Skip to main content

Bockwurst bei Hess-Gedenken

Einleitung

»Fahnen runter und – Stillgestanden« brüllte der Neonazikader Ralph Tegethoff über den Burgmühlenweiher in Wunsiedel. Die Neonazi-Elite Europas knallte die Hacken zusammen und liess ihre Fahnen in den Schlamm hängen. Der Rest der anwesenden »Kameraden« stand im Hintergrund, eher gelangweilt und auf die Abreise wartend, herum. So endete ein erfolgreicher Tag für die Neonazis in dem beschaulichen Städtchen in Bayern.

Bild: attenzione-photo.com

Thorsten Heise (links) und Jürgen Rieger (rechts) beim Rudolf Heß Gedenkmarsch im August 2002 in Wunsiedel.

Obwohl der Platz von einem spätsommerlichen Platzregen genauso aufgeweicht war, wie die Köpfe derer, die auf ihm standen, konnte dies die gute Stimmung unter den TeilnehmerInnen des Rudolf-Heß Gedenkmarsches 2002 in Wunsiedel nicht schmälern. Dreitausend aus ganz Europa angereiste »Kameraden und Kameradinnen« feierten ein Volksfest zu Ehren des 15. Todestages des Hitlerstellvertreters, angemeldet vom Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger.

Lange Reden und heiße Würstchen

Die Neonazis hatten genug Zeit, den Tag nicht nur mit einer Demonstration, sondern auch mit einem umfassenden Rahmenprogramm zu gestalten. Für das leibliche Wohl der Nazis sorgte eine Gulaschkanone nebst Grillstand, bei dem Christian Worch höchstpersönlich Hand an die Würstchen legte. Die Zeit reichte auch für lange Reden, u.a. von Jürgen Rieger, der schier unendlich über den »Vorreiter des Demeter Anbaus« oder »den toleranten« Rudolf Heß schwadronieren konnte. Auch für musikalische Unterhaltung war gesorgt: Zwischen dem Geschichtsunterricht von Rieger und den Grußworten der europäischen Kameraden spielte der Regensburger Burschenschafter und Neonazi-Barde Michael Müller.

Der diesjährige Rudolf-Heß-Marsch kann mit Recht als eine der bedeutendsten Neonazi-Demonstrationen der vergangenen Jahre bezeichnet werden. Ihre Integrationskraft sorgte dafür, dass fast die komplette militante Neonazi-Szene Deutschlands angereist war.
Die Bedeutsamkeit des Marsches erschließt sich für die Angereisten über den besonderen Reiz: Wunsiedel ist für sie »Heldengedenken«. Jung und Alt kommen in ungezwungener Atmosphäre zusammen, um offen einem führenden Repräsentanten des Nationalsozialismus zu huldigen – sozusagen ein Volksfest der europäischen Neonazis.
 
So waren Vertreter fast aller Richtungen anwesend, von der NPD über die Vereinigung deutscher Osten, deren Mitglieder sich immer noch wägen im Deutschen Reich zu leben, bis hin zu den Freien Kameradschaften. Die deutschen Rechtsextremisten erhielten zudem noch Verstärkung von Nazis aus Österreich, Schweiz, Italien, Spanien, Belgien, Holland, Dänemark, Schweden, Finnland, Polen, Litauen, Tschechien, Slowakei, Kroatien und Frankreich. In Wunsiedel waren dieses Jahr viele Jugendliche zu beobachten, wobei auffällig war, dass sich die Anzahl der weiblichen Teilnehmerinnen unter ihnen stark erhöht hat.

Der Aufmarsch wurde logistisch maßgeblich von parteiunabhängigen Strukturen geregelt und die anwesenden Kader der NPD hielten sich eher im Hintergrund. Manfred Börm, Leiter des Bundesordnungsdienstes der NPD, und Thorsten Heise dirigierten knapp 100 Ordner und Ordnerinnen, die die Disziplin und vor allem die Ruhe in der Demonstration aufrecht erhalten sollten.

Wandel im Bild der Aufmärsche

Das Bild des Aufmarsches in Wunsiedel ist repräsentativ für die Entwicklung solcher Veranstaltungen in der BRD. Sie haben einen »Event-Charakter«. Das stumpfe Skandieren von Parolen und das Marschieren wird immer öfter mit einem musikalischen und »kulinarischen« Rahmenprogramm verbunden. Die Nazis feiern sich selbst und gaukeln mit ihrem »Volksfest« ein Stück Normalität vor. Die neonazistische Szene will zeigen, dass sie nicht der aggressive Mob ist, der sie ist.