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Die Todessehnsucht der "Identitären"

Michael Bonvalot
Einleitung

Mishima und Todessehnsucht am Morgen“, schreibt Martin Sellner auf Twitter. Sellner ist der Führer der rechten Gruppe „Identitäre Bewegung“ (IB). Doch wer ist Mishima? Was meint Sellner mit Todessehnsucht? Und warum ist das alles brandgefährlich?

Ein Anhänger der Berliner "Identitären" bei ihrem blockierten Aufmarsch 2017 in Berlin mit einem Mishima-Shirt aus dem „Phalanx Europa“-Versand.

Es ist ein bizarres Bild, festgehalten auf einer grobkörnigen Filmaufnahme. Am 25. November 1970 steht der japanische Faschist Yukio Mishima auf dem Balkon einer Kaserne in Tokio. Er versucht, zu den Soldaten zu sprechen, bekleidet mit einer Uniform seiner Privat-Armee, am Kopf eine weiße Binde mit Parolen. Kurz zuvor hat der 45-Jährige mit vier seiner Kameraden den Kommandanten der Kaserne als Geisel genommen, nun will er die Soldaten zum Aufstand bewegen. Doch die pfeifen, la­chen ihn aus, rufen, er solle verschwinden.

Immer wieder fordert Mishima die Soldaten auf, ihm zuzuhören. Vergeblich. Schließlich begeht Mishima Selbstmord, indem er sich ein Kurzschwert in den Bauch rammt. Das bizarre Ende sollte dabei nicht über die Gefährlichkeit dieses Mannes hinwegtäuschen. Mishima ist über Japan hinaus als Künstler bekannt und populär. Gleichzeitig war er glühender Nationalist und Antikommunist, der sich das faschistische Japan zurückwünschte, das durch den Krieg verloren ging. Die Millionen von Gefolterten und Ermordeten, die das Kaiserreich ab dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Südostasien und im Inland zu verantworten hat, tangierten ihn offenbar nicht. Er wollte eine mächtige Armee, vorzugsweise „mit Atomwaffen bewaffnet“. Auf der einen Seite modernistische Allmachtsfantasien, gleichzeitig der reaktionäre Blick in die Vergangenheit: Mishima sehnte sich in Interviews nach den Samurais, der nationalistisch aufgeladenen Allmacht des Kaisers – und immer wieder nach einem heldenhaften Selbstmord.

Identitäre sind „Mishima-Fans“

Doch was hat der japanische Faschist, verhinderte Putschist und politische Selbstmörder Mishima mit der neofaschistischen „Identitären Bewegung“ (IB) zu tun? Sehr viel, wie ein Blick auf das Agitationsmaterial der IB zeigt. Die Identitären bezeichnen sich als „Mishima-Fans“, in ihrem – Mitte Dezember 2019 online nicht mehr erreichbaren – Webshop „Phalanx Europa“ werden sogar Fanartikel verkauft. Immer wieder beziehen sich führende IB-Vertreter öffentlich auf den japanischen Putschisten. Bei „Phalanx Europa“ kann Mishima-Merchandising in verschiedenen Formen erworben werden. Da ist etwa ein T-Shirt, wo Mishima mit einem Samuraischwert posiert. Der Text lässt keine Zweifel: „YODO – You only die once“ sowie: „Turn your life into a line of poetry written with a splash of blood“ – Verwandle dein Leben in eine Gedichtzeile, geschrieben mit einem Spritzer Blut. Es ist ein Zitat von Mishima. Damit keine Zweifel an der Verehrung für Mishima bestehen, folgt der Produkttext. Mishima würde mit dem Merchandising „ein Denkmal gesetzt“.

Blut soll fließen

Ebenfalls zu erwerben ist ein Mishima-­Poster, beworben mit dem Hinweis, dass dieses Poster „in keinem neurechten Haushalt fehlen“ dürfe. Bewunderung für den Gründer einer faschistischen Privatarmee, für einen Putschisten? Als Vorbild ein Leben, geschrieben „mit einem Spritzer Blut“? Wir sollten hellhörig werden.

Yukio Mishima wird im Japan der 1960er Jahre endgültig zum Aktivisten. Es ist seine Reaktion auf die zunehmende Stärke der Linken insbesondere an den Universitäten. Er beteiligt sich am Aufbau einer nationalistischen Miliz, er wird gefährlich, er will den Umsturz. Seine Gruppe, die "Tatenokai" (Schild Gesellschaft), erhält Training durch die Armee. Nun beginnen Diskussionen und Planungen für einen Militärputsch. Die Attacke auf die Kaserne kann als Versuch eines Auslösers für einen solchen Putsch gedacht werden – und gleichzeitig als bereits lange geplanter Suizid von Mishima. „Harakiri ist eine sehr positive, eine sehr stolze Art des Todes“, äußerte er sich in einem Interview. Harakiri „führt manchmal zu Deinem Sieg“.

Die homophobe Maske Martin Sellner

ich mag Japan extrem gern wegen mishima“, schreibt Martin Sellner 2016 auf Twitter. Als Sellner zwei Jahre davor in einem langen – und langatmigen – Text erläutert, warum er vom klassischen NS-Faschismus zum Faschismus der selbsternannten „Neuen Rechten“ gewechselt sei, nennt er seine Zeilen „Geständnis einer Maske“. Für Eingeweihte bereits damals eine Referenz an Mishima. Dessen bekanntestes Werk trägt den Titel „Bekenntnisse einer Maske“. Mishima bearbeitet dort seine verdrängte Homosexualität – was weniger zum Männlichkeitsbild der FaschistInnen passt. Es sollte also nicht verwundern, dass Sellner einen seiner Mishima-Tweets mit dem Hashtag "#nohomo" versieht. Offensichtlich muss er seine AnhängerInnen seiner Hetero­sexualität versichern.

Auch Martin Semlitsch, im Hintergrund agierender Theoretiker des IB-Milieus, kommt immer wieder auf Mishima zurück. Der sei einer in einer Reihe von „schillernden Figuren“, „Dichtern und Träumern“ gewesen, „die ein verlockender Hauch des Hades umgab“, schreibt Semlitsch bewundernd. Andere VertreterInnen des Spektrums beziehen sich ebenfalls immer wieder auf Mishima. Sein Selbstmord sei „keine Niederlage“, sondern „das völlige Aufgehen im Körperlichen“, heißt es etwa in der extrem rechten Publikation „Blauen Narzisse“.

Suizid in der Kathedrale

Auch ein weiterer Star der extremen Rechten wird für seinen Selbstmord gelobt. Als sich der französische Neofaschist Dominique Venner am 21. Mai 2013 in der Kathedrale Notre Dame in Paris erschießt, führt das zu fast hymnischen Reaktionen. Venners Selbstmord sei „überlegt, symbolisch, männlich, frei und hart“ gewesen, schreibt etwa Götz Kubitschek in der Zeitschrift „Sezession“. Im Versandshop „Phalanx Europa“ findet sich das Motiv „Rebell aus Treue“, es soll eine „Hommage“ an den „neurechten Vordenker“ sein, heißt es auf der Identitären-Plattform „Tagesstimme“. Nun könnten diese Referenzen als verschrobene Liebe deutschsprachiger Faschisten zu Suizid und internationalen faschistischen Größen abgetan werden. Doch es steckt weit mehr hinter der Sache.

Der japanische Faschismus als Code

Für die selbst ernannte „Neue Rechte“ haben Faschisten wie Mishima oder Venner eine enorme propagandistische Bedeutung. Denn sie funktionieren als politischer Code. Zentrale Kader der „Neuen Rechten“ von Sellner abwärts kommen aus klassischen Neonazi-Gruppen. Doch sie haben erkannt, dass die nationalsozialistische Form des Faschismus ein Hemmschuh bei der Rekrutierung ist. Für Österreich kommt hinzu, dass NS-“Wiederbetätigung“ zu mehrjährigen Haftstrafen führen kann, wie etwa Sellners einstiger Führer Gottfried Küssel am eigenen Leib erfahren musste.

An die Stelle von NS-Größen treten in der Agitation nun italienische, französische, japanische und weniger bekannte deutsche FaschistInnen. Diese Taktik bietet praktische Vorteile: Zum einen sind Namen wie Ezra Pound, Carl Schmitt, Dominique Venner oder Yukio Mishima kaum bekannt, damit schrecken sie die breitere Öffentlichkeit weniger ab, sind anschlussfähiger. Zum anderen gibt es hier keine Gefahr staatlicher Repression.

Doch für Eingeweihte können die Identitären mit dem Bezug auf Mishima klare Botschaften vermitteln: Der Aufbau einer Privatarmee als Weg, der Militärputsch als Mittel, die autoritäre Gewaltherrschaft als Ziel. Endzeitstimmung und Suizid passen dabei perfekt zur Ideologie. Die Identitären sehen sich selbst als „letzte Generation“, die einen imaginierten Bevölkerungsaustausch verhindern könne. Doch wer sich selbst als letzte Generation begreift, die etwas ansonsten Unumkehrbares verhindern könne, darf buchstäblich zu allen Mitteln greifen.

Auch das Motiv des Kampfes bis zum Tod ist den Identitären dabei nicht fremd. Immerhin ist das Lambda-Symbol sogar konstitutiv für die Gruppe. Damit setzt sich die IB in die Tradition jener spartanischen Kämpfer, die in einer Schlacht gegen das persische Reich wohl fast vollständig den Tod fanden.

Mishima und Todessehnsucht am Morgen“ twittert Martin Sellner. Es ist eindeutig, was er den Eingeweihten damit für eine Botschaft vermittelt. Hier muss sich niemand mehr jenseits der Identitären terroristisch radikalisieren. Hier ist die potentielle Terror-Ideologie bereits fertig aufbereitet. Faschistische Milizen, Putsch, Macht­ergreifung. Mit einem Spritzer Blut und bis zum Tod. Die Botschaft der Identitären ist eindeutig. Und sie ist gefährlich.

(Michael Bonvalot ist Journalist und Autor in Wien. Er schreibt für verschiedene Medien in Österreich und Deutschland sowie auf bonvalot.net. Zuletzt erschien von ihm „Die FPÖ – Partei der Reichen“.Michael Bonvalot ist Journalist und Autor in Wien. Er schreibt für verschiedene Medien in Österreich und Deutschland sowie auf bonvalot.net. Zuletzt erschien von ihm „Die FPÖ – Partei der Reichen“.)