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Die zentralisierte Politik freier Nationalisten

Einleitung

Liest man heutzutage aktuelle Beiträge über die Strukturierung der extremen Rechten in Deutschland, so stimmen diese meistens in mindestens zwei Punkten recht genau überein. Zumindest in Bezug auf neonazistische Strukturen, wird einerseits die NPD genau beleuchtet und andererseits auf das Netz der freien Kameradschaften eingegangen. 

Foto: Teamwork Press

Kaum zu glauben – das ist die Führungsriege der norddeutschen Kameradschaftsszene. V.l.n.r. Tobias Thiessen, Inge Nottelmann, Jörn Lemke, Lars Jacobs.

Gerade in Bezug auf die Kameradschaftsszene scheint es auch nicht mehr viel neues zu schreiben zu geben. So wurden sowohl der geschichtliche Hintergrund als auch die konzeptionellen Ansätze mehrfach ausführlich besprochen. Auch die Organisationsstrukturen der einzelnen Kameradschaften lassen sich recht leicht wiedergeben. So sind die meisten Kameradschaften regional über sog. Aktionsbüros in einer recht flachen Hierachie vernetzt. Auch die Personen hinter den Aktionsbüros sind keine Unbekannten, sondern häufig alte Kader aus den Zeiten der GdnF. Ein Bereich der Organisierung wird in der Regel ausgeklammert: Die Organisierung der einzelnen Aktionsbüros untereinander.

Dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe. Erstes ist es nicht leicht, in diese klandestine Struktur, an der nur wenige Kader beteiligt sind, einen Einblick zu bekommen, zumal diese Organisierung auf einer sehr niedrigschwelligen Vernetzungsbasis abgelaufen ist und kaum gemeinsame Projekte oder Aktionen aus ihr entstanden sind, die sich einer solchen hätten zuordnen lassen. Zweitens hat es eine solche bundesweite Organisierung lange Zeit einfach nicht gegeben. Eigene Recherchen und in der Kameradschaftsszene aktive Informanten ermöglichen uns an dieser Stelle etwas Licht in die bundesweite Organisierung der einzelnen Aktionsbüros zu bringen.

Obwohl sich die meisten Aktionsbüros bereits bis spätestens Ende der 90er Jahre als überregionale Struktur der scheinbar lose organisierten Kameradschaftsszene gegründet hatten, dauerte es noch relativ lange, bis sich diese durch eine bundesweite Vernetzung einen strukturellen Überbau gaben. Diese Organisierung ging maßgeblich vom »Aktionsbüro Norddeutschland«, das 1996 von Thomas Wulff und seinem politischen Ziehsohn Tobias Thiessen gegründet wurde, aus. Schon in dieser Zeit war das Aktionsbüro wichtigster Dreh- und Angelpunkt der sich bundesweit bildenden Kameradschaftsszene. So war es auch Thomas Wulff, der zusammen mit Christian Worch das Konzept der »freien Nationalisten«, welches als Grundlage der Kameradschaften gilt, entworfen hat. Aufgrund einer zu verbüßenden Haftstrafe Worchs fiel dem 1962 geborenen Wulff zu­nächst die alleinige Führerschaft im Aktionsbüro Norddeutschland zu.

Diese nutzte der ehemalige Vorsitzende der »Nationalen Liste« (1995 verboten), um sich ein eigenes Netz aus alten Kontakten und neu aufstrebenden Kadern aufzubauen. Nachdem es im Landtagswahlkampf von Mecklenburg-Vorpommern 1998 zum Streit zwischen Worch und Wulff kam, konnte Wulff endgültig als Führungsperson der bundesweiten Kameradschaftsszene auftreten. Und dass, obwohl er bereits zu diesem Zeitpunkt, von Redebeiträgen auf Demonstrationen abgesehen, eher im Hintergrund agierte und Tobias Thiessen als Leiter des Aktionsbüros weiter in den Vordergrund trat.

Anfang 2002 kamen verschiedene Führungspersonen aus dem »Nationalen Widerstand« nach längeren Diskussionen überein, dass man ei­nen bundesweiten, strukturellen Über­bau brauche. Dieser Überbau sollte keine Organisation mit Weisungskompetenz an die einzelnen Aktionsbüros sein. Zu groß war noch die Angst vor einem Verbot und gerade die Kameradschaften sollten in ihrer scheinbaren Unorganisiertheit ja genau die Konsequenz aus den Organisationsverboten der 90er Jahre darstellen. Vielmehr sollte die bundesweite Struktur sich um die Kerngebiete der neonazistischen Kameradschaftsszene kümmern und hier Leitlinien und Konzepte entwickeln. So wurde Anfang 2002 auf Hauptinitiative von Wulff und Sven Skoda über Bernd Stehmann aus Bielefeld zu einem ersten bundesweiten Treffen eingeladen.

Auf diesem Treffen sollte es, neben einigen grundsätzlichen Diskussionen über das Aussehen einer solchen Struktur, hauptsächlich um die Einrichtung von Arbeitsgruppen zu den bereits vorher festgelegten Arbeitsfeldern einer solchen bundesweiten Koordinierung gehen. Beispielsweise sollte sich eine Arbeitsgemeinschaft um eine bessere Finanzierung des »Nationalen Widerstands« und seiner Projekte kümmern. Bis dato war das eines der Haupt­probleme in vielen Aktionsbüros und es wurde berichtet, dass z.B. die für den Betrieb der Internetplattform »Widerstand Nord« benötigten Finanzmittel auf Kameradschaftsabenden gesammelt oder vom Betreiber Tobias Thiessen selber aufgebracht werden mussten. Eine weitere AG sollte sich um die Entwicklung gemeinsamer Propaganda kümmern.

Dies zielte vor allem auf ein politisch einheitliches Auftreten zu bestimmten Themen ab und sollte einen weiteren Wildwuchs von Einzelmeinungen verhindern. Zusätzlich sollten gewisse Leitlinien für das Verhalten im »Nationalen Widerstand« erarbeitet werden. Dieser AG gehörten unter anderem Thomas Wulff und Michael Grewe an. Die dritte AG war für die Erarbeitung von gemeinsamem Schulungsmaterial zuständig, da hier ein chronischer Mangel in der sich immer weiter kulturell differenzierenden Kameradschaftsszene gesehen wurde. Letzendlich wurde unter der Führung von Mirko Appelt (Selbstschutz Sachsen-Anhalt [SS-SA]) eine AG Sicherheit eingerichtet, die sich um die Organisierung eines einheitlichen Sicherheitsdienstes für Demonstrationen und Veranstaltungen kümmern sollte. Es wurde vereinbart, diese Treffen in einem zweimonatlichen Rhythmus stattfinden zu lassen.

Auf den nächsten Treffen wurde hauptsächlich die Arbeit der einzelnen AGs referiert und diskutiert. So wurden bereits auf dem zweiten Treffen, welches im Mai 2002 in Bielefeld stattfand, die »Leitlinien des Nationalen Widerstandes« von Thiessen, Wulff und Grewe vorgestellt und nach kurzer Diskussion verabschiedet. Die AG Finanzen schlug vor, sich an die großen Rechtsrockversände und Labels zu wenden und eine Abgabe von 10% des Umsatzes zu verlangen, um die Kameradschaften mit der nötigen Finanzdecke auszustatten. Wenig Greifbares gab die AG Schulungen her. Hier wurden zwar verschiedene Aufrufe im Internet gestartet, aber mangels Interesse und geeigneter Referenten stockte es hier. So waren es weiterhin die nicht direkt an die Koordination angeschlossenen Christian Worch und Jürgen Schwab, die durch die Lande tingelten, um Schulungen für Kameradschaften abzuhalten. Als gemeinsame Propaganda sollte eine Sammlung von Flugblättern und Aufrufen den Kameradschaften über die einzelnen Aktionsbüros zum Download angeboten werden.

Nach anfänglichem Eifer scheinen die Vernetzungsbemühungen aber nicht mehr auf diesem hohen organisatorischen Niveau weitergeführt worden zu sein. Es gab zwar noch weitere Treffen, aber der zweimonatige Rhythmus wurde nicht eingehalten. Dennoch gibt es vielerlei Indizien, dass an einigen Stellen die Planungen und Beschlüsse dieser Treffen, zumindest kurzfristig, in die Praxis umgesetzt wurden. So wurde dem 2003 festgenommenen Peter Borchert, der ebenfalls an diesen Treffen teilnahm, neben Waffenhandel und anderen Delikten, auch vorgeworfen, Rechtsrockhändler und Versände erpresst zu haben. Dieses entspräche der Umsetzung der Vorgaben der Finanz AG.

Auch im Bildungssektor gibt es Reaktionen, die wir den Treffen zuschreiben. Anfang 2003 verschickte Daniela Wegener aus Dortmund, auch sie war auf den Führungstreffen anwesend, eine Einladung zu einem Orientierungstreffen zum Thema Bildungsnotstand im Nationalen Widerstand. Darin wird die fehlende Vor- und Nachbereitung von Demonstrationen und die Rückwärtsgewandheit der bisherigen Bildungsarbeit beklagt. Neben dem Punkt Bildung sollte es auch um die Punkte Propaganda, Ordnerdienste und »Grundlagen von Kameradschaften« gehen.

Auf den Internetpräsenzen einiger Aktionsbüros gab es während des Irakkrieges die zentralisierte Propaganda zum Download. So konnte man hier verschiedene Flyer und Plakate im PDF-Format herunterladen. Auch wenn dies alles nur kurze Schlaglichter auf die Vernetzungs- und Organisierungsbemühungen der Kameradschaftsszene waren, zeigt sich recht anschaulich die generelle Stoßrichtung rechter Venetzung. Die Kernpunkte extrem rechter Politik und Organisierung sollen nach einer kurzen Phase der »lokalen Anarchie« erneut zentralisiert werden, wenn auch unter dem Deckmantel der losen Organisierung. Nach dem Verbot der alten Neonaziorganisationen ist dies der Versuch der alten Kaderdecke, erneut das Zepter in die Hand zu nehmen und eine geeinte nationale Bewegung zu führen. Gerade für Thomas Wulff sind derartige Versuche auch überhaupt nichts Neues. Er war schon 1992 zu einem »Deutschen Kameradschaftstreffen« als Referent angekündigt. Eingeladen zu diesem bundesweiten Vernetzungstreffen hatte die »Kameradschaft Ostwestfalen- Lippe« unter Bernd Stehmann.