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Nationalität als Knasthierarchie

Lutz Balding
Einleitung

Es gibt Orte, an denen sich Rassismus und rechtsextreme Organisierung weitestgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit manifestieren: In den Untersuchungsknästen und in den sogenannten »Justizvollzugsanstalten« (JVAs) - sowohl in den östlichen als auch den westlichen Bundesländern. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der inhaftierten Neonazis und rechten Skins in den letzten Jahren zugenommen hat, und diese in den Knästen zum Teil auf Schließer treffen, die ihrem Rassismus gegen MigrantInnen freien Lauf lassen können, halten wir es für notwendig, einen Blick hinter die Knastmauern zu werfen.

Wir dokumentieren hier auszugsweise einem Brief von Lutz Balding, der wegen mehrfachen Bankraubs zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt ist und sich im Knast schon lange mit linken Bewegungen auseinandersetzt. Er wurde wegen verschiedener Ausbruchsversuche immer wieder verlegt und ist zur Zeit in der JVA Schwalmstadt in Hessen inhaftiert.1

Ende 1997 wurde ich aus der JVA Butzbach (Baden-Württemberg) in die JVA Waldheim (Sachsen) und Anfang 2000 aus der JVA Kassel (Hessen) in die JVA Torgau (Sachsen) verlegt. In Bezug auf die Zustände in diesen beiden Knästen wäre es verharmlosend, lediglich ein rechtes Umfeld zu konstatieren. Sowohl unorganisierte als auch fest in diverse Kameradschaften eingebundene Naziskins beherrschen richtiggehend weite Teile des Knastes. Zum Beispiel in der Art, dass überoffene Drohungen, Einschüchterung, Auftreten als kompakte Gruppe Einfluss auf die Belegung einer Station, Gestaltung der Freizeit, die Benutzung der Küche und Sportgeräte genommen wird.

In den Großzellen in der JVA Waldheim - wie auch in einem geringeren Maß in der JVA Torgau – wird dazu entsprechende Kultur gepflegt: Von Rangordnung und der gesamten Symbolik der Naziszene bis hin zu täglichem Singen des »Deutschland-Liedes« mit anschließendem minutenlangen »Sieg-Heil, Juden verreckt, Kanacken verreckt, Deutschland den Deutschen«- Gegröhle. Der Habitus einzelner Gefangener, die nicht aus rechten Zusammenhängen kommen und qua zugewiesener Station in diesen Zustand hinein gezwungen werden, passt sich sehr schnell an. Bis hin zur Glatzenpflicht in einigen Zellen. Einzelnen Gefangenen wurden in solchen Zellengewaltsam die Haare abrasiert. Es gibt nur wenige Gefangene, die mutig genug sind und die Kraft haben, sich dem sofort und konsequent zu entziehen.

Man darf dabei nicht aus dem Blick verlieren, dass allein schon eine sich verweigernde Haltung ganz real mit der Gefahr verbunden ist, auf der Stelle zusammengetreten zu werden. Individuell bleibt dem Bedrohten oft keine andere Alternative, als sich auf einer der sogenannten »Sicherheitsstationen« - also in Absonderung von allen anderen Bereichen des Knastes - wegbunkern zu lassen, da es in beiden Knästen keine Station gibt, auf denen er geschützt vor Angriffen wäre. In Knästen wie Waldheim und Torgau sind Antifas, Leute aus dem linken/autonomen Spektrum – ohne zu polemisieren - teilweise in Lebensgefahr. Dasselbe gilt aber auch für Schwule, Punks, Migranten .... Alles, was nicht in das rechts-chauvinistische Raster passt, wird dort Ziel von direkten Angriffen.

Aktive Nazis und rassistische Schließer

Sowohl in der JVA Torgau als auch in der JVA Waldheim gibt es Gefangene aus dem Spektrum der
Kameradschaften, die während der Aufschlusszeiten in ihren Zellen sogenannte »Schulungen« durchführen. (...) Ich denke, dass die naheliegende Vermutung zutreffend ist, dass diese Gefangenen die Nahtstelle u.a. zur HNG, aber auch zur NPD sind. Diese Schulung ist übrigens eine Praxis, der sich auch der verurteilte ehemalige NPD-Vorsitzende Günter Deckert in der JVA Bruchsal bedient hat, um neben Mitgliederwerbung für die NPD geschichtsrevisionistische Thesen und ein deutsch-nationales, rassistisches Weltbild unter Gefangenen zu verbreiten. Während meines Aufenthalts in der JVA Bruchsal 1996 sprach mich einer von Deckerts Handlangern an, ob ich nicht interessiert sei, »mit guten Freunden und Kameraden« an einem »privaten Gesprächskreis deutscher Gefangener« teilzunehmen.

Dass Deckert nicht nur weiter indoktriniert und seine rechte Hetze verbreitet hat, sondern offensichtlich auch bestrebt war, rechte Strukturen aufzubauen, wurde mehrfach durch regionale Antifa-Gruppen und das freie Radio Karlsruhe öffentlich gemacht, hatte aber keinerlei Konsequenzen. (...) Verschärft wurde dieser Zustand durch eine nationalistische und/oder rassistische Einstellung großer Teile der Beamtenschaft in der JVA Torgau und in Waldheim, die mir - so offen - vorher nirgendwo begegnet ist. Rassismen wie »Fidschi«, »Polacke« und »Kameltreiber« - um nur einige Beispiele willkürlich aus einer ganzen Palette auszuführen - sind alltäglicher Sprachgebrauch, ohne dass dem nennenswert widersprochen wird. Gegen Nicht-Deutsche Gefangene wird bei Alltagskonflikten häufiger Gewalt seitens der Beamten eingesetzt.

Die HNG auf Mitgliederwerbung

Auf die JVA Schwalmstadt, in der ich momentan einsitze, ist diese Zustandsbeschreibung nicht übertragbar. Der Anteil derjenigen Gefangenen, die aus rechten Zusammenhängen kommen, istgering. Aktuell werden - soweit mir bekannt - drei Gefangene in der JVA von der HNG betreut. Dass HNG-Mitglieder als Besucher in die Anstalt kommen, ist durch folgendes persönliches Erlebnis dokumentiert. Anfang Mai saß ich mit FreundInnen im Besucherraum, als ein älteres Paar an unseren Tisch kam. Offensichtlich kannten die beiden denjenigen, den sie erwarteten nicht. Ich wies sie auf den Irrtum hin und kurz darauf kam dann ein Gefangener zu ihnen, von dem mir bekannt ist, dass er dem Kreis rechter Schläger zuzuordnen ist.

Die Gesichter des Paares waren mir aus Veröffentlichungen antifaschistischer und antirassistischer Gruppen zur HNG bekannt, die mit entsprechendem Bildmaterial versehen waren. Bei dem Paar handelte es sich eindeutig um HNG-Mitglieder. Warum sie dachten, dass ich der Gefangene sei, den sie besuchen wollten, war auch klar: Einige Tage zuvor hatte ich mir eine super-kurze Sommerfrisur zugelegt und war im Raum der einzige, der ihrem Raster entsprach ... In der JVA Torgau habe ich einen jungen Mitgefangenen kennen gelernt, dem von der HNG »Betreuung« angeboten wurde. Stichwortartig stellte sich sein Weg dorthin wie folgt dar: Eingeknastet wegen Drogenabhängigkeit und Beschaffungsdelikten, wurde er auf einer Station mit einem hohen Anteil rechter Gefangener untergebracht.

Über den Alltag und den Gruppendruck kam er in diese Strukturen rein. Nach Konflikten mit dem Wachpersonal und Mitgefangenen wurde er auf die Absonderungsstation verlegt. Ende letzten Jahres nahm die HNG brieflich Kontakt zu ihm auf - auf Initiative der Glatzen der Station, auf der er vorher war. Sinngemäß schrieben die HNG`ler: Sie wären darauf aufmerksam gemacht worden, dass er aufgrund dessen, dass er seine Rechte als Deutscher auch im Knast eingefordert habe und dafür kämpfte, Repressalien unterworfen sei. Und sie würden ihm Hilfestellung sowohl persönlicher als auch juristischer Art anbieten. Auch würden sie ihn gerne besuchen kommen.

Hierarchien entstehen über Nationalität

Bei einem großen Teil der deutschen Gefangenen hier herrscht eine rassistische Einstellung vor, die in Gesprächen und Diskussionen sehr deutlich wird. Da hat sich - mit Blick auf die letzten zehn Jahre – einiges verändert. Wurde früher von Gefangenen die Trennlinie untereinander über Zuweisungen wie Verräter, Spitzel, Opportunist ... gezogen, verläuft sie heute signifikant entlang der Nationalität. Nicht Einsperrung, totale Institution, administratives Handeln werden als genuines Problem und Angriffspunkt gesehen, sondern alles, was dem halluzinierten Kollektiv Deutscher (Gefangener) nicht zugehört.

Tatsächlich haben sich Gefangene aufgrund eines vermeintlichen Ungleichgewichts in der Zusammensetzung von deutschen und nicht-deutschen Gefangenen in Ausbildungslehrgängen mit der Forderung an das Hessische Justizministerium gewandt, mit deutschen Steuergeldern gefälligst auch deutsche Gefangene zu resozialisieren. Auch wenn teilweise Versatzstücke aus der Müllkiste des Nationalismus eingebaut sind, würde ich nicht von einem geschlossenen rechten Weltbild reden. Vielmehr davon, was sich gesamtgesellschaftlich durch alle Verhältnisse zieht: Rassistische Normalität.

Die rassistische Einstellung einiger Beamter findet hier in Schwalmstadt mehr auf der Ebene persönlicher Äußerungen ihren Ausdruck, bestätigt und verstärkt durch entsprechende Einstellungen deutscher Gefangener. Um die Probleme zu lösen, halte ich es für den grundfalschen Ansatz, nach Autorität und Institution zu plärren. Vielmehr müßten Formen der Selbstorganisierung unter nicht-rechten Gefangenen gefunden werden, die diese Gefahr zumindest minimieren kann. In Anbetracht der realen Verhältnisse will sich allerdings bei mir kein Jota Optimismus einstellen.

  • 1Auszüge aus Lutz Baldings Brief wurden im Juni 2001 bei »Politik in Hessen«, Hessischer Rundfunk, Beitrag über die »Hilfsorganisation für nationale Gefangene und ihre Angehörige e.V.« (HNG) veröffentlicht.