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Rechter Mordversuch in Südbaden

Antifaschist_innen aus dem Südwesten
Einleitung

In den Abendstunden des 1. Oktober  2011 organisierten Neonazis aus dem Umfeld der Kameradschaft Südsturm Baden (KSB) im Landkreis Emmendingen (Baden-Württemberg) eine Mobilisierungsfeier für einen am 22. Oktober 2011 geplanten Aufmarsch in Offenburg. Die Feier wurde im regionalen Spektrum von Kameradschaften und NPD beworben und sollte nur über einen Schleusungspunkt erreichbar sein. Der regional bekannte Kameradschaftler und NPD-Landtagswahlkandidat Florian Stech übernahm an diesem Abend die Aufgabe, ankommende Gäste an einem abgelegenen Parkplatz am Rand der kleinen Gemeinde Riegel zu empfangen und zum Veranstaltungsort weiterzuschicken.

Einige Antifaschist_innen hielten sich in der Nähe des Schleusungspunktes auf. Als sie von Stech bemerkt wurden, fuhr er mit seinem PKW mit hoher Geschwindigkeit in die Gruppe. Ein 21-Jähriger wurde direkt von dem Auto erfasst. Durch den Aufprall erlitt er eine Schädelfraktur und Hirnblutungen und musste nach mehreren Tagen auf der Intensivstation noch weitere Wochen stationär medizinisch betreut werden.

Altbekanntes von Justiz und Presse

Die Emmendinger Polizei begann nach dem Vorfall unverzüglich mit den Ermittlungen, sorgte aber von Anfang an dafür, die Darstellung des Neonazi-Täters wiederzugeben und die Ermittlungen in seinem Sinne zu führen. Anstatt Stech wegen eines offensichtlichen versuchten Tötungsdelikts in Untersuchungshaft zu nehmen, schrieben sie im Polizeibericht von einem vermeintlichen Angriff der Antifaschist_innen auf den Neonazi und begannen mit intensiven Ermittlungen gegen die Betroffenen einschließlich des angefahrenen 21-Jährigen, der sich zu diesem Zeitpunkt noch auf der Intensivstation befand. Aktuell wird gegen Stech wegen des versuchten Totschlags und nach wie vor auch gegen die Antifaschist_innen ermittelt.

Der Fall war sowohl in der lokalen als auch in der landesweiten Presse schon bald präsent. Anfang Oktober 2011 verging kein Tag, an dem nicht in baden-württembergischen Zeitungen oder Onlinemedien darüber berichtet wurde. Allerdings kristallisierte sich mit wenigen Ausnahmen immer mehr heraus, dass die Presse die Version der Polizei vollkommen unkritisch übernahm und diesen Fall instrumentalisierte, um einmal mehr extremismustheoretische Argumentationsmuster in die Öffentlichkeit zu tragen. So wurde etwa von der Zeitung »Der Sonntag im Dreiland« am 9. Oktober 2011 der hetzerische Artikel »Von Genossen und Kameraden« gedruckt, welcher den Fall in Riegel zur »gewalttätige(n) Auseinandersetzung zwischen Rechts- und Linksextremen« umdeutete. Kaum verwunderlich, dass sich dabei offen auf Äußerungen des Verfassungsschutzes berufen wurde, der schon lange durch das Gleichstellen von Neonazis und Antifaschist_innen versucht, antifaschistische Arbeit zu delegitimieren und zu diskreditieren.

Ein guter Kamerad

Florian Stech ist Mitglied der Kameradschaft Südsturm Baden. Die Gruppe ist in der Gegend um Offenburg aktiv und versucht nach eigenen Angaben »von Achern bis Freiburg« zu agieren. Seit der Gründung vor ca. drei Jahren trat die KSB durch Aktionen wie z.B. dem Aufhängen von Transparenten, Verkleben von Aufklebern, dem Organisieren eines jährlich stattfindenden Zeltlagers sowie der Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet in Erscheinung. 2009 organisierte die Gruppe einen eigenen Bus zur neonazistischen Großdemonstration Anfang Februar in Dresden. Auch unterhält die KSB gute Kontakte zur NPD bzw. ist zu großen Teilen selbst in der Partei organisiert. Schon im Jahr 2006 griffen fünf Mitglieder der jetzigen KSB mit sieben weiteren Neonazis in Lahr einen Migranten an. Sie jagten den jungen Mann durch die ganze Stadt, schlugen ihn mit einem Stuhl nieder und traten bis zur Bewusstlosigkeit auf ihn ein.

Stech selbst hat einen festen Stand in der Südbadener rechten Szene. Er war Anmelder einer Neonazidemo in Offenburg im letzten Jahr und auch an der Organisation der diesjährigen Demonstration beteiligt; dieses Jahr war er zudem als Demo-Redner für die NPD und KSB vorgesehen.

Überfällige Antworten

Nach dem Mordversuch setzte sich eine landesweite antifaschistische Initiative unter dem Motto »Enough is enough!« zusammen und begann mit der Solidaritätsarbeit. Am 5. Oktober 2011 wurde im nahegelegenen Offenburg eine kraftvolle Solidaritäts-Demonstration organisiert, an welcher sich nach nur zwei Tagen Mobilisierungszeit ca. 200 Antifaschist_innen beteiligten. Auch hier verdeutlichte die Polizei, wie sie zu diesem Fall steht und fuhr mit restriktiven Vorkontrollen und Angriffen auf die Demonstrant_innen auf. Letztendlich wurde der Demonstrationszug eingekesselt und die Personalien aller Teilnehmer_innen aufgenommen. Dennoch muss die Aktion als entschlossenes und starkes Zeichen gegen rechte Gewalt gewertet werden. Es ist notwendig, Angriffe auf Antifaschist_innen unverzüglich politisch zu beantworten – andernfalls ist der Normalisierungstendenz rechter Einschüchterungsversuche nicht beizukommen. Bei derartigen Einzelreaktionen darf allerdings nicht stehengeblieben werden. Der Angriff verdeutlicht die akute Problematik der Neonazi-Präsenz und ihrer Gewaltbereitschaft in der Gegend. Die Antwort kann nur in der Stärkung lokaler antifaschistischer Strukturen und der spektrenübergreifenden Zusammenarbeit mit fortschrittlichen politischen Kräften gerade in den Problemgebieten liegen.

In Baden-Württemberg ist der aktuelle Neonaziangriff als weiterer Ausläufer einer zunehmenden Eskalation rechter Gewalttaten zu begreifen. Am späten Abend des 11. März 2011 griffen drei Neonazis einen Antifaschisten nach einer verbalen Auseinandersetzung mit einer Gaspistole an. Einer der Täter hielt ihm die Waffe an den Kopf und feuerte in sein Gesicht. Nach einer Notoperation am Auge und längerer stationärer Behandlung ist der 17-Jährige nun von einer vermutlich dauerhaften Beeinträchtigung seines Sehvermögens betroffen. In der Nacht vom 9. auf den 10. April 2011 wurden neun Migranten in der kleinen Gemeinde Winterbach am Rande einer rechten Wiesenfeier von Neonazis aus dem JN-Umfeld mit einem Auto angefahren und mit Äxten angegriffen. Fünf von ihnen wurden in eine Gartenlaube gejagt, durch Entzünden der Hütte fast verbrannt und auf der anschließenden Flucht erneut angegriffen. Am Morgen des 30. Septembers 2011 stach ein Neonazi in Albstadt-Ebingen auf der Schwäbischen-Alb nach einem Streit mit einem 27-jährigen mehrfach auf den Betroffenen ein. Nur durch eine Notoperation konnte sein Leben gerettet werden.

Die anwachsende rechte Gewalt gegen Linke und Migrant_innen ist Ausdruck einer selbstbewusster auftretenden Neonazibewegung in Baden-Württemberg, die sich vor allem in eher ländlichen Regionen, die generell von einem rechten gesellschaftlichen Klima geprägt sind, artikuliert. Es muss die Aufgabe aktiver Antifaschist_innen sein, gerade dort politische Gegenbewegungen aufzubauen und den Selbstschutz zu stärken.