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Antimuslimischer Rassismus

Einleitung

Antimuslimischer Rassismus, seit Jahren von Politik und Medien mit geschürt, manifestiert sich inzwischen auf den Straßen des „Abendlandes“ sowie in Verlautbarungen erstarkender rechtspopulistischer Parteien. Es geht dabei auch darum, den Abbau sozialer Rechte ideologisch abzusichern, während zugleich soziale Widersprüche durch rassistische Spaltungen verschleiert werden. Zudem werden tradierte Vorurteile gezielt zur Umsetzung repressiver Politik genutzt. Über diese Aspekte insbesondere im Kontext bundesweiter rassistischer Mobilisierungen sprach das AIB mit der Politologin und Autorin Inva Kuhn.

Siehst du insgesamt eine Zunahme antimuslimischer Ressentiments oder stellen PEGIDA u.a. lediglich eine öffentliche Plattform dessen dar, was sich bereits länger entwickelt hat?

Antimuslimischer Rassismus hatte im Laufe der Jahre — wie andere Ideologien auch — stets Konjunkturen. Also halte ich diesbezüglich die ideologische Dimension für entscheidend. Ein Blick über bereits gelaufene Debatten zeigt, wie mit traditionell antimuslimischen Bildern und Ressentiments ganze Politikfelder (neu-)besetzt wurden: Nach „9/11“ sprach man im Rahmen von Entwicklungspolitik plötzlich über Sicherheitspolitik, Menschenrechtsdebatten wurden im Lichte von sogenannten Religions- und Kulturkämpfen ausgetragen und soziale Widersprüche neoliberaler Reformen durch rassistische Spaltungen verschleiert. Diese und andere unterschiedliche Themen der vergangenen Jahre, die immer wieder mit „dem“ Islam gekoppelt wurden, schufen im Gesamten ein einheitliches, negatives Bild von Muslimen.

PEGIDA ist also die Folge langer ideologischer Debatten und rassistischer Kampagnen gegen Muslime, die mittlerweile institutionalisiert wurden.  Die Reform um das Staatsangehörigkeitsrecht und die daraus folgenden rassistischen Kampagnen mündeten in repressive gesetzliche Regelungen für Betroffene. Das war nicht PEGIDA. Der Überhöhung „islamischer Gefahren“ begegnete man in Baden-Württemberg mit Gesinnungstests, bekannt auch als Muslimtests. Auch nicht PEGIDA. In der Beschneidungsdebatte wollte man mit missionierender Unbeirrbarkeit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: den Jüd_innen und Muslim_innen „abendländische Zivilisation“ als Norm beibringen. Wieder nicht PEGIDA.

PEGIDA sind in einem gesellschaftlichen Klima entstanden, in dem beharrlich seit Jahren über migrationspolitische Versäumnisse hinweggesehen wurde und rassistische Kampagnen gegen Muslime zur Tagesordnung gehören. PEGIDA kann sich auf all das beziehen, was wir schon von Sarrazin, Buschkowsky, Broder, Ulfkotte, Pirincci oder Kelek kennen. Da Antimuslimischer Rassismus offensichtlich sehr anschlussfähig für den Mainstream ist, halte ich es für unabdingbar, seine ideologische Funktion in den Blick zu nehmen. Antimuslimische Ressentiments können jederzeit und situativ aufgerufen werden und für politische Interessen eingesetzt werden. Dadurch wird jene Macht entfaltet, die Antimuslimischen Rassismus ausmacht, rechtfertigt oder relativiert.

In der Debatte um die Verteidigung des „Abendlandes“ manifestiert sich eine konstruierte kulturell homogene und traditionelle Gemeinschaft mit einer radikalen Abwehrhaltung gegenüber jeglicher Normabweichung. Wenn auch andere Themen angesprochen werden, scheint sich die Auseinandersetzung auf einen aggressiv formulierten antimuslimischen Rassismus zu beschränken. Teilst du diese Einschätzung und warum bieten gerade Muslim_innen deiner Meinung nach diese Angriffsfläche?

Zunächst funktionieren Ideologien der Ungleichheit auch ohne Adressaten, ich glaube nicht, dass man Muslim_innen braucht, um Antimuslimischen Rassismus zu schüren. Das gleiche gilt für  Antisemitismus. Er funktioniert offenbar auch ohne Jüd_innen. Jenseits davon wäre es sehr zynisch, Betroffene verantwortlich zu machen oder zumindest davon auszugehen, dass sie eine Angriffsfläche böten.

In der Debatte um die Verteidigung des „Abendlandes“ findet zweifelsohne eine Überlappung unterschiedlicher Themen oder „eigener Problematiken“ statt. Man spricht über „Muslime“, handelt aber damit die Anpassung ganzer Lebensbereiche an den neo­liberalen Zeitgeist aus: Hartz IV, die Privatisierung sozialstaatlicher Funktionen oder Globalisierung der Produktionsweise.

Es geht also primär um soziale Widersprüche, die rassistisch ausgetragen werden, weil sie kulturalisiert und ethnisiert werden. Mal wird gegen Muslim_innen gehetzt, mal gegen Geflüchtete. Je nachdem, was gerade anschlussfähiger ist und dadurch politisch mehr hergibt. Deshalb finde ich eine Fokussierung der Auseinandersetzung auf den Rassismus im Allgemeinen wichtig. Es geht zwar selten bei diesen Angelegenheiten ausschließlich um Muslime oder nur um Geflüchtete, aber stets werden die Debatten rassistisch ausgetragen, egal ob es um Verteilungs-, Identitäts- oder Repräsentationskämpfe geht.

Der Diskurs über Islam und Muslim_innen steht beispielhaft für die Kulturalisierung sozialer und politischer Problemlagen. Dieser Kampf um kulturelle Dominanz scheint parallel zu ökonomischen Kämpfen stattzufinden. Woran liegt es deiner Ansicht nach, dass es mit solchen rassistischen Diskursen scheinbar gelingt, ganz verschiedene gesellschaftliche Fraktionen zusammenzubringen?

Ich denke, dass die Funktionalitäten, die Rassismus erfüllt, Auskunft über Gründe geben, weshalb zusammenhält, was gar nicht zusammengehört. Der Diskurs um Verteilung wird nationalistisch bestimmt, soziale und ökonomische Konflikte werden also zu kulturellen Problemen gemacht. Das ist ein zentraler Aspekt extrem rechter und rechtspopulistischer Parteien und Organisationen und er funktioniert über die Sündenbockideologie perfekt, wenn es darum geht, für gesellschaftliche Unsicherheiten und ungezügelte neoliberale Reformen Verantwortliche zu finden. Diese Kulturalisierung sozialer Fragen funktioniert in Deutschland genauso wie in Griechenland.

Zum anderen sehe ich als Problem die Verbindung zwischen der Kritik an Rassis­mus seitens des Mainstreams bzw. der Offiziellen und dem staatspolitischen Programm der Extremismustheorie: Rassismus wird allei­nig zum Problem von Neonazis gemacht, also feiert man die „Mitte der Gesellschaft“ als Hort demokratischer Werte und Prinzipien, was eine umfassende Rassismusintervention erschwert. Deshalb erfreut sich die „Standortdebatte“ als Klammer zwischen bürgerlicher Mitte und rechtem Rand großer Sympathien und trägt zu einem gesellschaftlichen Klima der „kulturellen“ oder „ethnischen“ Abgrenzung bei. Da spielen Fragen nach sozialer Herkunft oder klassenspezifischen Unterschiede kaum eine Rolle. Was lediglich stattfindet ist eine Disziplinierung sozialer und politischer Kämpfe, die gesellschaftliche Fraktionen zusammenbringt, die in sozialer und ökonomischer Hinsicht erst einmal nichts gemein haben.

Antimuslimischer Rassismus wird durch „Aufklärung“ nicht einfach zu beseitigen sein. Welche Möglichkeiten zur weiteren Intervention bzw. Thematisierung siehst du und welche Rolle sollte eine antifaschistische Linke dabei übernehmen?

Der Kampf gegen Rassismus muss als ein Querschnittthema betrachtet werden. Es reicht nicht für eine antifaschistische Linke, irgendwelchen RechtspopulistInnen in die Suppe zu spucken ohne soziale Widersprüche in der Gesellschaft anzugehen. Es werden auch — so wichtig sie auch sind — Mobi­lisierungen zu Blockaden oder Demos gegen Neonaziaufmärsche sowie direkte Aktionen gegen bekannte Neonazis nicht viel helfen, um ein gesamtgesellschaftliches Problem wie Rassismus zu beseitigen. Die politischen Auseinandersetzungen zeigen, dass bei Antimuslimischem Rassismus nicht nur die Artikulation von Identität machtvoll ist. Die Instrumentalisierung von Menschenrechten für neoliberale und geopolitische Ziele sowie die Kulturalisierung sozialer Fragen geben der antifaschistischen Linken die Richtung an. Denn insbesondere in Zeiten bröckelnder neoliberaler Hegemonie kommt Konzepten von Rechts(-außen) eine große Bedeutung zu. Die jüngsten Entwicklungen in Europa zeigen, wie rechtspopulistische und faschistische Parteien und Organisationen in Krisenzeiten an Zustimmung gewinnen. Dem sollte von linker Seite etwas entgegen gesetzt werden, auch bei der Kritik an Rassismus. Konkret bedeutet das: Wer zu Antimuslimischen Rassismus politisch arbeitet, sollte letztendlich auch die Frage nach Krieg und Frieden stellen sowie der sozialdarwinistischen Diffamierung und Entrechtung der Deklassierten etwas entgegen setzen. Antifaschistische und antirassistische Linke sollten auch soziale Kämpfe im Kiez und in der Stadt nicht igno­rieren und gleichzeitig rassistischen Spaltungsversuchen entschieden begegnen. Es geht darum, dass wir Verbündete finden, um den steigenden Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus anzugehen. Das bedeutet auch kontinuierliche mühevolle Aufbauarbeit zu leisten, die viel Zeit erfordert.

Inva Kuhn, *1986, Politologin, ist in der historisch-politischen Bildungsarbeit tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Rassismus, Antifaschismus, Politische Theorie.

Inva Kuhn:
Antimuslimischer Rassismus
Auf Kreuzzug für das Abendland
Neue Kleine Bibliothek 215, 110 Seiten
ISBN 978-3-89438-560-6