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Architektur: Wie Rechts noch immer Raum besetzt

Anna Fust
Einleitung

Auf den ersten Blick scheinen Bauten wenig mit politischen Diskursen zu tun zu haben. Ein Gebäude ist langlebig und stabil, Politik unbeständig und beweglich. Ein Bauwerk besteht aus Materialien, Politik aus Worten. Beton, Holz oder Mauerwerk werden aus ökonomischen, technischen und ästhetischen, aber nur selten aus rhetorischen Gründen gewählt. Architektur wird im allgemeinen als Bauproduktion oder als Baukunst mit Gebrauchsfunktion gesehen, fernab von politischen Positionen. Auch das äußere Erscheinungsbild der Bauten und die Anordnung ihrer Innenräume folgen sachlichen und gestalterischen Leitideen.

Foto: Simsalabimbam/Wikipedia CC BY-SA 4.0

Der Hühnermarkt in der Neuen Altstadt Frankfurt 2018: Auf den ersten Blick harmlose ‚Stadtheilung‘. Dahinter verbirgt sich die bewusste Ausweitung rechter Territorien.

Diese ‚Konzepte‘, ihre Bewertung, die praktische Brauchbarkeit der Gebäude und wie sie in ihre Umgebung ‚passen‘ sind der gedankliche Raum, in dem sich Diskussionen über Architektur im Allgemeinen bewegen. Mit seinen Beiträgen zu ‚rechten Räumen‘ sprengt der Architekturtheoretiker Stephan Trüby diesen Rahmen. Noch wichtiger: Trüby erinnert uns an etwas Vergessenes: Architektur ist immer auch politisch. Die extreme Rechte hat dies begriffen - und nutzt es raffiniert.

Rechte Architektur?

In seinen Forschungsarbeiten geht Trüby unter anderem der Frage nach, ob Architektur ‚rechts‘ sein kann. Unter ‚rechts‘ versteht er dabei Positionen der ‚patriotisch-nationalistischen, teils antisemitischen, teils faschistischen Rechten.‘1

An drei Beispielen soll hier die Diskussion über ‚rechte Architektur‘ gezeigt werden. So entzündete sich eine Debatte um Hitlers Geburtshaus in Braunau. Ist es ein ‚rechtes‘ Gebäude, weil Baby Adolf dort drei Jahre lang lebte? Oder wurde das Haus ‚rechts‘, als es 1938 als nationalsozialistisches Kulturzentrum und ‚Volksbücherei‘ benutzt wurde? Oder weil es heutzutage Neonazis anzieht?

Ein Bauwerk, das unmittelbar mit rechter Ideologie assoziiert wird, ist das ‚Haus der Deutschen Kunst‘ in München. Die Kunsthalle mit ihrer monumentalen Säulenreihe wurde von 1933 bis 1937 gebaut. Es war eines der ersten großen Bauprojekte des Nationalsozialismus, ein ‚Tempel der Deutschen - sprich nationalsozialistischen - Kunst‘. Hier wurde kein bestehendes Gebäude instrumentalisiert, sondern ein neues gezielt für Nazi-Zwecke errichtet. Der bekannte britische Architekt David Chipperfield wurde 2016 mit der Renovierung des in ‚Haus der Kunst‘ umbenannten Museums beauftragt. In seinem Entwurf will er den Originalzustand des Gebäudes von 1937 weitgehend wiederherstellen. Seiner Meinung nach ist die Bewertung der architektonischen Qualität der Fassaden und der Innenräume unabhängig von den ursprünglich dahinterstehenden Zwecken. Viele sehen darin die Verharmlosung eines ‚Funktionsbaus eines rassistischen Regimes.‘2 Ist das ‚Haus der Kunst‘ rechte Architektur?

Das dritte Beispiel betrifft kein historisches Bauwerk, sondern einen Neubau: die 1997 vom Architekten Hans Kollhoff entworfenen Leipnizkolonnaden in Berlin-Charlottenburg. Im Erdgeschoss befinden sich Läden, im 1. Obergeschoss Büroräume, darüber Wohnungen. Zwischen zwei langgezogenen, spiegelsymmetrischen Gebäuden liegt ein schmaler Platz. Dessen Proportionen, die Säulenreihen vor den Läden und die strengen Fassaden ähneln der Via Roma in Turin von Marcello Piancentini, dem ‚Hofarchitekten‘ von Mussolini.3 Sind die Leipnizkolonnaden damit faschistische Architektur? Oder ‚nur‘ geschickte Vermarktung einer teuren Wohnlage?

Diese Beispiele verdeutlichen nicht nur, dass die Zuordnung einzelner Gebäude zu einer politischen Position schwer fassbar ist, der Begriff ‚rechte Architektur‘ ist darüber hinaus problematisch. Hierdurch lassen sich nämlich Debatten auf absurde Fragen wie ‚Sind Säulen faschistisch?‘ reduzieren, was für eine willkommene Ablenkung von relevanten Fragen sorgt.

Trüby argumentiert deswegen, dass rechte Räume ‚keine Architekturen, sondern Territorien4 sind. Es geht also nicht um die Frage, ob es rechte Gebäude oder faschistische Fassaden gibt, sondern um rechte Aneignung von ländlichen und städtischen Gebieten. Diese Territorien werden zielgerichtet ausgebaut. Hieran ‚arbeiten‘ Politiker, unterstützt von Historikern, Architekturtheoretikern und Publizisten. Betroffene Bewohner und wohlmeinende Bürgerinitiativen durchschauen dies nicht immer.

Rechte Räume: Raumgewinn und Deutungshoheit

Bekannt ist, dass rechte Territorien im Internet und in den sogenannten social media besonders virulent sind. Auch im ‚realen‘ Raum breitet sich die Rechte aus. So ist die Besetzung von ländlichen Territorien sowohl in Deutschland als auch in Frankreich eine äußerst erfolgreiche Strategie. In Gebieten mit geschwächten sozialen Strukturen kaufen extrem rechte Akteur*innen Land und Immobilien. Auf den ersten Blick scheinen die Neuankömmlinge gute Nachbarn mit Stolz auf lokale Traditionen und Werte zu sein, die als ‚Kunstschmied, Buchbinder und Hebamme5 tätig sind und in Vereinen, Kinderkrippen und Schulen mitarbeiten. Öffentliche Institutionen und private Initiativen werden infiltriert, bis nach allmählicher Gewöhnung an antisemitische, rassistische und nationalistische Ideologien eine ganze Gemeinschaft, einschließlich des sozialen Lebens, fest in rechter Hand ist.

Auch bei der Raumgewinnung in deutschen Städten ist ‚Tradition‘ ein Schlüsselbegriff. Mittel zum Zweck sind Gebäuderekonstruktionen, bevorzugt Bauten, die im 2. Weltkrieg zerstört oder nach 1945 abgerissen wurden. Natürlich beinhaltet nicht jedes Rekonstruktionsprojekt rechtes Gedankengut - doch ‚Rückbesinnung‘ und ‚Stadtheilung‘ erweisen sich als überaus wirksame rechte Strategien. Vordergründig geht es dabei um lebenswerte Innenstädte und - teilweise - grobschlächtige (Beton-)bauten der Nachkriegszeit.

Ein aktuelles Beispiel ist die Wiederherstellung der Frankfurter Altstadt. Nach Abriss des im kriegszerstörten Stadtzentrum gebauten Rathauses fand 2018 nicht weniger als die ‚Auferstehung von Frankfurts Seele6 statt. Das neu-alte Ensemble wurde mit großem öffentlichen und politischen Tamtam eröffnet und ist seitdem ein Publikumsmagnet. Pikantes Detail: Initiator des Projektes war der nationalistische Publizist Claus Wolfschlag. Und damit war und ist die Rolle von rechten Akteur*innen nicht beendet.7 Dass sich hiergegen kein Widerstand regt, ist der eigentliche Skandal.

Denn vollkommen offen wird mit Rekonstruktionen Raum umgedeutet. Erklärte Ziele sind eine identitätsstiftende, positive Version der deutschen Geschichte und damit die ‚Entwicklung eines gesunden nationalen Bewusstseins und eines lebendigen Patriotismus‘.8 Mit Hilfe von scheinbar unschuldigen ‚Stadtheilungen‘ wird die Öffentlichkeit an ein rechtsnationales Geschichtsbild ‚ohne Fixierung auf dunkle Seiten‘ gewöhnt, in dem weißer / männlicher / nationaler Stolz wieder offen zentral stehen kann.

Rechte Publizistik hat eine neue Arena gefunden: Städte und ihre Traditionen. Rechtsradikales Gedankengut, eloquent vermischt mit Begriffen wie ‚Schönheitssinn‘ oder ‚menschlicher Maßstab‘, landet mitten in der Gesellschaft.9

Trübys Arbeiten sind ein Weckruf für Planer*innen, Bürgerinitiativen und Vereine: Wir alle sollten genau hinsehen, mit wem wir gemeinsame (Raum-)Sache machen. Neu ist das Geschick von Rechts und extrem rechts, mit dem alter Rassismus und altes Überlegenheitsgefühl normalisiert wird. Es ist nicht vorbei. Nie ist es vorbei.

  • 1Trüby, S., Rechte Räume. Eine Einführung. In: ARCH+ 235, 10-11.
  • 2Winfried Nerdinger, anerkannter Experte für Nazi-Architektur, zitiert nach Bauwelt 7-2017, auf: www.bauwelt.de/themen/betrifft/Nach-Weisswaesche-nun-Rueckbau-Haus-der-…
  • 3Hartbaum, V., Rechts in der Mitte. Hans Kollhoffs Casa Pound. In: ARCH+ 235, 218ff.
  • 4Alem Grabovac, Die Vergangenheit neu erfinden, taz 12.8.2018, auf: http://www.taz.de/!5524507/
  • 5Trüby, Rechte Räume, in: Para-Platforms, 94.
  • 6„Stadtheilung lässt Frankfurts Seele auferstehen.“ Claus Wolfschlag, zitiert nach LOG 45, 100.
  • 7Trüby, Wir haben das Haus am rechten Fleck, in Frankfurter Allgemeine, 16.4.2018 (mit Paywall).
  • 8Björn Höcke, zitiert nach Trüby, in: Para-Platforms, 100.
  • 9Siehe z.B. der Film ‚Alt statt neu - dem Wahren Schönen Guten‘ auf dem blog "clauswolfschlag.wordpress.com"