Skip to main content

Die unendliche Geschichte des Bombenanschlags von Oklahoma

Vom "Searchlight" USA-Korrespondenten (Gastbeitrag)
Einleitung

Im Dezember 1997 entschieden die zwölf Geschworenen im Prozess gegen Terry Lynn Nichols, daß der Angeklagte der Verschwörung und des fahrlässigen Todes, nicht aber des vorsätzlichen Mordes schuldig sei. Eine Verurteilung wegen Mordes hätte als Höchststrafe die Todesstrafe nach sich ziehen können. Terry Nichols war gemeinsam mit Timothy McVeigh und Michael Fortier für den Neonazi-Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City verantwortlich.

Terry Nichols

Der us-amerikanische Neonazi-Terrorist Terry Nichols.

Der Schuldspruch ist ein verwirrendes Kompromißurteil. Der Staatsanwaltschaft ist es offenbar nicht gelungen, die Geschworenen davon zu überzeugen, daß Terry Nichols der einzige aktive Partner des Hauptangeklagten Timothy McVeigh beim Bombenanschlag von Oklahoma City gewesen sei. Auf der anderen Seite haben die Geschworenen aber auch die gebetsmühlenartig vorgebrachten Beteuerungen von Nichols' Verteidigung, Nichols habe versucht, »sich ein Leben mit seiner Frau und Kindern aufzubauen«, anstatt »eine Bombe mit Timothy McVeigh zu bauen« nicht vollständig geglaubt.

Bei Redaktionsschluß des AIB war es den Geschworenen nicht gelungen, zu einer gesetzlich vorgeschriebenen einhelligen Meinung über das Strafmaß für Nichols - Todesstrafe, lebenslängliche Haft oder eine Entscheidung durch den Vorsitzenden Richter Matsch - zu kommen. Dadurch liegt die Entscheidung über das Strafmaß jetzt bei Richter Matsch. Der Richter, der auch im Verfahren gegen Timothy McVeigh den Vorsitz geführt hatte, kündigte schon einige Tage vor Prozeßende an, daß die Strafe, falls er selber das Strafmaß festlegen müsse, unterhalb von lebenslanger Haft liegen würde.

Der Prozeß gegen Nichols verlief vor allem wegen des Verteidigers Michael Tigar völlig anders als der vorangegangene Prozeß gegen Timothy McVeigh. Eine andere Geschworenenjury hatte ihn vor einem halben Jahr aller Anklagepunkte für schuldig befunden und einstimmig zum Tode verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte überzeugende Beweise für McVeighs Rolle beim Bombenanschlag vorgelegt - sowohl für den Kauf der Bombenbestandteile, für das Anmieten des Lastwagens und dessen Fahrt nach Oklahoma City. Die Anklage der Staatsanwaltschaft konzentrierte sich sehr eng auf McVeigh und die Mitverschworenen Terry Nichols und Michael Fortier. Wichtige Bestandteile der Verschwörung - wie beispielsweise die Tatsache, wie und wo die Bombe gebaut wurde - wurden nicht angesprochen.

McVeighs Verteidiger waren nicht in der Lage gewesen, im Prozeß eine von ihnen behauptete größere Verschwörung - u.a. unter Beteiligung des Deutschen Andreas Strassmeir (Berlin) - zu belegen. Der Verteidiger von Terry Nichols präsentierte jetzt allerdings wichtige und glaubwürdige Beweise dafür, daß der Sprengsatz von vier oder fünf Männer zusammengebaut wurde - und daß weder McVeigh noch Nichols daran beteiligt gewesen seien.

Wichtigster Zeuge für die Verteidigung war der Mechaniker Charles F., der vor Gericht beschrieb, wie er am Abend vor dem Bombenanschlag am Greary Lake - dem See, wo Timothy McVeigh laut Staatsanwaltschaft den Sprengsatz zusammengebaut haben soll - auf eine Gruppe von Männern gestoßen war. Die fünf Männer seien um drei Fahrzeuge - darunter einen Transporter der gleichen Marke, der beim Bombenanschlag verwendet wurde - versammelt gewesen. Auf den Fahrzeugen hätten sich große Säcke mit ammoniumnitrathaltigem Düngemittel - einem Bestandteil des Sprengsatzes befunden. Als Charles F. sich der Gruppe näherte, wurde er von den Männern vertrieben. Charles F. hatte sich kurz nach dem Bombenanschlag an das FBI gewandt. Die Bundespolizei hatte aber kein Interesse an seiner Aussage gezeigt.

Die Staatsanwaltschaft legte dagegen erneut Beweise dafür vor, daß Nichols gemeinsam McVeigh den Anschlag plante und dabei mithalf, das Düngemittel und Maschinenöl, die beim Bau der Bombe verwendet wurden, zu besorgen. Außerdem wiesen die Staatsanwälte nach, daß Nichols sechs Monate vor dem Bombenanschlag einen Waffenhändler in Arkansas überfallen und dabei Waffen und Geld gestohlen hatte. Sie bewiesen darüber hinaus, daß Nichols nur wenige Tage vor dem Bombenanschlag nach Oklahoma City gefahren war und dort McVeigh abholte, nachdem dieser sein Fluchtauto in der Stadt abgestellt hatte.

Paradoxerweise bestätigte Nichols' Ehefrau Marife die Theorie der Staatsanwaltschaft. Sie war von der Verteidigung als Zeugin bestellt worden, um Terry Nichols' Familienleben zu beschreiben. Aber sie sagte gegenüber den Geschworenen auch aus, daß ihr Ehemann ihr gesagt habe, er fahre nach Omaha im Bundesstaat Nebraska, und nicht nach Oklahoma City, um Timothy McVeigh abzuholen. Terry Nichols hatte Marife, eine Frau aus den Philippinen, über eine Heiratsvermittlung per Katalog ausgesucht und als Ehefrau bestellt. Vor Gericht erklärte sie, daß sie aufgrund der vielen Zeit, die ihr Ehemann mit McVeigh verbrachte, »eifersüchtig« gewesen sei. Sie beschrieb eine unglückliche Ehe, in der sie im Haus festgehalten wurde, und lieferte kein Tatzeitalibi für Nichols.

Andere Zeugen der Verteidigung bestätigten die Verbindungen der Beteiligten zu Aktivisten des organisierten Rassismus und der rechten Bürgermilizbewegung. Seit dem ersten Tag nach McVeighs Verhaftung hatten Sprecher der Bürgermilizbewegung versucht, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß die Attentäter einsame Einzelgänger gewesen seien, die keine Beziehung zur Bürgermilizbewegung gehabt hätten. Das Gegenteil ist der Fall: Nichols hatte sich intensiv mit den pseudo-juristischen Theorien des "Posse Comitatus", einer in ländlichen Regionen des Mittleren Westens operierenden rechtsextremen Gruppe beschäftigt. Und Richard "Rick" Coffmann aus Arizona, Kommandant einer Einheit von der Neonazi-Organisation "National Alliance" um Neonazi-Führer William Pierce, sagte aus, daß Timothy McVeigh kurz vor dem Bombenanschlag mehrfach Nachrichten unter dem Pseudonym »Tim Tuttle« auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte.

Andere Zeugen sagten aus, daß McVeigh über mehrere Jahre hinweg Propagandamaterialien der "National Alliance" und der "Knights of the Ku Klux Klan" verteilt hatte.

War Andreas Straßmeier an der Verschwörung beteiligt?

Die Verteidiger versuchten auch, Andreas Straßmeier glaubhaft mit der Verschwörung in Zusammenhang zu bringen. Der Sohn des ehemaligen Berliner CDU-Generalsekretärs und Staatssekretärs im Bundeskanzleramt Günter Straßmeier diente als Panzerleutnant in der Bundeswehr. Einige us-amerikanische Presseberichte behaupten, daß er während seiner Bundeswehrzeit eine Geheimdienstausbildung erhalten habe. Strassmeier kam zum ersten Mal 1988 in die USA, angeblich wegen seines Interesses an historischen Studien über den us-amerikanischen Bürgerkrieg. Laut Medien-Recherchen  hielt er sich damals in Virginia bei Vincent Petruski, einem pensionierten Air Force-Offizier auf, der ein Bekannter seines Vaters sei. Petruski erklärte gegenüber der Zeitung »Tennessean«, daß Straßmeier versucht hätte, einen Job bei der us-amerikanischen Drogenfahndungsbehörde DEA zu erhalten. Die DEA habe aber seine Bewerbung abgelehnt. Im gleichen Zeitraum freundete sich Strassmeier demnach wohl auch mit dem Neonazi und Anwalt Kirk Lyons an. Lyons hat gute Verbindungen zu fast allen Gruppierungen der us-amerikanischen Neonazi-

und Bürgermilizbewegung und hat Neonazis in Deutschland und England besucht.

Straßmeier verließ die USA dann wieder, reiste ausgiebig durch mehrere Länder außerhalb Deutschlands und kehrte 1991 in die USA zurück. Zu diesem Zeitpunkt besorgte Lyons ihm eine Unterkunft in Elohim City, einem Camp der sogenannten "Christian Identity" Bewegung im Nordosten des Bundesstaats Oklahoma (s. auch AIB Nr. 39). Straßmeier wurde von einer Informantin der staatlichen Waffen- und Alkoholkontrollbehörde "Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives" (ATF), Carol Howe, die Elohim City mehrfach besucht hatte und im fraglichen Zeitraum mit Dennis Mahon, dem Anführer der Neonazi-Gruppe "White Aryan Resistance" (WAR), zusammenlebte, in Bezug auf den Bombenanschlag schwer belastet.1

Laut Howe soll Straßmeier zehn Monate vor dem Bombenanschlag dort von McVeigh besucht worden sein. Howes Glaubwürdigkeit ist allerdings dadurch in Frage gestellt, daß sie die Informationen über Straßmeier erst Monate nach dem Anschlag an die ATF und das FBI weiterleitete - nachdem sie sich mit Mahon und seinen Neonazi-Bekannten überworfen hatte.

Howes Aussage steht die Aussage von Joan Millar, der Ehefrau des rechten Milizchefs Robert Millar entgegen, die erklärte, daß McVeigh zwar wenige Tage vor dem Anschlag in Elohim City angerufen, aber nur unspezifisch nach einem Deutschen gefragt habe. Laut Millar soll McVeigh aber Straßmeiers Namen nicht gekannt und nur nach einem Mann mit ausländischem Akzent gefragt haben, dessen Visitenkarte er auf einer Waffenmesse erhalten habe. Millar bestätigte damit Straßmeiers eigene Angaben zu seinen Kontakten mit McVeigh. Straßmeier hatte gegenüber dem "Der Spiegel" und der Berliner Staatsanwaltschaft erklärt, er habe McVeigh 1994 bei einer Waffenmesse in Dallas, Texas, kennengelernt und ihm seine Visitenkarte gegeben. Einen weiteren Kontakt hätte es nicht gegeben, da er zum Zeitpunkt von McVeighs Telefonanruf »die Zäune in Elohim City« repariert habe und daher nicht ans Telefon gegangen sei. Wenige Wochen nach dem Anschlag kehrte Strassmeier nach Deutschland zurück. Mittlerweile hält er sich an einem unbekannten Ort im europäischen Ausland auf.

Unabhängig davon, ob die vielen Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag von Oklahoma City jemals aufgeklärt werden - angefangen mit der Frage nach den unbekannten Mittätern von McVeigh und Nichols bis hin zur Rolle von Strassmeier -, wird es auf der juristischen Ebene noch mehrere Nachspiele geben. Zum einen werden Nichols und McVeigh noch einmal in Oklahoma City selbst vor Gericht gestellt werden.2
Zum anderen haben 170 Familien, deren Familienangehörige beim Anschlag umkamen, angekündigt, eine Zivilklage gegen sechs Bundesbehörden einzureichen. Der Vorwurf: Schlampige Ermittlungen, Vorabwissen über den Anschlag und systematische Vertuschung von Hintergründen.

  • 1Laut Medienberichten und Berichten aus der Neonazi-Szene soll Straßmeier in "Elohim City" mit dem Neonazi Michael William Brescia, einem Mitglied der "Arischen Republikanischen Armee", befreundet gewesen sein. Nach dem Bombenanschlag soll er demnach gemeinsam mit seinen "Kollegen" Pete Ward und Tony Ward von dem Gelände "geflohen" sein.
  • 2Das amerikanische Justizsystem unterscheidet zwischen Bundesstrafdelikten und Delikten, die von den einzelnen Bundesstaaten verfolgt werden. Die Prozesse gegen McVeigh und Terry Nichols wurden von der Bundesstaatsanwaltschaft in Washington DC geführt und bezogen sich nur auf die bei dem Bombenanschlag ermordeten acht Bundesangestellten. Nichols und McVeigh werden im nächsten Jahr noch einen weiteren Prozeß wegen der weiteren 160 »zivilen« Opfer vor einem Gericht des Staates Oklahoma haben.