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Sicherheit für Deutsche

Einleitung

Bürgerwehren bieten der extremen Rechten ein neues Aktionsfeld. Ob im sächsischen Übigau oder in Düsseldorf: Selbsternannte Bürgerwehren laufen „Streife“ und wollen für das sorgen, was sie unter „Ordnung“ verstehen. Rassismus und gewalttätige Allmachtsfantasien inklusive.

Foto: mkorsakov; CC BY-NC-SA 2.0

Nach den Silvesterereignissen in Köln gab es kein Halten mehr. Der mediale Diskurs um die Kölner Silvesternacht verlieh rassistisch konnotierten Unsicherheitsdebatten die bisher höchste Aufmerksamkeit. Hooligangruppen, sonst primär am Fankult für Fußballclubs interessiert, verkündeten, es sei nun Zeit, sich  für die Sicherheit von „uns Deutschen“ zu engagieren. Doch das Geschehen in Köln war nur der Katalysator für einen seit Mitte 2015 einsetzenden Boom des Aufrufes zur Gründung von Bürgerwehren. Bereits im Februar 2015 wandte sich die „Leipziger Bürgerwehr“ an Social Media-Nutzer_innen. Man suche Spenden für die eigene Ausrüstung: Funktechnik und stichfeste Westen.

In Magdeburg machte Ende vergangenen Jahres eine „Bürgerwehr Magdeburg“ von sich reden. Nach der Vergewaltigung einer Frau durch einen afghanischen Asylsuchenden brachen sich die Gewaltfantasien nicht nur virtuell Bahn. Hooligans und Neonazis verabredeten sich via Internet zur Jagd auf Migran­t_innen. In einer geschlossenen „Bürgerwehrgruppe“ auf facebook, in der sich Hooligans und Aktivisten der Partei „Die Rechte“ tummeln, erging man sich in Gewalt­aufforderungen gegenüber Geflüchteten und lokalen Politiker_innen von Grünen und Linken.

Gerüchte, Kriminalitätsangst, Rassismus

Eine Zutat, die dem Diskurs über die angebliche Notwendigkeit von Bürgerwehren Nahrung gibt, sind Gerüchte über Asylsuchende. Diese kursieren nicht nur in rassistischen Foren. Nachrichten über angeblich straffreien massenhaften Ladendiebstahl durch Geflüchtete finden im Netz — auch in unpolitischen Kontexten — weite Verbreitung. Verstärkt wird die Glaubwürdigkeit und Reichweite solcher Gerüchte durch den wiederkehrenden Verweis, dass Behörden wie Polizei und Justiz aus der Politik angewiesen seien, über die Kriminalität von Geflüchteten zu schweigen. Aus Debatten um die Innere Sicherheit ist bekannt, dass einem einmal angelaufenen Unsicherheitsdiskurs mit Zahlen und Fakten nicht beizukommen ist. Mag die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, noch so gering sein; politische und mediale Diskurse um Kriminalität personalisieren und emotionalisieren das Kriminalitätsgeschehen. Im Mittelpunkt steht der Einzelfall, nicht seine statistische Relevanz. So befördern solche Debatten die Ethnisierung und Diskriminierung ganzer Gruppen.

Bürgerwehr als Männerbund

Es sind zumeist Männer, die sich dazu berufen fühlen, als Hilfsheriffs aufzutreten. In Internetforen lassen sich zahlreiche Gruppen finden, die verkünden, zur Stabilisierung der öffentlichen Sicherheit in ihrem Ort beitragen zu wollen und darauf eine durchaus hohe Zustimmung erfahren. Die heutige digitale Infrastruktur gibt den selbsternannten Bürgerwehren technische Mittel in die Hand, über die früher nur die Polizei verfügte. So verabreden sich UnterstützerInnen aus face­book-Foren zu Streifen durch Stadtteile, Einfamilienhaussiedlungen und Kleingärten. Nachrichten über tatsächliche oder vermeintliche lokale Schwerpunkte von Einbrüchen machen die Runde. Dass im Mittelpunkt dieser Rundgänge nicht die soziale Nachbarschaftshilfe, sondern die reaktionären und rassistischen Weltbilder ihrer Mitglieder stehen, wird in Berichten klar, aus denen hervorgeht, wie die selbsternannten Ordnungswächter agie­ren. Da werden Migrant_innen observiert oder arglose Bürger_innen unter Verdacht gestellt, die es wagen, mit ortsfremden Kennzeichen mehrfach die Hauptstraße zu kreuzen, oder sich sonstwie ortsunkundig verhalten.
Dass sich Waffennarren, Uniformfetischisten, Rocker und Neonazis von Initiativen zur Gründung von Bürgerwehren magisch angezogen fühlen, liegt auf der Hand. Die Vorstellung, die Ausübung von Recht und Gewalt in die eigenen Hände nehmen zu können, weckt die autoritären Selbstermächtigungsfantasien dieser Gruppen. Wer sich die Profile der UnterstützerInnen von Bürgerwehrgruppen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen oder auch NRW ansieht, findet dort prominente und weniger prominente Neonazis, die aus ihrer Gesinnung keinen Hehl machen. Und so waren manche öffentlich angekündigten Patroulliengänge einem demonstrativen Schaulaufen der neonazistischen Szene nicht unähnlich. Ihre Wirkung erzielen die Bürgerwehren mit den Mitteln der Psychologie. Patroulliengänge stellen eine soziale Raumnahme dar. So demonstrieren rechte Bürgerwehren, welche Ordnung es ist, die sie meinen. Ihre symbolische Sanktionsmacht ist adressiert an das Unsicherheitsgefühl der Bürger_innen und ihre Vorstellungen von migrantischen Straftätern. Ebenso wird an die Überzeugung rechter Milieus adressiert, die poli­tische Klasse mache den Staat und die Innere Sicherheit zur Beute ihrer Flücht­lingspolitik und dagegen müsse man sich aktiv wehren.

Juristisch ist die Lage klar. Auch wenn Uniformen und ein polizeiähnliches Auftreten es vielleicht nahelegen, verfügen Bürgerwehren über keinerlei Kontroll- oder Exekutivrechte. Sie unterliegen dem sogenannten „Jedermannsrecht“. Demnach kann jede Person durch Maßnahmen der Notwehr Straftaten verhindern und Straftäter bis zum Eintreffen der Polizei festhalten. Personenkontrollen und Platzverweise oder die Anwendung unmittelbaren Zwangs sind tabu.
Die Politik reagiert ambivalent auf das Phänomen der Bürgerwehren. Während die AfD Sachsen-Anhalt etwa in ihrem Wahlprogramm eine „Bürgerwehr“ im Status einer Hilfspolizei fordert, sehen andere Politiker_innen das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt. Zugleich jedoch erwägen einige Bundesländer wie z.B. Sachsen die Ausbildung einer ebensolchen Hilfs- bzw. Wachpolizei, die bei der Bewältigung der Aufgaben im Kontext der Aufnahme von Geflüchteten helfen soll. Die Befürwor­ter_innen beteuern die sorgfältige Auswahl der Bewerber_innen für diese Jobs. Die Praxis hingegen ist ernüchternd. Die in Westberlin im Kalten Krieg rekrutierte „Freiwillige Polizeireserve“ (FPR) erwies sich als Sammelbecken für Neonazis und Kriminelle und musste 2002 aufgelöst werden. Dass in diesem Metier der Bock schnell zum Gärtner gemacht wird, zeigen die bundesweit zahlreichen Beispiele von Neonazis, die in der Securitybranche tätig sind. Viele verdienen ihr Geld ausgerechnet mit der Bewachung von Geflüchtetenunterkünften, bis Medien oder antifaschistische Gruppen diesen Umstand thematisieren.

Kritik am Konzept Bürgerwehr kommt von den Polizeigewerkschaften, die deren Entstehung als Beleg für ihre These heranziehen, die angeblich dramatische Kriminalitätsentwicklung, steigende Gewaltbereitschaft und der abnehmende Respekt gegenüber Polizist_innen verweise auf einen dringenden Handlungsbedarf bei der personellen, finanziellen und technischen Ausstattung der Polizei. Dass es zugleich aber innerhalb der Polizei durchaus Symphatiebekundungen für autoritäre Selbstermächtigungsfantasien aus dem rechten Wutbürgermilieu gibt, wurde exemplarisch dort deutlich, wo Polizisten gezielt Informationen über politische Gegner_innen an die regionale rechte Szene durchreichten oder sich positiv zu Forderungen von PEGIDA äußerten.

In der extremen Rechten haben Bürgerwehren eine lange zurückreichende Tradition. Die Vorstellung, sich alsbald in einem Bürgerkrieg gegen Migrant_innen zu befinden, ist Gegenstand der Texte zahlreicher RechtsRock-Songs, in denen offensiv das Prinzip Bürgerwehr propagiert wird. Nicht selten stehen die historischen Freikorpsverbände hierfür Pate. Die paramilitärischen Freikorps der frühen 1920er Jahre rekrutierten ihre Mitglieder nicht nur aus Soldaten der Reichswehr, sondern auch aus den gegenrevolutionären „Einwohnerwehren“, die in Straßenkämpfen und Fememorden ihrem Haß gegenüber Liberalismus, Marxismus und „liberaler Dekadenz“ Ausdruck verliehen. Die Rhetorik vom bevorstehenden Bürgerkrieg gehört zum Argumentationsarsenal neonazistischer, rechtsintellektueller und rechtspopulistischer Diskurse, und treibt die Ethnisierung von Diskursen um Unsicherheit und Kriminalität voran.