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Der bayerische NSU-Untersuchungsausschuss

Birgit Mair
Einleitung

Rassismus im Behördenapparat ignoriert, viele Fragen nicht beantwortet

Foto: Christian Mang

Fünf Menschen türkischer bzw. griechischer Herkunft wurden in Bayern durch Neonazis des NSU ermordet. Knapp ein Jahr lang tagte bis Juli 2013 der bayerische NSU-Untersuchungsausschuss (UA). Eine Analyse der Aussagen der vernommenen Zeug_innen kommt zu folgendem Ergebnis: Rassismus und Vorurteile in der Mitte der Behördenapparate gepaart mit einer konsequenten Ignoranz und Unterschätzung der Neonaziszene sind Ursachen für die Nicht-Aufklärung der Mordserie.1

Die Frage, ob die NSU-Aufklärung in Bayern gescheitert ist, ist mit einem klaren Ja zu beantworten. Die in Bayern vernommenen Behördenvertre­ter_innen gaben meist nur das zu, was ihnen von anderer Seite bereits nachgewiesen worden war. Sie mauerten häufig, antworteten einsilbig, inhaltsleer oder im Gestus der Selbstrechtfertigung. Trotz der Bemühungen einiger Abgeordneter im bayerischen NSU-UA blieb die Aufklärung lückenhaft.

Erneute rassistische Äußerungen

Im Abschlussbericht des bayerischen NSU-UA heißt es, ein in der Presse unterstellter ›alltäglicher, latenter Rassismus‹ als Ursache dafür, dass Spuren in Richtung Rechtsextremis­mus nicht verfolgt worden seien, war in keinem Fall festzustellen.2  Diese offizielle Einschätzung negiert zum Beispiel die zum Teil rassistischen Äußerungen, die ein Teil der vernommenen Polizeibeamten von sich gab.

Einige Zeugen diffamierten die NSU-Opfer und deren Angehörige erneut als "Drogendealer" und "Kriminelle". So behauptete ein damaliger Ermittler in einer öffentlichen Sitzung, dass ein Mordopfer eine "kriminelle Figur in jeder Richtung" gewesen sei.3 Beweise für diese Behauptung liegen nicht vor. Ein weiterer Ermittler berichtete von einer "türkischen Drogenmafia" mit Sitz in Holland, die ihre Finger "wie eine Krake"4 über ganz Europa ausstrecken würde und bezeichnete einen Menschen als "Mischling".5

Ein Kriminalpolizist beschrieb den NSU-Tatort in Kassel als "Türkenmeile". Außerdem wiederholte er die frei erfundene und bereits vor Jahren widerlegte Geschichte eines »Zeugen«, wonach das erste Mordopfer, Enver Simsek, in Drogengeschäfte verwickelt gewesen sei.6 Angeblich hätte Simsek gemeinsam mit dem Zeugen Dro­gen geschmuggelt.7

Erst sechs Jah­re später prüfte die Polizei die Angaben des zeitweilig im Gefängnis sitzenden Zeugen nach. Sie kam zu dem Ergebnis, dass dieser gelogen hatte.

Latenter Rassismus?

Die Polizei betrieb in Bayern Dönerimbisse, um die vermeintlichen Geschäfts­praktiken der türkischen Community auszuspionieren. Über zwanzig Mona­te lang wurden diese betrie­ben, doch kriminelle Machenschaften wurden nicht festgestellt. Die einzige Bedrohung ging von einem Rassisten aus, der mit Hinweis auf das damalige Fahndungsplakat der Mordserie sagte, die Türken müssten halt so heimgeschickt werden, wenn man sie nicht anders vertreiben könne. Erstaunlich ist, dass dieser rassistische Vorfall im bayerischen NSU-Untersuchungsausschuss nicht öffentlich besprochen wurde. Eine Schilderung des Vorfalls findet sich im Abschlussbericht des NSU-UA des Bundestags.8 Eine der im Zusammenhang mit den NSU-Morden durchgeführte polizeiliche Operative Fallanalyse (OFA) aus dem Jahr 2006 enthielt Rassismus: »Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist.«9 Im bayerischen Abschlussbericht heißt es dazu immerhin: Einzelne Formulierungen in der Operativen Fallanalyse des LKA Baden-Württemberg lassen Vorurteile und z.B. eine diskriminierende, latent ausländerfeindliche Haltung erkennen.10

Bayerische Neonaziszene wenig  beleuchtet

Eines förderte der bayerische NSU-UA deutlich zutage: Dass die neonazistische Szene von Sicherheitsbehörden ignoriert bzw. verharmlost wurde. Rechte Terrorkonzepte waren einem relevanten Teil der vernommenen Beamten nicht bekannt. Bei den kurzzeitig durchgeführten Ermittlungen in der rechten Szene hatte man sich mit einer Alibi-Überprüfung bei einer zentralen Figur der Nürnberger Neonazi-Szene11 begnügt und einige »Gefährderansprachen« bei Neonazis im Nürn­berger Raum durchgeführt.

Viele Fragen wurden im UA nur am Rande behandelt. Zwar wurde bekannt, dass Anfang 1995 Uwe Mundlos an einem Neonazi-Treffen in dem früheren Szene-Treffpunkt »Tiroler Höhe« teilgenommen hatte. Nicht bekannt ist, wer außer Mundlos noch im Auto saß und warum die späteren NSU-Terroristen in den Jahren 1995 und 1996 im Visier der mittelfränkischen Polizei waren.12 Auch die Rolle der zeitweiligen Kontaktperson des späteren NSU, Mandy S.13 , wurde im Ausschuss nur marginal beleuchtet. Zur Zeit der ersten NSU-Morde lebte sie in Bayern und hatte u.a. Kontakt zur Fränkischen Aktionsfront (F.A.F.). Deren Führungsfigur Matthias Fischer stand namentlich auf der 1998 gefundenen »Garagenliste« des späteren NSU. In Bezug auf die Skandale rund um die beiden bayerischen Neonazi-V-Männer Kai Dalek und Tino Brandt wurde im UA kaum Druck ausgeübt. In einer der letzten Sitzungen des NSU-UA wurde bekannt gegeben, dass das bayerische Innenministerium dem Ausschuss die angeforderten Unterlagen zu weiteren Neonazi-V-Leuten immer noch nicht bereitgestellt hat. Auch die Frage, wie der Wahrheitsgehalt einer im Juni 2013 im UA getätigten Behauptung eines Polizeibeamten überprüft werden kann, blieb bisher ungeklärt. Der Beamte hatte unter anderem erklärt, bei einer Besprechung der Ermittlungsgruppe »BAO Bosporus« sei von einem »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) als möglichem Urheber der Mordserie die Rede gewesen.14 Ob der UA in Bayern fortgesetzt wird, ist unklar. Ob diese Fortsetzung viel bringen würde, ebenso.

Birgit Mair ist Diplom-Sozialwirtin (Univ.) und verantwortlich für die Wanderausstellung »Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen« sowie den dazugehörigen Begleitband.

Kontakt:
www.opfer-des-nsu.de

  • 1Meine Analyse beruht auf der Auswertung von mehr als 80 beobachteten Sitzungsstunden des UA »Rechtsterrorismus in Bayern – NSU« im Münchner Maximilianeum sowie der Lektüre des mehr als 200 Seiten umfassen­den Abschlussberichtes.
  • 2Abschlussbericht NSU-UA Bayern, S. 151
  • 3Werner St. vom PP Mittelfranken im bayerischen NSU-UA am 5. Februar 2013
  • 4Josef W. vom PP München im bayeri­schen NSU-UA am 19. Februar 2013 sowie Abschlussbericht NSU-UA Bayern S. 94
  • 5Josef W. vom PP München im bayerischen NSU-UA am 19. Februar 2013
  • 6Siehe Aufsatz von Birgit Mair »Ich habe noch nie einen Neonazi auf einem Fahrrad gesehen«, nsu-watch.info
  • 7Werner St. vom PP Mittelfranken im Bayerischen NSU-UA am 5. Februar 2013
  • 8Şimşek, Semiya/Schwarz, Peter (2013), S. 131 ff. und S. 151 ff.
  • 9NSU-UA des Bundestags, S. 879
  • 10NSU-UA des Bundestags, S. 878
  • 11Abschlussbericht NSU-UA Bayern, S. 143
  • 12Wolfgang G. vom PP Unterfranken im bayerischen NSU-UA am 20. Februar 2013
  • 13Bündnis 90 / Die Grünen, Zwischenbilanz UA »NSU — Rechtsterrorismus in Bayern«
  • 14Konrad P. von der Kripo Rosenheim im bayerischen NSU-UA am 18. Juni 2013