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Augsburg: Repression an der Grenze des juristisch Machbaren

Einleitung

Der Anspruch des „OAT Augsburg“ ist einigermaßen selbsterklärend. Die Abkürzung OAT steht für das lokale „Offene Antifaschistische Treffen“. Um dem Namen gerecht zu werden und Antifaschismus auf die Straßen Augsburgs zu bringen, werden Interessierte alle zwei Wochen zu einem offenen Plenum in das Augsburger „Hans-­Beimler-Zentrum“ eingeladen. Ein offener Anlaufpunkt für Menschen also, die sich antifaschistisch organisieren möchten. Auch aus polizeilichem Erfahrungswissen daher kein geeigneter Ort um Straftaten zu planen.

Screenshot Twitter in dem Gabrielle Mailbeck über ihr Outing berichtet
(Bild: Dokumentation Screenshot Twitter/Gabrielle Mailbeck)

(Bild: Dokumentation Screenshot Twitter/Gabrielle Mailbeck)

Dennoch stürmten am 1. März 2023 dutzende Polizist_innen samt Staatsschutz und Staatsanwaltschaft das offene Plenum, vernahmen später einige Teilnehmer_innen auf der Polizeiwache und durchsuchten im Anschluss eine Wohnung. Ein Bericht der Betroffenen schildert: „In wenigen Sekunden standen in und um das Zentrum dutzende Polizist_innen, welche uns mit mehreren Kameras filmten und uns anschrien unsere Hände hochzuhalten. Stundenlang saß man ohne ausgehändigten Durchsuchungsbeschluss und ohne die Möglichkeit einen Anwalt anzurufen fest, während eine Person nach der anderen alleine draußen durchsucht ­wurde. Von ausnahmslos allen Anwesenden wurden technische Gegenstände wie Handy und Laptop beschlagnahmt, bevor schlussendlich auch das Hans-Beimler-Zentrum durchsucht wurde.“1

Erst später wurde der Vorwurf klar: Der Verdacht des “gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten” in einem Ermittlungsverfahren gegen “Unbekannt”. Der äußerst dünne Anlass: Das OAT habe im November 2022 einen womöglich strafbaren Text auf den Internetseiten „indymedia“ und „antifa-­info.net“ zu den Augsburger AfD-Funktionären Tim und Gabrielle Mailbeck geteilt. Konkrete Beschuldigte gab es nicht, die Betroffenen wurden als “Zeugen” geführt.

Üben für den Polizeistaat?

Die "Rote Hilfe" bilanzierte: „Sind die bayerischen Repressionsbehörden ohnehin für ihre massiven Attacken gegen linke Bewegungen bekannt, versucht die Stadt Augsburg seit Monaten, Spitzenreiterin zu werden“. Der nun genutzte Anlass, einen Artikel der offenen Plattform „indymedia“ geteilt zu haben, in dem über eine Protest­aktion gegen zwei Augsburger AfD-Politiker berichtet und deren Adressen genannt worden war, fällt hierbei auf. „Offenbar soll die Stadt als Experimentierfeld für neue Unrechtsstaatsmethoden genutzt und in erster Linie die antifaschistische Bewegung kriminalisiert werden.“, erklärte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der „Roten Hilfe“.2

In einem unter der Kate­gorie „Polizei & Co“ auf der Plattform „Presse Augsburg“ veröffentlichten Pressetext („Hausdurchsuchung wegen links­extremer Gruppierung in Augsburg-Oberhausen“) strotzten die Ermittler vor Taten­drang: Mehrere Räumlichkeiten eines Objekts in Augsburg-Oberhausen seien durch Einsatzkräfte der Polizei durchsucht worden, dabei „bestanden konkrete Hinweise, dass sich dort ausschließlich Personen aufhalten, die einer linksextremen Gruppierung angehören. Die Gruppierung steht im Verdacht, sogenannte Feindeslisten verbreitet zu haben“.3
Denn im Zuge eines antifaschistischen „Outings“ seien an einer Wohn- und Geschäftsadresse der Schriftzug „AFD ANGREIFEN!“ auf den Boden bzw. Gehweg aufgebracht und Briefkästen mit Bauschaum befüllt und hierdurch beschädigt worden. Auch auf Flyern war die Aufforderung „AFD angreifen!“ abgedruckt. Das Fazit der Ermittler: „Aus diesem Grund ergab sich der Tatverdacht des „gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten“ (§126a StGB)“. Einer Rechtsauffassung, der sich immerhin auch das Amtsgericht Augsburg anschloss und entsprechende Durchsuchungsbeschlüsse erließ.

Die „geoutete“ AfD-Stimmkreiskandidatin Ost bei der Bezirkswahl ist laut der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF) hauptberuflich Fraktionsgeschäftsführerin der AfD im Augsburger Stadtrat. Seit 2021 präsentiert eine Internetseite Gabrielle „Gabi“ Mailbeck als „Ernährungsberaterin“ und ihren Ehemann (Beisitzer im AfD-Kreisverband Augsburg Stadt) als „Personal Trainer & Ernährungsberater“. Deren „bodyfaktur“ ist schwerlich nicht zu ergoogeln. Beide begrüßen potentielle Interessent_innen freundlich mit: „Nice to meet you! Wer sind wir? Wir, Gabi & Tim Mailbeck, stellen uns vor“, es folgen diverse öffentliche Portraitaufnahmen, ihre Handynummern, E-Mail-Adressen, Adressangaben und Accounts in sozialen Netzwerken. Egal ob Facebook, Tiktok, Instagram oder Twitter, das Verbreiten ihrer personenbezogener Daten ist der AfD-Politikerin offenbar selbst ein Anliegen, die ihr Leben detailliert und facettenreich in allen ihr zur Verfügung stehenden sozialen Netzwerken dokumentiert.

Das abfotografierte Flugblatt von sich und ihren Mann geht womöglich mehr durch sie selbst, als durch den hingeschluderten Indymedia-Dreizeiler viral. Was ist das jetzt für ein Paragraph, der hier angeblich gegriffen haben soll? Das „gefährdende Verbreiten personenbezogener Daten“ ist ein Vergehen, das mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft wird. Der mit Wirkung zum 22. September 2021 eingeführte Tatbestand richtet sich dabei insbesondere gegen das Verbreiten sogenannter „Todes- oder Feindeslisten“. Solche Listen gehören als politische Waffe ins Handwerkzeug der extremen Rechten gegen Politiker_innen, Prominente, politische Gegner_innen und Journalist_innen. Unmittelbarer Anstoß für den Gesetzesentwurf war die 2018 bekannt gewordene Feindesliste des paramilitärischen Neonazi-Netzwerks „Nordkreuz“. Im Absatz 3 dieses neuen Paragraphen ist deutlich zu lesen: „§ 86 Absatz 4 gilt entsprechend“. Durch den Verweis auf die Ausnahmeregelung des „Volksverhetzungsparagraphen“ ist eigentlich klargestellt, dass ein womöglich „gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten“ nicht strafbar ist, wenn es „sozialadäquat“ ist und „die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient“.

Die Razzia war rechtswidrig

Nach fast drei Monaten entschied das Landgericht Augsburg am 15. Mai 2023, dass die Razzia gegen das „Offene Antifaschistische Treffen“ rechtswidrig war. Alle beschlagnahmten Gegenstände müssen umgehend wieder ausgehändigt werden. Aus den Ermittlungsakten zur Razzia ging hervor, dass der Augsburger Staatsschutz keine Beweise in der Hand hatte. Der Staatsschutz versuchte deshalb, einen hinreichenden Verdacht aus der Parole „AfD angreifen!“ zu konstruieren. Dieser Spruch war auch auf einem Spruchbanner des OAT zu lesen und wurde auch beim Outing der AfD-Politiker vor deren Wohnung und Arbeitsplatz gesprüht. Dabei handelt es sich allerdings um eine schon lange etablierte kämpferische Parole in der antifaschistischen Bewegung, die von vielen verschiedenen Gruppen verwendet wird.

Das Landgericht hat hervorgehoben, dass die Durchsuchung eines offenen Treffens zwangsläufig Unbeteiligte treffen muss und äußerte Zweifel daran, ob das antifaschistische „Outing“ mit dem Vorwurf des „gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten“ überhaupt kriminalisiert werden darf. Den vom Staatsschutz konstruierten Zusammenhang mit der Parole erklärt es gleichfalls für nicht haltbar.

Das OAT und der Bundesvorstand der „Roten Hilfe“ werten die polizeilichen Angriffe auch als Experimente: Man möchte die Grenzen des Machbaren immer weiter aushebeln und nimmt sich dafür die noch jungen Strukturen vor Ort her. „Dieses Urteil bedeutet einen Rückschlag für die rechtsbeugerische Praxis des Staatsschutzes, linke Aktivist_innen und Organisationen in Augsburg mit Durchsuchungen und Verfahren zu überziehen. Zuletzt geschehen bei Fridays for Future, dem Klimacamp und der Roten Jugend Schwaben. Der kreativen Beweisfindung der Augsburger Justiz muss langfristig ein Riegel vorgeschoben werden. (...) Vergessen wir nicht, dass sich die zunehmende Repression gegen Antifaschist_innen auch in einen bundesweiten Trend einordnen lässt. Bald schon steht Linas Verurteilung mit mehreren Jahren Haft an. Jo, Dy, Findus und viele weitere politische Gefangene sitzen weiterhin in Haft. Die nächsten Hafturteile stehen auch schon in Stuttgart aus und im Zuge des Wahlkampfes in der Türkei wurden auch kurdische Genoss_innen in der BRD vermehrt in Haft genommen.“4

  • 1www.oat-augsburg.de, 2. März 2023: Polizei stürmt OAT Plenum wegen Kampf gegen AfD
  • 2www.rote-hilfe.de, 7. März 2023: Üben für den Polizeistaat? Massive staatliche Angriffe gegen Antifaschist*innen in Augsburg
  • 3www.presse-augsburg.de, 2. März 2023: Hausdurchsuchung wegen linksextremer Gruppierung in Augsburg-Oberhausen
  • 4www.oat-augsburg.de, 19. Mai 2023: Landgericht entscheidet nach fast 3 Monaten: Die Razzia war rechtswidrig