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Die „Goldene Morgenröte“ ist Geschichte

John Malamatinas
Einleitung

Griechische Neonazis der Chrysi Avgi (Χρυσή Αυγή) wurden als kriminelle Vereinigung verurteilt.

Foto: @uaf / Unite Against Fascism

Magda Fyssas vor dem Gericht.

Vorhang zu heißt es in dem wohl historischsten Gerichtsprozess der neueren griechischen Geschichte, der vorerst mit der Inhaftierung von 37 der 57 verurteilten Neonazis endete, denen vorgeworfen wurde einer kriminelle Vereinigung anzugehören. Nach fünfeinhalb Jahren und 466 Prozesstagen gehört die Partei „Chrysi Avgi“ der Vergangenheit an.

Gründer und Chef der Partei, Nikolaos Michaloliakos (Νικόλαος Μιχαλολιάκος) muss, wie auch sechs weitere Führungsmitglieder, für dreizehneinhalb Jahre ins Gefängnis. Der Preis dafür, dass er nicht nur die kriminellen Aktivitäten der Organisation lenkte, sondern die einstige Neonazi-Randgruppe in eine politische Kraft verwandelte, deren Modus Operandi die Ausschaltung politischer Feinde durch Killerkommandos war. Haftstrafen von bis zu zehn Jahren bekamen vor allem die Anführer und Mitglieder eben dieser Kommandos. Giorgos Roupakias, der Mörder des antifaschistischen Rappers Pavlos Fyssas, war das einzige Mitglied, das zu einer lebenslangen Haftstrafe plus zehn Jahre verurteilt wurde. Sechs der Verurteilten erhielten Bewährungs- oder Geldstrafen und weitere zwölf müssen vorläufig gegen die Zahlung einer Kaution nicht in Haft, darunter Michaloliakos‘ Ehefrau Eleni Zaroulia (Ελένη Ζαρούλια). Die Neonazipolitikerin war als Abgeordnete ausgerechnet im „Ausschuss für Gleichheit und Nicht-Diskriminierung“ des Europarates tätig. In einer Sitzung des griechischen Parlamentes nannte sie Immigrant_innen „Untermenschen“.

Gerechtigkeit ist nicht genug

Niemand, der nach Verkündung des Urteils am 7. Oktober 2020 vor dem Gerichtsgebäude stand und den Erleichterungsschrei von Magda Fyssas, der Mutter des ermordeten Pavlos, mit den Worten „mein Sohn du hast es geschafft“ miterlebte, wird diese Szene je vergessen. Das Urteil ist eine längst überfällige Gerechtigkeit für alle Opfer und Angehörigen dieser neonazistischen Gewalt. Dennoch war der Prozess für sie ein langer und schmerzhafter Weg, denn als Nebenkläger mussten sie sich oft Erniedrigungen gefallen lassen, sei es durch die Neonazis und ihre Anwälte, oder durch die Staatsanwältin Adamantia Oikonomou, die nichts unversucht ließ, um die Strafen der Angeklagten zu mildern. Doch die 54.000 Menschen, die am Tag des Urteils auf der Straße demonstrierten, wissen, dass keine Strafe je genug sein kann. Denn es habe viel zu lange gedauert, bis die Behörden aktiv wurden, um diese allzu offensichtlichen Verbrechen zu ahnden. Zu den verhandelten Verbrechen der Partei zählten die Ermordung von Fyssas im Jahr 2013 sowie die Anschläge auf ägyptische Fischer und kommunistische Gewerkschafter in den Jahren 2012 und 2013. Sowohl die Familie Fyssas als auch die ägyptischen Fischer werden in Berufung gehen, um eine Haftzeitverschärfung zu erwirken.

Auch die Gegenseite hat Berufung angekündigt. Weil das neue Verfahren bis zu zehn Jahre dauern könnte, könnten die Neonazis nun von einem Gesetz profitieren, das 2019 von der linken Regierung verabschiedet wurde und es ermöglicht, nach zwei Fünfteln der Haftzeit auf Bewährung entlassen zu werden.

Fester Bestandteil der griechischen Realität

Auch wenn „Chrysi Avgi“ erst seit der griechischen Staatsverschuldungskrise einem breiten internationalen Publikum ein Begriff ist, war sie bereits seit Jahrzehnten fester Bestandteil der griechischen Realität. Ihr Gründer Michaloliakos war schon mit 16 Jahren Jungkader der (neo)faschistischen Partei „Komma Tetartis Avgoustou“ (K4A1, „Partei des 4. August“)1 des heute noch bekanntesten Antisemiten Griechenlands Konstantinos Plevris. Gemeinsam mit dem „Chrysi Avgi“- Gründungs- (und heutigem Ex-)Mitglied Aristotelis Kalentzis wurde er 1974 bei dem Versuch festgenommen, die britische Botschaft anzuzünden, um gegen die britische Untätigkeit im Zypern Konflikt zu protestieren.

Der Name „Chrysi Avgi“ tauchte erstmals Anfang der 1980er Jahre als Magazin eines kleinen neonazistischen Clubs in Athen auf. Einen ersten Mitgliederzuwachs erhielt die Gruppierung im Schatten der Entstehung des Namensgebungsstreits mit Mazedonien in den 1990er Jahren durch die Teilnahme an nationalistischen Demonstrationen. In vielen Fällen genoss „Chrysi Avgi“ den Schutz der griechischen Polizei – bei der sie traditionell zahlreiche Sympathisanten hatte - und bot sich ihr im Gegenzug als Schlägertrupp gegen Linke an.

Bei den Kommunalwahlen 2010 erzielte „Chrysi Avgi“ erstmals einen Wahlerfolg. Michaloliakos zog als Abgeordneter in den Stadtrat von Athen – und provozierte gleich mit einem Hitlergruß. In den Folgejahren entwickelte sich die Partei zur drittstärksten politischen Kraft mit zwischenzeitlich 440.000 WählerInnen. Zur gleichen Zeit erreichte sie auch den Höhepunkt ihrer Mobilisierungskraft auf der Straße. In vielen griechischen Städten unterhielt sie Stoßtrupps, verübte Angriffe auf Migrant_innen und Andersdenkende und organisierte Demonstrationen mit tausenden Teilnehmenden.

Mit Beginn der staatlichen Repression – der Verhaftung der gesamten Führungsriege der Partei nach der Ermordung von Pavlos Fyssas im September 2013 – begann der Weg des internen Zerfalls. Die staatliche Finanzierung wurde entzogen, Parteibüros geschlossen und Parlamentarier machten sich unabhängig. Bei den letzten Parlamentswahlen 2019 verfehlte „Chrysi Avgi“ mit 2,93 Prozent den Einzug ins Parlament. Der Abgeordnete Ilias Kasidiaris, einst junges Aushängeschild der Partei, gründete erst kürzlich eine neue Partei („Griechen für das Vaterland“), was ihn jedoch nicht vor der Verurteilung als Teil der Führungsriege von „Chrysi Avgi“ rettete.

Der Führungskader Christos Pappas (Χρήστος Παππάς) befindet sich auf der Flucht und wurde zur Fahndung ausgeschrieben. Das Mitglied des Europaparlaments Giannis Lagos, ebenfalls zu 13 Jahren Haft verurteilt, wartet in Brüssel auf die Aufhebung seiner Immunität. Für die griechischen Sicherheitsbehörden eine Blamage, hatten diese doch vorher versichert, alle Verurteilten rund um die Uhr zu überwachen. Auch erstaunlich ist, dass die Homepage der Partei täglich aktualisiert wird.

Rassismus und Nationalismus bleiben

„Chrysi Avgi“ war kein Unfall der griechischen Politik. Ein Polizeibericht von Oktober 2020 besagt, dass bis zu 16 extrem rechte Gruppierungen bereitstünden, das von „Chrysi Avgi“ hinterlassene Vakuum zu füllen. Das Wählerpotential für extrem nationalistische Positionen wird es immer geben. Mal drückt es sich in Wahlerfolgen kleiner extrem rechter Formationen aus, aber vor allem als fester Bestandteil der rechtskonservativen Regierungspartei „Nea Dimokratia“, deren Anliegen es ist, das gesamte rechte Spektrum in sich zu vereinen. Ein Schritt, den die Verurteilung „Chrysi Avgis“ einfacher macht. Und dafür muss sich die Partei nicht einmal verstellen: Der derzeitige Vizepräsident und Entwicklungsminister ist Adonis Georgiadis, bekannt geworden durch rechte Trash-Marketingsendungen, in denen er regelmäßig Bücher des eingangs erwähnten Konstantinos Plevris anpreist.

Dessen Sohn, Thanasis Plevris, ist EU-Parlarmentarier der Partei. Der Gesundheitsminister Makis Voridis patroullierte in den 1980er Jahren als Teil der Jugendorganisation der diktaturtreuen Partei „Ethniki Politiki Enosis“ (EPEN) mit einer selbstgebauten Axt gegen linke Studierende. (Siehe AIB Nr. 126).

Ob die griechische Gesellschaft durch die Verurteilung der „Chrysi Avgi“ eine bessere geworden ist, muss sie noch beweisen. Deren einstige 440.000 WählerInnen sind nicht verschwunden und nationalistische Mobilisierungen gehen weiter. Der künftige Rassismus in Griechenland ist systematischer Natur und geht von der „Nea Dimokratia“ und den Sicherheitsbehörden aus.

Daneben existiert ein diffuses Organisierungspotential – prominentestes Beispiel die rechtspopulistische Partei „Elliniki Lisi“ (Griechische Lösung) - ausgehend von neuen Strategien der extremen Rechten. Der rechtskonservative Albtraum, der jetzt unter dem Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis stattfindet, hat reaktionäre Züge und setzt auf Nationalismus zur Ablenkung von den ökonomischen Problemen des Landes.

In der Coronakrise zeigte sich das Gesicht dieses rechten Konglomerats: Tourist_innen wurden nach Griechenland eingeladen, kein Kranken-hauspersonal aufgestockt, dafür aber mehr Polizei eingestellt. Paradox, denn dies ist Anlass und Vorbereitung zugleich für die kommenden Aufstände der griechischen Jugend.

  • 11965 von Kostas Plevris gegründete NS-Organisation. Nach dem Fall der Diktatur wurden Parteikader, wie etwa Aristotelis Kalentzis, wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt. Michaloliakos selbst charakterisiert in seinen Büchern „Chrysi Avgi“ als Fortsetzungsprojekt von K4A.