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Schulterschluss von NPD und Militanten

Einleitung

Des Öfteren wurde im Antifaschistischen Infoblatt (AIB) über die Berliner Neonazi-Szene und über die Nichtexistenz einer wirklichen Kaderebene geschrieben. Auch die Irrelevanz der Berliner NPD war im AIB bereits mehrfach Thema. Doch ausgerechnet durch den NPD-Bundestagswahlkampf ist etwas Bewegung in die Strukturen der Hauptstadt gekommen, und nach den Verboten mehrerer Kameradschaften in diesem Jahr scheint sich diese Szene zu straffen und an klareren Hierarchien auszurichten. Bei dieser Neuordnung wird sogar die sonst eher verschmähte NPD einbezogen, die den Aktivisten der verbotenen Kameradschaften dann auch gleich noch ihre Bundeszentrale zur Verfügung stellt.

Der Berliner MHS-Chef Gabriel Landgraf (links) und Kristian L. (rechts) rangeln unter der Fahne der NPD mit der Polizei. Hier bei einem Durchbruchsversuch »Freier Kameradschaften« am 1. Mai 2004 auf einer NPD-Demonstration in Berlin.

Partei als Deckmantel für Neuordnung der Berliner Kameradschaftsszene

Nach den Verboten der Berliner Alternative Süd Ost (BASO) und der Kameradschaft Tor (KS-Tor) mitsamt ihrer Mädelgruppe im März dieses Jahres erhofften sich die Sicherheitsbehörden eine Destabilisierung der Kameradschafts-Szene und spekulierten auf weitere Zersplitterung. Ein halbes Jahr nach diesen Verboten der zentralen Berliner Neonazi-Kameradschaften lässt sich das absolute Scheitern dieser Ziele konstatieren. Beide Strukturen bestehen in denselben Personenzusammenhängen weiter und im Fall der Kameradschaft Tor wird intern sogar noch der gleiche Name verwendet. Auch ihr öffentliches Auftreten hat sich in keiner Weise geändert – sieht man vom Verzicht auf die Namen einmal ab. Klandestine Aktionen wie das Sprühen von Nazi-Parolen sowie das Durchführen von Demonstrationen haben seit den Verboten eher zugenommen. Die Zahl der begangenen Straftaten dieses Personenkreises ist ebenfalls eher angestiegen. Sieht man von einer kurzen Phase der Irritation unmittelbar nach den Verboten ab, hat sich für diese Kameradschaften nicht viel geändert.

Aus drei mach vier

Geändert hat sich in Berlin jedoch, dass in dieser Irritationsphase eine andere Organisation Fuß fassen konnte und direkt Führungsanspruch anmeldete: der Berliner Ableger des Märkischen Heimatschutzes (MHS) aus Brandenburg. In der Berliner Sektion, die aus 14 Mitgliedern besteht, sind teilweise auch Kader der verbotenen Kameradschaften untergekommen. Diese straff organisierte Gruppe ist direkt der Brandenburger Hauptsektion des MHS unterstellt und führt auch Teile der Mitgliedsbeiträge an diese ab. Im Gegensatz zu ihrem Brandenburger Pendant sind die Aktivitäten der Berliner Sektion fast ausschließlich nach innen gerichtet. So sind bisher weder Aufkleber und Flugblätter des Berliner MHS in der Öffentlichkeit aufgetaucht, noch wurde – von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen – an Aufmärschen mit eigenen Transparenten teilgenommen. In der Öffentlichkeit tritt der MHS selten nach Sektionen getrennt auf, sondern versucht vielmehr das Bild einer einheitlichen Gesamtorganisation in die Öffentlichkeit zu tragen. In Berlin hat sich der MHS vor allem um eine Vernetzung der Szene bemüht, dabei jedoch deutlich gemacht, dass ihm dabei eine Führungsrolle zukommen müsse. Dieses Ansinnen stieß vor allem bei der KS Tor auf Widerstand, und Konflikte waren vorprogrammiert. So ist seitdem nur noch selten ein gemeinsames Auftreten der Berliner Neonazi-Szene auf Aufmärschen zu verzeichnen.

Während die KS Tor zum Beispiel am 1. Mai nach Leipzig zu einem Aufmarsch »Freier Kameradschaften« mobilisierte, nahmen die Kader des MHS an einer NPD-Demonstration durch Neubrandenburg teil. Mit dabei auch die Berliner MHS-Aktivisten Andreas Th. und Gabriel Landgraf. Bei der Wunsiedel-Ausweichdemonstration am 20. August in Berlin waren anfangs auch nur Kader der alteingesessenen Berliner Kameradschaften anwesend, während der MHS nach Magdeburg mobilisierte. Erst als die Magdeburger Demonstration endgültig verboten wurde, drehte der Bus des MHS kurzerhand um und stieß mit einiger Verspätung zum Berliner Aufmarsch hinzu, der sich allerdings schon in Bewegung gesetzt hatte.

Auch im Vorfeld des in Wunsiedel geplanten Heß-Gedenkens gab es Streit in Berlin, da sowohl der MHS als auch die KS Tor Busse nach Wunsiedel organisiert hatten, und der MHS die Karten für seinen Bus um 6 Euro billiger anbot als die KS Tor. Nichtsdestotrotz hat sich unter Beteiligung des MHS in Berlin nach Informationen aus der Neonazi-Szene ein monatliches Koordinationstreffen aller relevanten Gruppierungen etabliert. Dabei ist es wohl der Nähe des MHS zur NPD geschuldet, dass diese Treffen pikanterweise auch in der Köpenicker Bundeszentrale der NPD stattfanden. Auch sind bei diesen Treffen Vertreter der Berliner NPD anwesend. Darunter Eckart Bräuniger, der schon des öfteren durch seine Nähe zur militanten Kameradschafts Szene auffiel. Präsent sind auch Protagonisten der nunmehr verbotenen Kameradschaften KS Tor, ANSDAPO 1 (Brandenburg), BASO sowie die Neonazigruppierungen »Vandalen – ariogermanische Kampfgemeinschaft« und »Lichtenberg 35«.

Eine der zentralen Figuren beim Zustandekommen dieser Treffen ist ausgerechnet der in der einigen Teilen Berliner Szene unbeliebte BASO-Anführer René Bethage, der sich bisher bürgernah und wenig radikal gab. Bei diesen Zusammenkünften geht es hauptsächlich um Informationsaustausch über bereits gelaufene oder geplante Aktionen. Auch der Wahlkampf der NPD war immer wieder Thema. Diesen Treffen ist es wohl auch geschuldet, dass ein Großteil der Aktivisten der verbotenen Kameradschaften die in den letzten Jahren nicht mehr aktive Berliner NPD Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) wiederbelebte und im Gegenzug der MHS-Chef Gordon Reinholz als Direktkandidat für die Berliner NPD antrat. Entsprechend gestaltete sich auch der Wahlkampf der Hauptstadt-NPD. An zahlreichen Infoständen prägten jugendliche Neonazis in schwarzem Outfit und mit verspiegelten Sonnenbrillen das öffentliche Auftreten der Partei. An manchen Samstagen wurden mit Hilfe dieser Bündnispartner gleich mehrere Infostände durchgeführt, anschließend demonstrierte man noch spontan durch Berlin. So scheint sich in diesem Feld der Stil der KS-Tor – ein politisch völlig beliebiger Aktionismus – vorerst durchgesetzt zu haben, nahmen doch auch mehrere Aktivisten des MHS an derartigen Aktionen teil.

Doch die Verbundenheit des MHS mit der NPD wird noch an weiteren Stellen deutlich. So trifft sich die Berliner MHS-Sektion in einem Büro der NPD in Berlin Lichtenberg. In klandestin angemieteten Räumlichkeiten in der Siegfriedstraße werden immer dienstags die Ziele und Aktionen der Berliner Sektion besprochen und ausgewertet. Auch über die Aufnahme oder Ablehnung von Anwärtern für die Berliner Sektion wird nach Angaben eines Informanten dort verhandelt. In diesem Büro fanden bereits Kameradschaftsabende der NPD statt, auf denen dem MHS die Inhalte und Programmatik der Partei nähergebracht werden sollten und über diese diskutiert wurde. Ergebnis war eine spätere gemeinsame Schulung von NPD und MHS. Anhänger des MHS fuhren am 16. Mai nach Sachsenhausen und ließen sich hier von NPD-Kader Frank Schwerdt im Demonstrationsrecht schulen. Auch zur DVU in Brandenburg scheinen Verbindungen zu existieren. So nahmen MHS-Aktivisten an einem Sommerfest der DVU in Seefeld teil, an dem sich auch die (verbotene) ANSDAPO beteiligte. Auf dieser vom Barnimer DVU-Kreisvorsitzenden Klaus Mann organisierten Feier gab es allerdings Differenzen zwischen Anhängern des MHS und DVU-nahen Neonazi-Skinheads. Die Auseinandersetzung endete schließlich in einer brutalen Massenschlägerei. Für den MHS Anlass genug, sich in der Szene für ein nochmaliges Überdenken der »Volksfrontidee« auszusprechen. Mit Blick auf die Wahlkampfunterstützung der NPD scheint dieser Gedanke jedoch schnell verworfen worden zu sein.

Fazit

Während die NPD in vielen anderen Bundesländern darum bemüht ist, sich von radikalen und straffällig gewordenen Anhängern zu distanzieren, übt sie in Berlin den Schulterschluss mit dem militanten Kern der Szene. Die Verlockungen, in der Hauptstadt ein Bein auf den Boden zu bekommen, scheinen einfach zu groß. So ist die Partei in Berlin momentan der Steigbügelhalter für den Fortbestand der verbotenen Kameradschaften. In ihrem Wahlkampf vereinigt sie zum Teil auch Straftäter und überzeugte Nationalsozialisten unter ihrem legalen Dach und stellt dafür auch Infrastruktur der Bundes-NPD zur Verfügung. Dies alles findet unter den Augen der Berliner Behörden statt, deren Handlungsmaxime gegenüber Neonazis schon immer »beobachten« statt »tätig werden« war. So sind die Verbote von BASO und KS Tor wirkungslos verpufft und können nur als Augenwischerei bezeichnet werden. Während die verbotenen Kameradschaften fortbestehen können, haben sie unter aktiver Mithilfe der NPD in der Berliner JN auch längst eine legale zweite Heimat gefunden.

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