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Ein Plädoyer für die F*antifa

Feministischer-antifaschistischer Arbeitskreis Berlin (Gastbeitrag)
Einleitung

Bereits Ende der 1980er/ Anfang der 1990er Jahre gründeten sich in mehreren Städten gut vernetzte, feministische Antifa-Gruppen. Im Jahr 1993 gab es bundesweit 25 solcher F*antifa-Gruppen. Um die Jahrtausendwende geriet die Antifa insgesamt in eine zunehmend marginalisierte Position, und auch viele F*antifagruppen lösten sich auf, das letzte deutschlandweite Treffen fand 1999 statt. Seit einigen Jahren ist eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten, d.h. es gründen sich wieder vermehrt F*antifagruppen.

Foto: m8vienna.noblogs.org

Wir sind zwei linksradikale, queer_femi­nistische Gruppen aus Berlin, die sich als F*antifa1 bewusst ohne Cis-Männer2 organisieren und für *FLTI*3 offen sind. Queer-Feminismus4 als Themenkomplex ist ausschlaggebend für unsere politische Arbeit. Dabei unterstützen und bestärken wir uns gegenseitig und andere im alltäglichen Kampf gegen Heteronormativität5 , Patriarchat, Sexismus sowie Trans- und Interfeindlichkeit. Ein Ziel ist es zum Beispiel, Antifeminismus innerhalb gesellschaftlicher, konservativer, religiös-fundamentalistischer und rechter Zusammenhänge offenzulegen. Denn gerade antifeministische Strömungen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und ermöglichen einen Schulterschluss zwischen konservativen, neu-rechten und neonazistischen Gruppierungen. Queer-feministische Ansätze erleben wir dabei als gewinnbringende Perspektive, die es uns ermöglicht, die Verwobenheiten von Herrschaftsverhältnissen auch bei diesen Themen mitzudenken. Wir wollen einen Feminismus, der Alternativen außerhalb der bürgerlich kapitalistischen Logik und das Zusammenwirken unterschiedlicher Herrschaftsstrukturen aufzeigt und diese angreift. Das bedeutet, dass eine geschlechtliche Gleichberechtigung innerhalb des bestehenden kapitalistischen Systems für uns keine erstrebenswerte Option ist. Neben dem Ermutigen von *FLTI*-Personen, politisch aktiv zu werden, wollen wir daher einen Gegenpol zum bürgerlichen Feminismus schaffen, da dieser unter anderem oftmals über die Verstrickungen von verschiedenen Unterdrückungsverhältnissen hinweg sieht. Gleichzeitig beschäftigen wir uns mit klassischen Antifa-Themen wie Faschismus, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus in extrem-rechten Zusammenhängen und innerhalb der sogenannten gesellschaftlichen Mitte oder staatlichen Institutionen.

Neben Zusammenhängen der sogenannten Mitte und des rechten Spektrums nehmen wir aber auch die eigenen Strukturen in den Blick. Gesellschaftliche Machtverhältnisse gibt es leider auch in linksradikalen Gruppen. Eine kritische Auseinandersetzung mit diskriminierenden Verhaltensweisen im eigenen politischen Umfeld und ein selbstreflexiver Umgang mit den eigenen Privilegien sind daher unerlässlich. Dabei arbeiten wir teilweise auch in Bündnissen gemeinsam mit Cis-Männern und bringen queer-feministische Perspektiven in diese Zusammenhänge ein. Insgesamt wollen wir durch unsere Arbeit uns selbst und andere *FLTI* im Alltag und insbesondere in der Antifa ermächtigen, für sich selbst einzustehen, sich gegen Angriffe und diskriminierendes Verhalten zu wehren und für eigenen Belange einzutreten. Das Sichtbarmachen von widerständigen und rebellischen *FLTI* ist uns ein Anliegen. Dazu machen wir an von *FLTI* frequentierten Orten (Mobi-) Veranstaltungen und eigene Tresenabende. Diese sollen verstärkt FLTI* ansprechen, sind aber größtenteils offen für alle. Wir zeigen auf Demos Präsenz und gestalten diese lautstark mit. Dadurch, dass wir dort und in linken Strukturen eigene *FLTI*-Reihen, Blocks, Räume und Partys organisieren, möchten wir  Möglichkeiten schaffen, sich zu organisieren, zu vernetzen, Spaß zu haben und queer-feministische Forderungen auch innerhalb der Linken sichtbarer zu machen.

Die Gründe

Für uns gibt es viele Gründe, uns ohne Cis-Männer politisch zu organisieren. Hierzu zählen für die meisten von uns auch negative Erfahrungen innerhalb klassischer Antifa-Strukturen — dazu gehören die häufig unter dem Schlagwort „Mackertum“ zusammengefassten Verhaltensweisen, dominantes Redeverhalten, unhinterfragte und unbenannte Hierarchien oder das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Wir haben oft erlebt, dass Sexismus und patriarchale Verhältnisse als Nebenwiderspruch behandelt werden und es nur selten ernsthafte Auseinandersetzungen mit Sexismus innerhalb von Antifa-Gruppen gibt. Denn ansozialisiertes Verhalten (wie eine sexistische, aber auch eine rassistische, klassistische etc. Denkweisen) lässt sich nicht an der Tür vor dem Antifa Plenum ablegen. Für die Menschen, die negativ von diesen Diskriminierungsformen betroffen sind, ist ein Plenum oft doppelt anstrengend, weil sie auf diese Strukturen aufmerksam machen und diese benennen müssen. Es handelt sich dabei um Situationen, die wir ohnehin täglich erleben, am Arbeitsplatz, in der Uni und im sonstigen Alltag. In einer Politgruppe kann durch eine *FLTI* Organisierung ein Freiraum entstehen, den es so ansonsten nicht gibt. Wir empfinden es daher als bestärkend, politisch mit Leuten zusammen zu arbeiten, die ähnliche (Diskriminierungs-) Erfahrungen gemacht haben, sowohl in der Gesamtgesellschaft als auch innerhalb linker Strukturen. Und wir glauben, dass es für *FLTI* den Einstieg in antifaschistische Arbeit erleichtern kann. Das Wegfallen des Drucks, sexistische Bewertungsmaßstäbe durch extra viel Engagement ausgleichen zu müssen, erspart viel Frustration. Wir nehmen uns, unsere Erfahrungen und unser Wissen gegenseitig ernst. Wir müssen den anderen nicht erklären, warum das, was „Peter“ auf dem Bündnistreffen gesagt hat, sexistisch war — sie wissen es schon.

Außerdem ist es wichtig, zu bestimmten Themen gemeinsame Positionen als *FLTI* zu entwickeln und sichtbar zu machen, weil sie historisch gesehen und  gesamtgesellschaftlich untervertreten und marginalisiert sind. Ohne die Perspektiven von *FLTI* als Betroffene auf Phänomene wie Sexismus (die Cis-Männer, die von dieser Struktur profitieren, zumindest nicht intuitiv nachvollziehen können), fehlen wichtige Inhalte.

Wofür wir stehen

Auch wir kämpfen mit typischen Problemstellungen der Antifa. Wir sind größtenteils weiß, ableisiert6 , kommen überwiegend aus der Mittelschicht und die meisten von uns studieren oder haben mal studiert. Wir sind uns darüber bewusst, dass wir dadurch eine eingeschränkte Perspektive haben. Wir versuchen unsere verschiedenen Lebensumstände mitzudenken, damit beispielsweise auch Menschen mit Kind mitmachen können. Wir haben den Anspruch, dass sich Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen und mit unterschiedlichen Lebensmodellen linksradikal organisieren können.

Von anderen linksradikalen Gruppen werden wir meist in unserem Auftreten bestärkt und häufig besteht Interesse an unserer Gruppe und einer Zusammenarbeit. Wir sehen, dass queerfeministische Themen in der Antifaszene (wieder) an Bedeutung gewinnen. So reflektieren Gruppen den niedrigen Anteil von *FLTI* in ihren Strukturen und entwickeln Methoden wie zum Beispiel eine Quote, um dem entgegen zu wirken. Zusätzlich muss aber auch daran gearbeitet werden, FLTI* einen Einstieg zu ermöglichen und das bedeutet eben auch, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle wohlfühlen und organisieren können. Grundsätzlich ist es wichtig, ein Problembewusstsein zu schaffen um gemeinsam verschiedene Lösungen entwickeln zu  können. Wir sind uns bewusst, dass wir als F*antifa ohne Cis-Männer einen möglichen Ansatz verfolgen, welcher sicher in einer Stadt mit einer großen (queeren-) Szene leichter umzusetzen ist als an anderen Orten.

Zudem gibt es vielfältige Möglichkeiten sich als nicht FLTI* solidarisch zu FLTI* Zusammenhängen zu verhalten. So können  Cis-Männer Support leisten, indem sie bei FLTI* organisierten Veranstaltungen beispielsweise unsichtbare Aufgaben (wie Küfa kochen, Kinderbetreuung beim Kongress) übernehmen, falls gewünscht. Zudem sollte mehr Wert auf eine Vernetzung mit FLTI* Gruppen gelegt werden.

Der Text erschien im April 2017 zum ersten mal in der "AS.ISM 4. - Streitschrift gegen sexistische Zustände" und wurde für das Antifaschistische Infoblatt überarbeitet.

  • 1Mit dem * möchten wir Identitäten jenseits der zugeschriebenen Zweigeschlechtlichkeit sichtbar machen und markieren, dass die Kategorie „Frau“ keine biologische, sondern eine sozial hergestellte ist.
  • 2Als Cis-Männer bzw. Cis-Frauen bezeichnen wir Menschen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das sie bei ihrer Geburt zugeschrieben bekommen haben.
  • 3Kurzform für Frauen*/ Lesben/ Trans* und Inter*
  • 4Queer nutzen wir als Sammelbegriff für geschlechtliche und sexuelle Identitäten, die nicht heterosexuell sind oder dem Prinzip der Zweigeschlechtlichkeit entsprechen.
  • 5Mit Heteronormativität beschreiben wir die verbreitete Annahme, dass es zwei aufeinander bezogene Geschlechter (Frau/Mann) gibt und diese sich heterosexuell aufeinander beziehen. Damit sind Privilegien und bei Abweichung Ausschlüsse verbunden.
  • 6Der Begriff Ableismus bezeichnet und kritisiert das strukturelle Diskriminierungsverhältniss zwischen Menschen, die als Behinderte bzw. Nicht-Behinderte konstruiert werden. Letztere sind „ableisiert“.