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Mit der Reichsbahn in den Tod

Ein Artikel der Antifa Prenzlauer Berg – Teil der Initiative »Zug der Erinnerung – Haltestelle Berlin«
Einleitung

Der Zug der Erinnerung und was die Deutsche Bahn nach wie vor nicht zeigt!

Bild: attenzione-photo.com

Erst im Jahr 2000 hatte ein Thema Banken, Versicherungen und Konzerne wie die Deutsche Bahn wieder eingeholt, das von ihnen über Jahrzehnte verdrängt und verleugnet worden war. Es geht um die Verstrickung der Firmen in die Kriegs- und Vernichtungspolitik der Nazis, den völkerrechtswidrigen Einsatz von mehr als acht Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus allen besetzten Ländern Europas. Während die Deutsche Bank am Bau von Auschwitz beteiligt war, deportierte die Deutsche Reichsbahn unter anderem über 12.000 namentlich bekannte Kinder und Jugendliche vor allem jüdischer Eltern dorthin, wo sie unter anderen mit dem von einer Tochtergesellschaft der Degussa AG und der I.G. Farben, die Firma Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung), hergestellten Zyklon B in den Gaskammern ermordet wurden. Die Verbrechen der Nazis hätten ohne die Reichsbahn und ihre Kapazitäten bei weitem nicht in diesem Umfang stattfinden können.

Die Reichsbahn war es, von der Speers Rüstungsministerium beim Transport seiner Rüstungsgüter, die Wehrmacht beim Transport ihrer Truppen und das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) bei der Deportation insbesondere von Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma sowie politischen Gegnerinnen und Gegnern abhängig waren.

Bahn versteckt sich hinter ihren versteckten Opfern

Bis heute möchte die Deutsche Bahn am liebsten weder an ihre Vorgängerin als Täterin noch an die Opfer erinnert werden. Bis heute pflegt die Bahn AG lieber den Mythos, ihre Aufarbeitung der Verstrickung in und Verantwortlichkeit für Nazi-Verbrechen sei weitgehend gelungen. Bahnchef Mehdorn verweist immer wieder auf eine Dauerausstellung im DB-Museum Nürnberg, die Aufklärung der eigenen Auszubildenden und die Unterstützung des Films »Der letzte Zug«. Und, er erinnert an die Beteiligung am Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Jenen Fonds, den viele Opferverbände als makabren Freikauf deutscher Banken und Konzerne von der Verantwortung zu Lasten der Opfer kritisierten.

Auch die Anfang 2008 eröffnete und von der Bahn AG am Potsdamer Platz versteckte Ausstellung »Sonderzüge in den Tod« wird als Teil der Aufarbeitung deklariert. Doch auch sie verschleiert eher die Rolle der Reichsbahn. Denn zu sehen sind vor allem die Opfer, doch über die Täter erfahren wir so gut wie nichts. Die tatsächliche Verstrickung bleibt hinter Verwaltungsvorgängen verborgen. Auch das Überdauern vieler Reichsbahnfunktionäre bis in die Jahre der Bundesrepublik hinein bleibt vollständig unbeleuchtet.

Der Zug der Erinnerung in der Hauptstadt und die Angst der Bahn vor einem schlechten Image

Die Bahn möchte unheilvolle Erinnerungen in ihrem Zusammenhang ungern wachrufen. Denn das könnte bei der internationalen Expansion ins europäische Ausland unangenehme Assoziationen wecken. Also wurde nach der Initiative »11.000 Kinder« deren Fortführung im Rahmen des »Zuges der Erinnerung« behindert und sabotiert, wo es ging. Während es anfangs noch der Bahn angeblich an finanziellen und personellen Mitteln zur Durchführung eines solchen Projekts fehlte, waren es nun Sicherheitsbedenken und die unzulässige Beeinträchtigung des Schienenverkehrs. War ersteres schon unglaubwürdig, spätestens nach dem sie aufwendig die Fußballweltmeisterschaft 2006 sponserte, erwiesen sich auch die Sicherheitsbedenken mehr als fadenscheinig.

Letztlich war es Mehdorn selbst, der klarmachte, worum es ging: »Die Deutsche Bahn behält sich das Recht vor, selbst zu entscheiden, wie wir mit der Vergangenheit verantwortlich umgehen.«1 Doch diese Rechnung ging so nicht auf. Denn dank der Berliner Initiative »Zug der Erinnerung – Haltestelle Berlin«, der es gelang ein breites Bündnis verschiedener Organisationen, Institutionen, Gruppen und Einzelpersonen zusammenzubringen und die für den Stopp des Zuges in Berlin benötigten finanziellen Forderungen der Deutsche Bahn zu erfüllen, machte der Zug der Erinnerung vom 13. bis 22. April 2008 in Berlin Station. Auch gelang es der Bahn AG nicht, den Zug auf technokratische Weise zu stoppen. Im Gegenteil! Das Verhalten des Bahnvorstandes führte eher zu einem weiteren Imageverlust. Denn die öffentlich ausgetragenen Differenzen zwischen der Initiative und der Bahn AG führten nicht nur zu Sympathiebekundungen für die Initiative, sondern bescherten dem Zug über 50.000 Besucherinnen und Besucher.

Der Zug, der aus mehreren Ausstellungswagen besteht und der die Städte der über 12.000 Kinder und Jugendlichen ansteuert, die zwischen 1940 und 1944 in die Vernichtungslager deportiert wurden, hielt auf fünf Berliner Bahnhöfen. Der Zug hielt als erstes am Bahnhof Ostbahnhof sowie dann zur Unterstützung antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Engagements an den Bahnhöfen Lichtenberg und Schöneweide. Abschließend hielt der Zug in Westhafen und Grunewald als ehemalige Deportationsbahnhöfe.

Bereits am Vorabend der Ankunft des Zuges in Berlin gab es eine Gedenkveranstaltung vor dem Brandenburger Tor. Vor ca. 600 Menschen sprachen unter anderem Esther Bejarano, Überlebende von Auschwitz und Ravensbrück, Romani Rose (Zentralrat Deutscher Sinti und Roma), Michael Joachim (Jüdische Gemeinde zu Berlin) und Hans Coppi (VVN-BdA). Der Sprecher der Berliner Initiative, Dirk Stegemann, verwies auf die makabre Situation, dass die Bahn ein weiteres Mal an den früheren Deportationen verdienen würde – diesmal am Gedenken an die damaligen Opfer. Ein Schweigemarsch führte anschließend von dort zum Potsdamer Platz zur Bahnzentrale. Während der Veranstaltung wurden 4.646 Kerzen mit Namensschildern bekannter deportierter ermordeter und verschollener Kinder im Alter von einem bis zwanzig Jahren gegen kleine Spenden verteilt, auf den Potsdamer Platz gestellt und angezündet. Eine größere Kerze brannte symbolisch für alle unbekannten Opfer der Deportationen. Der Erlös der »Kerzenaktion« wurde der bundesweiten Initiative »Zug der Erinnerung« zur Begleichung der Rechnungen zur Verfügung gestellt.2 Auch hier wurde in Reden, unter anderem durch Petra Rosenberg (Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma von Berlin-Brandenburg), gegen die Haltung der Deutschen Bahn AG protestiert. Denn als Erbe des »Sondervermögens Deutsche Reichsbahn« wollte und will diese ein weiteres Mal an den früheren Deportationen verdienen – diesmal am Gedenken an die damaligen Opfer und an der Erinnerung an die Täter. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, wandte sich scharf gegen das Angebot der Bahn, die Streckengebühren für das Gedenkprojekt »Zug der Erinnerung« mit einer Geldspende an jüdische Einrichtungen auszugleichen. Zugleich warf er dem Bahnvorstand vor, mit diesem Angebot antisemitische Klischees zu bedienen.3

Fazit der Antifa Prenzlauer Berg

Die Ausstellung selbst ist für klassische Antifa-Gruppen sicherlich weniger bedeutend in dem, was sie an Informationen bereitstellt. Wichtiger waren die Auseinandersetzungen um die rollende Ausstellung selbst. Der Versuch der Bahn, jedwede Erinnerungs- und Gedenkarbeit zur Verstrickung der Bahn in das Nazi-Regimes zu unterbinden, verkehrte sich für sie ins Gegenteil. Selten gelingt es Antifa-Gruppen wie in diesem Fall gesellschaftlich als relevanter Akteur wahrgenommen zu werden und so genannte Kernthemen öffentlich zu platzieren. Sicherlich nutzte hier der so genannte »Hauptstadt-Bonus«. Allerdings hätte ohne den gegenseitigen Respekt der jeweiligen Mitwirkenden in der Berliner Initiative sowie der breiten Unterstützung vieler Antifa-Gruppen Berlins, der Berliner FDJ, der VVN/BdA-Berlin und zahlreichen Helferinnen und Helfern diesen Erfolg nicht verbucht werden können.