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Dänemark: Delegitimierung der Europäischen Menschenrechtskonvention

Einleitung

Am 21. Februar 2019 wurden die letzten humanitären Züge in der dänischen Flüchtlings- und Integrationspolitik vollständig beseitigt. An diesem Tag wurde der Beschluss L 140, mit der Sozialdemokratie als Mehrheitsbeschafferin, durchs Parlament gewunken. Dieser Beschluss beendet jegliche Integrationsbemühungen von staatlicher Seite, definiert gewährtes Asyl als einen schnell vorübergehenden Status und unterzieht legale Aufenthaltstitel einer Überprüfung mit dem Fokus auf Aberkennung. Und das alles mit der Vorgabe, immer an die Grenzen der Europäischen Menschenrechtskonvention zu gehen.

Foto: Mogens Engelund / CC BY-SA 3.0

Martin Henriksen - Dänischer Politiker und Abgeordneter der „Dänischen Volkspartei“ (DVP) im dänischen Parlament „Folketinget“ im Dezember 2012.

Schon im Herbst 2018 sorgte eine neue Verschärfung der Ausländer_innengesetzgebung für Furore. Inger Støj­berg, Integrationsministerin der liberalen Regierungspartei "Venstre – Danmarks Liberale Parti", verkündete, straffällige und zur Abschiebung verurteilte Migrant_innen sowie Menschen, die keinen legalen Aufenthaltstitel besitzen, aber aufgrund der Situation im Heimatland nicht abgeschoben werden können auf der winzigen, unbewohnten Insel Lindholm in der Stege-Bucht zu internieren. Lindholm war bis dato für die Öffentlichkeit gesperrt und wurde zur Forschung an Maul- und Klauenseuche sowie Tollwut genutzt. Zum Bedauern der "Dansk Folkeparti" („Dänischen Volkspartei“) verhindert die Europäische Menschenrechtskonvention, dass die Menschen gänzlich auf der Insel isoliert werden können. Es müssen also Fährfahrten auf das Festland angeboten werden. In ihrem Rassismus konsequent kündigten Støjberg und Martin Henriksen von der DVP aber an, an die Grenzen der Konvention zu gehen: Die Fähre wird „so selten wie möglich fahren und so teuer wie möglich sein1 1. Die Fährfahrt für die Menschen unerschwinglich zu machen, dürfte bei einem Taschengeld von 31 Kronen am Tag kein allzu schwieriges Unterfangen werden. Wie groß die symbolische Bedeutung dieser Maßnahme ist und wie weit die Parteien bereit sind, dafür zu gehen, zeigen die anstehenden Kosten. Die Internierung auf der Insel wird ca. 1,8 Millionen Kronen für jede_n Gefangene_n pro Jahr kosten und damit 1,6 Millionen teurer sein als die bisherige Unterbringung in einem Abschiebelager auf dem Festland. Die Empörung über so eine Maßnahme bleibt (mal wieder) aus. Das Thema wird in den Medien breit diskutiert, aber die Legitimität, Menschen auf einer einsamen Insel einzusperren, wird nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.

Dieser sogenannte „Paradigmenwechsel“ in der dänischen Asyl- und Integrationspolitik durch das Gesetzespaket L 140 ist am ersten März diesen Jahres in Kraft getreten. Es beinhaltet nicht nur eine Reihe massiver Gesetzesverschärfungen, sondern hat eine viel weitereichende Agenda. Der Kernpunkt dieses Paketes ist die vollständige Verabschiedung vom Integrationsgedanken. Zusammengefasst werden die verschiedenen Punkte unter der Zwischenüberschrift: „Von Integration zur Zeitweiligkeit, Selbstversorgung und Heimreise.“2 Geflüchtete sollen in Dänemark möglichst wenige Anknüpfungsmöglichkeiten erhalten und sich nicht die Illusion machen, dass sie erwünscht wären. Der Aufenthalt soll so kurz und unangenehm wie möglich sein.

Aber auch Menschen, die schon einen legalen Aufenthaltsstatus haben, geraten in den Fokus dieses Gesetzes. Bei der Überprüfung von Aufenthaltstiteln muss ein „maximaler Fokus auf die Möglichkeit einer Entziehung gelegt werden“. Bei jeder Überprüfung ist an die Grenze der Menschenrechtskonvention zu gehen. Dass auch Übertretungen der Konvention fest eingeplant sind, macht Henriksen deutlich: „Es wird Fälle geben, bei denen Dänemark die Konvention brechen wird. So ist es nun einmal, wenn man die Leute bittet, bis an die Grenze zu gehen.“3 Es werden dafür Stellen geschaffen, deren einzige Aufgabe es ist, mindestens 300 Aufenthaltstitel im Jahr einer solchen Überprüfung zu unterziehen. Für die nächsten vier Jahre werden dafür 100 Millionen Kronen (13,3 Millionen Euro) bereitgestellt.

Außerdem sollen nach drei Jahren die ohnehin schon kümmerlichen, monatlichen Leistungen von 2.000 Kronen (266 Euro) pro Familie verringert werden. Caroline Maier von der Partei Alternativet („Die Alternative“) merkt dazu an, dass hier das Grundgesetz, welches eine Lebens- und Existenzgrundlage für alle Menschen in Dänemark vorschreibt, potentiell nicht eingehalten werden könne.4

Der Kampf gegen die Menschenrechtskonvention

Die „Dänische Volkspartei“ (DF) betreibt die Delegitimierung der 1953 in Kraft getretenen Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie wird einerseits als Einmischung von außen angesehen, andererseits als veraltet und ein Werkzeug der „Gutmenschen“, mit dem die freie Meinungsäußerung zensiert und die politische Korrektheit hochgehalten werde. Wie nahe die DF ihrem Ziel schon gekommen ist, zeigt sich darin, dass die Liberalen und Sozialdemokraten immer häufiger bereit sind „an die Grenzen“ dieser Konvention zu gehen. Schon 2017 forderte Henriksen, dass „die Europäische Konvention aus dem dänischen Gesetz genommen werden soll.“5

Die Verabschiedung des Paketes L 140 zeigt, dass die dänische Politik scharf nach rechts geht. Die Sozialdemokraten sehen, wie sie selbst in einem Wahlspot sagen, „auf dem Gebiet der Ausländer_innenpolitik kaum noch Unterschiede zu der Politik der DF“.  Daher ist es lediglich ein propagandistischer Schachzug, von einem Paradigmenwechsel zu sprechen. Dieser hat schon vor vielen Jahren stattgefunden und die jüngste Verabschiedung ist nur der vorläufige Höhepunkt eines jahrelangen politischen Kampfes der (extremen) Rechten in Dänemark. Spätestens im Juni 2019 finden dort Parlamentswahlen statt. Ein Regierungswechsel zugunsten des „roten“ Blockes mit der Sozialdemokratie an der Spitze scheint wahrscheinlich. Diese haben aber auch jetzt schon deutlich gemacht, dass sie das Gesetzespaket nicht zurücknehmen werden. Und auch die „Dänische Volkspartei“ ruht sich nicht auf ihrem Erfolg aus. In Dänemark sind Neonazis zwar eine Randerscheinung und rechte Straßengewalt kaum vorhanden. Trotzdem kann einem bei dem mittlerweile etablierten Rassismus und Nationalismus im Parlament und den Institutionen Angst und Bange werden.