichtung eines neuen demokratischen Staats gemacht haben. Es gab tatsächlich Parteifunktionäre, die im KZ waren; dass die Gefangenen der beiden politischen Lager sich dort kennen und schätzen lernten, ist allerdings unbewiesen.
Der Geist der Lagerstrasse soll nun endgültig seine Erhöhung in einem ständestaatlich, anmutenden Österreicher-Wir-Gefühl erfahren. Doch kann das den Regierungsfeierlichkeiten oberflächlich nicht so leicht unterstellt werden, kommen ja von der KZ-Gedenkstätte Mauthausen über das Jüdische Museum, den Bertha von Suttner Verein, den Migrantlnnen, Kunst und Kultur bis hin zur schönen Natur alle im offiziellen Jubiläumsband vor.

Total Neutral

Und noch ein Mythos soll gefeiert werden, der »rote Mythos« Neutralität. Seit der glorifizierten österreichischen Außenpolitik in der Kreisky-Ära, den Regierungsjahren des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky 1970-83, ist sie die heilige Kuh vieler ÖsterreicherInnen. Die Neutralitätsgesetze waren eine der Bedingungen, die die Sowjetunion an die Gewährung des Staatsvertrags für Österreich knüpfte.
Eine Diskussion über die tatsächliche politische und geschichtliche Einschätzung der Neutralität für Linke und AntifaschistInnen in Österreich, würde hier zu weit führen. Logisch wäre, dass 2005 im Zuge der Konstruktion von westeuropäischer Kontinuität 1945-1955-1995 die Neutralität ein Begräbnis erster Klasse erhalten wird und offenbar durch ein neues, aktives, wehrhaftes Österreich ersetzt werden soll, denn schließlich feiert das österreichische Heer sein 50jähriges Bestehen.
Einen besseren Anlass als diesen zur ideologischen Vorbereitung der Einbindung des österreichischen Heers in das europäische könnte es kaum geben.

Konservative Hegemonie

Eine weitere Geschichtsrevision, die die neue Hegemonialmacht ÖVP / FPÖ benötigt, ist die Tilgung beziehungsweise Umdeutung der sozialdemokratischen Regierungsjahre insbesondere unter Kreisky, der österreichischen Einrichtung der Sozialpartnerschaft und der Einbindung der Gewerkschaft in markwirtschaftliche Entscheidungen. Natürlich ist, besonders die Sozialdemokratie und ihr Wirken nach 1945 kritisch zu beurteilen, wie auch die Sozialpartnerschaft als österreichisches Modell zur Herstellung sozialen Friedens. Dennoch ist sie ein für Linke und AntifaschistInnen gerade in Österreich wichtiger Aspekt. Die Umdefinierung der sozialdemokratischen Regierungsjahre vom Erfolgsmodell zum Verschuldungsmodell ist bereits gelungen. Die Umdeutung von Sozialpartnerschaft zu Ständevertretung und damit Entmachtung der Gewerkschaften ist ungeschriebenes Ziel: Warum nicht auch im Jubiläumsjahr diese unter dem Deckmantel der Devise »wir alle sind Österreich« weiter demontieren? - Letztendlich geht es ja nicht nur um Mythen und Erzählungen, sondern um Kontrolle dieser und damit über die Gesellschaft und das Festschreiben neuer-alter konservativer Phantasien.

2005 was nun?

Das Jubiläumsjahr 2005 soll konservative, christliche, nationale Gesinnung festschreiben und Identitätsbrüche, die durch 1938/88 entstanden sind, wieder kitten. Die 1989 entstandene neue Weltordnung, braucht eine Neudefinition Österreichs und seiner Stellung in der Welt. Die Regierung ist im Jahr 2000 angetreten diese Kontinuitäten und Identitätssicherheiten herzustellen und zwar mit ihren Werte- und Geschichtsinterpretationen. 1945-1955-1995 werden in eine Linie gesetzt und zur logischen Folge konsequenter ÖVP-Politik. Die neue kollektive Identität hat christlich, europäisch, heimatlich zu sein. Gesunder Nationalstolz soll die ÖsterreicherInnen einem konservativen, neoliberalen Europa und Österreich gegenüber unkritisch machen. Wachsende soziale Unsicherheit wird durch österreichisches Gemeinschaftsgefühl bekämpft. Ein für allemal soll klar sein, dass Österreich nichts mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hatte und wenn, dann nur als überrumpeltes Opfer einer »Naturkatastrophe der Geschichte«.
Die FPÖ ist als Regierungspartei in die offiziellen Feierlichkeiten eingebunden. Innerhalb der Partei und ihrer befreundeten Verbände gibt es aber natürlich Diskussionen um Möglichkeiten zur Geschichterevision in Jubiläumsjahr. Andreas Mölzer, Europa-Abgeordneter der FPÖ, ehemaliger Chefideologe seiner Partei und Herausgeber der »rechtsintellektuellen« Zur Zeit macht sich Sorgen über die Lüge der österreichischen Identität und das Verschwinden des deutschen kulturellen Erbes durch Überfremdung. Der Obmann des Kärntner Heimatdiensts will Sühne für die »Verbrechen der Alliierten und die Vertreibungen nach Kriegsende«. Dementsprechend forderte Mölzer im Februar 2005 eine von »allen Nationen getragene« Gedenkveranstaltung für die »Opfer des alliierten Bombenterrors«, die in Dresden stattfinden solle. Einige Tage zuvor hatte er sich von einer anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz verabschiedeten Resolution des Europäischen Parlamentes zu Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit distanziert. Mölzer begründete seine Haltung mit dem Hinweis, dass die Republik Österreich »keine Verantwortung« für den Holocaust trage.3 Auch der Historiker und FPÖ-Vordenker Lothar Höbelt tritt gegen ,Siegergeschichte' und ,rote Missinterpretationen' an. Er will auf die Opfer der Großväter aufmerksam machen. So sei »die Zahl der Österreicher, die 1945 in Gefangenschaft wanderten, [ ... ] zweifelsohne größer« gewesen, als die der Befreiten und Großmütter, die »zu hunderttausenden« von Alliierten vergewaltigt worden seien. Zudem vertritt Höbelt die Auffassung, dass die wahre Freiheit Österreichs erst 1957, als die ehemaligen NSDAP-Mitglieder wieder wählen durften, hergestellt wurde.4
Die etablierten Oppositionsparteien nehmen selbst teil, um wenigstens kleine kritische Elemente einzubringen. Die SPÖ integriert sich in den Jubiläumsreigen und unternimmt lediglich Versuche der Zurechtrückung aber kaum der lauten Kritik - z.B. forderte sie im Zuge der Flutkatastrophe in Asien, dass ein Viertel der Gelder für die Jubiläumsfeierlichkeiten gespendet werden sollen. Die Grünen fordern anlässlich des Jubiläumsjahres eine Generalamnestie für alle nach dem Homosexuellenparagraphen verurteilten.
Echter Widerstand beginnt sich zaghaft aber doch auf der Linken zu formieren: Unter www.oesterreich-2005.at hat sich bereits eine Plattform als »Vorsorge-Paket gegen ein Jahr Heimat-Feiern« gegründet. Wie sich der Rest der antifaschistischen Linken und eventuell Teile von KP, SP und Grüner Jugend verhalten werden, ist erst nach Jahreswechsel abzusehen. Noch gibt es trotz düsterer Feierschwülstigkeit Hoffnung.

Manu Tesak ist Zeithistorikerin und lebt in Wien

  • 1bm:bwk: Zeitgeschichte aktiv erleben. Das Jubiläumsjahr 2005 für Schülerinnen und Schüler, Wien 2004, S.3 http://www.bmbwk.gv.at/medienpooI111768/pu_20040830.pdf
  • 2Wolfgang Schüssel, Erinnern und Erneuern, in: Bundeskanzleramt / Bundespressedienst (Hg.), Österreich 2005, Das Lesebuch zum Jubiläumsjahr mit Programmübersicht, Wien 2004, S.54 - 57, hier: S. 55
  • 3Vgl. Der Standard vom 11.2.2005.
  • 4Lothar Höbelt, Von der »Befreiung« zur Freiheit. In: Zur Zeit 7.-13. Jänner 2005, S. 18