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Die Berliner Wanderausstellung „Extreme Rechte seit 1945“.

Einleitung

Die Ausstellung „Immer wieder? Extreme Rechte und Gegenwehr in Berlin seit 1945“ wurde als geschichtspolitische Intervention vom "Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin" (apabiz) und dem Verein Aktives Museum erstellt.

Foto: Kilian Behrens, apabiz e.V.

Wir fordern die Ratten auf, aus ihren Löchern zu kommen und ihr Nazi-Heldentum zu zeigen, damit sich die Jugend Berlins nicht nur mit Worten, sondern auch mit den Fäusten mit ihnen auseinandersetzen kann.“ Dieser Aufruf stammt nicht von einer lokalen Jugendantifa – er stammt vom Berliner Innensenator Joachim Lipschitz (SPD), der auf einer  antifaschistischen Kundgebung in Charlottenburg im Januar 1960 eine Rede hielt. Lipschitz wusste wovon er sprach: Als sogenannter „Halbjude“ war er während des Nationalsozialismus Schikanen und Verfolgung ausgesetzt und konnte nur durch Untertauchen der Zwangsarbeit entgehen. Dem Ausspruch vorausgegangen waren die Gründung neonazistischer Organisationen, wie z.B. der „Bund Nationaler Studenten“ (BNS) und die „Nationaljugend Deutschland“ sowie zahlreiche Hakenkreuzschmierereien, die Ausgangspunkt für die von über 40.000 Menschen besuchte Demonstration bildeten.

Auf der gleichen Veranstaltung ließ Lipschitz seine Polizei gegen Studenten vorgehen, die Schilder mit den Namen „Oberländer“ und „Globke“ hoch hielten – hohe Nazifunktionäre, die auch noch in der BRD wichtige Funktionen inne hatten. Die Widersprüchlichkeit des staatlichen Antifaschismus, in dessen Reihen hunderte ehemalige NSDAP-Funktionäre dienten. Dass die neonazistischen Organisationen in den frühen Jahren der BRD klein blieben, obwohl in den Behörden und Ministerien zahlreiche ehemalige NSDAP-Mitglieder saßen, ist leicht zu erklären. Die alten Nazis waren in der BRD gut angekommen und hatten sich arrangiert. Neue neonazistische Experimente hatten sie nicht nötig.

Diese und andere Ambivalenzen sind nachzulesen in der Ausstellung „Immer wieder? Extreme Rechte und Gegenwehr in Berlin seit 1945“, welche vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin und dem Verein Aktives Museum erstellt wurde. Herausgearbeitet wird die Kontinuität extrem rechten Denkens nach 1945 und die Gegenwehr dagegen. In der Ausstellung ist erkennbar, dass diese Ergebnis monatelanger Recherchen in Archiven und zahlreicher Gespräche mit Zeitzeug_innen ist.

Im Zentrum der Ausstellung stehen zehn historische Ereignisse von den 1950er Jahren bis in die Gegenwart. Die ausgewählten Begebenheiten stehen dabei exemplarisch für verschiedene Handlungsfelder und werden anhand diverser Medien wie Fotografien, Presse-, Radio- und Fernsehberichten, Plakaten, Flugblättern und Interviews in ihren konkreten historischen Zusammenhang dargestellt. Dabei werden nicht nur die Ereignisse selbst, sondern auch die Reaktionen der Berliner Stadtgesellschaft nachgezeichnet. In einer Fundraising-Aktion über „Startnext“ kamen im Herbst 2018 in nur sechs Wochen zusätzliche 5000 Euro für Medienstationen zusammen.

Die Beispiele der Ausstellung belegen eindrücklich, dass rassistisches, antisemitisches und völkisches Gedankengut eben nicht mit dem Untergang des Dritten Reiches für immer unschädlich gemacht worden war, sondern sich in zahlreichen Organisationen, Parteien und Einzelpersonen neu transformierte und bei Wahlen sogar beachtliche Erfolge erringen konnte. Die exemplarischen Ereignisse bilden einen weiten Bogen von den 1950er Jahren in Westberlin, über die 1980er Jahre in Ostberlin, die von offener Straßengewalt geprägten 1990er Jahre bis hin zu jüngsten Anschlägen von Neonazis auf Wohnungen von Linken und Politikern. Was alle diese Vorfälle eint ist die Tatsache, dass es meist antifaschistische Gruppen und Einzelpersonen waren, die diese Taten öffentlich skandalisierten, energischere Ermittlungen der Polizei forderten und manchmal sich auch nicht anders zu helfen wussten als selbst zur Gegenwehr überzugehen.

Besonders hervorzuheben sind die oft bewegenden Geschichten einzelner Opfer neonazistischer Gewalt, die heute fast vergessen sind. Der Vietnamese Nguyễn Văn Tú wurde am 24. April 1992 in Berlin-Marzahn von einer Gruppe Neonazis überfallen und mit einem Messer erstochen. Der Täter war ein Sympathisant der Deutschen Volksunion (DVU). 2017 organisierte eine antifaschistische Initiative ein öffentliches Gedenken am Tatort. Am 17. Februar 1997 schießt der Neonazi Kai Diesner mit einer Schrotflinte auf einen linken Buchhändler. Dieser verliert bei dem Anschlag einen Arm und einen Finger seiner rechten Hand. Diesner flieht und erschießt auf seiner Flucht einen Polizisten. Als Tatmotiv gab Diesner später an, er habe die PDS bestrafen wollen, weil diese eine „extrem deutschfeindliche Partei“ sei. Auch die zahlreichen Neonazi-­Demonstrationen in den 2000er Jahren, wie z.B. die Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung im Jahr 2001, werden in der Ausstellung wieder lebendig.

Die Ausstellung wurde an einem historischen Ort eröffnet: der Zionskirche in Prenzlauer Berg. Die Kirche steht als Symbol für das offene Auftreten von Neonazis in Ostberlin. Am 17. Oktober 1987 wurde hier ein linkes Punkkonzert überfallen. Gleichzeitig gilt der Angriff auf die Zionskirche auch als Gründungsmoment der Antifa in Ostberlin.
Beinah wäre die Eröffnung der Ausstellung am 29. März 2019 noch gescheitert: In der Nacht zuvor brach in der Zionskirche ein Feuer aus, Antifaschist_innen vermuteten zuerst das Schlimmste. Doch dann: falscher Alarm. Vorsatz konnte ausgeschlossen werden, bis auf kleinere Schäden und Verschmutzungen im Innenraum blieben Kirche und Ausstellung unbeschädigt.

Der große Erfolg und die sorgfältige Vorgehensweise der Ausstellungsmacher_innen zeigt sich in dem anhaltenden hohen Interesse der Öffentlichkeit: Vom 10. Mai bis 14. Juni 2019 gastierte die Ausstellung im Rathaus Neukölln, gleich danach (18. Juni – 15. Juli 2019) ist sie im August Bebel Institut in Wedding zu sehen. Dass die Ausstellung schon an ihrer zweiten Station im Berliner Bezirk Neukölln gastierte, ist kein Zufall. Seit mehreren Jahren wird Neukölln von einer neonazistischen Angriffsserie überzogen. Seit 2016 wurden 51 Angriffe wie Brandanschläge auf Autos, Sachbeschädigung oder Bedrohungen gezählt, die sich gegen engagierte Demokrat_innen richten. Thematisch widmet sich die Ausstellung unter dem Titel Anti-Antifa daher auch den Angriffen in Neukölln.

Der Umstand, dass auch die AfD in der Ausstellung thematisiert wird, sorgte für ein Gerichtsverfahren: Der Berliner Landesverband der Partei sah sich verunglimpft und versuchte vor dem Berliner Verwaltungsgericht zu erwirken, dass die Ausstellung im Rathaus Neukölln abgebaut wird. Einmal mehr zog die AfD das staatliche Neutralitätsgebot zur Begründung heran. Das Verwaltungsgericht konnte dem jedoch nicht folgen und wies die Klage zurück: Da die Ausstellung eine privatrechtliche und somit nicht durch das Bezirksamt zu verantworten sei, greife das Neutralitätsgebot nicht. Die Ausstellung sei entsprechend durch die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit gedeckt.

Wanderausstellung „Immer wieder? Extreme Rechte und Gegenwehr in Berlin seit 1945“. Kuratiert vom antifaschistischen pressearchiv und bildungszentrum berlin e.V. (apabiz) und Aktives Museum – Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. Die Ausstellung kann gebucht werden.