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Islamischer Faschismus?

Volker Weiss
Einleitung

Wer bislang den Islamismus in die Nähe einer faschistischen Weltanschauung rückte, galt schnell als Anhänger des US-amerikanischen Neokonservatismus. Mit dem Vormarsch des „Islamischen Staates“ (IS) im Mittleren Osten hat sich dies schlagartig geändert. Weltweit vergleichen nun Linke die Belagerung von Kobanî mit der von Madrid im Spanischen Bürgerkrieg, auch die Verteidiger der Stadt verwenden die Losung vom IS-Faschismus. Ist diese Charakterisierung gerechtfertigt oder ein politischer Reflex? Skeptisch gegen die Formel vom „Islamfaschismus“ stimmt, dass mit ihr Rechtspopulisten auf Wählerfang gehen. So vergleicht der Vorsitzende der Partei „Die Freiheit“, Michael Stürzenberger, der eng mit der rassistischen Website PI-News verbunden ist, den Koran mit Hitlers „Mein Kampf“.

Foto: PM Cheung

Einerseits besteht also die Gefahr, dass die Formel vom „islamischen Faschismus“ nichts als eine Phrase ist. Andererseits kehrt mit ihr nur die alte Frage nach der Replizierbarkeit des faschistischen Herrschaftsmodells in anderen als den klassischen Kontexten, also außerhalb der Weltkriegsepoche im Europa des 20. Jahrhunderts, wieder. Die Bereitschaft, autoritäre Systeme außerhalb Europas oder nach 1945 als „faschistisch“ zu werten, hängt meist vom politischen Standpunkt der Kriti­ker ab. Während die bürgerliche Politikwissenschaft eine Historisierung des Faschismus als Herrschaftsform propagierte, nicht zuletzt, um die eigene Erzählung vom demokratischen „Ende der Geschichte“ durchzusetzen, haben sich ihre linken Kriti­ker stets dagegen gewehrt. Der Hinweis auf die Fähigkeit des Faschismus, bis in die Gegenwart demokratischer Systeme zu überleben, stellte einen Konsens kritischer Gesellschaftstheorie dar.

Eine Übertragung des Faschismusbegriffs auf andere Kontexte als die seiner historischen Gründungsphase ist also durchaus legitim. In Bezug auf den Islamismus stößt sie jedoch vor allem bei Verfechtern des vulgärmarxistischen Faschismusbegriffs auf Abwehr. Ihnen gelten islamisti­sche Orga­nisationen mitunter als Bündnispartner im „Kampf gegen den Imperialismus“ und sie stellen Kritik unter den Verdacht des „antimuslimischen Rassismus“. Allerdings läuft letzteres Argument nicht nur Gefahr, dem Islamismus die Definitionsmacht zuzusprechen, was als muslimisch zu gelten hat, ihm wohnt selbst eine bedenkliche Neigung zur Ethnisierung der Kultur inne.

Entgegen solcher Anwürfe weisen Islamismus und Faschismus tatsächlich historisch, ideologisch und strukturell deutliche Parallelen auf, die nicht nur jede Solidarisierung mit Islamisten verbietet, sondern eine Verwendung des Faschismusbegriffs durchaus diskutabel machen. Die zeitlich eng beieinanderliegende Entstehung beider Bewegungen, insbesondere der Muslimbrüder als historische Keimzelle des heutigen Islamismus, ist mehrfach dargestellt worden. Schon während des Nationalsozia­lismus bildeten sie eine Allianz im Kampf gegen Marxismus und Liberalismus als Produkte "dekadenter westlicher Kultur".

Sowohl Faschismus als auch Islamismus stellen einen krisenhaft gewordenen Radikalkonservatismus dar, der sich mit den Mitteln der Moderne gegen diese stellt. Vom Glauben an die eigene Überlegenheit beseelt und zugleich vom Gedanken des Niedergangs besessen, verteidigen sie ihr überhistorisch-mythologisches Weltbild gegen die historische Wandlungsmöglichkeit der Gesellschaft. Ihr Politikstil ähnelt sich in Massenagitation, Führerkult und Gewaltfetisch. Was dem Faschismus der permanente Ausnahmezustand, der die Dauermobilisierung der Gesellschaft rechtfertigt, ist dem Islamismus der Dschihad. Während andere Weltanschauungen ihre Verbrechen zu kaschieren suchen, steigern sie ihre Gewalt demonstrativ. Die Adaption modernster Technik ist beiden vertraut. Emanzipatorischen Ansätzen erteilen beide eine klare Absage, Gruppenzugehörigkeiten werden grundsätzlich als gegeben gesehen, kulturelle Formen sind zwingend und werden kompromisslos durchgesetzt. Dies wendet sich gegen Frauen und Dissidenten sowie ethnische, religiöse und sexuelle Minderheiten. Wie der Faschismus kontrolliert auch der Islamismus die Reproduktion seiner Untertanen, wofür er vor allem auf eine rigide Sexualordnung zurückgreift. Juden gelten beiden als Personifizierung der westlichen Moderne, weshalb dem Antisemitismus ein besonderer Stellenwert zukommt.

Beide Phänomene lassen sich als militante Bewegung beschreiben, in der sich traditionelle Eliten mit rebellierenden Massen unter einer „volksnahen“ sozialkonservativen Führung zusammenfinden. Dabei eignet sich die Figur des Predigers besonders für eine charismatische Inszenierung. Freikorps, Veteranenverbände und Privatinteressen bildeten und bilden die Basis für Bürgerkriege, inoffizielle Grenzkonflikte und Terrorismus. Im Mittleren Osten bieten Milizen, unzulänglich demobilisiertes Militär und mangelnde Zukunftsaussichten ein unerschöpfliches Rekrutierungsreservoir, wie auch die hohe Verbreitung von Waffen zum Militarisierungsgrad der Gesellschaften beiträgt. Das erinnert an die Situation in Europa nach dem ersten Weltkrieg, als der Faschismus seinen Aufschwung hatte. Rackets, mafiöse Strukturen, verhandeln den Zugriff auf die ökonomischen Ressourcen entlang politischer, ethnischer und konfessioneller Grenzen. Organisationen wie Hamas und Hizbullah streben die Kontrolle über Staat und Wirtschaft an, nicht selten mit Unterstützung aus diesen heraus. Die iranischen Revolutionswächter sind eng mit dem militärisch-industriellen Komplex des Landes verflochten. Die Aufzählung struktureller Parallelen ließe sich fortsetzen.

Ob der Faschismusbegriff auf den Islamismus anwendbar ist, hängt grundsätzlich von seinem staatsbildenden Potential ab. Er muss die dafür notwendigen Organe aufbauen oder bestehende Strukturen kapern. Für neotribalistische Gesellschaften in den Ruinen der Failing States ist der Begriff zu hoch gegriffen. Doch das „Kalifat“ ist eine klassische Reichsüberlieferung, in der der religiöse Mythos der Vergangenheit mit der politischen Realität der Gegenwart zur muslimischen Nation verschmolzen werden soll. Faktisch praktizieren auch islamistische Bewegungen ethnisch-religiöse Homogenisierungen, bei der unliebsame Gruppen zur Konversion gezwungen, ermordet oder vertrieben werden. Sie führen fort, was in der Vergangenheit unter natio­nalistischen Vorzeichen vollzogen wurde. Betroffene waren seit den vierziger Jahren Hunderttausende orientalische Juden, die jetzt als „Mizrachim“ in Israel leben. Verfolgt wurden auch Christen, Bahai, Yesiden und Muslime abweichender Strömungen.

Diese Verschränkung von religiösen und nationalistischen Inhalten ist weder neu noch einzigartig. Niemand würde die katholischen Einflüsse auf den Faschismus in den romanischen Ländern, die „Deutschen Christen“ oder die rumänische „Legion Erzengel Michael“ aus der Geschichtsschreibung des Faschismus ausgliedern. Indische Rechtsextreme pflegen einen ausgeprägten Hindu-Nationalismus und die Kritik an nationalreligiösen Juden ist eine globale Obsession, obwohl diese auf einem winzigen Territorium agieren. Der säkulare Zug, den die historischen faschistischen Bewegungen aufwiesen, betraf Fragen der Vorherrschaft in der Gesellschaft. War die Konkurrenz einmal entschieden, wurden die Kirchen integriert. Grundsätzlich bedingen sich Nationalismus und Religion mehr als sich auszuschließen, weshalb ein autoritärer Nationalstaat auch unter der Fahne des Propheten möglich ist.

Dem Einwand, islamistischen Bewegungen fehle die vorhergehende Krise der Demokratie, die der Faschismus ausnutze, ist mit Skepsis zu begegnen. Der Islamismus definierte sich bereits in seinem Gründungsstadium als eine Abwehr von Demokratie und individuelle Selbstbestimmung. Die globale Präsenz westlicher Werte hat die islamischen Gesellschaften massiv unter Druck gesetzt, das gilt erst recht für Dschihadisten, die in Demokratien aufgewachsen sind. Innere und äußere Modernisierungen sind im Mittleren Osten gescheitert, die tradierten Ordnungsvorstellungen sind ebenso in der Krise wie die Herrschaft der konservativen Eliten. Ihnen will der Islamismus wieder zur Geltung verhelfen. Er ist konservativ in seinen inhaltlichen Zielsetzungen, jedoch revolutionär in der Wahl seiner Mittel. Das ist die klassische Handschrift des Faschismus. Vor diesem Hintergrund wundern weder die regelmäßigen Avancen, die sich beide Strömungen vor allem in geschichtspolitischen Fragen machen, noch die Faszination der extremen Rechten von der dschihadistischen Kompromisslosigkeit, die Anders Breivik schließlich zu kopieren suchte. Angesichts dieses Befundes sollte die Bewertung des Islamismus als muslimischer Rechtsextremismus außer Frage stehen. Auf seine am weitesten entwickelten Organisationsformen lässt sich der Begriff Faschismus daher durchaus anwenden, er sollte allerdings mehr sein als ein rhetorisches Mittel oder ein politischer Reflex.