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Antifascismo zwischen Apennin und Po

Milan Spindler
Einleitung

Wie das Geschichtsinstitut Istoreco in der italienischen Reggio Emilia die Erinnerung an die Resistenza und antifaschistische Bildungsarbeit miteinander verknüpft. 

In der reizvollen Gegend des Apennin finden jedes Jahr, gemeinsam mit Zeitzeug/innen, Wanderungen auf Partisanenwegen statt.

Im Herzen der »roten« Emilia Roma­g­na, einem ehemaligen Zentrum der kommunistischen Bewegung Italiens, liegt die für ihre starke Beteiligung am Wi­der­stand gegen die deutsche Besat­zung und ihre italienischen faschisti­schen Handlanger bekannte Provinz Reggio Emilia. Hier hat das Institut für die Geschichte der Resistenza und für Zeitgeschichte, kurz Istoreco, sei­nen Sitz. 1965 als Archiv für die Bewegung der PartisanInnen gegründet, umfasst es heute auch andere, für die Öffentlichkeit zugängliche Archive, zum Beispiel von ehemaligen Par­tei­en, der Stadt Reggio Emilia oder den Ge­werk­schaften. Ebenso wird hier das Online-Archiv mit ZeitzeugInnengesprächen, das European Resistance Archive, aufgebaut und gepflegt. Im Laufe der Zeit wurden jedoch auch weitere Bereiche der Geschichts- und Bildungsarbeit, abseits von reiner Theorie und der Zurückgezogenheit eines Lesesaals, vom Istoreco und den dort Arbeitenden erschlossen.

Mit dem Ziel vor Augen Geschichte erfahrbar werden zu lassen, ist die Zusammenkunft mit ZeitzeugInnen und die Einbeziehung authentischer Orte beziehungsweise authentischer Gegenstände von zentraler Bedeutung bei der Bildungsarbeit des Instituts und bildet den Hintergrund aller Angebote im auch antifaschistischen Bildungsbereich.

So können italienische Schul­klassen und LehrerInnen, deren Geschichts­un­terricht noch vor 15 Jahren beim Ersten Weltkrieg endete, an Workshops und Seminaren zu Zeit- und Regionalgeschichte nach 1922 teilneh­men. Die dabei untersuchten Inhalte können auch hier zum Beispiel durch Treffen mit ZeitzeugInnen an Orten, die mit ihrer Geschichte in Verbindung stehen, vertieft werden.

Doch vor allem im Rahmen der europäischen Zeitgeschichte ermöglicht das Institut verschiedenste Angebote für eine – auch internationale – anti­fa­schistische Bildungsarbeit. Eines der Hauptprojekte ist die jährliche Ge­denk­stättenreise »Viaggio della Me­mo­ria« mit eintausend SchülerInnen aus der Provinz Reggio Emilia. Die Reisen führen an zentrale Orte natio­nalsozialistischer Verbrechen, zum Bei­spiel Berlin und KZ Sachsenhausen oder Krakau und KZ Auschwitz-Birkenau. Inhaltlich vorbereitet werden alle TeilnehmerInnen mit vier zentralen Einführungsveranstaltungen. Dazu ge­hört eine generelle Diskussion über Gedenkstättenreisen sowie die Ge­schichte des zu besuchenden Ortes, ebenso wie zwei ZeitzeugInnengespräche mit Verfolgten des Nazi­regimes und im europäischen Widerstand aktiven Personen. Während der einwöchigen Reisen haben die Schülerinnen und Schüler in Gruppen von höchstens 25 Personen die Mög­lich­keit, an Besichtigungen in den KZ-Gedenk­stätten, an Füh­rungen zur lokalen Geschichte und zum antifaschis­tischen Widerstand teilzunehmen oder auch einfach nur die Stadt kennenzulernen. Dabei können sie ihr Schulwissen anwenden und vertiefen. In einer abschließenden Gedenk­ver­an­staltung in den besuchten Konzentrations- oder Vernichtungslagern kann der Opfer von Faschismus und Krieg gemeinsam gedacht werden und die Jugendlichen können am für alle offenen Mikro ihre Gedanken und Gefühle teilen.

Ein weiteres Angebot sind die jähr­lich im September um den Jah­restag der Besatzung Italiens stattfindenden »Sentieri Partigiani«, die Wanderungen auf Partisanenwegen. Für mehrere Tage besteht die Möglichkeit im Apennin und in der Po-Ebene zu wandern, ergänzt durch ZeitzeugInnengesprä­che mit ehemaligen PartisanInnen und Vor­trägen zur Bedeutung der Orte auf der Route. So wird für die Teilneh­menden, während sie selbst das Ge­birge durchqueren, viel anschau­licher, unter welchen Umständen und Entbehrungen die Bevölkerung und die Partisanengruppen in den Bergen des Apennins überlebten und den Widerstand gegen die Deutschen und die italienischen Faschisten am Leben erhielten.

Neben diesem größeren Event gibt es im Herbst und Frühjahr auch Bildungsreisegruppen nach Reggio Emilia ins Istoreco. Diese Gruppen mit oft antifaschistischem oder gewerk­schaft­lichem Hintergrund nehmen meist eine Woche lang an Veranstaltungen wie ZeitzeugInnengesprächen, Füh­rungen oder Wanderungen in Reggio und Umgebung teil. Die behandelten Themen variieren je nach Hintergrund und Wünschen der Gruppen und beinhalten so zum Beispiel die italienische Weltkriegsgeschichte, linke Bewegungsgeschichte, den geschicht­lichen Hintergrund und die aktuelle Organisation der norditalienischen Kooperativen oder auch die Reggio Pädagogik, ein vorschulpädagogischer Ansatz, der  in Reggio Emilia seit Jahrzehnten entwickelt wird.

Erst seit 2012 findet im Frühjahr ein Festival des Widerstands, das European Resistance Assembly, in der Kleinstadt Correggio nahe Reggio Emilia statt. An diesem, für seinen überdurchschnittlichen Beitrag zur Reggianer Resistenza bekannten Ort, gibt es ein dreitägiges, von Istoreco und seinen Partnern organisiertes Angebot, in dessen Mittelpunkt die ZeitzeugInnen aus dem europäischen Widerstand und ihre Erinnerungen stehen. Ergänzt wird das Ganze durch Diskussionen unter ErinnerungsarbeiterInnen, Konzerten, Lesungen, Vor­trä­gen, Theaterstücken und ein bisschen Sport. Die angereisten internationalen und italienischen antifaschistischen Gruppen haben Gelegenheit sich und ihre Aktivitäten vorzustellen. Ziel von ERA ist die Förderung eines internationalen Austauschs über mögliche neue Ansätze bei der Vermittlung antifaschistischer Geschichte und Erinnerung, ebenso wie die Vernetzung von zu diesen Themen arbeitenden Gruppen.

Aus dem Kontakt mit den Verwandten der Opfer eines Massakers durch deutsche Soldaten im Frühjahr 1944 im Dorf Cervarolo entstand 2012 der Dokumentarfilm »Die Geige aus Cervarolo«. Dieser geht auf die ge­schichtlichen Hintergründe und die späte prozessuale Aufarbeitung des Verbrechens ein. Im Herbst 2012 wurde der Film in den sechs deutschen Städten gezeigt, in denen die im Laufe des Prozesses verurteilten Wehr­machts­offiziere heute leben. Diese Vorstellungen, an denen die Filme­macher für Diskussionen und Hintergrundinformationen anwesend waren, führten dazu, dass sich einige lokale Antifa-Gruppen dem Thema annahmen und weitere Veranstaltungen zu deutschen Kriegsverbrechen und über­lebenden Tätern organisierten.

Aus der Summe dieser antifaschistischen Tätigkeiten und Angebote hat sich das Geschichtsinstitut Istoreco sowohl im italienischen als auch im europäischen Rahmen als eine feste Größe im zeitgeschichtlichen Bildungsbereich etabliert und bietet hoffentlich auch in den kommenden Jahren vielen Menschen die Mög­lichkeit sich über teils verborgene Geschichte zu informieren. Dabei werden ProtagonistInnen und authenti­sche Orte im Mittelpunkt des Interesses stehen und Ausgangspunkt bei der Vielzahl von Überlegungen sein, wie in naher Zukunft die Geschichte des europäischen Widerstands ohne die direkte Mitwirkung der Überlebenden erzählt und anschaulich vermittelt werden kann.

Mehr Informationen unter:

Homepage des Instituts: www.istoreco.re.it

Karten und Routen zu den Wanderwegen der PartisanInnen: www.sentieripartigiani.it

Mehrsprachiges Videoarchiv mit ZeitzeugInnengesprächen des Widerstands: www.resistance-archive.org

Homepage des European Resistance Assembly: www.resistance-assembly.org