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HASSHATKONSEQUENZEN

Antifa Saar Projekt AK (Gastbeitrag)
Einleitung

Seit April 2016 läuft im Saarland die Kampagne HASSHATKONSEQUENZEN. Initiiert von der Antifa Saar / Projekt AK beteiligen sich mittlerweile offiziell zehn Gruppen und Verbände auch außerhalb des Saarlandes. Ziel der Kampagne ist auf die Verharmlosung und Vertuschung des rechten Treibens im Saarland hinzuweisen und dabei auch außerhalb der Landeshauptstadt Saarbrücken aktiv zu werden.

Bild: Screenshot YouTube.de/SR

Samuel Yeboah fiel im saarländischen Saarlouis einem rassistischen Brandanschlag zum Opfer.

Am 19. September 2016 jährt sich zum 25. Mal der Todestag des vor Krieg geflohenen Samuel Yeboahs, der im saarländischen Saarlouis einem rassistischen Brandanschlag zum Opfer fiel. Seit Jahren initiieren in erster Linie Antifa-Gruppen das Gedenken und verhindern, dass der Mord in Vergessenheit gerät. Die Stadt Saarlouis sträubt sich nach wie vor, die Tat als rassistischen Mord anzuerkennen und für ein würdiges Gedenken an Samuel Yeboah an zentraler Stelle zu sorgen.
Ziel der von der Antifa Saar / Projekt AK initiierten diesjährigen Kampagne ist es, die Ereignisse vom 19. September 1991 inhaltlich und örtlich in einen breiteren Kontext zu stellen. Eine erfolgreiche Kampagne Anfang 2016 gegen ein von einer revanchistischen Bürgerinitiative mit Unterstützung der lokalen SPD im saarländischen Riegelsberg geplantes Wehrmachtsdenkmal war eine weitere Motivation, sich auch vermehrt außerhalb der Landeshauptstadt zu engagieren. Und so entstand die Idee, mit Kundgebungen und Veranstaltungen auch außerhalb Saarbrückens auf deutsche Zustände aufmerksam zu machen.

Das Kampagnenmotto soll einerseits darauf aufmerksam machen, dass der an Stammtischen, in sozialen Netzwerken und in den Parlamenten gesäte Hass tödliche Konsequenzen hat. Die Zweideutigkeit des Kampagnenmottos HASSHATKONSEQUENZEN soll verdeutlichen, dass daraus auch für Antifaschist_innen Konsequenzen resultieren müssen, da offensichtlich auf Staat und Behörden im Kampf gegen rechten Terror überhaupt kein Verlass sein kann.
Neue Erkenntnisse sind das selbstverständlich nicht. Doch gilt es, diese immer wieder zu betonen und so wurden drei Kernforderungen aufgestellt, die mit der Kampagne transportiert werden sollen:

1. Schluss mit der Verharmlosung rechten Terrors!

2. Für ein würdiges Gedenken an die Opfer rechter Gewalt!

3. Organisiert den antifaschistischen Selbstschutz!

Völklingen – Glorifizierung verurteilter NS-Kriegsverbrecher

Bislang haben wir drei Kundgebungen durchgeführt, die erste Mitte Juni 2016 in Völklingen. Dort existiert mit dem UNESCO-Weltkulturerbe Völklinger Hütte eine imposante Kulisse für Pop-Art, Ethno-Kitsch und moderne Musik.
Doch neben all der Inszenierung von Industriegeschichte und modernen Künsten scheint es sich der Generaldirektor der Völkinger Hütte, Meinrad Maria Grewenig, zur Hauptaufgabe gemacht zu haben, die Geschichte des Stahlbetriebes und der Eigentümerfamilie Röchling zu glorifizieren. Die Röchlings werden zu fürsorglichen Arbeitgebern verklärt, die ihren Arbeitern Lohn, Brot und einen bescheidenen Reichtum ermöglicht hätten. Und so werden in der im Juni zu Ende gegangenen zweijährigen Ausstellung „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ vor allem die angeblichen „Leistungen“ der Völklinger Stahlmagnaten betont. Eine ernsthafte wissenschaftliche und kritische Auseinandersetzung mit der Familien- und Industriegeschichte findet nicht statt. Nur wenige Hinweise findet man auf die Bedeutung der Hütte in der Zeit des Nationalsozialismus, als Hermann Röchling in seinem Amt als Generalbevollmächtigter für die Eisen- und Stahlindustrie in Lothringen großen Anteil an der Waffen- und Kriegsproduktion des „Dritten Reiches“ hatte. Und als enger Vertrauter Adolf Hitlers engagierte er sich im Vorfeld der Saarabstimmung 1935 für die "Deutsche Front", die den Anschluss des Saargebietes an Nazideutschland propagierte. Röchling verfasste auch Schriften wie  „Gedanken über die Vorbereitung zum Kriege und seine Durchführung“ (1936), in der er den Krieg gegen die Sowjetunion und das „Weltjudentum“ forderte.

Auch mussten über 12.000 Sklavenarbeiter_innen aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich schwerste Zwangsarbeit in der Hütte verrichten. Noch heute trägt ein ganzer Stadtteil in Völklingen den Namen „Röchling-Höhe“ und erinnert damit an den Familienclan, dem auch mehrere Kriegsverbrecher angehörten. Ein weiterer Anlass in Völklingen antifaschistische Präsenz zu zeigen sind die überdurchschnittlich guten Wahlergebnisse extrem rechter Parteien, die zusammengenommen in den letzten Jahrzehnten nahezu immer bei über 10 Prozent lagen, sowie eine bis heute nicht aufgeklärte Brandserie zwischen 2006 und 2011. In diesen fünf Jahren kam es zu mindestens 15 Bränden in mehrheitlich von Migrant_innen bewohnten Häusern. Und ganz nach dem bekannten Muster der Ermittlungen im NSU-Komplex wurden auch hier die Täter unter den Migrant_innen selbst gesucht.

Dillingen – Neonazihochburg im Saarland

Die zweite Kundgebung fand vier Wochen später in der saarländischen Kleinstadt Dillingen statt, die aktuell einen der infrastrukturellen Hotspots der saarländischen Neonaziszene darstellt. Lange Zeit unterhielt die „Sturmdivision Saar“1 mit einer eigenen Kneipe einen wichtigen Treffpunkt der rechten Szene im Zentrum der Stadt. Seit letztem Jahr verfügt die im Saarland aktive Hammerskin-Sektion „Westwall“ über einen Treffpunkt mit Konzertmöglichkeit in einem Industriegebiet Dillingens.
Dillingen hat neben aktiven Neonazis aber noch mehr zu bieten, so findet sich in dem Städtchen zum Beispiel ein 1957 wiederaufgebautes „Ehrenmal“, dass die nahezu exakte Kopie eines 1934/35 aufgebauten und später durch alliierten Beschuss zerstörten Nazidenkmals darstellt. Lediglich auf die Inschrift „Ihr Opfer war nicht umsonst – denn aus ihm erwuchs der Geist Adolf Hitlers“ verzichtete man beim Wiederaufbau. Dillingen ist zudem die Partnerstadt des ostsächsichen Hoyerswerda, das in der Woche vom 17. bis 22. September 1991 traurige Berühmtheit erlangte, als ein Mob tagelang eine Flüchtlingsunterkunft und ein Wohnheim von Vertragsarbeiter_innen belagerte und mehrfach angriff. In der gleichen Woche wurde in Saarlouis Samuel Yeboah ermordet.

Sulzbach – Ermordung Ahmed Şarlaks durch Neonazis

Im nahe Saarbrücken gelegenen Sulzbach wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. August 2002 Ahmed Şarlak auf einem Stadtfest ermordet. Dem Mord ging ein Streit mit den stadtbekannten Neonazis Carlos Neu und Paul F. voraus, in dessen Verlauf Carlos Neu ein Messer zog, mehrmals auf Ahmed Şarlak einstach und ihn tödlich verletzte. Die beiden Täter waren bereits zuvor durch rassistische Übergriffe in Erscheinung getreten. Carlos Neu wurde später zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt. Bezeichnend ist, dass die Staatsanwaltschaft von Anfang an versuchte, die Tat zu entpolitisieren und zu einer gewöhnlichen Kirmesschlägerei unter Jugendlichen umzudeuten. Bis heute wird Ahmed Şarlak offiziell nicht als Opfer rassistischer Gewalt anerkannt.
In Erinnerung an diesen weiteren rassistischen Mord fand eine antifaschistische Kundgebung im Rahmen unserer Kampagne in Sulzbach statt.

Neben diesen Kundgebungen haben wir mehrere Veranstaltungen u.a. in Jugendzentren durchgeführt und waren mit Infoständen auf mehreren Festivals in der Region vertreten. Über 10.000 Flyer und 20.000 Aufkleber wurden bislang verteilt. Diverse Anfragen von Interessierten vor Ort, die sich engagieren wollen oder sich mit interessanten und bislang uns nicht bekannten Informationen an uns wenden, verdeutlichen die Notwendigkeit antifaschistischen Engagements auch „in der Provinz“.

Am 24. September 2016 findet die Demonstration in Gedenken an Samuel Yeboah in Saarlouis statt, die sowohl den Höhepunkt als auch den vorläufigen Abschluss der Kampagne HASSHATKONSEQUENZEN markiert.

Treffpunkt ist um 14.00 Uhr am Hauptbahnhof in Saarlouis.

Virtueller Gedenkstein für Samuel Yeboah: http://samuel-yeboah.de.
Weitere Infos zur Kampagne mit ausführlichen Informationen, Aufrufen, Redebeiträgen unter www.antifa-saar.org