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Markieren als Sanktionieren

Einleitung

Der VS geht gegen linke Strukturen in Mecklenburg Vorpommern vor

Als im Herbst 2012 der mecklenburg-vorpommerische Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2011 veröffentlicht wurde, überraschte dessen Stoßrichtung. Im November 2011 war der ›Nationalsozialistische Untergrund‹ (NSU) aufgeflogen und bekannt geworden, dass auch der Mord an Mehmet Turgut in Rostock und mindestens zwei Banküberfälle in Stralsund auf dessen Konto gehen. Trotzdem nahm das Innenministerium die antifaschistische Punkband »Feine Sahne Fischfilet« und insgesamt sechs linke Vereine ins Visier. Stellvertretend für den Rest wehrten sich drei der Vereine und die Band gerichtlich gegen ihre Erwähnung. Die Vereine mittlerweile mit Erfolg, »Feine Sahne Fischfilet« befinden sich mit ihrem Verfahren derzeit vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Nachhilfestunde: Am 13. November 2012 besuchten »Feine Sahne Fischfilet« und »Audiolith Records« in Schwerin das Innenministerium M-V, um sich für die »gute Promo für Feine Sahne Fischfilet zu bedanken, die der Verfassungsschutz geleistet hat«.

Für die linke Szene in Mecklenburg-Vorpommern (M-V) war es neu, dass der Verfassungsschutz (VS) Kneipen und Kulturzentren konkret benannte und als Treffpunkte »gewalttätiger Linksextremisten« bezeichnete. Dabei wollten die Verantwortlichen im Innenministerium offenbar von den Fehlern ihrer Kolleg_innen aus Brandenburg lernen: Diese hatten 2011 verschiedene linke Vereine als »linksextrem« bezeichnet, mussten jedoch, nachdem die Projekte sich vor Gericht wehrten, die entsprechenden Stellen im Bericht schwärzen. Die mecklenburgischen VSler versuchten es auf etwas andere Weise. Die betroffenen Vereine wurden nicht konkret benannt, sondern die von ihnen betriebenen Räume, Kneipen und Begegnungsstätten als Treffpunkte »gewalttätiger Linksextremisten« bezeichnet. Die Wirkung ist indes die gleiche. Dies stellte den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung dar, die seit mindestens 2009 in den VS-Berichten zu beobachten ist:  Die zunehmende Konzentration auf linke Strukturen in M-V.

Gegen die Nennung ihrer Räumlichkeiten klagten im Herbst 2012 vorerst drei Vereine vor dem Verwaltungsgericht Schwerin. Der VS wollte die Vereine lediglich als »Raum-zur-Verfügung-Steller« für linke Gruppen und Veranstaltungen benannt wissen, ihnen selbst wurden zunächst »keine extremistische Bestrebungen« unterstellt. Die Behörde konnte gegenüber dem Gericht jedoch nicht glaubhaft machen, dass für diesen Zweck nicht auch eine allgemeine Ortsangabe (z.B. »eine Kneipe im Stadtviertel XY«) ausgereicht hätte. Außerdem sind einige Vereine namensgleich mit ihren Lokalitäten, so dass die VS-Argumentation, die Vereine seien ja nicht namentlich benannt und daher nicht betroffen, die Kammer des Gerichts nicht überzeugte. Anfang 2013 entschied es, dass die Nennung der Räumlichkeiten rechtswidrig war und der Bericht geschwärzt werden müsse.

Putsch im Jugendclub

Doch das Innenministerium unter Lorenz Caffier (CDU) legte Beschwerde ein und holte sich juristische Verstärkung. Während in der ersten Instanz mehrere Hausjustitiare und ein Medizinrechtler offenbar nicht überzeugen konnten, durfte nun die internationale Großkanzlei Latham & Watkins (L&W)  das Ministerium vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) vertreten. Eine nicht ganz unproblematische Wahl, denn zu L&Ws Mandanten gehörte in den USA auch die Scientology-Sekte, die jedoch in Deutschland vom Bundesverfassungsschutz beobachtet wird. Auch nach Medienberichten und Anfragen im Parlament gab man sich im Ministerium zunächst ahnungslos. Im Februar hieß es in der Ostsee-Zeitung noch, man habe »keine Kenntnis« von der Verbindung der Kanzlei zu Scientology. In der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage (Drs. 6/1703) im April klang das dann schon anders: »Dem Ministerium […] war bekannt, dass die weltweit tätige Kanzlei […] in einem Fall die Scientology-Organisation vertreten hat.«

In »Geheimakten«, die zwar Bewertungen des VS zu den klagenden Vereinen beinhalteten, ansonsten aber lediglich durch einen Aufdruck des Faxgerätes (»Innenministerium«) ihre Herkunft offenbarten, versuchte der VS dem OVG plausibel zu machen, warum es sich um Linksextremisten handeln würde. Aufgeführt waren Veranstaltungen wie eine Vorführung von Bini Adamczaks Hörspiel »Kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird« und Prozess- und Verhörtrainings, bei denen nach VS-Auffassung »widerständiges Verhalten gegen den Justizapparat« trainiert werden sollte. Auch ein Plakat, gefördert und vertrieben durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung, war eine Erwähnung wert. Von der ursprünglichen Einschränkung, die Vereine seien nicht linksextremistisch, war kein Wort mehr zu lesen.

Dafür bediente sich L&W einer im Hinblick auf eine bundesweite Diskussion zum Umbau des VS bemerkenswerten Argumentation. Die Anwälte schlussfolgerten, der VS hätte ein öffentliches Informationsinteresse über extremistische Bestrebungen bedient, da diese im Verborgenen stattfänden. Die Öffentlichkeit hätte über sie informiert werden müssen, damit sie sich selbst ein Bild von ihnen machen und ihnen den Schutz der Anonymität entziehen könne. Als Beispiel zogen sie ausgerechnet den Hitlerputsch von 1923 heran, der seinen Ausgang im Münchener Bürgerbräukeller nahm und im Selbstbild des VS offenbar von ihm verhindert worden wäre, hätte es den VS damals schon gegeben. Auch der neonazistische »Club 88« in Neumünster wurde zur Unterfütterung herangezogen. Nur durch die Unterrichtung der Öffentlichkeit mittels VS-Berichten hätte genügend Druck aufgebaut werden können, um die Schließung des Clubs zu erreichen, so die Anwälte.

Der VS als »Demokratiedienstleister«

Diese Argumentation erinnert nicht zufällig an das von Armin Pfahl-Traughber, VS-Ausbilder und »Endstation-Rechts«-Autor sowie Thomas Grumke entwickelte Konzept des »Offenen Demokratieschutzes«. Es soll den VS dazu legitimieren, bereits im Vorfeld, also bevor es zu extremistischen Straf- und Gewalttaten gekommen ist, über vermeintlich extremistische Motive von Personen und Gruppen zu informieren, auch wenn diese keine extremistischen Methoden anwenden. Der »Offene Demokratieschutz« ist damit Teil eines angestrebten Umbaus und Imagewandels der Behörde Verfassungsschutz, dessen Ziel es ist, den VS als »Demokratiedienstleister« und einen demokratischen Akteur unter Vielen zu etablieren. Auch die verstärkten Bemühungen des VS, mittels (kostenfreien) Vorträgen und Projekttagen Einfluss auf die politische Bildungsarbeit zu nehmen sind in diesem Kontext zu lesen. Die Ausführungen der L&W-Anwäl­te sind damit direkter Ausfluss des von Pfahl-Traugbher und Grumke postulierten Strategiewechsels.

Ausblick

Erfolg hatte dieses Vorgehen vor dem OVG nicht. Im Juni 2013 wies es die Beschwerden des Innenministeriums zurück und ließ keine weiteren Rechtsmittel zu. Jetzt wurden auch die restlichen Vereine tätig und ließen sich aus dem Bericht schwärzen. Im wenige Wochen darauf erschienenen Bericht 2012 erwähnt der VS keine linken Treffpunkte mehr. In den betroffenen Vereinen möchte man jedoch nicht ausschließen, dass sich der VS auf diese Weise lediglich genügend Zeit für einen neuen Anlauf verschaffen will. Der nächste Bericht wird es zeigen. Der Erfolg der Vereine in M-V zeigt jedoch, dass Klagen gegen den VS wirksam sein können.