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Burschenschafter rüsteten zum „Rassenkrieg“

Martin Leonow
Einleitung

Recherchen zeigen, wie sich Mitglieder der Leipziger Burschenschaft Germania in geheimen Chats auf einen „Tag X“ vorbereitet haben.

Der mutmaßliche Wortführer Michael Volker S.
(Bild: Screenshot/idas.noblogs.org)

Stolz und mit „Eisernem Kreuz“ auf der Brust präsentierte sich der mutmaßliche Wortführer Michael Volker S. Er pflegte enge Verbindungen zu sächsischen AfD-Abgeordneten – bis hin zum Vizepräsidenten des Landtags.

Die Germania in Leipzig ist die „älteste Burschenschaft in Sachsen“. Dort finden sich „Freunde fürs Leben“, sie sichern einander „Erfolg in Studium und Beruf“. Wer die Website der pflichtschlagenden Verbindung aufruft und solche Sätze liest, wähnt sich bei einem urkonservativen Karrierenetzwerk. Einen ganz anderen Eindruck des Männerbundes, in dem man schwarz-weiß-rote Bänder trägt, hinterlassen jedoch die aufwändigen Recherchen, die seit Juni 2020 durch die Tageszeitung „taz“, das MDR-Magazin „Exakt“, die antifaschistische Rechercheplattform „Sachsen-Anhalt rechtsaußen“ und den „Informationsdienst zur AfD in Sachsen“ veröffentlicht wurden.

Inhalte bislang unbekannter Facebook-Gruppen, zahlreicher Chatnachrichten und umfangreichen Mailverkehrs aus dem inneren Zirkel der Burschenschaft zeigen, dass einige Mitglieder bereits vor mehreren Jahren begonnen haben, ein Prepper-Netzwerk aufzubauen – mit einem ausgeprägten Faible für Uniformen und Waffen, voll von rassistischen, antisemitischen und neonazistischen Parolen. Die Auswertung des Materials im Umfang von tausenden Druckseiten legt nahe, dass dahinter mehr steht als bloße Gewaltphantasien.

Ausgangspunkt der internen Planungen waren zwei Facebook-Chatgruppen, die im September 2015 eingerichtet worden sind. Unter den Stichworten „Zuflucht“ und „Endkampf“ tauschten sich eine Handvoll „Alter Herren“ und teils auch deren Partnerinnen über eine gemeinsame Krisenvorsorge aus. Jene Krise, das war zu dieser Zeit die wachsende Zahl von Geflüchteten, ergänzt um die eigene Überzeugung, damit einem finalen „Rassenkrieg“ entgegenzugehen. Das Narrativ war keine Erfindung der Germanen. Sie hatten wiederholt PEGIDA-Versammlungen in Dresden besucht, die damals neuen Zulauf erhielten und in deren Umfeld die Idee virulent wurde, „Bürgerwehren“ aufzustellen.

Die Überlegungen der Leipziger Bundesbrüder klangen zunächst noch defensiver: Wie schlägt man sich durch, wenn die Ordnung ins Chaos kippt? Die Chats kreisten zunächst um den Vorschlag, besonders lang haltbare Nahrungsvorräte anzulegen und einen Zufluchtsort zu schaffen, an den man sich zurückziehen kann, wenn der Tag X anbricht. Diesen Ort hat man im Landkreis Nordsachsen auf dem Grundstück des „Alten Herrn“ Jörg K. gefunden, der dafür warb, es Geflüchteten „so schwer wie möglich zu machen“. Fotos zeigen, dass in dem kleinen Dorf Equipment, u. a. Konserven in einer Art Vorratskammer eingelagert wurde, die offenbar weiter aufgefüllt werden sollten. Die Gespräche drehten sich bald auch um die Beschaffung von Waffen und Munition sowie das Abzweigen verschreibungspflichtiger Medikamente. Im Fall des Falles würde man von diesem kleinen Stützpunkt aus den gesamten Ort übernehmen und sich mit einem „militärischen Arm“ verschanzen. Die BewohnerInnen wären vor die Wahl gestellt worden: „Wer nicht mitmacht, hat zwei Tage Zeit das Dorf zu verlassen“, und wer nicht Folge leistet, müsse mit „Kopfschuss“ rechnen.

Im Chat wurde bald eine Sammelbestellung für Teleskopschlagstöcke organisiert. Einige Beteiligte gaben zudem offen zu erkennen, dass sie bereits Waffen- oder Jagdscheine besitzen, und sie hatten Tipps parat, wie man sich waffenrechtliche Erlaubnisse erschleichen könnte, etwa durch gefälschte Schießnachweise. Der Tonfall schwankte zwischen anscheinend scherzhafter Kraftmeierei und kühler Ernsthaftigkeit. Manches erinnert an das „Nordkreuz“-Netzwerk, und tatsächlich gab es im Germanen-Umfeld eine Verbindung zum militaristischen Verein „Uniter“. Es gibt außerdem Aufnahmen, auf denen augenscheinlich Schießübungen mit einem Schnellfeuergewehr zu sehen sind. Für das Waffentraining der Germanen wurde mutmaßlich eine Anlage im sachsen-anhaltischen Landkreis Wittenberg genutzt, die zu dieser Zeit keine Betriebserlaubnis hatte. Vorher war dieselbe Anlage auch durch die Bundeswehr verwendet worden. Einige Soldaten, die dort schossen, kamen von einer Dienststelle des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), des Geheimdienstes der Bundeswehr. Dieser behauptet heute, von den verdeckten Aktivitäten der Germanen nichts mitbekommen zu haben.

Dabei waren einige der Schlüsselpersonen jahrelang aktive Reservisten, dienten teils sogar als Funktionäre in Reservistenverbänden, nahmen an Wehrübungen teil und erhielten Auszeichnungen der Truppe. Einer, der eingeweiht war, schaffte es im Frühjahr sogar in den Corona-Krisenstab des sachsen-anhaltischen Burgenlandkreises: Gunnar G.. Abseits offizieller Termine posierte man für Fotos in Flecktarn, ergänzte die Uniform mal mit den schwarz-weiß-roten Bändern der Germania, mal mit einem „Eisernen Kreuz“, das nach 1945 nicht mehr verliehen wurde.

Damit würde kaum rechnen, wer die Mitgliederliste der Burschenschaft überfliegt. Rund 50 Personen sind darauf verzeichnet, neben den „Alten Herren“ auch ungefähr ein dutzend „Aktivitas“, die noch studieren. Die meisten Bundesbrüder scheinen fest im zivilen Leben zu stehen, sie üben angesehene Berufe aus, viele sind Anwälte, Ärzte, Ingenieure, Immobilienmakler und Unternehmer, einige daneben auch sozial engagiert. So könnte man leicht übersehen, dass ihre Verbindung immer noch dem völkisch-nationalistischen Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ angehört. Auf den zweiten Blick fällt denn auch auf, dass auf der Mitgliederliste der bekannte Chemnitzer Neonazi Maik O. steht oder beim Germanen-Nachwuchs der Name Paul Rzehaczeks, aktueller Bundesvorsitzender des NPD-Jugendverbandes „Junge Nationalisten“, auftaucht.

Ab April 2016 wurde auf andere Kommunikationskanäle, etwa verschlüsselte Messengerdienste, ausgewichen. Ein E-Mail-­Konvolut, das eine zeitlich viel größere Zeitspanne abdeckt, enthält allerdings keine Hinweise, dass später ein Gesinnungswandel eingetreten wäre. Gerade unter denen, die vorher für den „Rassenkrieg“ rüsten wollten, blieben Grußformeln wie „Heil und Sieg“, verbale Ausfälle über „Kanacken“ und das „Judensystem“ durchaus üblich. Unter den E-Mails ist auch eine Nachricht, die Christopher L. ein „Alter Herr“ der Gemanen, der in Leipzig als Rechtsanwalt arbeitet, im Frühjahr 2015 an rund zwei Dutzend Bundesbrüder sandte. Darin schlug er recht unumwunden vor, sich eine Linken-Landtagsabgeordnete („Drecksvieh“) vorzuknöpfen – oder sich ersatzweise an ihrer Mutter zu vergreifen. Im Empfängerfeld dieses Gewaltaufrufs steht die Mailadresse eines weiteren Juristen Axel K., der ebenfalls auf der Germania-Mitgliederliste auftaucht. Er war damals für die Staatsanwaltschaft Leipzig tätig und dort unter anderem für die Verfolgung rechtsmotivierter Straftaten zuständig, heute ist er Richter am Landgericht Leipzig. Dem MDR sagte der Mann, er habe die Mail nie gelesen. Tatsächlich hatte damals niemand darauf geantwortet, jedenfalls nicht direkt. Doch rund ein halbes Jahr später kam es zu einem Anschlag auf die Eltern der Landtagsabgeordneten. Über Nacht griffen bis heute unerkannt gebliebene Täter deren Wohnhaus mit Steinen an, die teils im Inneren landeten. Die Ermittlungen verliefen im Sande und wurden erfolglos eingestellt.

Erfolgreich ging es für einige Germanen weiter, die auch Protagonisten des Gewalt-Chats waren, so etwa für den Leipziger Michael S. Er zog 2016 nach Magdeburg und begann dort, für die damals neue AfD-Landtagsfraktion zu arbeiten. Als Referent für Arbeit, Soziales und Integration schrieb er Anfragen, Anträge und Reden. Zudem wirkte er am Aufbau der parteinahen „Friedrich-Friesen-Stiftung“ mit. Neben S., der die Stimmung bei seinem Arbeitgeber als „ausgelassen hitleristisch“ bezeichnete, wurde mit Hannes R. ein weiterer Leipziger Germane für die sachsen-anhaltische Fraktion tätig, beide sind offenbar auch mit sächsischen Funktionär*innen und Mandatsträger*innen der Partei bekannt. Als in diesem Sommer erste Medienberichte über die Germania-Aktivitäten erschienen sind, stellte sich heraus, dass das Germanen-Duo schon aufgestiegen war, sie hatten es mit der AfD bis in den Bundestag geschafft.

In Sachsen-Anhalt wurden die Recherchen inzwischen zum Thema einer Landtagsdebatte. AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner sagte dabei, er könne „in keinen Kopf eines Mitarbeiters schauen“. Sein Fraktionskollege Robert Farle nannte die Berichte eine „alte Zeitungsklamotte“. Auf der Germania-Website erschien unterdessen eine Stellungnahme, der zufolge man „überrascht“ von den Chatinhalten „einiger weniger Mitglieder“ sei. Der Altherrenverein habe davon keine Kenntnis gehabt und billige die inkriminierten Äußerungen nicht. „Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die betroffenen Personen, soweit ihnen der Vorwurf eines persönlichen Verschuldens gemacht werden konnte, nicht mehr Mitglieder unseres Vereins sind“, heißt es weiter. Die Formulierung lässt offen, ob überhaupt jemand ausgeschlossen wurde. Die Burschenschaft existiert weiter, nur einige Social-Media-Profile verschwanden. Verfassungsschutzbehörden erklärten auf Medienanfragen, dass ihnen die Germanen-Aktivitäten nicht aufgefallen seien. Die Burschenschaft wird durch das zuständige sächsische Landesamt für Verfassungsschutz auch nicht beobachtet – trotz nachweisbarer Verbindungen einiger Mitglieder etwa zur „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“ und den „Identitären“.

Die sachsen-anhaltische Generalstaats­anwaltschaft in Naumburg hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, die Staats­anwaltschaft Leipzig einen Prüfvorgang – unter anderem wegen möglicher Verstöße gegen das Waffenrecht, aber auch im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Eltern der Landtagsabgeordneten. Passiert ist bis zuletzt noch nichts.

(Mehr Informationen: lsa-rechtsaussen.net und idas.noblogs.org )