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Von Lichterketten und Scherbendemos

Einleitung

Reaktionen und Gedenkkulturen nach Neonazi-Morden

Die Liste der durch neonazistische Gewalt ermordeten Menschen seit 1990 ist lang. Gleichzeitig ist auffällig, bei wie wenigen der Taten überhaupt noch einige der Eckdaten im kollektiven Gedächtnis verankert sind.

Bild: attenzione-photo.com

Die Namen der von Neonazis ermordeten Amadeu Antonio, Frank Böttcher oder Marinus Schöberl wecken sofort Assoziationen. Amadeu Antonio starb am 6. Dezember 1990 in Eberswalde nach einem Angriff durch eine große Gruppe neonazistischer Skinheads. Die Polizei griff nicht ein, die Täter wurden lediglich wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt, das Gericht sprach von »jugendtypischen Verfehlungen«. Der Mord an einem Familienvater, kurz nach der von der BRD feierlich begangenen Wiedervereinigung, sorgte für größte Aufmerksamkeit – der Prozess wurde international beachtet. 1998 gründete sich die Amadeu-Antonio-Stiftung und sorgt so im Bereich der zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Rechts  für eine nachhaltige Präsenz dieses ersten Neonazi-Opfers.

Am 8. Februar 1997 wurde Frank Böttcher in Magdeburg an einer Straßenbahnhaltestelle von Neonazis mit Messern angegriffen und starb wenig später (vgl. AIB 38). Die Täter fühlten sich von Franks Zugehörigkeit zur Punkerszene »provoziert«. Die Polizei ging nach der Tat nicht von einem neonazistischen Täter aus. Die seit Jahren anhaltende rechte Gewalt und die Existenz einer großen Neonazi-Szene in Magdeburg wurden dabei verharmlost und ausgeblendet. Erst als sich die Wut tausender Demonstrant_innen während der Trauerdemo für Böttcher in Angriffen auf Neonazis und Läden in der Innenstadt entlud, fing die Presse an, sich stärker für den Fall zu interessieren.

Marinus Schöberl starb am 13. Juli 2002 in Potzlow. Die Täter aus der Neonaziszene hatten ihn stundenlang gefoltert und anschließend seine Leiche vergraben (vgl. AIB 58 & 60). Erst ein halbes Jahr später wurde sie entdeckt und die Täter zu hohen Haftstrafen verurteilt. Neben der Grausamkeit war es besonders das Verhalten vieler Bewohner_innen von Potzlow, welches die Gemüter erregte. Erstes Anliegen der Bürgerversammlung war es, einen Imageschaden vom Dorf fernzuhalten. Anstatt die Ursachen der Tat im Umgang innerhalb der Gemeinde zu suchen, vertrat der Bürgermeister, Marinus Schöberl sei schlicht »zur falschen Zeit am falschen Ort« gewesen. Dennoch wurde der Fall Potzlow durch die Thematisierung in Filmen, Büchern und Theaterstücken bundesweit bekannt und als Paradigma für eine dörfliche Kultur der Sprachlosigkeit und alltäglichen Brutalität berüchtigt.

Lichterketten...

Rückblick: Der Beginn der 1990er Jahre war von einer unvorstellbaren Wucht an rassistischen Angriffen und Morden geprägt. Rostock, Mölln und Solingen – Die Tatorte sind noch heute Synonyme für neonazistische Gewalt in Deutschland, die Namen der Menschen, die dabei umkamen, sind dagegen bis heute weitgehend vergessen. Im November 1992 starben die Kinder Yeliz Arslan und Ayse Y?lmaz sowie die 51-jährige Bahide Arslan bei einem rassistischen Brandanschlag in Mölln. In Solingen im Mai 1993 töteten neonazistische Täter mit einem Brandsatz die Kinder Hülya Genç, Gülüstan Öztürk und Saime Genç, sowie die Erwachsenen Hatice Genç und Gürsün Ince.

Vor dieser Kulisse einer ausufernden Neonazigewalt entstand eine eigene Form der »Gedenkkultur« – die bundesweit organisierten Lichterketten. Unterstützt von Parteien und Medien sollte mit diesen Lichterketten dem Ausland das »andere« Deutschland gezeigt werden. Sie hatten enormen Erfolg: hunderttausende Menschen in zahlreichen Städten beteiligten sich. Sie waren ein stiller Protest und Gedenken an die von Neonazis ermordeten und gegen rassistische Gewalt. Dass die Lichterketten einen so durchschlagenden Erfolg hatten lag auch daran, dass sie ein niedrigschwelliges Angebot für all diejenigen waren, die ein Zeichen gegen die Neonazigewalt setzen wollten, aber nicht wussten wie.

...und die Kritik daran

»Solange Lichter nur / in Händen brennen / können Millionen auf die Straße geh’n / solange Lichter nicht / in Köpfen brennen / ist damit überhaupt noch nichts geschehen/« (Punk Band Slut’s’N, 1994. Lichterkette.)

Von der radikalen Linken wurden diese Lichterketten als verlogen abgelehnt. Während gegen die Pogrome von der Polizei nur zögerlich bis gar nicht vorgegangen wurde, war gegen Antifa-Demos hart durchgegriffen worden. Anstatt dass sich aufgrund der Morde die Politik auf die Seite der Angegriffenen stellte, wurde das Asylgesetz verschärft und damit dem rassistischen Mob ein Sieg zugestanden. Die Bilder von hunderttausenden friedlich-kerzenhaltenden Deutschen wurden dafür genutzt, das Ausland zu besänftigen. Ausländische Investitionen sollten nicht gefährdet – die Beunruhigung der ehemaligen Alliierten über zunehmenden Rassismus in Deutschland zerstreut werden. Besonders makaber wirkte in diesem Zusammenhang der Kommentar des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum neonazistischen Brandanschlag in Lübeck 1996, bei dem zehn Menschen starben: »Sollte es sich wieder um einen rechten Anschlag handeln, dann reißt mir allmählich der Geduldsfaden, dann gibt es wieder Lichterketten«1 .

Doch entwickelte die linksradikale Szene, außer der Ablehnung der staatlich unterstützten Form des Gedenkens, eigene Wege mit dem Andenken an die Opfer umzugehen?
Nach Neonazimorden wurde häufiger auf direkte Aktion gegen Neonazistrukturen vor Ort gesetzt, so z.B. nach dem Mord an dem Hausbesetzer Silvio Meier 1992 in Berlin:
»Ich kann mich noch an die Nacht erinnern, als Silvio Meier [...] von Nazis erstochen wurde. [...] Am nächsten Tag gab es eine Spontandemo mit 2000 Leuten. Jetzt war der Hass da. Wir zogen zum nächsten Naziclub. Immer wieder lösten sich Gruppen aus der Demo heraus, die sich mit allem, mit Feuer und Eisenstangen dem Gebäude annahmen, in dem sich zu dem Zeitpunkt kein Mensch befand. Als die Demo vorbei war stiegen Rauchschwaden aus dem Laden auf.«2

Jedes Jahr um den Todestag organisieren lokale Antifa-Gruppen Aktionswochen, Veranstaltungen und eine Demonstration. Geprägt ist diese Form des Gedenkens von jugendkulturellen Angeboten. Es ist mittlerweile ein wichtiges Ereignis, bei welchem jugendliche Antifaschist_innen über den Erlebnischarakter der Veranstaltungen mit politischen Themen und Gruppen in Kontakt kommen. Doch auch radikale Linke lehnten nie pauschal stillere Formen des Gedenkens ab. So gab es zum Todestag Silvio Meiers auch immer Mahnwachen am Tatort, wo Angehörige, Freund_innen und Anwohner_innen gemeinsam in stillerer Atmosphäre des Toten gedachten. Am Tatort wurde eine Gedenktafel angebracht. Mittlerweile gibt es die Initiative, eine Straße nach Silvio Meier zu benennen.

Gedenkmuster?

Die meisten Toten seit 1990 haben allerdings aus verschiedenen Gründen nicht die gleiche Aufmerksamkeit erfahren. Weder wurden Stiftungen nach ihnen benannt, noch gab es wütende Demonstrationen. Anhand dieser Schlaglichter auf verschiedene Neonazimorde und dem Umgang damit, stellt sich die Frage, nach welchen Mechanismen das Gedenken an einige Opfer auch noch Jahre später fortlebt, während andere schnell vergessen werden.

So makaber es auch klingen mag, sorgten gerade skandalöse Ermittlungen der Polizei, die besondere Brutalität des Angriffs oder die falsche Darstellung von Politiker_innen und Presse oft dafür, dass der Mord doch noch traurigen Ruhm erlangte. Schlampige Arbeit und offensichtliches Desinteresse der Polizei, sich mit dem Fall zu beschäftigen, lösten den Ehrgeiz von engagierten Journalist_innen, Antifa – und Opfergruppen aus, durch die Herstellung einer breiten Öffentlichkeit die Tat bekannt zu machen. Diese öffentlichen Skandalisierungen beschleunigten oft die Ermittlungen. War das Opfer des Neonaziangriffs Teil einer politischen oder (sub-)kulturellen Bewegung, wurde der Angriff meist nicht nur als Mord an einem Einzelnen, sondern als Angriff auf die gesamte Szene bewertet. Tödliche Angriffe auf Punks, wie Frank Böttcher, oder Hausbesetzer, wie Silvio Meier, hätten genauso gut jeden anderen aus diesen Subkulturen treffen können, weswegen sich schnell viele solidarisierten.

Auch gute Kontakte der Angehörigen und Freundinnen zu Journalist_innen, entschieden oft, ob ein Angriff in breitem Umfang skandalisiert wurde – insbesondere wenn es darum ging, den Fall überregional bekannt zu machen. Presse und Fernsehen zeigten dabei meist erst größeres Interesse, wenn es bei Gedenkdemos zu Randale kam. Auch eine internationale Aufmerksamkeit sorgte dafür, dass über einige Taten breit berichtet wurde.

Nach dem Mord an der Ägypterin Marwa al Sherbini 2009 im Landgericht Dresden sorgten Demonstrationen von tausenden Ägypter_innen sowie die Furcht vor einer Verschlechterung diplomatischer Beziehungen zu dem arabischen Land dafür, dass der Fall in jeder deutschen Zeitung breite Aufmerksamkeit erhielt. Die meisten Angehörigen von Opfern neonazistischer Gewalt hatten allerdings nicht das Glück, dass eine breite Bewegung einsetzte, um den Tod aufzuklären oder die Täter zu bestrafen. Viele der Angehörigen und Freunde hatten auch nur selten selbst die Möglichkeit, ihrer Wut und Trauer Ausdruck zu verleihen. Sie wurden ja gerade deswegen Opfer neonazistischer Gewalt, weil sie sich außerhalb der Mehrheitsgesellschaft befanden. Obdachlose und Asylbewerber_innen haben weder eine starke Lobby, noch haben sie die Mittel und Kontakte, um sich Gehör zu verschaffen. Gelingt es ihnen doch, schlägt dies manchmal gegen sie selber zurück.3

Neben einer Position am Rand der Gesellschaft, aus der es schwer ist sich Gehör zu verschaffen, trug oft auch eine Individualisierung des Falles zu dessen Entpolitisierung bei. Die Psyche der Täter, Demütigungen und Traumatisierungen in deren Kindheit galten vor Gericht oder in der Presse oft als entscheidendere Faktoren um die Tat zu erklären, als die von den Tätern selbst gewählte Nähe zur neonazistischen Szene. Oft sorgte auch ein gesellschaftliches Umfeld das sich mit den Tätern solidarisierte dafür, dass eine Thematisierung der Tat schnell versandete.4

In solchen Fällen wurden nicht die neonazistischen Täter als die Bedrohung des (meistens) dörflichen oder kleinstädtischen Friedens wahrgenommen, sondern die »Leute von außen«, die den Vorfall aufdeckten und Konsequenzen forderten. Oft war es für Angehörige und Freunde des Opfers sehr schwer, mit dem Schock und der Trauerbewältigung umzugehen. Viele zogen ein stilles Abschiednehmen und Verkraften der neuen Situation einer wütenden Skandalisierung vor, bei der es nicht ausbleibt, dass sie über Wochen hinweg im Rampenlicht stehen müssen.

Viele Wege – Ein Ziel

Verschiedene Antifagruppen versuchten auch immer wieder Morde an Menschen zu thematisieren, die über keinerlei gesellschaftlichen Rückhalt verfügten. So wurden regelmäßig Demonstrationen zum Todestag von Dieter Eich organisiert, einem Obdachlosen,  der im Jahr 2000 in Berlin-Buch erschlagen wurde. Auch wenn diese Demonstrationen bislang nur selten Wirkung über den engeren Kreis von meist jüngeren Antifa-Aktivist_innen hinaus entfalteten, bleiben sie wichtig und richtig. Nicht nur aus moralischen Gründen. Mit diesen Demonstrationen, Veranstaltungen, Plakaten oder You-Tube-Videos im Gedenken an Dieter Eich wird eine Sensibilisierung für Gewalt gegen Minderheiten geschaffen, die vielleicht hilft, zukünftige Morde zu verhindern. Andere Initiativen wie z.B. »Siempre Antifascista« (siehe AIB 89: »Siempre Antifascista 2010«), versuchen das Gedenken in einen internationalen Kontext zu stellen und darüber eine Vernetzung und die Etablierung eines Gedenktages zu erreichen. Das Ursachengeflecht in allen Fällen von Neonazimorden seit 1990 ist vielschichtig und lässt sich nur selten abstrakt behandeln.

Eins taucht dabei jedoch immer wieder auf: Eine Weltanschauung, die auf Ungleichwertigkeit von Menschen aufbaut und die Gewalt gegen Bevölkerungsgruppen, die in den Augen der Mehrheitsgesellschaft als Außenseiter oder fremd gelten, als legitim auffasst. Mordtaten geschehen nur äußerst selten aus dem Nichts heraus. Fast immer gibt es eine Vorgeschichte, die sich in den meisten Fällen stark ähnelt: Ein Verharmlosen und Ignorieren von Neonazis in der Region, eine teilweise Schnittmenge der Wertesysteme zwischen Neonazis und einem Teil der Bevölkerung (auch der Polizei) und dem Fehlen von antifaschistischen Strukturen vor Ort. Hierdurch kann sich eine Kultur der Gewalt und Überlegenheit erst etablieren.

Es stellt sich die Frage, wie die Antifa-Bewegung in Zukunft auf Neonazimorde angemessen reagieren kann. Wütende und direkte Protestaktionen haben weiter ihre Notwendigkeitund sorgen oft erst für die nötige Aufmerksamkeit und den erwünschten politischen Druck auf Öffentlichkeit, Polizei und Justiz. Trotzdem sollte sich eine Antifa-Bewegung, die breite Bündnisse zur Abwehr neonazistischer Gewalt schließen will, auch Gedanken über ruhige und kontinuierliche »Rituale« machen, die auch für Menschen Attraktivität besitzen, die sich nicht zur hauptsächlich jugend-kulturell geprägten Antifa-Szene rechnen. Mahnwachen wie im Gedenken an Silvio Meier wären eine Möglichkeit, aber auch Konzerte, Wandbilder, Theaterstücke, Ausstellungen oder Lesungen mit oder von Künstler_innen jenseits der Antifa-Subkultur.

  • 1Obwohl zahlreiche Hinweise zu Mitgliedern der Neonazi-Szene des benachbarten Grevesmühlen führten, wurde stattdessen gegen den Hausbewohner Safwan E. ermittelt. Dieser wurde letztendlich freigesprochen, die wahren Täter wurden nie belangt.
  • 2A.G. Grauwacke, Autonome in Bewegung, 2003, S. 295. Siehe auch AIB 57: »Solidarität macht Mut«, Interview mit Ekke, einem Freund von Silvio, am 10. Jahrestag des Mordes.
  • 3So wurden die Freunde von Oury Jalloh in Dessau, welche lautstark die Aufklärung der Umstände des Todes in der Polizeihaft forderten, regelmäßig von der Polizei kontrolliert und ihnen ihre Gewerbeerlaubnis entzogen (vgl. AIB 87).
  • 41992 brannte ein bezugsfertiges Asylbewerberheim in Dolgenbrodt (Brandenburg) vollständig ab. Der Brandstifter wurde von Bewohner_innen des Dorfes bezahlt, auf Versammlungen war zuvor beraten worden, wie man die Feuerwehr aufhalten könne. In dem Ort mit 250 Einwohner_innen hatten sich 235 mit ihrer Unterschrift gegen die Aufnahme von Asylbewerbern ausgesprochen.