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Volksheim: Schweden

Ein Artikel der schwedischen Antifazeitung Expo aus Stockholm
Einleitung

Bei den letzten Wahlen in Schweden im Jahr 1998 erhielten (extrem) rechte Parteien insgesamt knapp 53.000 Wählerinnenstimmen. Diese Zahl beinhaltet die 20.000 Stimmen für die Sverigedemokraterna (Schwedische Demokraten), 25.000 Stimmen für Det nya Partiet (Die neue Partei) und 8.000 Stimmen für die Ny demokrati (Neue Demokratie) . Wenn man die kleinen, lokalen Parteien mit einer populistischen oder gegen MigrantInnen gerichtete Propaganda dazu zählt, erhielt die (extreme) Rechte annähernd 100.000 Stimmen.

Bild: flickr,com; Mårten Kai-Larsen/CC BY NC 2.0

Neonazi-Demonstration in Stockholm im Juni 2006.

Die parlamentarische Rechte

Nach den Wahlen von 1998 blieben die Sverigedemokraterna (SD) als einzige fremdenfeindliche Partei mit einer landesweiten Organisation und einem Potential für den Ausbau ihrer Wählerinnenbasis übrig. Auch wenn die SD weniger Stimmen als erwartet gewannen, gelangen der Partei in einigen Orten substantielle Stimmengewinne, so daß sie zur drittgrößten Partei unter den Parteien geworden sind, die nicht im Landesparlament vertreten sind. In den Kommunalparlamenten sind die SD mit acht Sitzen vertreten. Im Wahlkampf haben sie sehr darauf geachtet, antisemitische Propaganda zu vermeiden, aber gleichzeitig wurde die Partei 1998 Mitglied in Jean Marie Le Pens internationaler Organisation, der sogenannten Europäische Nationalisten (EuroNat). Parteivorsitzender ist Mikael Jansson, ein erfahrener Politiker mit einer Geschichte in der bürgerlichen Centerpartiet (Zentrumspartei). Janssen hat viel Zeit drauf verwandt, das öffentliche Profil der Partei zu verändern. Eine seiner ersten Amtshandlungen war ein Verbot von politischen Uniformen bei öffentlichen Veranstaltungen. Dieses Verbot hat dazu geführt, daß die bekanntesten Neonaziaktivisten keine führenden Rollen innerhalb der Partei mehr spielen. Die Partei Ny demokrati (NyD), die ursprünglich von dem adeligen Millionär Ian Wachtmeister und dem Plattenproduzenten Bert Karlsson angeführt wurde, ist seit ihrem ersten Erfolg bei den Wahlen 1991 vor allem durch interne Auseinandersetzungen auseinandergefallen. Seitdem hat die Partei eine ganze Reihe von Vorsitzenden gehabt, während ihre Mitgliederzahl ständig gesunken ist, so daß sie mittlerweile kaum noch handlungsfähig ist. Ian Wachtmeister, der sich 1994 von der NyD abgesetzt hatte, versuchte mit der Gründung Det nya Partiet (DNP) ein politisches Comeback. Die DNP ist offen rassistisch und zwei ihrer Kandidaten kamen aus der am liebsten im Verborgenen agierenden Anti-Immigrantinnen-Lobby, der Gesellschaft für nationale und internationale Entwicklung, die hauptsächlich aus Akademikerinnen besteht. Trotz einer landesweiten Kampagne, hatte die DNP keinen Erfolg. 1997 gründete sich dann noch die Partei für das Wohlergehen Skandinaviens (SV), eine Allianz aus dreizehn Kommunalparteien und Gruppen aus der südlichsten Region von Schweden. Einige der Parteien innerhalb dieser Allianz haben sehr erfolgreich die Unzufriedenheit der Wählerinnen mit den etablierten Parteien ausnutzen können, die sie als korrupt und unglaubwürdig bezeichnen. Dadurch konnten sie bei den jüngsten Kommunalwahlen eine ganze Reihe von Sitzen in Kommunalparlamenten gewinnen. Die Hetze gegen Einwanderinnen spielt in ihrer populistischen Politik eine immer wichtigere Rolle. 1998 gewann die SV-Allianz 47 Mandate in Kommunalparlamenten.

Die Neonaziszene

In den letzten Jahren hat sich viel Aufmerksamkeit auf den anhaltenden Streit innerhalb der White Power Musikindustrie konzentriert. Die sich gegenseitig bekämpfenden Gruppen sind einerseits das Musikimperium von Nordland, das sich strategisch und ideologisch an dem inhaftierten us-amerikanischen Neonazi und Mörder David Lane und der inzwischen aufgelösten Terrorgruppe The Order orientiert. Auf der anderen Seite stehen Ragnarock Record, die mit der britischen Terrorgruppe Combat 18 (C18) zusammenarbeiten. Bei dem Streit geht es weniger um politische Inhalte, als um die politische Kontrolle über die Profite, die die Nazimusikindustrie abwirft. Seit 1998 sind die Streitigkeiten jedoch erheblich zurückgegangen, und Nordland verliert zunehmend an Bedeutung und Einfluß. Nordland, das von Peter Melander 1 angeführt wird, entwickelte sich aus der Neonaziskinheadszene rund um das militante Storm Netzwerk der späten 80er und frühen 90er Jahre. Im Nordland-Hauptquartier in der südlich von Stockholm gelegenen Stadt Linköping wird auch das professionelle und teure gleichnamige Hochglanzmagazin hergestellt. Das Plattenlabel Ragnarock Records hat sein Hauptquartier in Helsingborg und wird von dem ehemaligen norwegischen Neonazianführer Eric Blücher alias Erik Nilsen kontrolliert. Blücher arbeitet eng mit der dänischen Neonazivideoproduktionsfirma NS 88 zusammen, die von dem deutschstämmigen Neonazi Marcel Schilf betrieben wird. Blücher und Schilf gehören zu den wichtigsten Kadern der skandinavischen Blood & Honour / C18 Sektion, die zur Zeit der wichtigste ideologische Motor der Neonazibewegung ist. Die am schnellsten wachsende Neonaziorganisation ist allerdings momentan die Nationalsozialistische Front (NSF), die 1994 gegründet wurde 2 . Ihr Vorsitzender ist Anders Högström, und ihr Hauptquartier befindet sich in Karlskrona in Südschweden, aber die NSF hat mittlerweile in mehreren Städten Ortsgruppen. Ideologisch hat sich NSF von der nationalrevolutionären Romantik der Neonazibewegung der letzten Jahrzehnte verabschiedet und setzt statt dessen auf eine Rückbesinnung auf einen traditionellen Nationalsozialismus. Dem entsprechend hat die NSF auch viel von dem Stil und den Traditionen der ursprünglichen Braunhemdideologie der 30er Jahre übernommen. Durch das Blood & Honour Netzwerk hat die NSF eine politische Allianz mit dem NNSB in Norwegen und dem DNSB in Dänemark aufgebaut. Die Gruppe NS-Stockholm wird von dem ehemaligen Aktivisten der Schwedischen Demokraten Robert Westerlund angeführt und wurde 1997 als Dachorganisation für verschiedene Aktivitäten gegründet. NS-Stockholm, das seine Mitglieder vor allem aus den Resten der schwedischen Naziskinbewegung rekrutiert, steht im engen organisatorischen Zusammenhang mit der NSF, ohne jedoch bisher die volle Mitgliedschaft in der NSF zu haben. 1997 wurde auch die Gruppe Nationalen Jugend/Schwedischer Widerstand (NU) gegründet, die eine »breitere nationalistische Bewegung ohne eine offensichtliche Verbindung zur Neonazibewegung aufbauen wollte. Dieser Versuch schlug allerdings fehl, und NU wurde als eine militante Neonazigruppe geoutet. Das Propagandaorgan der Gruppe, die Volksstimme, wird von dem ehemaligen VAM-Kader Klas Lund herausgegeben. Die Organisation hat ihr Hauptquartier im Norden von Stockholm. In einer vor kurzem veröffentlichten Reportage der Journalistinnen Katarina Larsson und Peter Karlsson 3 über die Neonaziunterwanderung in der schwedischen Armee wurde deutlich, daß viele dieser Neonazis in der NU organisiert sind. Die Konservative Partei (KP) ist die jüngste Wiedergeburt der notorischen Neonaziorganisation Reichs Front. Die KP entstand 1995 aus einer Abspaltung von den Schwedischen Demokraten und wird von dem langjährigen Neonazikader Leif Larsson kontrolliert. Trotz ihres moderat klingenden Parteinamens ist die KP eine Neonazigruppe nach traditionellem Muster. Nachdem sie 1998 für einige Schlagzeilen gesorgt hat, ist die Partei im letzten Jahr kaum aktiv gewesen. Auch in den schwedischen Knästen gibt es eine Neonaziorganisation, die sogenannte Arische Bruderschaft (AB), die von Niklas Löfdahl aufgebaut wurde. In ihr haben sich rund dreißig sogenannte »arische Kriegsgefangene« organisiert, die in verschiedenen Knasten inhaftiert sind. Die Arische Bruderschaft besteht aus notorischen Kriminellen und hat weitreichende Kontakte mit anderen Gruppen aus der organisierten Kriminalität, wie beispielsweise den Hells Angels und der Bruderschaft, einer Bikergang innerhalb der Knaste. Eine der größten schwedischen Neonaziorganisationen, die Nordische Reichspartei (NRP), des langjährigen Nazikaders Goran Assar Oredsson befindet sich dagegen im Niedergang. Die Partei existiert zwar noch, aber ihre Aktivitäten beschränken sich auf die Veröffentlichung der Parteizeitung und sporadischer Pressemitteilungen. Darüber hinaus versuchen ein rundes Dutzend kleinerer Gruppen, sich innerhalb der Neonaziszene zu etablieren. Dazu gehören u.a. der schwedische Ableger der US-amerikanischen Organisation Aryan Nations / The Christian Identity, ein Relaunch von Per Engdahl's brachliegender Neonazigruppierung Neue Schwedische Bewegung. Die Naziveteranen sammeln sich in der Narva Assoziation, und als regional bedeutende Gruppen wären noch Östgöta NS und Smaland SA zu nennen.

Der antifaschistische Widerstand

Die antirassistische Bewegung in Schweden befindet sich heute in einer komplett anderen Situation als noch vor zehn Jahren. Während man Ende der achtziger Jahre noch von einer relativ breiten und geschlossenen Bewegung reden konnte, fällt es heutzutage schwer, überhaupt noch von einer Bewegung zu sprechen. Das antirassistische Spektrum ist von Mitgliederschwund und Müdigkeit gekennzeichnet. Die meisten Aktiven sind doppelt und dreifach organisiert, viele gute Ideen und Aktionen lassen sich wegen des geringen Engagements gar nicht erst verwirklichen. Organisationen wie Stoppa Rasismen und Ungdom mot Rasism hatten noch vor wenigen Jahren Ortsgruppen in allen größeren Städten. Heute bestehen sie aus einigen wenigen Leuten in ganz Schweden. Die Suche nach den Ursachen für diese Entwicklung hat in den letzten Jahren Anlaß zu vielen Diskussionen innerhalb des antirassistischen Spektrums gegeben. Manche sehen in der zunehmenden Militanz bei Demonstrationen den Grund, warum »normale Leute« nichts mehr mit Antirassismus zu tun haben wollen. Andere meinen eher, daß viele dieser Fragen einfach nicht mehr als aktuell wahrgenommen werden und sich viele ehemalige Aktivistinnen aus der Politik zurückziehen um privaten Interessen nachzugehen. Ein Großteil des politischen Engagements ist in Schweden in den politischen Parteien gebündelt. Insgesamt herrscht ein großes Vertrauen in den Staat und in die parlamentarische Demokratie, was für Gruppen innerhalb und außerhalb des parlamentarischen Spektrums sehr unterschiedliche Ausgangspositionen schafft. Um eine Übersicht über das antirassistische Spektrum zu bekommen, muß man deshalb eine grobe Einteilung in parlamentarische und außerparlamentarische Gruppen vornehmen. Vorher ist allerdings noch anzumerken, daß die folgende Beschreibung auf Stockholm begrenzt ist. In vielen anderen Städten gibt es aber ebenso antirassistische Initiativen, die erfolgreich vor Ort aktiv sind, aber selten über die Stadtgrenzen hinaus wahrgenommen werden.

Außerparlamentarische Gruppen

Eine der aktivsten außerparlamentarischen Gruppen ist die Stockholmer Organisation Hasans Vänner mot väld och rasism (Hasans Freunde gegen Gewalt und Rassismus). Hasans Vänner wurde 1992 nach einer rassistischen Mordwelle gegründet, der der Migrant Hasan Zatan zum Opfer fiel. Anfangs beschränkte sich Hasans Vänners Arbeit hauptsächlich auf den Stockholmer Vorort Hagersten. Mehrere Jahre lang organisierte Hasans Vänner dort das antirassistische Festival Gränslösa, welches zur größten antirassistischen Veranstaltung in Schweden überhaupt heranwuchs. Hasans Vänner war eine der Gruppen, die 1995 die Initiave zu einem landesweiten Netzwerk gegen Rassismus ergriff. Zu diesem Netzwerk gehören mittlerweile über 70 Gruppen aus allen Bereichen des antirassistischen Spektrums, vom Jugendverbund einer liberalen Partei bis zur Antifaschistischen Aktion. Das Netzwerk gegen Rassismus baut auf dem Gedanken auf, das dessen Mitgliedsorganisationen in bestimmten Punkten zusammenarbeiten können, auch wenn sie in ideologischen Fragen völlig uneins sind. In jährlichen Konferenzen werden Strategien diskutiert und neue Kampagnen beschlossen. Das Netzwerk hat in den letzten Jahren zahlreiche Demonstrationen organisiert, wobei vor allem das Gedenken an die Reichspogromnacht letztes Jahr in Stockholm und Göteborg also erfolgreiche Beispiele gelten können. Während des Auftakts zur Europawahl 1999 organisierte das Netzwerk eine erfolgreiche Kampagne gegen die rassistische Partei Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten), wobei mehrere Tausend Flugblätter und Aufkleber verteilt wurden. Das Wahlresultat war dementsprechend schlecht für die Sverigedemokraterna.

AFA

Weiter außerhalb des bürgerlichen Spektrums steht die Antifaschistische Aktion (AFA). AFA besteht aus einem eigenen Netzwerk autonomer Gruppen in ganz Schweden und sieht im militanten Vorgehen gegen faschistische Strukturen das effektivste Mittel im antifaschistischen Kampf. AFA war oft erfolgreich in der Bekämpfung von nazistischer Demonstrationen, Treffpunkten, Geschäften usw. In der sehr parlamentarisch und gewaltfrei orientierten schwedischen Gesellschaft werden AFAs Methoden je doch oft in Frage gestellt und viele der etablierten Organisationen distanzieren sich stark von AFA.

SUF

Anarchosyndikalismus hat in Schweden eine vergleichsweise starke Tradition, und noch immer sind syndikalistische Gewerkschaften eine Alternative zu den normalen Gewerkschaften. Die syndikalistischen Jugendverbände (Syndikalistiska Ungdomsförbund, SUF), die es in allen größeren Kommunen gibt, beteiligen sich oft aktiv an antirassistischen Demonstrationen, organisieren Vorträge, Konzerte gegen Rassismus usw.

Parlamentarische Gruppen und Parteien

Viele Jugendverbände der etablierten Parteien engagieren sich antirassistisch, besonders bei Demonstrationen. Ung Vänster (Junge Linke) ist einer der aktivsten Jugendverbände in diesem Zusammenhang. Ung Vänster ist der Jugendverbund der reformsozialistischen Vänsterpartiet (Linkspartei) und unterstützt antirassistische Demonstrationen und Projekte oft finanziell, durch die Bereitstellung von Ausrüstung oder durch aktive Teilnahme. Andere aktive Jugendverbände sind die anderer sozialistischer Parteien (z.B. Rättvisepartiet/Socialisterna), aber auch die der liberalen Folkpartiet und die der Centerpartiet (Zentrumspartei).

Die Regierung

Nach einer Untersuchung 1997, die zeigte, wie weitverbreitet nazistische Musik bei schwedischen Jugendlichen ist, ergriff Staatsminister Göran Persson die Initiative zu einer Informationskampagne unter dem Motto: »Levande Historia« (Lebendige Geschichte). Einer der Hauptbestandteile der Kampagne war das Buch »Davon müßt ihr erzählen«, das sehr deutlich die Greuel des Terrors in Nazideutschland beschreibt. Das Buch wurde an allen Schulen verteilt und kann kostenlos bestellt werden. Es wurde in einer Auflage von mehreren Millionen Exemplaren gedruckt und mittlerweile in viele andere Sprachen übersetzt. Teil der Levande Historia-Kampagne sind außerdem Vorlesungen über Neofaschismus und dessen Bekämpfung.

Zeitschriften

Neben den verschieden antirassistischen Organisationen, die Antirassismus oft als Teil einer übergreifenden Ideologie betrachten, hat sich in den letzten Jahren die Zeitschrift Expo als Teil des antirassistischen Spektrums etabliert. Expo legt Wert darauf, mit keiner bestimmten politischen Richtung identifiziert zu werden, sondern will Informationen über die faschistische Szene an alle vermitteln, die daran interessiert sind. Expo wurde 1995 gegründet, befand sich jedoch bald in einer größeren finanziellen und personellen Krise. Seit Anfang des Jahres erscheint Expo jetzt wieder zusammen mit der Zeitschrift Svart Vitt . Neben der Herausgabe der Zeitschrift spezialisiert sich Expo hauptsächlich auf Recherche und die Weitergabe von Informationen an Journalistinnen und andere Interessierte. Was im Vergleich zu anderen europäischen Ländern seltsam anmuten mag, ist das völlige Fehlen von Studentenorganisationen und Gewerkschaften in antirassistischen Zusammenhängen. Eine Ursache dafür ist vielleicht in der Engstirnigkeit dieser Organisationen zu finden. Sowohl Studentkären (vgl. dem deutschen AStA) als auch die Gewerkschaften befassen sich hauptsächlich mit der Vertretung ihrer Mitglieder und engagieren sich kaum in Fragen, die darüber hinaus gehen.

  • 1Früher Peter Rindell
  • 2Siehe AIB Nr. 48
  • 3Siehe Artikel AIB Nr. 49, S. 64