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Rechter Terror in Berlin-Neukölln

Einleitung

Seit zwei Jahren terrorisiert eine Handvoll Neonazis in Berlin linke und zivilgesellschaftliche Projekte und Aktivist_innen mit Anschlägen. Schwerpunkt der Taten liegt im Bezirk Neukölln.
Die Polizei wirkt überfordert und stellt die Verfahren reihenweise ein. 

Eines der zerstörten Autos nach einem Neonazi-Brandanschlag im Juli 2016.

Den Auftakt bildete ein Brandanschlag auf den Neuköllner Wagenplatz „Kanal“ im Mai 2016. An sechs Stellen bricht nahezu zeitgleich Feuer aus, während die Bewohner_innen in ihren Wägen schliefen. Es gelang die Brandherde schnell zu löschen, der Schaden blieb überschaubar. Einen halben Monat später werden das Auto einer Aktivistin in Rudow angesteckt und in derselben Nacht Scheiben in Gropiusstadt und Nord-Neukölln eingeschmissen. Es folgen in den kommenden Monaten ähnliche Aktionen gegen Lokalpolitiker_innen, Aktive aus örtlichen Initiativen und linke Aktivist_innen. Scheiben von Wohnungen werden eingeworfen, PKWs angezündet und an Hauswände Drohungen gesprüht. Die zeitlichen Abstände wurden dabei immer geringer, die Ziele in den Nächten immer mehr. So wurden am 12. Dezember 2016 nicht nur zwei Wohnungen mit Farbflaschen und zwei weitere mit Steinen attackiert, es wurde auch versucht, ein Feuer am linken Café „K-Fetisch“ zu legen, das sich im Erdgeschoss eines Wohnhauses befindet. Der Tod von Menschen wurde dabei billigend in Kauf genommen.

Erst mit der wachsenden öffentlichen Thematisierung der Angriffe stieg der Druck auf Politik und Polizei, die schließlich Ende Januar 2017 auf Betreiben des Innensenators die Ermittlungsgruppe „RESIN“ (Rechte Straftaten in Neukölln) einrichtete. Ergebnisse gibt es bislang keine, auch hörten die Anschläge nicht auf. In vielen Fällen wurden die Ermittlungen sogar schon eingestellt. Bis heute wurden seit Mai 2016 von der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin“ (MBR) 51 Angriffe gezählt. Davon sind 16 Brandanschläge, zumeist auf PKWs. Der letzte Fall war eine Drohsprüherei an ein Wohnhaus im Mai 2018. Der Großteil der Taten fand in Neukölln statt.

Standardrepertoire der Berliner Neonaziszene

Neu an dieser Art von Angriffen sind weder die gezielte Auswahl der Orte und Personen noch die Aktionsformen und auch nicht die erfolglosen Ermittlungen der Polizei, sondern lediglich die Intensität, mit der die Taten begangen wurden. Schon 2011 versuchten Neonazis in einer Nacht fünf Berliner Hausprojekte anzuzünden, das Jugendzentrum Anton-Schmaus-Haus in Britz wurde in dem Jahr zweimal angesteckt. Brandanschläge auf Autos und Sprühereien an Wohnhäusern gehören ebenso seit Jahren zum Repertoire der Neonazi­szene.

Damals gingen die Anschläge überwiegend von Neonazis aus dem Netzwerk „NW-Berlin“ aus, die sich unter diesem Label zum Teil auch zu ihren Taten bekannten und auf ihrer Homepage Adressen und Namen als potentielle Angriffsziele publizierten. Bereits damals musste über lange Zeit politischer Druck aufgebaut werden, damit die Polizei ernsthafte Bemühungen anstellte, gegen das Netzwerk vorzugehen. Obwohl die Berliner Neonaziszene überschaubar ist und es wenig Zweifel gab, aus wem „NW-Berlin“ bestand, verliefen die Ermittlungen im Sande (Vgl. AIB Nr. 111). Verfahren u.a. gegen den Dortmunder Neonazi Dennis Giemsch, der beschuldigt wurde, den Server zur Verfügung gestellt zu haben, wurden eingestellt. Der damalige Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke wurde im Mai 2014 erstinstanzlich verurteilt, eine falsche eidesstattliche Versicherung über seine Rolle bei „NW-Berlin“ abgegeben zu haben, das Verfahren wurde aber Anfang diesen Jahres nach einem Deal mit dem Gericht eingestellt.

Auch bei der Neuköllner Anschlagsserie zeichnet sich ein ähnlicher Verlauf ab. Schon früh haben Antifas konkrete Verdächtige aus der überschaubaren Neonaziszene Neuköllns präsentieren können, gegen die sich später die polizeilichen Ermittlungen richteten. Sebastian Thom, der frühere Chef der Neuköllner NPD, die seit jeher enge personelle Überschneidungen mit dem „NW-Berlin“- Netzwerk und anderen „Autonomen Nationalisten“ aufwies, kam im Mai 2016 aus dem Gefängnis — genau zu dem Zeitpunkt, als die Anschlags­serie begann. Thom gilt als eine Art „Ziehsohn“ des in den 1990er Jahren militanten Anti-Antifa-­Aktivisten Oliver Werner, der wegen Verstoß gegen das Sprengstoff- und Waffengesetz, Zuhälterei, Körperverletzung und Sachbeschädigung vorbestraft ist. (Vgl. AIB Nr. 92). Zu einer Hausdurchsuchung kam es im Februar 2018, fast zwei Jahre nach Beginn der Anschläge.

Den ehemaligen Neuköllner NPD-Kandidaten Julian Beyer, wie Thom einschlägig vorbestraft, traf es bereits im Juni 2017, weil er von der Polizei verdächtigt wurde, als Betreiber einer Facebook-Seite zum 9. November 2016 eine Karte mit 68 jüdischen Adressen unter der Überschrift „Juden unter uns“ veröffentlicht zu haben. Dort wurden auch Karten mit Adressen von Asylunterkünften und linken Läden wie dem „K-Fetisch“ verbreitet. Auch gegen ihn wird zur Anschlags­serie ermittelt.

Zeitgleich mit Thom bekam auch Tilo Paulenz Besuch von der Polizei. Er fiel erstmals 2003 auf, als er Teil einer 20-köpfigen Gruppe Neonazis war, die mit Baseballschlägern und Flaschenwürfen Jagd auf Migrant_innen auf einem Straßenfest in Britz machte. Er ist mittlerweile in der Neuköllner AfD. Paulenz organisierte u.a. im November 2017 eine Saalveranstaltung der AfD in Neukölln mit Guido Reil und Andreas Kalbitz. Damals im Publikum: Sebastian Thom und Harald B., der durch einen Schweinekopf-Anschlag auf die Neuköllner Sehitlik-Moschee 2012 bekannt geworden und ebenfalls der örtlichen Neonaziszene zuzurechnen war. Auch Fotos einer Veranstaltung mit dem Berliner AfD-Vorsitzenden Georg Pazderski im September 2016 in Rudow zeigen nicht nur Paulenz, sondern neben ihm auch B. und Thom.

Trotz der Durchsuchungen und anderen Ermittlungen wie Telekommunikationsüberwachungen und Observationen, wie Ermittler in einem ZEIT-Interview freimütig erzählen, blieben Ergebnisse bislang aus. Angeblich hätten sich die Neonazis „über die Jahre zu Profis entwickelt. Sie verabreden sich nicht über SMS oder WhatsApp, prahlen nicht im Netz mit ihren Aktionen, kommen nicht mehr in den alten Szenekneipen zusammen. Entsprechend nutzlos ist die Überwachung ihrer digitalen Kommunikation, das Mitlesen ihrer Chats, das Mitschneiden ihrer Telefongespräche“, heißt es in dem Artikel.

Ob die Täter wirklich so agieren oder einfach den Ermittlern der Wille zur Aufklärung fehlt, kann dahingestellt bleiben. Doch welche Schlüsse lassen sich, auch über Berlin hinaus, aus dieser Anschlagsserie ziehen?

Was tun?

Die geschilderten Fälle zeigen, auf die Polizei zu hoffen, führt zu nichts. Wichtig ist es, politische und praktische Antworten auf die Taten zu geben. Die Parole „getroffen hat es Einzelne, gemeint sind wir alle“, trifft auch hier zu. Zum einen muss Betroffenen solidarisch zur Seite gestanden werden, zum anderen müssen kollektive Antworten gefunden werden, wobei das Rad nicht neu erfunden werden muss. Vielmehr sollten bekannte Konzepte wieder nachhaltiger angewandt und sich im Vorfeld Gedanken über drohende Gefahren und Gegenmaßnahmen gemacht werden. Am besten sind Projekte, WGs und Aktivist_innen im Kiez bereits im Vorfeld vernetzt, um bei Beobachtungen und Angriffen zeitnah reagieren zu können. Es gilt ganz real, „den antifaschistischen Selbstschutz (zu) organisieren“.

Neonazis betreiben seit Jahren Anti-­­ Antifa-Arbeit, mittlerweile professioneller als früher. Dies muss ihnen nicht durch einen sorglosen Umgang mit persönlichen Daten zum Beispiel in sozialen Netzwerken erleichtert werden. Eine Sensibilisierung dafür sollte auch verstärkt in politischen Kreisen erfolgen, die sich nicht auf klassische Anti-Naziarbeit konzentrieren. Die Anschlagsserie zeigt, dass es den Neonazis egal ist, ob z.B. Feminismus, Gewerkschaftsarbeit oder Mietenpolitik das Politikfeld ist, ob Linksradikale oder bürgerliche Zivilgesellschaft: Sie alle sind als politische Gegner_innen potentielle Angriffsziele.

Kampagnen wie „Nazis auf die Pelle rücken“, die nach den Brandanschlägen 2011 stattfanden, sind ein gutes Beispiel, wie auf solche Aktionen reagiert werden kann. Mit größeren Demonstrationen, sowohl als Zeichen der Solidarität in den eigenen Stadtteilen wie auch in den vermeintlichen Rückzugsräumen der Neonazis sowie parallelen Aktionen wurde sowohl der Druck auf die Neonaziszene erhöht, als auch ihre Handlungsräume eingeschränkt. Eine schwache Neonaziszene wie in Berlin, die ihre politische Bedeutungslosigkeit und personelle Schwäche mithilfe solcher Anschläge zu kompensieren versucht, in ihrer Gefährlichkeit zu unterschätzen, könnte sich sonst rächen.