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Der Papst und die Holocaustleugner

Bernard Schmid
Einleitung

Man hätte nach Papst Johannes Paul II. – mit bürgerlichem Namen Karol Woytila – an der Spitze der katholischen Kirche glauben mögen, es könne nicht mehr schlimmer und reaktionärer kommen. Der von 1979 bis zu seinem Ableben im April 2005 amtierende, aus Polen stammende Papst war als Repräsentant des anti-sowjetischen »Widerstands«, aber auch eines generellen, weltweiten antimarxistischen Engagements gewählt worden. 1987 hatte er dem chilenischen Diktator Augusto Pinochet die Hand geschüttelt und der Bevölkerung Chiles erklärt, im Namen der christlichen Werte sei ein Widerstand gegen das Pinochet-Regime nicht zulässig. 

Doch die Annahme war trotzdem ein Irrtum: Es konnte und kam tatsächlich noch schlimmer und reaktionärer. Dort, wo Johannes Paul II. gewisse Abgrenzungen nach Rechts innerhalb »seiner« Kirche vorgenommen hatte – und sei es aufgrund von Eigeninteressen des Apparats gegen rechte »Dissidenten«, die ihm den Gehorsam verweigerten –, versucht der neue Papst diese Bruchlinien nun zu kitten. Der frühere Joseph Ratzinger verfolgt, seitdem er 2005 als »Benedikt XVI.« zum Papst gewählt worden ist, unter anderem das Anliegen, ein zwanzig Jahre altes »Schisma« (d.h. eine Kirchenspaltung) zu überwinden. Dabei dreht es sich um den 1988 erfolgten Ausschluss der Anhänger des französischen ultrareaktionären (Ex-) Bischofs Marcel Lefevbre aus der römisch-katholischen Amtskirche. Lefevbre, ehemals Kolonialbischof im westafrikanischen Dakar, trat strikt gegen die Modernisierungsschritte und Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1962 bis 1965 ein.

Dazu gehören die Abhaltung der Messe in den jeweiligen Landessprachen, die für das »gemeine Volk« verständlich ist – und eine Suche nach Aussöhnung des katholischen Christentums mit den Juden, die nicht länger als »Gottesmörder« und Schuldige an Jesus’ Kreuzigung geschmäht werden dürfen. Beides ist Unfug aus der Sicht des Ultrareaktionärs Lefebvre und seiner Anhänger. Diese sind felsenfest von der tiefen Überlegenheit der eigenen Religion über alle anderen überzeugt: Es könne ja nur einen wahren Glauben geben, und den besitze man selbst.

Der frühere Bischof Marcel Lefebvre hatte 1970 in Ecône in der französischsprachigen Schweiz seine eigene religiöse Gemeinschaft, die Priesterbruderschaft Fraternité Pie X. – benannt nach Papst Pius X., der in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg amtierte – gegründet. 18 Jahre später wurde er von Papst »Johannes Paul II.« exkommuniziert. Nicht so sehr, weil er zu reaktionär war, sondern vor allem wegen eigenmächtigen Handelns und Amtsanmaßung: Er hatte im Jahr 1988 auf eigene Faust vier Bischöfe geweiht. Das Vorrecht, diese Handlung vorzunehmen, liegt jedoch laut kirchlichem Kodex allein beim amtierenden Papst. Lefebvre wurde also die Tür gewiesen, und mit ihm den vier von ihm eingesetzten »Bischöfen«. Lefebvre selbst ist im Jahr 1991 gestorben.

Die Anhänger Lefevbres sind derzeit in rund 40 Ländern präsent. Ihre Anzahl wird in manchen Quellen auf insgesamt 150.000 bis 250.000 geschätzt, der Vatikan geht hingegen von bis zu 600.000 aus. Unter ihnen sind rund fünfhundert Priester. Der geographische Schwerpunkt ihres Wirkens liegt in Frankreich und der Schweiz.

In vielen Ländern sind ihre Anhänger in der extremen Rechten politisch aktiv oder sympathisieren mit ihr. Auf französischem Boden finden sie sich etwa beim Front National (FN) oder in seinem Umfeld. In der (seit 1977 von den Fundamentalisten »rechtswidrig« besetzten), durch die Piusbrüderschaft kontrollierten Kirche Saint-Nicolas-du-Chardonnet im fünften Pariser Bezirk werden Feierlichkeiten für hohe Parteipersönlichkeiten, etwa Beerdigungen in Anwesenheit von Jean-Marie Le Pen, zelebriert.

In Österreich wiederum ist die fundamentalistische Katholikenströmung, die Lefebvre unterstützt(e), vor allem mit Ewald Stadler in der politischen Landschaft vertreten, einem prominenten Juristen und rechtsradikalen Politiker. Er gehörte bis 2007 der »Freiheitlichen Partei Österreichs« (FPÖ) an, die er jedoch aufgrund von Differenzen mit deren Chef Heinz-Christian Strache verließ. Im August 2008 gab er seinen Übertritt zum BZÖ (»Bündnis Zukunft Österreich«) unter der damaligen Führung von Jörg Haider bekannt. Solcherlei Positionierung war jedoch eher selten bei FPÖ und BZÖ, weil das – in der Geschichte zwischen deutschnational und liberal schillernde – »Dritte Lager«, aus dem die FPÖ und das BZÖ hervorgingen, historisch in seiner Mehrheit eher antiklerikal geprägt ist. In Rom zeigt sich der amtierende Papst seit einiger Zeit bemüht, diesen Bruch mit dem früheren Rechtsaußenflügel der Kirche zu kitten.

Zugleich dürften bestimmte ideologische Berührungspunkte bestehen. Denn auch Benedikt XVI. zeigt sich etwa davon überzeugt, dass es einen »interreligiösen Dialog«, wie er sagt, »im engen Sinne« – also in Kernfragen – nicht wirklich geben könne, da letztlich nur eine Religion Recht habe. Schon im September 2007 verabschiedete Benedikt XVI. einen Erlass, demzufolge die »Traditionalisten« – so werden die Fundamentalisten im Stil der Anhänger Lefebvres auch bezeichnet – die Messe im Rahmen der Amtskirche auch in Latein feiern dürfen, wenn ihnen der Sinn danach steht. Dieser Beschluss sollte ausdrücklich ihre Rückkehr in die Reihen der römisch-katholischen Amtskirche ermöglichen und beschleunigen. Dazu wurde auch eigens ein Glaubensinstitut für diese Strömung geschaffen, das seit September 2006 bestehende Institut du Bon Pasteur (Institut des Guten Hirten).

Am 23. Januar 2009 war es soweit: An dem Tag verkündete der Vatikan, die Exkommunikation der vier »Bischöfe«, die im Jahr 1988 durch Marcel Lefevbre geweiht wurden, sei aufgehoben worden. Es handelt sich um Bernard Fellay, Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Galaretta. Diese werden dadurch von Rom nicht als ordentlich geweihte Bischöfe anerkannt – wohl aber durch ihre eigenen Schäfchen –, sind aber gleichwohl nun wieder anerkannte Mitglieder der katholischen »Glaubensgemeinschaft«.

Aber mit ihnen kam auch der Skandal. Sicherlich ging es der Spitze des Vatikans nicht bewusst und mit Absicht darum, Antisemiten und Auschwitzleugner als solche zu rehabilitieren. Benedikt XVI. wollte mit den Lefebvre-Anhängern vorwiegend eine reaktionäre Stoßtruppe für die Kirche zurückgewinnen, aber zumindest nicht bewusst explizite Antisemiten beziehungsweise von christlichem Antijudaismus motivierte Kreise. Eingehandelt hat er sich nun aber nicht nur solche, sondern auch einen expliziten Holocaustleugner in ihren Reihen.

Denn das schwedische Fernsehen (SVT) strahlte drei Tage vor der offiziellen Aufhebung der Exkommunikation für die vier umstrittenen »Bischöfe« ein (früher aufgezeichnetes) Interview mit Williamson aus. Darin bestreitet dieser offen die historische Existenz des Holocaust; er beziffere die Anzahl der in NS-Konzentrationslagern umgekommenen Juden auf rund 200.000, »aber nicht ein einziger in Gaskammern«. Argentinien – wo Williamson bis dahin lebte – wies den Mann daraufhin im Februar aus. Der Vatikan distanzierte sich eilfertig von jeglicher Holocaustleugnung, nahm die Aufhebung der Exkommunizierung Williamsons’ und der übrigen Fundamentalistenhäuptlinge jedoch nicht zurück.

Ende Juni planen die Lefebvristen unterdessen eine neue »Provokation«, wie die Pariser Abendzeitung Le Monde (vom 3. 6. 2009) ihr Vorhaben qualifiziert. Am 29. Juni dieses Jahres planen die katholischen Fundamentalisten, an ihrem Hauptsitz im schweizerischen Ecône, durch ihren derzeitigen Oberhirten Bernard Fellay, acht neue Priester weihen zu lassen. Dies leitet de facto eine neue Kraftprobe mit der katholischen Amtskirche ein – denn zwar hat man in Rom zu Anfang des Jahres die Exkommunikation gegen mehrere Anführer der Lefebvristen aufgehoben, aber man hat ihnen nicht kirchenrechtlich ihre Ämter anerkannt. Das bedeutet, dass, unter formal kirchenrechtlichen Gesichtspunkten, die fundamentalistischen »Bischöfe« zwar nicht länger aus der Kirche als »Gemeinschaft der Gläubigen« ausgeschlossen – aber eben auch keine rechtskräftig amtierenden Bischöfe sind. Insofern besitzen sie auch keinerlei Vollmacht dazu, etwa Priesterweihen zu feiern. Abzuwarten bleibt, wie Rom reagieren wird.