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Feindbild Soros

Einleitung

Feindbilder pflegt die (extreme) Rechte gern und viel, immer wieder auch in personalisierter Form. Seit einiger Zeit ist der US-Milliardär George Soros länderübergreifend eines der populärsten Hassobjekte in entsprechenden Kreisen, die personifizierte antisemitische Verschwörungstheorie. Ihren Ursprung hat die aktuelle Kampagne gegen Soros in seinem Heimatland Ungarn, ausgerechnet durch einen ehemaligen Stipendiaten seiner Stiftung.

Bild: flickr.com; luna715; CC BY-NC-ND 2.0

Anti-Soros-Propaganda bei einer "Teabagging" Veranstaltung im April 2009 in Houston.

Seit der Wahl Donald Trumps sind die USA tief gespalten. Immer wieder kommt es zu Protesten im Land, unter anderem als Trump zum Richter für den Obersten Gerichtshof einen ultrakonservativen Abtreibungsgegner nominierte. Nachdem Senator_innen im Oktober 2018 im Kapitol mit Demonstrant_innen konfrontiert wurden, twitterte der US-Präsident, es handele sich dabei um „bezahlte Professionelle“: „Fallen Sie nicht darauf herein! Schauen Sie sich die professionell hergestellten identischen Schilder an. Bezahlt von Soros und anderen.“ Als sich Ende 2018 tausende Migrant_innen in einer Karawane über Mexiko auf den Weg in die USA machen wollten, folgte ebenfalls der Vorwurf, diese seien von Soros gesteuert und finanziert.

Warschau im Juni 2016: Der ehemalige polnische Ministerpräsident und Vorsitzende der nationalistischen Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński wetterte auf einem Parteitag in kämpferischer Rhetorik gegen eine multikulturelle Gesellschaft. In seiner Rede betonte er dabei auch, dass das Land vor Konzepten „von Herrn Soros, Konzepte für Gesellschaften, die keine Identität haben“ verteidigt werden müsse, weil es „bequeme Konzepte für diejenigen, die Milliarden haben“ seien, „weil eine solche Gesellschaft extrem einfach zu manipulieren“ sei.

In Deutschland bedient sich auch die "Alternative für Deutschland" (AfD) gerne des Feindbilds Soros: Die Berliner Abgeordnete Jessica Bießmann bezeichnet Soros als „größten Finanzier illegaler Massenmigration“, der Parteivorsitzende Jörg Meuthen sieht „Sozis und Soros vereint im Kampf gegen unsere Bürgerpartei“, der Bayerische Abgeordnete Andreas Winhart betrieb Wahlkampf mit der Forderung „Angela Merkel in den Ruhestand zu schicken und die Soros-Flotte mit den ganzen Rettungsbooten im Mittelmeer zu versenken“, um nur einige Beispiele zu nennen.

Dass klassische Neonazis aufspringen, überrascht da wenig. NPD, "Der III. Weg" und „Die Rechte“ äußern sich ähnlich. Im „Revoltopia“-Versand des Neonazis Maximilian Reich wird sogar ein T-Shirt mit einer Krake und der Aufschrift „Soros Weltenkrake seit 1930“ angeboten. Zuletzt führte die NPD Ende April diesen Jahres in Berlin im Rahmen ihres Europawahlkampfs eine Kundgebung gegen den Umzug von Soros’ „Open Society Foundations“ in die deutsche Hauptstadt durch.

Die Liste ließe sich ewig fortsetzen, die Vorwürfe gegen Soros sind dabei immer ähnlich: Er propagiere offene Grenzen und eine liberale Gesellschaft, zettele aus dem Hintergrund regierungskritische Proteste an und finanziere weltweite Flüchtlingsströme, alles mit dem Ziel, diese Staaten zu destablisieren. Vorwürfe, die keineswegs ausschließlich korrupte Regierungen und Autokraten, oder solche, die es werden wollen, aufstellen, um von ihren Verfehlungen abzulenken sowie Proteste aus der Bevölkerung oder weltweite Migrationsbewegungen als gekauft und gesteuert zu delegitimieren. Sie finden sich mittlerweile international bei Rechten aller Coleur. Denn die Verschwörungserzählungen um Soros dienen nicht nur als vereinfachte (falsche) Erklärung für die Wirren der modernen Welt, sondern bedienen sich antisemitischer Motive, deren Argumentationsmuster seit dem letzten Jahrhundert Verwendung finden.

Anhänger der „offenen Gesellschaft“

George Soros wurde 1930 in Budapest geboren und überlebte trotz seines jüdischen Hintergrunds die nationalsozialistische Besatzung Ungarns. Nach dem zweiten Weltkrieg emigrierte er nach London und studierte Philosophie, wo er mit den Ideen Karl Poppers von einer „offenen Gesellschaft“1 in Berührung kam, die sein Handeln bis heute prägen. Jahre später zog Soros nach New York, wo er durch, auch fragwürdige, Investment- und Spekulationsgeschäfte zum Milliardär wurde. Mit diesem Geld gründete er unter anderem die „Open Society Foundations“, mit denen er Oppositionsgruppen in den Ostblockstaaten wie Solidarność in Polen unterstützte oder Stipendien an schwarze Student_innen in Südafrika während der Apartheid vergab. In postsozialistischen Staaten unterstützte er die Bildung von Zivilgesellschaften. In jüngerer Zeit gehörte zu seinem finanziellen Engagement auch der Einsatz für erneuerbare Energien, Reporter ohne Grenzen und Wikipedia, aber auch Proteste wie auf dem Maidan in der Ukraine oder gegen den Brexit in Großbritannien.

Vor diesem Hintergrund überrascht die Ablehnung gegenüber Soros durch rechte bzw. autoritäre Regime und Formierungen, deren Gesellschaftsvorstellungen seinen diametral entgegenlaufen, zunächst nicht. Allerdings bleibt es dabei nicht, sondern Verschwörungserzählungen werden um ihn gestrickt und bewusst klassische antisemitische Ressentiments bedient, bei der er zu einem Hauptakteuer einer jüdischen Verschwörung wird, die das Weltgeschehen aus dem Hintergrund steuere und manipuliere. Implizit wie explizit.

Ihren Ursprung hat die aktuelle Kampagne gegen Soros laut der Schweizer Zeitschrift „Das Magazin“ 2013 in Ungarn und mit Ministerpräsident Viktor Orban, ausgerechnet durch einem ehemaligen Stipendiaten der „Open Society Foundations“, der darüber sein Oxford-Studium finanzierte. Das war allerdings noch Anfang der 1990er Jahre, als dieser selbst noch liberalen Ideen anhing. Mittlerweile haben sich Orbans Positionen und auch die seiner Partei Fidesz ins nationalistische gewandelt. Die rassistische, flüchtlingsfeindliche Politik ist nur eines der offensichtlichsten Beispiele des anhaltenden Rechtsrucks in Ungarn unter Orban.

Laut dem Schweizer Blatt basierte Orbans Wahlerfolg auf „negative campaigning“, wonach der Fokus darauf liegt, nicht das eigene Programm anzupreisen, sondern die Kampagne des Gegners anzugreifen. Zur Wahl 2010 fuhr die Fidesz damit einen Erdrutschsieg ein, die bisher regierenden Sozialdemokraten verloren über 23 Prozent. Da die Opposition so marginalisiert war, musste nun ein neuer Gegner her, so ein ehemaliger Politikberater der Fidesz. Die Wahl fiel auf George Soros. Er wurde zum zentralen Feindbild aufgebaut, an dem sich bis heute abgearbeitet wird, u.a. mit Motiven von Soros als Marionettenspieler. Organisationen, die er unterstützt, werden kriminalisiert und sogar ein „Stop-Soros-Gesetz“ wurde erlassen. Bis heute dominiert die Agitation gegen Soros die Politik Orbans, auch außerhalb des Wahlkampfs.

Im Zuge der sog. „Flüchtlingskrise“ verbreitete sich das Narrativ der von Soros gesteuerten „Flüchtlingsinvasion“. Nicht Krieg und Krisen sind demnach die Flucht­ursachen, sondern die „jüdische Weltverschwörung“. Die Kampagne gegen Soros war zu dieser Zeit bereits auch in anderen Ländern aufgegriffen worden. Der designierte Parteichef der "Freiheitlichen Partei Österreich" (FPÖ) Norbert Hofer sagte in diesem Kontext beispielsweise: „Soros steuert mit Sicherheit einiges auf der Welt, auch die Flüchtlingsströme. Das weiß man.“

Der moderne Rothschild

Mittlerweile ist Soros für antisemitische Projektionen ein genauso gesetzter Begriff wie es in der Vergangenheit „Rothschild“ oder „Ostküste“ waren. Wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Antisemiten das gute, nationale, „schaffende“ Kapital dem bösen, jüdischen, „raffendem“ Kapital gegenübergestellt, galt in dieser Erzählung die Bankiersfamilie Rothschild als Verkörperung des „Raffenden“, die personifizierte jüdische Hochfinanz und Weltverschwörung. Im Hinblick darauf handelt es sich bei Soros heutzutage um eine modernisierte Form dieser Erzählung. Die Themen und Person wurden aktualisiert, doch es sind die selben Eigenschaften, die ihm zugeschrieben und zum Vorwurf gemacht wurden, wie vor hundert Jahren den Rothschilds. Es sind noch immer die Vorstellungen einer Welt, die heimlich von einer jüdschen Verschwörung gesteuert wird.

In einer Rede Orbans im März 2018 wird der Antisemitismus bei der Charakterisierung Soros’ besonders deutlich. Sie liest sich wie eine Aufzählung von altbekannten Vorurteilen gegenüber Juden: „Wir müssen mit einem Gegner kämpfen, der anders ist, als wir es sind. Es kämpft nicht mit offenem Visier, sondern er versteckt sich, er ist nicht geradeheraus, sondern listig, nicht ehrlich, sondern bösartig, nicht national, sondern international, er glaubt nicht an die Arbeit, sondern spekuliert mit dem Geld, er hat keine eigene Heimat, da er das Gefühl hat, die ganze Welt gehöre ihm.“

Doch der Blick muss gar nicht bis nach Ungarn gehen. Dieser Antisemitismus findet sich auch ganz unverblümt im Deutschen Bundestag bei der AfD: Für den Thüringer Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner handelt es sich bei Soros einfach  um „einen zwielichtigen, dubiosen, internationalistischen Strippenzieher“.

  • 1Die offene Gesellschaft ist ein in der Tradition des Liberalismus stehendes Gesellschaftsmodell Karl Poppers, das zum Ziel hat, die kritischen Fähigkeiten des Menschen freizusetzen. Die Gewalt des Staates soll dabei so weit wie möglich geteilt werden, um Machtmissbrauch zu verhindern. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Offene_Gesellschaft