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Professionelle Beratung und Unterstützung von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

Einleitung

Vor etwa 20 Jahren begann die Initiative Opferperspektive (OPP) die bundesweit erste spezialisierte Beratungsstelle für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt aufzubauen (siehe AIB Nr. 48 / 3.1999). Sie machte sich auf, um die Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt professionell und nachhaltig zu unterstützen. Damals war die gesellschaftliche Situation davon geprägt, dass rechte Gewalt einfach verschwiegen und verharmlost wurde und die Opfer dieser Attacken, ihre Familien und Freund_Innen auch nach schwersten Gewalttaten allein dastanden.

Foto: Christian Ditsch

Mahnwache für den Flüchtling Farid Guendoul, von Freunden auch Omar Ben Noui genannt, der von rechten Jugendlichen in Guben 1999 zu Tode getrieben wurde.

 Die OPP erklärte 1999 in einem Interview mit dem AIB: „Die Zielrichtung unserer Arbeit steht insofern im Gegensatz zu den in der Gesellschaft über­wiegenden Diskursen und den daraus entwickelten Handlungskonzepten, die sich überwiegend mit den Tätern auseinandersetzen. (...) Wir leben in Brandenburg - und wir denken, das gilt genauso für andere Gebiete im Osten - in einem gesellschaftlichen Klima, das stark von Rassismus und völkischem Nationalismus geprägt ist. Gerade unter Jugendlichen ist ein sogenannter ,rechter Lifestyle‘ weit verbreitet. Jugendliche, die sich dem nicht anpassen wollen, werden verdrängt oder kaum unterstützt. ,No-Go-Areas‘ durchziehen das ganze Land.

Heute ist die gesellschaftliche Situation davon geprägt, dass in Brandenburg 60 Prozent und in Sachsen 70 Prozent der AfD-Wähler_Innen aus Überzeugung eine ultrarechte Partei wählen. Sie ist auch davon geprägt, dass der langjährige CDU-­Regierungspräsident von Kassel, Dr. Walter Lübcke, Opfer eines neonazistischen Mordanschlags wurde und es nur kurze Zeit später einen Mordanschlag auf einen eritreischen Geflüchteten in Wächtersbach gab. Schon damals erklärte die OP: „Eine einzelne rechte Gewalttat wirkt dabei nicht nur auf die direkt Betroffenen, sondern auf ein ganzes Kollektiv, das pauschal als ,Ausländer‘ oder ,Zecken‘ bezeichnet wird. Alle sollen eingeschüchtert werden.“ Die Opferperspektive in Brandenburg gibt es noch immer. Inzwischen ist sie Teil eines großen, bundesweiten Netzwerkes von unabhängigen und spezialisierten Beratungsstellen mit eigenem Dachverband.

Seit 2016 existieren in allen Bundesländern spezialisierte Beratungsstellen. In den ostdeutschen Bundesländern seit rund 20 Jahren, in den westlichen nahmen vor rund zehn Jahren erste Beratungsstellen ihre Arbeit auf. Auf einem Symposium anlässlich ihres Jubiläums war es ihnen wichtig deutlich zu machen, dass es breite gesellschaftliche Bündnisse der Solidarität mit den Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Bedrohung und Gewalt braucht. Oder wie die OPP es schon  damals formulierte: Ziel sei es „eine gesellschaftliche Solidarisierung mit den Opfern rechtsextremer Gewalt zu mobilisieren. Die Folgen eines Angriffes sind für den Einzelnen erträglicher, wenn es Leute gibt, die konkrete Hilfe anbieten und die Betroffenen nicht alleine lassen.“

Eine Solidarität des langen Atems

In den vergangenen zwei Jahrzehnten unter­stützten die Opferberatungsstellen mehrere tausend Menschen bei der Bewälti­gung körperlicher, psychischer und materieller Angriffsfolgen. Und dennoch sind tausende alleine geblieben, hatten keine Unterstützung, keine Hilfe. Und noch immer werden viele Betroffene in klassischer rassistischer Täter-Opfer-Umkehr verdächtigt, kriminalisiert und gesellschaftlich isoliert. Die Opferberatungsstellen gehen offen mit ihren Grenzen um und machen deutlich, dass diese Grenzen nur gemeinsam überwunden werden können – in Diskussionen und Debatten unter solidarischen Menschen, Initiativen und Gruppen.

Mit der aufsuchenden Arbeit sind die Opferberatungsstellen täglich in ganz Deutschland unterwegs und ihr Engagement ist heute so wichtig wie vor 20 Jahren. Denn die dramatischen Veränderungen im gesellschaftspolitischen Klima bekommen zu aller erst die Menschen zu spüren, die sie beraten. Viele Berater_Innen sind fast sprachlos darüber, dass Rassismus, Antisemitismus und Menschenverachtung wieder so schnell gesellschaftsfähig – ja mancherorts sogar mehrheitsfähig werden konnten. Inzwischen vertritt jeder dritte Mensch rassistische Positionen. In Ostdeutschland ist es sogar jeder zweite. Rassismus und Antisemitismus sind die Katalysatoren für Diskriminierungen und rechte Gewalttaten. Beides hat in einem Maße zugenommen, dass die Angriffszahlen der 1990er Jahre längst erreicht sind, dass zumindest legen die Angriffsstatistiken der Opferberatungsstellen nahe. Allein in den ostdeutschen Bundesländern registrieren sie vier gewalttätige Übergriffe pro Tag.

Auf dem Jubiläumssymposium der Beratungsstellen wurde in vielen Diskussionen deutlich, dass Antirassist_innen und Antifaschist_innen nur gemeinsam gegen die rechten Hetzer und Menschenfeinde  und ihre Ideologien stark sind. Und mehr denn je – und genau wie Ende der 1990er Jahre müssen sie davon überzeugt sein, dass Solidarität die Antwort sein muss.

Eine Übersicht über alle Beratungsstellen für Betroffene, rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt gibt es unter verband-brg.de/beratung.