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„Tag X“ und apokalyptische (rechte) Gewalt

Marc Dietz
Bild: Screenshot Onlinevideo

Der deutsche Ableger der „Atomwaffen Divison“ beschwört in einer Videonachricht den „letzten, langen Kampf“.

Am 16. November 2018 veröffentlichte die Tageszeitung „taz“ eine Recherche über ein Netzwerk von extrem rechten aktiven und ehemaligen Bundeswehrsoldaten, Poli­zisten des SEK und LKA sowie „Preppern“1 , welches sich in Chatgruppen und um den Reservistenverein UNITER e.V. organisiert hat. Dort planten sie die Vorbereitung auf den „Tag X“, an welchem sie politische Gegner*innen mit Bundeswehrfahrzeugen unter Vortäuschung des Personenschutzes entführen und in Waldstücken erschießen wollten.

Der „Tag X“ steht für einen besonderen Tag in der nahen Zukunft, an dem die alte Ordnung durch ein besonderes Ereignis zusammenbrechen würde, wodurch sich ein Handlungsfenster für die extrem Rechten zum Umsturz, zur nationalen Revolution ergeben würde.  Die Untergruppe „Nordkreuz“, gegen die in Mecklenburg-­Vorpommern seit 2017 ermittelt wird, hatte bereits Leichensäcke und Ätzkalk für die Massengräber angeschafft.

Auch der ehemalige Bundeswehroffizier und potenzielle Rechtsterrorist Franco A. war Mitglied dieses Netzwerks. Franco A. plante einen false-flag-Anschlag in Deutschland, deren extrem rechten Hintergrund er als islamistische Tat tarnen wollte. Dazu hatte er sich bereits erfolgreich gegenüber deutschen Behörden als syrischer Geflüchteter ausgegeben und eine Schusswaffe besorgt. Dieses Ereignis kann innerhalb der Netzwerkzusammenhänge als selbst herbeigeführter „Tag X“ gelten. Das aktive Einleiten der Apokalypse bzw. der Endschlacht zwischen den Mächten des Guten und des Bösen, als „Rassen-“ oder Bürgerkrieg, ist ein gängiges Motiv rechtsterroristischen Handelns.

Auch andere extrem rechte Gruppen nutzen die apokalyptische Chiffre des „Tag X“. Ende des Jahres 2012 wurden von der neonazistischen Gruppierung „Die Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen“ Drohbriefe an muslimische und jüdische Gemeinden sowie Einzelpersonen in Deutschland und Österreich versandt. Darin forderte sie alle „raum-, wesens- und kulturfremden“ Menschen auf, das Land bis zum „Tag X“, den Beginn des Dritten Weltkriegs, verlassen zu haben, sonst drohe ihnen eine standrechtliche Erschießung. Auch die rechte Rostocker Kampf­sportgruppe „Baltik Korps“ nutzt die Chiffre in ihrer Selbstbeschreibung: „Wir sind die, die nicht auf den ‚Tag X‘ warten müssen, weil wir der ‚Tag X‘ sind!“ Darin lässt sich der Wunsch nach Unmittelbarkeit des apokalyptischen Endkampfes erkennen.

Apokalypse und extrem rechte Gewalt in den USA

In den USA bilden sich seit diesem Jahrzehnt wieder rechtsterroristische Gruppen wie die „Atomwaffen Division“ (AWD), die ihr Handeln auf die Textsammlung „Siege“ des Neonazis James Mason begründen.2 Im Vorwort bekräftigt der Herausgeber der im Neonaziforum „Iron March“ geteilten dritten Auflage, die Apokalypse endlich herbeiführen zu wollen: „An dieser Stelle kann das soziale Unbehagen nicht gestoppt, sondern nur in den Abgrund beschleunigt werden, indem die gesamte abscheuliche Episode dieses Endzyklus aufgegeben wird.“

Dieser extrem rechte „Akzelerationismus“ Masons, in dem das beschleunigte Ende der bürgerlichen Gesellschaft durch die Verbreitung von Chaos und Terror propagiert wird, wird ebenfalls von den militanten extrem rechten Gruppierungen „The Base“ in den USA und Kanada, der „Sonnenkrieg Division“ in Großbritannien und der kontinentaleuropäischen „Feuerkrieg Division“ vertreten. Die Gruppen werben derzeit aktiv über das Internet nach neuen Mitgliedern, die in geheim stattfindenden Waffentrainings auf Terroranschläge vorbereitet werden sollen. Sie reagieren auf das politische Erstarken populistisch auftretender (extrem) Rechter, denen gegenüber sie sich als Hardcore-Gruppierung mit der Propaganda der Tat abgrenzen wollen.

Auch außerhalb traditionell organisierter neonazistischer Gruppen führen apokalyptische Vorstellungen von extrem Rechten zur Gewalt. Seit Anfang des Jahrzehnts radikalisieren sich in diesem Zusammenhang besonders junge Männer über das Internet, die eher einer Gaming Kultur oder dem Bereich der „Männerrechtler“ als klassisch extrem rechten Verbünden und Organisationen zuzuordnen sind3 . Auf Boards wie 4chan oder dem inzwischen in das Darknet verbannte 8chan können extrem Rechte nahezu unreglementiert ihre Inhalte teilen und sich anonym austauschen; darüber hinaus wird Propagandist*innen und Anhänger*innen ein öffentlicher Raum geboten.

Extrem rechte Attentäter wie Brenton Tarrant (Christchurch), John Ernest (Poway) oder Patrick Crusius (El Paso), um nur die aktuellsten Anschläge zu nennen, nutzten 8chan, um ihre rassistischen, antisemitischen und apokalyptischen „Manifeste“ mit dessen extrem rechter Community zu teilen und weitere Taten anzustoßen. In einem Zeitfenster von nicht einmal einem Monat nach dem tödlichen Anschlag auf einen Walmart in El Paso Anfang August 2018, nahmen US-Behörden bereits mehr als zehn extrem Rechte fest, nachdem sie ähnliche Anschläge im Internet angekündigt hatten.

Apokalypse und Endzeit-Vorstellungen als Tradition in extrem rechter Agitation

Karl Kraus bezeichnete bereits 1933 Nationalsozialisten im Sinne Oswald Spenglers als „Untergangster des Abendlandes“. Diese Vorstellungen der modernen extremen Rechten stehen in einer mittelbaren und unmittelbaren christlichen Tradition. Für extrem Rechte in den USA stellt besonders das letzte Buch des Neuen Testaments, die „Offenbarung des Johannes/Apokalypse“, einen zentralen Bezugspunkt dar. In ihm prophezeite der Autor den baldigen Kampf böser und chaotischer Mächte Satans gegen die göttliche Ordnung, welcher schließlich in einem göttlichen Reich ohne jegliches Böse münden würde. Als Unterstützer des Bösen tritt in diesem Zusammenhang der Antichrist auf, der als „falscher Prophet“ Jüdinnen, Juden und Christ*innen verführt. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Apokalyptik und das Feindbild des Antichristen tradiert, aktualisiert und modifiziert. Sein Erscheinen zeugte von dem drohenden Weltenende und der Hoffnung auf zeitlich nahe Erlösung, gleichzeitig wurde es zunehmend judenfeindlich aufgeladen. In religiösem Fanatismus und extrem rechter Ideologie ist damit ein Manichäismus verbunden, in dem die Welt in „Gut“ und „Böse“ eingeteilt, und eine Endschlacht zwischen beiden Mächten als unausweichlich dargestellt wird.

Die Erwartung der neuen Ordnung, wie auch die Identifikation von Jüdinnen und Juden mit satanischen Mächten wie dem Antichristen, findet sich ungebrochen in den christlich geprägten extrem rechten Gruppierungen der USA, allen voran dem „Christian Identity Movement“, aber auch als säkularisierte Weltverschwörungsideologie. Dessen bedeutendstes Dokument bildet das Plagiat der „Protokolle der Weisen von Zion“. In Russland wurden sie 1905 erstmals vollständig abgedruckt – bezeichnenderweise als Anhang der zweiten Auflage von Sergej Nilus mystisch-apokalyptischen Buch „Das Große im Kleinen. Und der Antichrist als nahe politische Möglichkeit“. Darin werden Jüdinnen und Juden verdächtigt, die Moderne samt Universalismus, Demokratie, Liberalismus, Kapitalismus und Kommunismus durch eine globale Verschwörung gegen alle anderen Völker und die „natürliche“ völkische/göttliche Ordnung hervorgebracht zu haben. Innerhalb der regressiven Krisenbewältigungsstrategie der extremen Rechten wird die Moderne immer wieder in apokalyptischer Rhetorik dargestellt.

Apokalyptische Elemente innerhalb extrem rechter Ideologie und Gewalt haben eine enge Verbindung zueinander. Die in ihren Verschwörungsideologemen verbreitete, vollkommen entgrenzte Bosheit und Gewalt der „Verschwörer*innen“ legitimiert eine entsprechend entgrenzte Gewalt als „Widerstandstat“. Droht in dieser Auseinandersetzung die Niederlage, so kann der Traum des „Endreiches“ zugunsten der totalen Vernichtung fallengelassen oder in das Metaphysische verbannt werden.

Die Unfähigkeit der extremen Rechten zu einer emanzipativen Kritik moderner Gesellschaften beflügelt ihre Sehnsucht nach dem Untergang, wie Theodor W. Adorno es in einem Vortrag vor Wiener Studierenden im Jahr 1967 hervorhob: „Wer nichts vor sich sieht und wer die Veränderung der gesellschaftlichen Basis nicht will, dem bleibt eigentlich gar nichts anderes übrig, als wie der Richard-Wagnersche Wotan zu sagen: ‚Weißt Du, was Wotan will? Das Ende‘ –, der will aus seiner eigenen sozialen Situation heraus den Untergang, nur eben dann nicht den Untergang der eigenen Gruppe, sondern wenn möglich den Untergang des Ganzen.4

  • 1„Prepping“ bezeichnet die exzessive Vorbereitung auf Katastrophen bis hin zum Zivilisationsuntergang – etwa während des Kalten Krieges durch einen Atomkrieg. Besonders in den USA ist damit der Bau von Bunkern und das Horten von Lebensmitteln, Waffen und Munition verbunden. Seit den 1970er Jahren ist Survivalism/„Prepping“ bei apokalyptischen extrem Rechten in den USA weit verbreitet.
  • 2Mitglieder der AWD werden in den USA für fünf Morde verantwortlich gemacht. Vgl. Spencer Sunshine: "Gewalttätige Neonazistrukturen in den USA", in: Antifaschistisches Infoblatt Nr. 119 (2018). Ein deutscher Ableger fiel bisher nur durch die Verbreitung antisemitischer und rassistischer Propaganda auf. Zu früheren apokalyptischen extrem rechten Gruppen in den USA vgl. etwa Michael Barkun, Millenarian aspects of ‘white supremacist’ movements, in: Terrorism and Political Violence 4 (1989), 409–434.
  • 3Auch davor sind Fälle dokumentiert, in denen Computer und deren Vernetzungen eine wichtige Rolle im Leben von jungen Männern gespielt haben, die später zu Rechtsterroristen wurden, wie etwa Timothy McVeigh. Vgl. Lou Michel/Dan Herbeck, American terrorist. Timothy McVeigh & the tragedy at Oklahoma City, New York 2002 Zum Phänomen der Incels vgl. etwa Debbie Ging / Eugenia Siapera / Soraya Chemaly (Hrsg.), Gender hate online. Understanding the new anti-feminism, Cham, Switzerland 2019.
  • 4Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Ein Vortrag, Berlin 2019, 20.