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Nika-Konferenz III: "How we win"

TOP B3RLIN (Gastbeitrag)
Einleitung

Bei der dritten Nika-Konferenz wurde darüber diskutiert, wie linker Antifaschismus langfristig wieder in die Offensive kommen kann.

Foto: Tim Lüddemann CC BY-NC-ND 2.0

Wie die Zeit vergeht. Auch die Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“ (Nika) gibt es nun seit mehr als drei Jahren. Sie wurde Anfang 2016 unter dem Motto „gegen die Festung und ihre Fans“ von verschiedenen linksradikalen Gruppen gegründet. Ziel war, dem Ping-Pong des Grauens zwischen den Faschisten der „neuen Rechten“ und der sogenannten Mitte der Gesellschaft samt ihrer Abschottungspolitik etwas entgegenzusetzen. Jenseits der üblichen Formen antifaschistischer Einpunkt-Mobilisierungen sollte eine niedrigschwellige Mitmachkampagne den bundesweiten Rahmen bieten, um die Normalisierung der Rechten nach dem „Summer of Migration“ praktisch zu stören und die eigene Organisierung kontinuierlich zu stärken. Seitdem ist einiges passiert; sowohl im Rahmen der Kampagne wie im Rest der Gesellschaft. Der Versuch der Etablierung einer rechten Hegemonie zeigte sich dabei vielleicht am deutlichsten an den penetranten Versuchen, ausgerechnet den „offenen Dialog“ mit den Rechten zum Ausweis demokratischer Gesinnung zu verklären. Nachdem die AfD im Herbst letzten Jahres auch in die letzten zwei Landtage einzog, Horst Seehofer immer noch Innenminister ist und die extrem rechte Regierung in Österreich fest im Sattel sitzt, wurde im Januar an der Humboldt Universität in Berlin die naheliegende Frage diskutiert: How we win?1

Mehr als 400 Aktivist_innen, aus dem gesamten Bundesgebiet, Österreich, Tschechien, Großbritanien und anderen Teilen Europas diskutierten in diesem Sinne inhaltliche Fragen, wie z.B. die Analyse der autoritären Formierung oder die Bedeutung von Feminismus, Antirassismus und einer neuen Klassenpolitik. Bemerkenswert war dabei, dass ein antirassistischer Feminismus von Aktivist_innen aus verschiedenen Ländern inzwischen als zentraler Ansatzpunkt für eine Verbreiterung linker Politik benannt wurde. In der inhaltlichen Auswertung der Konferenz scheint uns darüber hinaus zweierlei klar: Zum einen sollte sich die antifaschistische Linke vom medialen Gegenwind nicht verwirren lassen. AfD und Co stehen für einen modernisierten Faschismus, der die klassische, bewegungsförmig organisierte Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, eine auf territoriale Zugewinne orientierte Expansion und eine auf strikte völkische Homogenität ausgelegte Politik des historischen Faschismus flexibilisiert. Nun geht es um eine autoritäre Wende innerhalb der bestehenden Institutionen: Ausnahmezustand und Verselbstständigung der Exekutive werden selektiv in den Rechtsstaat integriert, diktatorische Elemente (Präsidialdemokratie) in den Parlamentarismus eingebaut. Diese interne Wendung macht den neuen Faschismus nicht weniger gefährlich. Weder ist seine weitere Radikalisierung bei einer Verschärfung der Krisen ausgeschlossen; zwischen dem offenen Faschismus wie in der Türkei und einem vermeintlich kommoden Reaktionär wie Alexander Gauland liegt manchmal nur eine Wirtschaftskrise2 .

Noch sollte das Gewaltpotential einer illiberalen Demokratie in den Zentren des Kapitalismus unterschätzt werden: Wenn sich der autoritäre Wettbewerbsstaat von Menschen- und Minderheitenrechten „befreit“ und seiner ideologischen Rechtfertigungszwänge entledigt, macht das weitaus brutalere Politiken als heute möglich. Der Begriff „Rechtspopulismus“ ist daher längst eine unglückliche Verharmlosung. Die orthodoxe Fixierung auf den historischen Faschismus samt seiner damaligen Entstehungsbedingungen, die den Begriff neunmalklug bloß für eine vergangene Epoche reservieren will, verkennt die Wandelbarkeit des Faschismus und tendiert ebenfalls zur Verharmlosung.3  Denn auch wenn bestimmte Faktoren heute so nicht vorliegen (wie z.B. eine starke Arbeiter_innenbewegung, gegen die sich der historische Faschismus richtete) ist doch der faschistische Modus gleich geblieben – der Ansatz, angesichts einer multiplen Krise des Kapitalismus, das Glück des einzelnen Menschen mit offener Begeisterung dem „Wohlergehen von Staat und Nation“ unterzuordnen. Dass auch der „liberale“ Standortnationalismus und seine marktkonforme Demokratie das Glück von Menschen massenhaft durchstreichen, widerspricht dem nicht. Vielmehr markiert die faschistische Identifikation mit der nationalistischen Auslöschung des Individuums einen Umschlag von Quantität in Qualität, der die radikale Linke dazu zwingt, auch den neuen Faschismus als spezifische Form kapitalistischer Krisenlösung mit eigener Dynamik ernst zu nehmen.

Zum anderen scheint uns als Ergebnis der Konferenz klar, dass der neue Faschismus nur eine autoritäre Formierung der Gesellschaft verschärft, die ihm vorausgeht. Gemeinsame Grundlage ist die Verschärfung des Kampfes um ein Stück vom Kuchen in der Weltmarktkonkurrenz. Die Wette der neuen Faschisten und ihrer „autoritären Demokratie“ ist schlicht, dass die liberalen Demokratien „in den kommenden Jahrzehnten nicht imstande sein werden, ihre globale Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten“ (Victor Orban). Sie haben die Erbarmungslosigkeit der ökonomischen Konkurrenz auf ihrer Seite. Denn inhaltliche Klammer der autoritären Formierung ist die Sorge um den nationalen Standort in einem rauer werdenden Kapitalismus. Ihm sollen Bedürfnisse und Interessen der einzelnen Menschen untergeordnet werden. Diese politische Ökonomie des Rechtsrucks erklärt auch, warum jede Politik, die diese Konstellation nur besser verwalten will, mit schlafwandlerischer Sicherheit nach rechts treibt. Im jeweiligen Ausmaß scheiden sich dabei, wie gesagt, die Geister, aber der Ansatz verbindet Grüne wie Boris Palmer, Sozis wie Andrea Nahles und „Linke“ wie Sahra Wagenknecht mit den Gaulands der AfD und Seehofers der Union. Hier ziehen wir einen klaren Trennstrich zu allen Akteur_innen von Abschiebung und Abschottung. Denn die rechte Offensive kann nicht durch Anpassung an sie gestoppt werden.

Doch auch wer den zivilgesellschaftlichen Schulterschluss mit dem Neoliberalismus von Macron und Merkel sucht, kämpft auf verlorenem Posten. Kulturelle Emanzipation gegen ökonomische Fragen auszuspielen, besorgt das Geschäft der Rechten und die Opposition gegen eine Ordnung, die das Elend hier und anderswo massenweise produziert, im Sinne einer schwarz-grünen Staatsräson den Rechten zu überlassen, ist keine gute Idee. Gegen den Rückzug auf den Nationalstaat setzen wir daher vielmehr auf grenzübergreifende Solidarität und antikapitalistische Konflikte. Das heißt: Wenn wir mit bürgerlichen Kräften zusammenarbeiten, müssen wir sie auch in die Verantwortung nehmen für das, was sie möglich machen. Dafür braucht es nicht nur Antifaschismus, sondern auch Klassenkampf – d.h. den Mut, den Konflikt mit den ProfiteurInnen des Krisenkapitalismus zu suchen und z.B. ihre #Enteignung ins Spiel zu bringen. Wie die Entwicklung einer grenzübergreifenden antikapitalistischen Praxis als zweitem Standbein der antifaschistischen Linken genau aussehen kann, dafür gibt es von der solidarischen Stadt bis zum Amazon-Logistikcenter und dem Frauenstreik inzwischen einige Versuchsfelder. Gemeinsame Herausforderung scheint hier, wie es gelingen kann, jenseits der Teilbereiche gemeinsam sichtbar zu werden und den Rechten samt ihrer Spaltung in „Innen und Außen“ endlich das Skandal-Monopol zu nehmen – und es durch den Konflikt „Oben gegen Unten“ zu ersetzen.

Antifa Skillsharing

Zugleich wurden bei der Konferenz in verschiedenen Workshops praktische Techniken geteilt und die regionale Vernetzung gestärkt. Die erweist sich als relativ erfolgreich: Inzwischen gibt es Nika-Bündnisse bereits in Hamburg, NRW, Berlin, Bayern und Sachsen. Auch praktische Absprachen wurden getroffen. In diesem Jahr sollen nach dem 8. März und der Europawahl vor allem der Wahlkampf der AfD bei den Landtagswahlen im Osten, wo in Sachsen eine Öffnung der Union für Koalitionen mit der extremen Rechten droht, der gemeinsame Orientierungspunkt werden. Denn auch wenn die autoritäre Formierung eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung ist, ist die AfD doch ihr organisatorisches Rückgrat. Sie professionalisiert und institutionalisiert sich, faschisiert Institutionen wie Polizei, Militär und Justiz von innen und kann Dank öffentlicher Gelder, Spenden und Mitgliedsbeiträge expandieren. Ihre Niederlage muss Mindestmaß und zugleich die unwichtigste Forderung sein. Darunter geht nichts, darüber geht es um alles. Aber ihre Infrastruktur wie ihre Normalisierung in der Öffentlichkeit sind angreifbar: Die kleinteiligen Aktionen gegen die Infrastruktur der AfD, wie in Berlin z.B. die Mobilisierung „Kein Raum der AfD“, zeigen bereits einige Erfolge4 .

Offenbar ist es möglich den Rechten im Alltag das Leben schwer zu machen, obwohl sie im Bundestag sitzen. Zweiter wichtiger Praxis-Punkt: Organisierung und Vernetzung! Denn die Gesellschaft wird nicht einfach insgesamt „rechter“. Der Faschismus polarisiert – und das ist auch eine Chance für die antifaschistische Linke. Aber um die Polarisierung nutzen zu können, müssen wir uns organisieren. Der Aufruf war in Berlin daher klar: Schaffen wir niedrigschwellige Angebote, die für all jene wahrnehmbar sind, die wütend sind und Angst haben, aber nicht wissen was sie (alleine) tun können. Bieten wir offene Treffen für Interessierte an; Bauen wir ein, zwei, drei, viele Jugendantifagruppen auf! Die Organisierten sollten den (noch) unorganisierten Anlaufpunkte bieten und ihnen helfen, eigene Gruppen und Strukturen zu schaffen. So verstetigen wir den Kampf gegen den neuen Faschismus und werden handlungsfähiger. Dafür müssen wir ansprechbar sein – und ansprechen. Radikalität und Verständlichkeit schließen sich dabei nicht aus. Also raus aus der eigenen, antifaschistischen Blase. Je mehr unsere Sprecher_innen in der Presse zu Wort kommen, desto besser. Instagram, Facebook und Twitter sind nicht unsere Freunde, aber die Plattformen mit der höchsten Reichweite und der Möglichkeit direkter Kommunikation mit Vielen, die verteilt und vereinzelt sind. Zugleich gilt: Pressearbeit, Videos, Flyer und Social Media sind schön und gut, aber ansprechbar sein heißt auch im „Real life“ vor Ort zu sein.

Außerdem wurde davor gewarnt, alte strategische Fehler zu wiederholen. Die deutliche Artikulation der eigenen Kritik und erfolgreiche Bündnisarbeit sind keine Gegensätze. Im Gegenteil: Bündnisse sind wichtig – umso mehr, je tiefer man in der Provinz ist. Wo weder Zivilgesellschaft noch Gegenkultur existiert, müssen sie aufgebaut werden. Wo sie vorhanden sind, gilt es sie innerhalb von Bündnissen mit pointierten Aktionen bei Demonstrationen, Kundgebungen u.ä. auf ihre blinden Flecken hinzuweisen. Differenzierung ist dabei wichtig: Ein defensiv auf Wahlen ausgerichtetes „Aufstehen gegen Rassismus“ eröffnet uns weniger Möglichkeiten, als der Grundkonsens von #unteilbar, der immerhin schon die soziale Frage mit Freiheitsrechten und Antirassismus zusammen denkt. Dabei gilt es immer auch das Aktionsfeld zu erweitern und die Bündnispartner dazu zu bringen, Stellung zu beziehen. Eine Kundgebung gegen einen AfD-Stand oder -Parteitag ist schön, aber kein AfD-Stand oder -Parteitag sind viel schöner – und im Bereich des Möglichen. Unsere Erfahrung zeigt: Wenige Organisierte können reichen, um aus einer passiven Menge eine aktive Blockade zu machen. Wir sollten nicht vergessen, dass auch die Verhinderung von NPD-Demos lange Zeit nur ein Ziel der autonomen Antifa war. Es ist nicht unmöglich, dass AfD-Parteitagen dasselbe Schicksal widerfährt. Natürlich: Damit unterlaufen wir tatsächlich einen in alle Richtungen „offenen Diskussionsprozess“, aber das aus Gründen. Denn indem der Faschismus zahllose Menschen aufgrund von Zuschreibungen, für die sie nichts können, ausschließt, schließt er sich selbst aus der Debatte aus. Insofern sind wir gerne die „intolerante Antifa“. Wir tolerieren keinen Faschismus und auch niemanden, der ihm eine Plattform bietet. Auch 20 Prozent Rechte sind weniger ein Problem als ein gesellschaftliches Umfeld, das sie zwanghaft zum Diskussionspartner adeln möchte. Veranstaltungen mit FaschistInnen müssen daher mit uns rechnen. Und auch wenn es nicht immer gute Presse bringt: Diese Form des antifaschistischen Spielverderbertums gilt es weiter konsequent umzusetzen – ob in der Uni, der Schule, dem Betrieb oder im Kiez.

Insgesamt wurde bei der Konferenz in Berlin klar: Wieder in die Offensive zu kommen, wird für die antifaschistische Linke eher Marathonlauf als Sprint. Wir sollten uns also auf langfristige Arbeit, neue Ideen und kontinuierliche Organisierungsprozesse einstellen. Keinen Grund aber gibt es die eigene Ohnmacht ausgerechnet jetzt zum Programm zu erheben. Die Affäre um den ehemaligen Verfassungsschutz-Präsidenten Maaßen hat gezeigt, dass die faschistischen Träume selbst im repressiven Staatsapparat noch nicht in den Himmel wachsen – und was eine gesellschaftliche Gegenmobilisierung bewirken kann. Von der Feuerwehrpolitik weg, aus dem Verteidigungsmodus raus und langfristig wieder in die Offensive zu kommen, das ist jetzt die Aufgabe.