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Aktuelle Repression gegen den Widerstand von Geflüchteten

Kampagne "can‘t evict solidarity" (Gastbeitrag)
Einleitung

Im Sommer 2016 hat sich als Reaktion auf die Räumungen solidarischer Hausbesetzungen in Thessaloniki die Antirepressionskampagne „You can‘t evict solidarity“ gegründet – eine Gruppe von bundesweit aktiven Menschen, die vor allem während des sogenannten „langen Sommers der Migration“ regelmäßig entlang der Balkanroute solidarisch unterwegs waren und sich mit lokalen Unterstützungsstrukturen vernetzt haben. Sie berichten von den zunehmenden Repressionen gegen Geflüchtete und Unterstützer*innen und den Folgen.

Bild: flickr.com; Fotomovimiento, CC BY-NC-ND 2.0

Geflüchtete an der Grenze bei Idomeni im Sommer 2016.

You can‘t evict solidarity

Europaweit beobachten wir, dass die Staats- und EU-Politik gegenüber Menschen auf der Flucht, Unterstützer*innen sowie jeglichen Alternativen zu staatlicher Migrationskontrolle zunehmend repressiver wird. Diese Abschottungspolitik zwingt Menschen dazu, den gefährlichen Weg über das von Frontex überwachte Mittelmeer zu nehmen. Die Anzahl derjenigen, die dabei starben, lag allein 2018 bei über 2.000 Menschen1 . Die Grenzen zwischen den europäischen Staaten sind streng kontrolliert und hoch militarisiert. Während auf der sogenannten Balkanroute zwischen Serbien und Ungarn Geflüchtete von Polizei und Militär mit modernster Technik aufgespürt, mit Gewalt am Grenzübertritt gehindert und ohne Rechtsgrundlage inhaftiert werden, wurden 2015 auch Flüchtende an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei erschossen2 . Trotz alledem nehmen viele Menschen neue, gefahrvolle Wege auf sich. Nicht wenige werden daraufhin unter menschenunwürdigen Bedingungen in sogenannten „Hotspots“ wie auf den griechischen Inseln Chios, Lesbos und Samos faktisch inhaftiert, da diese seit dem EU-Türkei-Deal für Geflüchtete zu Gefängnissen geworden sind. Aktuell leben allein über 7.500 Menschen im Camp Moria auf Lesbos, das für 3.000 Personen ausgelegt ist. Andere Menschen sitzen an den Grenzen in Velika Kladusa (bosnisch-kroatische Grenze) oder in Ventimiglia (italienisch-französische Grenze) fest, wohnen teilweise auf der Straße oder werden illegal zurückgeschoben.

Von Widerstand und Repression

An verschiedenen Orten regt sich jedoch Widerstand gegen diese tödliche Politik und das EU-Grenzregime, wann immer Menschen gegen willkürliche Inhaftierungen, für offene Grenzen und für ihre Rechte kämpfen. So gab es ein Protestcamp von Geflüchteten bei Velika Kladusa (bosnisch-kroatische Grenze) im Herbst 2018 sowie unzählige Proteste von Geflüchteten in den Lagern auf den griechischen Inseln und an anderen europäischen Grenzorten, Städten oder (Abschiebe-)Gefängnissen. Viele dieser für die Öffentlichkeit oft unsichtbaren Proteste werden mit Gewalt durch die Polizei oder andere staatliche Kontrollinstanzen beendet und die Protestierenden abgeschoben oder inhaftiert. So z.B. in den unten erläuterten Fällen.

Aus der Not besetzte Häuser werden wie in Thessaloniki im Sommer 2016 geräumt, solidarische Aktivist*innen durch neue Gesetze mit hohen Haftstrafen wegen „Schleuserei“ konfrontiert. Gleichzeitig kriminalisiert die EU solidarische Seenotretter*innen wie „Jugend rettet“ oder „Sea Watch“, die mit ihren Schiffen mit Geretteten nicht in europäischen Häfen anlegen dürfen. Im Folgenden werden einige solcher Repressionsfälle gegen Geflüchtete, die sich ihrer menschenunwürdigen Lage widersetzen, exemplarisch dargestellt und stehen zugleich für unzählige weitere Fälle ähnlicher staatlicher Brutalität und legaler Willkür, die größtenteils im Verborgenen bleiben.

Ahmed H. und die „Röszke 11“, Ungarn

Im September 2015 wurden bei Protesten gegen die Grenzschließung Ungarns der ungarisch-serbischen Grenze bei Röszke elf Geflüchtete aus der Menge heraus verhaftet und u.a. wegen Terrorismus und illegalem Grenzübertritt angeklagt. Im November 2016 wurde einer von ihnen, Ahmed H., zu zehn Jahren Haft verurteilt. Durch Solidaritätsarbeit und Proteste konnte dieses Urteil in den nächsten Instanzen gekippt und um fünf Jahre verringert werden.

Die „Moria 35“ und „Moria 8“, Griechenland

Der Fall der „Moria 35“ ist seit Herbst 2018 abgeschlossen. Darin ging es um 35 Menschen, die im Juni 2017 nach einem friedlichen Sitzstreik im Camp Moria auf Lesbos (Griechenland) von der Polizei wahllos und brutal verhaftet worden sind. Alle 35 Personen wurden freigelassen, einige von ihnen wurden abgeschoben. Ein Vorgehen, das sich auf ähnliche Weise im aktuellen Fall der „Moria 8“ wiederholt: Im März 2018 entfachten sich erneut Proteste im Camp Moria. Das anschließende Klageverfahren gegen die vermeintlichen „Täter*innen“ basierte auf vagen Aussagen zur Identifizierung u.a. eines vermeintlichen Rädelsführers, der jedoch nachweislich gar nicht vor Ort war, als der Protest losging. Ganz aktuell, im Februar 2019, wurden alle acht Angeklagten freigesprochen, nachdem sich herausstellte, dass die Aussage gegen die acht Betroffenen auf Druck der Polizei und mit einem Versprechen auf Weiterreise für den vermeintlichen Zeugen durch diesen getätigt wurde. Somit saßen acht Menschen nachweislich unschuldig für elf Monate im Gefängnis3 .

Solidarität entlang von Fluchtrouten

Repressionen und Kriminalisierung gegen Solidaritätsbewegungen entlang von Flucht­routen haben in den letzten Jahren massiv zugenommen. Die Kriminalisierung von Menschen, die versuchen, selbstorganisierte Alternativen zur repressiven Asylpolitik aufzubauen, ist auch andernorts zu beobachten: So wurden in Belgrad besetzte Häuser zum Schutz vor Kälte für Menschen auf der Flucht immer wieder geräumt, Protestaktionen in Ungarn im Kampf gegen den rassistischen Schauprozess von Ahmed H. juristisch verfolgt, selbstorganisierte Seenotrettung auf den griechischen Inseln angegriffen, die einfache Basisversorgung von Flüchtenden in Ventimiglia oder die Unterbringung von Geflüchteten in Privathäusern in Brüssel kriminalisiert.

Dennoch gibt es trotz all der staatlichen Repressionen weiterhin Widerstand und Proteste und außerdem ein breites Netzwerk aus solidarischen Strukturen entlang der Balkanroute und darüber hinaus. So gibt es z.B. in vielen Städten soziale Zentren und Hausbesetzungen, in denen kostenlose Sprachkurse, medizinische Versorgung, Rechtsberatung bei Repression und im Asylverfahren, Essen und Kleidung, aber auch Theater, Musik und Kino organisiert werden. Viele verschiedene und gemeinsame Kämpfe finden permanent statt: von Menschen an den EU-Grenzen, in den Camps, in (Abschiebe-)Gefängnissen und auf den Straßen; gegen die unmenschlichen Bedingungen und das EU-Grenzregime und für Freiräume und Bewegungsfreiheit von Menschen – manche sichtbarer als andere.

Antirepressionsarbeit

Der Fokus der Kampagne „You can‘t evict solidarity“ liegt auf der Unterstützung von Menschen, die nach Widerstandshandlungen in antirassistischen Kämpfen an den EU-Grenzen von staatlicher Repression betroffen sind. Seit 2016 wurden mehrere 1.000 Euro an Spenden gesammelt und an Betroffene weitergeleitet, um Anwalts- und Gerichtskosten zu bezahlen. Außerdem werden Gerichtsprozesse vor Ort oder von Deutschland aus solidarisch und mit Öffentlichkeitsarbeit begleitet, Informationsvorträge zur aktuellen Situationen entlang der Balkanroute gehalten und eine transnationale Vernetzung und Zusammenarbeit mit Betroffenen und lokalen Initiativen aufgebaut. Es wurden seither einige Freisprüche erwirkt und Menschen aus Gefängnissen entlassen – unter anderem im Fall der „Moria 8“ und der „Moria 35“ sowie für die 100 Angeklagten der Hausbesetzungen in Thessaloniki.

Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V./ OG Hannover
IBAN: DE42 4306 0967 4007 2383 57
BIC: GENODEM1GLS
Verwendungszweck: Cant evict Solidarity