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Das „Hilfskomitee für Deutschlands Kinder“

Tobias Hübinette
Einleitung

Schwedische Unterstützung deutscher Nationalsozialisten nach 1945

Betrachtet man die nördlichen Fluchtrouten von Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg fällt auf, dass über Schweden wenig bekannt ist. Dabei sind deutsche, baltische und skandinavische Nationalsozialisten ebenso wie Faschisten aus anderen Ländern nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Schweden geflohen. Davon gingen viele weiter in andere Länder wie Argentinien, Kanada oder sogar Island. Ökonomische und logistische Unterstützung erfuhren sie dabei von gut organisierten Netzwerken der schwedischen extremen Rechten. 

Seit langem gibt es eine europaweite Zusammenarbeit der extremen Rechten, so auch zwischen Deutschland und Schweden.

Eine Organisation, die in diesem Zusam­menhang eine Rolle spielte, ist das „Hjälpkommittén för Tysklands barn“ (HTB), das „Hilfskomitee für Deutschlands Kinder“ oder „Hilfswerk für deutsche Kinder“, das eng mit der „Stillen Hilfe“ verknüpft war. Die „Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte“ war ab 1946 zunächst ein loses Netzwerk rund um Helene Elisabeth von Isenburg, das Nazis bei ihrer Flucht oder in der Gefangenschaft unterstützte. Ab 1951 trat die „Stille Hilfe“ auch öffentlich auf.  Obwohl das HTB als öffentlich agierende Organisation das Ziel vorgab, Geld für Kinder in Not in Ost- und Westdeutschland zu sammeln, weiß man kaum etwas darüber, wo das gesammelte Geld letztendlich verblieben ist.

Das „Hjälpkommittén för Tysklands barn“ wurde 1945 von Mitgliedern und SympathisantInnen der schwedischen Mittel- und Oberschichtspartei „Sveriges nationella förbund“ (SNF) gegründet, der einstigen Jugendorganisation der schwedischen Konservativen Partei, die sich jedoch 1934 von ihr abgespalten hatte. Die SNF steht stellvertretend für eine spezifisch schwedische Version eines radikalen Konservatismus und Faschismus. Das „Hilfskomitee“ war im Gegensatz zu fast allen anderen Organisationen der schwedischen extremen Rechten von Beginn an von Frauen dominiert. Unter den GründerInnen fanden sich diverse bekannte Frauen aus der schwedischen Oberschicht und Aristokratie, darunter auch die Gräfin Lili Hamilton, die 1893 als Margareta Matilda Liliane Schard in Deutschland geboren worden war und später den schwedischen Graf Percy Hamilton geheiratet hatte.

Gräfin Hamilton war Sprecherin und öffentliches Aushängeschild des HTB während der gesamten Existenz der Organisation, auch wenn sie formell lediglich als Kassenführerin fungierte, während der schwedische Oberst Arthur G. Nordensvan (1883—1970) offiziell Vorsitzender war. Nordensvan war während der Volksabstimmung im Saarland 1935 Kommandeur des schwedischen Saar-Bataillons, das für die Beobachtung der Abstimmung zuständig war. Auch er war als Aktivist der extremen Rechten in Schweden bekannt. Die Gräfin Hamilton starb 1962 bei einem Autounfall in Stockholm. Neben ihr waren auch weitere Mitglieder der schwedischen Aristokratenfamilie Hamilton in extrem rechte Aktivitäten sowohl vor, als auch während und nach dem Zweiten Weltkrieg involviert. Zwei Familienmitglieder unterstützten Nazideutschland als Freiwillige.

Geschäftsführer des HTB war der Ingenieur Carl Ernfrid Carlberg (1889—1962), ein Multimillionär und Hauptgeldgeber der schwedischen extremen Rechten. Als Büro der Organisation diente ein Haus in der Innenstadt von Stockholm, das Carlberg gehörte und als „Braunes Haus“ bekannt war. Wegen der engen Beziehungen sowohl zu Carlberg als auch zur SNF wurde das HTB als eine extrem rechte Organisation eingeordnet und stand auch unter Beobachtung des schwedischen Geheimdienstes. Gleichzeitig wurde das HTB öffentlich von der Mutter des damaligen Königs Carl XVI. Gustaf, der deutschgeborenen Sibylla von Sachsen-Coburg-Gotha, öffentlich unterstützt. Sie war ebenfalls als Sympathisantin der extremen Rechten in Schweden bekannt. Ihr Vater, der Herzog Carl Eduard, war während des Nationalsozialismus Präsident des gleich­geschalteten Deutschen Roten Kreuzes.

Das HTB sammelte offiziell Geld, Essen und Kleidung für das besiegte Deutschland. Obwohl darunter alle Besatzungszonen und später sowohl die DDR als auch die BRD fielen, ging ein Großteil der ökonomischen Unterstützung nach Westdeutschland. Das Geld wurde auf den unterschiedlichsten Ebenen gesammelt: Es kam von reichen Familien aus der schwedischen Elite, die schon Nazideutschland unterstützt hatten, von extrem rechten fundamentalistischen Lutheranern, die zu diesem Zweck bei eher unpolitischen Gläubigen Geld sammelten, von verschiedenen Sektionen des schwedischen Roten Kreuzes, die von Frauen der Oberschicht dominiert wurden, von extrem rechten und konservativen Industriellen, die mit großen Unternehmen in Verbindung standen und schließlich auch von Teilen der durchschnittlichen schwedischen Bevölkerung, die nichts über den politischen Charakter des HTB wussten und Deutschland aus humanitären Motiven helfen wollten.

Von 1944 bis zur Auflösung der Organisation 1962, als sowohl die Gräfin Hamilton als auch der Ingenieur Carlberg starben, hatte das HTB rund 45.000.000 schwedische Kronen gesammelt. Heute entspricht dies in etwa dem Wert von 50 Millionen Euro. Das HTB baute 23 Häuser in Westdeutschland, ebenso wie eine Kirche in Kooperation mit dem Diakonischen Hilfswerk der Evangelischen Kirche Deutschland. 1954 erhielt die Gräfin Hamilton sogar das Bundesverdienstkreuz von Dr. Eugen Gerstenmaier vom Diakonischen Hilfswerk überreicht. Obwohl das HTB mit der „Stillen Hilfe“ zusammenarbeitete und in der schwedischen Presse als „Naziorganisation“ gehandelt wurde, scheute das Diakonische Hilfswerk nicht vor einer Kooperation zurück. Es wird vermutet, dass über diese Zusammenarbeit die Adoption von Waisenkindern der deutschen NS-Elite durch schwedische Adoptiveltern diskutiert und schließlich auch umgesetzt wurde, allerdings sind dazu keine Details bekannt.

Wofür wurde nun diese enorme Geldmenge verwendet, abgesehen von dem Geld, das an deutsche Kinder in Not ging bzw. das dafür verwendet wurde, die Kirche und die sogenannten „Schwedenhäuser“ in Deutschland zu bauen? Das HTB hatte eine Unterorganisation, „Tyska officershjälpen“ (etwa „Unterstützung deutscher Offiziere“), die zusammen mit der „Stillen Hilfe“ Geld, Essenspakete, Bücher und Kleidung an Witwen und Kinder von Männern der NS-Elite verteilte, die hingerichtet oder untergetaucht waren, Suizid begangen hatten oder im Gefängnis saßen. Unterstützung erhielten etwa Emmy Göring und auch Angehörige der inhaftierten Kriegsverbrecher in Spandau. Gräfin Hamilton fungierte sogar in den 1950er Jahren als stellvertretende Vorsitzende der „Stillen Hilfe“. Das HTB arbeitete auch mit deutschen Exilorganisationen in Argentinien und Chile zusammen und verteilte Gelder in den südamerikanischen Ländern. Durch diese Verbindung ist zu vermuten, dass eine Menge des Geldes, wenn nicht gar das meiste der  Finanzierung der sogenannten „Rattenlinien“ diente. Auch wenn es keine Belege dafür gibt, scheint es naheliegend, dass darüber hinaus auch Gelder zur Finanzierung extrem rechter Organisationen in Deutschland, wie dem deutschen Ableger der „Europäischen Sozialen Bewegung“ mit guten Verbindungen nach Schweden, die „Deutschen Reichspartei“, dem „Verband deutscher Soldaten“ oder den diversen Publikationen von Dr. Gerhard Frey, verwendet wurde.

In seinem 1961 erschienenen Buch "Nynazismen" (Neonazismus) schreibt der antifaschistische Journalist Armas Sastamoinen (1909-1986) über diese möglichen Verbindungen des HTB zu den „Rattenlinien“.1  Darin beschreibt er die Zusammenarbeit des HTB mit dem Deutschen Hilfswerk in Argentinien und die Verbindungen zum NS-Fluchthilfenetzwerk des berüchtigten Hans Ulrich Rudel. Leider sind dies alle Informationen, die wir heute über das HTB haben. Eine Organisation, die nur vereinzelt Spuren in den Archiven Deutschlands und Schwedens hinterlassen hat und deren Geschichte noch nicht geschrieben ist. Dennoch scheint es naheliegend, dass das HTB aufgrund der enormen Geldmenge vielleicht sogar als ein Hauptfinanzier der extremen Rechten der Nachkriegszeit insbesondere in Westdeutschland, aber auch in den Nazinetzwerken im Exil auf der iberischen Halbinsel, in Lateinamerika sowie im Nahen Osten betrachtet werden kann.

  • 1Weitere Veröffentlichungen zum Thema Unterstützernetzwerke bzw. Verbindungen zwischen Schweden und den Nationalsozialisten sind das Buch „Purgatorium“ des schwedischen Historikers Mants Delands, ein Radiofeature des Journalisten Bosse Lindquist und die Bücher des Journalisten Bosse Schön über die schwedischen Freiwilligen bei der Waffen SS.