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#Polizeiproblem: NSU 2.0-Drohbriefeserie unaufgeklärt rechte Netzwerke bei Polizei aufgedeckt

Einleitung

Seit 2018 hält eine Serie von rechten Drohschreiben an, bei denen diverse Prominente und Politiker*innen über SMS, E-Mail und Faxnachrichten bedroht und beleidigt werden. Auffällig ist dabei, dass in vielen Fällen mit nichtöffentlichen, privaten Daten der Betroffenen geprahlt wird. Unterschrieben sind die Schreiben vielfach mit „NSU 2.0“, zeitweilig aber auch mit „Staatsstreichorchester“, „NationalSozialistischeOffensive“ (NSO) und anderem.

Bild: Screenshot tagesschau

Anfangs deutete sich ein schneller Ermittlungserfolg an, als im April 2019 André Maaß aus Halstenbek (Kreis Pinneberg) als ein Urheber ermittelt wurde. Er steht bis heute deswegen in Berlin vor Gericht. Zum Prozessauftakt wurden Bombendrohungen verschickt. Er gilt als Autor der NSO-­Schreiben. Allerdings hörte die Serie nach seiner Festnahme nicht auf. Vielmehr wurde durch die weiteren Schreiben und Ermittlungen deutlich, dass die Daten der Betroffenen vielfach zuvor auf Polizeicomputern abgefragt wurden.

Ursprünglich begonnen hatte die Serie im August 2018 mit einem Fax an die Frankfurter NSU-Nebenklageanwältin Seda Başay-Yıldız, in der ihre im Melderegister gesperrte Privatanschrift und Namen von Angehörigen genannt werden. Bei den Ermittlungen kommt heraus: Am Tag des Faxes wurden diese Daten vom Account einer Polizistin im 1. Frankfurter Polizeirevier abgerufen, in dem an diesem Tag 14 Personen arbeiteten. Eine Auswertung ihres Handys nach einer Durchsuchung brachte eine Chatgruppe zutage, in der Polizisten aus dem Revier sowie ein Beamter aus Alsfeld und eine Privatperson rassistische und NS-verherrlichende Nachrichten ausgetauscht hatten. Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass eine Person aus dieser Gruppe die Daten illegal abgefragt und das Drohschreiben verschickt habe: Der 31-jährige Polizist Johannes S.

Die Schreiben gingen weiter, immer mehr Menschen erhielten Todesdrohungen, die Ermittlungen weiteten sich aus und förderten immer mehr rechte Vorfälle in Hessen zutage. Ein Polizist in Dieburg (Südhessen) fragte für ein Mitglied der Neonazigruppe „Aryans“ private Daten ab, vier Polizisten der Polizeistation in Schlüchtern hissten am Holocaust-Gedenktag absichtlich die Flaggen verkehrtherum, zwei Polizisten in West- und Osthessen wurden suspendiert wegen Nähe zu Reichsbürgern. Zeitweilig wurden gegen mehr als 70 Polizisten in Hessen wegen solcher Fälle ermittelt. Bei Razzien gegen die zwei Polizisten-Brüder Marcel und Fabian G. aus Kirtorf wurde ein „museal eingerichtetes Zimmer mit diversen NS-Devotionalien“, bestehend aus „historischen Wehrmachts- und SS-Uniformen, Fahnen, Plakaten, Orden und Abzeichen“ entdeckt. Auf ihren Facebookprofilen fanden sich mehrere rechte Accounts und der Neonazi Glenn Engelbrecht in den Freundeslisten.

Immer wieder wurden auch bundesweit illegale Datenabfragen vor den neuerlichen Drohungen festgestellt. So im 3. Revier in Wiesbaden, mehrere Dienststellen in Berlin (u.a. Neukölln und Spandau) und Hamburg (Mitte und Neugraben).

Bei dem ehemaligen bayerischen Polizisten Hermann Stöckl in Landshut-Auloh, der bereits in der Vergangenheit wegen rechtsmotivierter Straftaten polizeilich in Erscheinung getreten sein soll, an AfD-­Veranstaltungen teilgenommen hatte und unter dem Pseudonym „Eugen Prinz“ für das islamfeindliche Portal „PI-News“ schrieb, wurden illegale Waffen (Schlagringe, zwei Pistolen und eine Pumpgun) entdeckt. Er gilt mittlerweile zusammen mit seiner Frau als Urheber von zwölf Schreiben, jedoch als „Trittbrettfahrer“.

Der Verfahrenskomplex macht ein Muster deutlich, das in letzter Zeit immer häufiger zu beobachten ist. Über eigentlich andere Ermittlungen gegen Polizisten werden auf beschlagnahmten Geräten rechte Vernetzungen aufgedeckt. Zuletzt Mitte September in NRW: Gegen einen 32-jährigen Beamten wurde wegen „Verletzung von Dienstgeheimnissen“ ermittelt, sein Handy beschlagnahmt und darauf mehrere Chatgruppen gefunden, in denen Polizisten Neonazi-Propaganda und rassistische Inhalte geteilt haben. 34 Dienststellen und Wohnungen wurden durchsucht, mindestens 126 Bilder waren strafrechtlich relevant.

Nachtrag

Mitte Dezember 2020 wurden Indizien bekannt, das möglicherweise der 33-jährige Berliner Emil A. hinter den "Die Musiker des Staatsstreichorchesters" stecken könnte. Englische Ermittler kamen dem italienischer Staatsangehörigen Emil A. nach einem Erpressungsversuch gegen den britischen Gesundheitsdienst auf die Spur und ließen ihn Mitte Juni 2020 in Berlin verhaften. Mit dem Zeitpunkt endete auch die Serie der Drohungen. Emil A. soll mit einer "combat18@xxx"-E-Mail-Adresse einen Bombenanschlag auf ein Krankenhaus angedroht haben, um zehn Millionen britische Pfund in Bitcoins zu erpressen.