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"Vereinte Patrioten"-Prozess: "Umsturz mit Ariernachweis"

Ronny Junghans (Gastbeitrag)
Einleitung

In den ersten Monaten im Prozess gegen die „Vereinten Patrioten“ vor dem Oberlandesgericht Koblenz ist noch nicht viel passiert. Zu lange haben die ersten Einlassungen in Anspruch genommen. Doch diese lassen bereits erste Schlüsse über Motivation, Weltbilder und Selbstwahrnehmungen einzelner Angeklagter zu.

 

Thomas Kirchner
(Foto: Ronny Junghans)

Der Angeklagte Thomas Kirchner bei einem Treffen der „Vereinten Patrioten“.

Seit ihrer Verhaftung werden die „Vereinten Patrioten“ von einer starken medialen Präsenz begleitet. Schließlich sollen sie geplant haben, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen, durch Stromausfälle bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen und sich zu diesem Zweck Waffen und Sprengstoff zu beschaffen. Der Generalbundesanwalt wirft den Angeklagten vor, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben, um Mord, Freiheitsberaubungen und letztlich einen Umsturz zu begehen. Die Anklage spricht von einer schweren, staatsgefährdenden Gewalttat, für die sich die Angeklagten Kriegswaffen beschafft hätten. Nach den ersten Monaten der Verhandlungen zeichnet sich bereits ab, dass die zugrundeliegenden Taten tatsächlich geplant waren. Die Angeklagten sagen aus und beginnen sich gegenseitig zu belasten.

Vom Stromausfall zum Staatsstreich

Über die Entstehung der Gruppe ist bekannt, dass sich die Beteiligten zunächst unabhängig voneinander in Chatgruppen und bei Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-­Pandemie vernetzten. Sie trafen sich als „Fluthelfer“ bei den Aufräumarbeiten nach den Überschwemmungen im Ahrtal und vernetzten sich weiter. Schließlich fand im Dezember 2021 in einer Grillhütte bei Bendorf (Landkreis Mayen-Koblenz) ein erstes Vernetzungstreffen statt. Hier wurde der Plan, über mehrere Wochen einen Stromausfall herbeizuführen, konkret. Mit Konkretisierung ihres Vorhabens wurde auch die Beschaffung und Finanzierung von Schusswaffen und Sprengstoff wichtiger.

Zu den Plänen der „Vereinten Patrioten“ zählte ebenso das Vorhaben, Kontakt zur russischen Regierung aufzunehmen und ein Treffen mit ihr zu vereinbaren. Mit Beginn der Stromausfälle war eine „konstituierende Versammlung“ nach dem Vorbild des Deutschen Reiches von 1871 geplant, um einen neuen Staat auszurufen, den sie bei einer Reise nach Russland dort vom russischen Staat legitimieren lassen wollten. Für die „konstituierende Versammlung“ war wichtig, dass alle Beteiligten „RuStag“- Unterlagen besitzen, um nachzuweisen, dass die väterliche Linie bis vor 1913 im „deutschen Reich“ geboren wurde.

Neues Staatsoberhaupt sollte der im März 2022 verstorbene Holocaustleugner Rigolf Hennig werden. Als strategischer Kopf der Gruppe kann die pensionierte Lehrerin Elisabeth Roth gelten. Neben ihr wird Michael Heeren, der unter anderem von dem extrem rechten Szeneanwalt Martin Kohlmann vertreten wird, zum administrativen Arm der Gruppe gerechnet. Für den Rekrutierung und dem „militärischen Arm“ waren Thomas Oldenburg und Sven Birkmann zuständig. Der letzte Angeklagte ist Thomas Kirchner. Den Angeklagten ist gemein, dass sie vorher nicht öffentlich in Erscheinung getreten sind. Nur Elisabeth Roth hatte bereits ab Mitte der 2010er Jahre begonnen, Bücher mit verschwörungsideologischen Inhalten zu veröffentlichen.

„Vor Antisemitismus triefende Ideologie“

Elisabeth Roth nutzte das Gericht als Bühne, um, wie es der Generalbundesanwalt ausdrückte, ihre, „vor Antisemitismus triefende Ideologie“ auszubreiten. Ein Vorgehen, das Parallelen zu Prozessen gegen die Holocaustleugner*innen Ursula Haverbeck und Horst Mahler aufweist - was auch nicht verwunderlich ist, denn Roth war mit dem verstorbenen Rigolf Hennig gut bekannt. Es ist möglich, dass sie über Hennig Kontakte zu Akteur*innen des von ihm mitgegründeten und 2017 aufgelösten Holocaustleugner-Netzwerks „Europäische Aktion“ (EA) hatte. Nachweislich reichen Roth’s Verbindungen bis in die von Haverbeck mit gegründete „Gedächtnisstätte e.V.“ in Guthmannshausen. Der Vorsitzende, Wolfram Schiedewitz, stellte für Roth den Kontakt zu den Mitangeklagten Michael Heeren her.

Roth wähnt sich in einem „3000-jährigen Krieg der Juden gegen die Deutschen“, der bis heute anhält. Das Ziel dieses Krieges soll die jüdische Weltherrschaft sowie die Reduzierung der Menschheit sein - eine typische antisemitische Verschwörungserzählung. Die einzige Lösung für sie verspricht das „Deutsche Reich“. Denn dieses konnte „kein jüdischer Putsch unterkriegen“.

Außerdem hätte die „jüdische Gegenreformation“ als Antwort auf die von Martin Luther initiierte Reformation ihr Ziel verfehlt. Martin Luther ist zentral in Roth‘s Denken. Mit seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ hätte er die Verschwörung aufgedeckt. Ihre Ausführungen untermauerte sie mit antijudaistischen Bibelzitaten und gängigen Verschwörungserzählungen.

Verrohung

Die Gruppe ist das Ergebnis einer dreijährigen Radikalisierung in einer Blase aus Selbstviktimisierung und Verschwörungsideologie in einem extrem rechten Umfeld in Telegram-Gruppen. Aber auch Selbstwirksamkeitsmomente bei Demonstrationen mit Tausenden „Gleichgesinnten“ auf der Straße spielten bei der Radikalisierung eine Rolle.

Deutlich wurde im Prozess etwa, wie Birkmann zu Beginn der Corona-Pandemie in Gruppen, wie dem von ihm gegründeten „Veteranen-Pool“ mit tausenden ehemaligen Militärangehörigen, aktiv wurde und immer mehr den Bezug zur Realität verlor. Bei „Querdenken“-Großdemonstrationen und der Mobilisierung zur „Fluthilfe“ im Ahrtal 2021 hat er Selbstermächtigung erlebt, die seine Überzeugungen stärkten. Das Zusammentreffen mit Elisabeth Roth hat sein Handeln in ein geschlossenes, antisemitisches Weltbild eingebettet, wodurch er sich in einem viel größeren Kampf wähnte. Fortan ging es nicht mehr nur gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, sondern um einen Kampf „Juden gegen Weiße“. In Präsenztreffen haben sich die Angeklagten mit immer neuen Ideen und dem Durchdenken der bestehenden in ihrem Vorhaben weiter bestärkt.

Noch kein Ausblick

Der bisherige Prozessverlauf zeigt auf, dass antifaschistische Praxis vor neuen Herausforderungen steht. Die Angeklagten waren vorher nicht in der extremen Rechten auffällig geworden, sind keine „Abgehängten“ der Gesellschaft, sondern Teil der gut situierten Mehrheitsgesellschaft. Es fällt schwer, sie zu identifizieren. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie nahmen sie den Staat als eher ermöglichend wahr. In dem Moment, ab dem ihre gesellschaftlichen Privilegien in Gefahr schienen, zeigte sich, wie kurz der Weg der Bürgerlichkeit zum Terrorismus sein kann. Ganz nach deutscher Tradition. Um so wichtiger ist eine vollständige Aufklärung der Strukturen und Netzwerke der Gruppe.

Der Prozess steht erst am Anfang. Deutlich ist aber, das Gericht nimmt den Prozess ernst und scheint an einer vollständigen Aufklärung interessiert, anders als bei vorherigen Prozessen gegen extrem rechte Akteur*innen. Die Absurdität des ganzen Vorhabens sollte nicht über die Gefährlichkeit der Angeklagten hinwegtäuschen. Es darf nicht vergessen werden, dass ein Großteil der Angeklagten bei dem Versuch verhaftet wurde, Waffen zu kaufen. Waffen, die dazu bestimmt waren, Menschen gezielt zu ermorden.

Dies zeigen ebenso die weiteren Verhaftungen am 10. Oktober 2023. Unter den fünf weiteren Verhafteten waren zum Beispiel Julian Vogler aus dem Raum München. Er wollte für die Gruppe zehn Tonnen Kriegsmaterial aus „Ex-Jugoslawien“ besorgen. Es mangelte allein an Möglichkeiten zur Lagerung. Unter den Festgenommenen war auch Heidi Oldenburg, die Tochter von Thomas Oldenburg. Ihr wird vorgeworfen Pläne, für den Bombenbau hergestellt zu haben.

In ihrer Unterschiedlichkeit lassen sich Muster finden. Elisabeth Roth und Michael Heeren sind schon länger damit befasst, wie der von ihnen so verhasste demokratische Staat abzuschaffen sei. Sie haben Netzwerke, die bis ins neonazistische Milieu hineinreichen. Heeren hatte Verbindungen, um die nötigen finanziellen Mittel aufzutreiben. Mit den drei weiteren Angeklagten haben sie Unterstützer gefunden, die bereit waren weitere zu rekrutieren, um mit denen rechtsterroristische Anschläge durchzuführen.

Mobilisiert werden konnten sie durch Roths Versprechen einer romantisierten Vergangenheit und der Vermittlung der vermeintlich „wahren Feinde“: „den Juden“. Vorstellungen wie Freiheit oder Souveränität dienten als leere Containerbegriffe, die mit den je individuellen Sehnsüchten gefüllt werden können, sodass sich diese Mischszene trotz aller Unterschiedlichkeit auf einen gemeinsamen Fixpunkt einigen kann: Eine einfache und übersichtliche Welt, ohne unkontrollierbare Entwicklungen der Moderne. Die nicht vorhandene ideologische Stringenz lässt sich ausblenden. Für das höhere Ziel eines „freien, souveränen Deutschlands“.

(Dieser Text ist eine gekürzte und aktualisierte Version des Artikels aus Lotta #92 von Ronny Junghans und Alex Wissmann.)