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Österreich - Herausforderungen für die antifaschistische Linke

"autonome antifa [w]" (Gastbeitrag)
Einleitung

In den frühen Morgenstunden des 18. Dezember 2017 gingen über 8.000 Menschen in Wien auf die Straße, um gegen die Amtseinführung der Regierung der rechtsextremen „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ) und der konservativ-autoritären „Österreichischen Volkspartei“ (ÖVP) zu protestieren. Verschiedenste linke Gruppen, Bündnisse, Parteien und ein Schüler*innenstreik trafen im Zuge eines Sternmarsches auf dem Heldenplatz zusammen, wo es zu dem Versuch kam, die Absperrungen der Polizei zu überwinden. Als antifaschistische Gruppe hatten wir bereits früh zusammen mit dem linksradikalen Zusammenschluss „Plattform Radikale Linke“ zu Protesten für den Fall einer Regierungsbeteiligung der FPÖ aufgerufen. Denn bereits vor der Wahl im Oktober 2017 verdichteten sich die Anzeichen für dieses Szenario, bei der auch die situationselastisch-antifaschistische Sozialdemokratie durch plötzliche Anbiederungsversuche ins Blaue hinein auffiel. Im Burgenland sind sie schon seit einer geraumen Zeit in einer Koalition mit der FPÖ. Der Großteil der (radikalen) Linken und der Zivilgesellschaft blieb trotz dieser eindeutigen Entwicklung überraschend ruhig und es wurde teilweise beschwichtigt. Es hatte den Anschein, als ginge der Aufstieg der extremen Rechten in Österreich so kontinuierlich und scheinbar unaufhaltsam voran, dass eine erneute Regierungsbeteiligung der FPÖ keine Verwunderung oder gar Aufregung mehr hervorrufen könne.

In den Koalitionsverhandlungen wurde immer klarer, was das autoritär-konservative Regierungsprojekt für die meisten Menschen konkret bedeuten wird: Eine noch restriktivere Asylpolitik, die Implementierung eines völkischen Frauen- und Familienbildes im Regierungsprogramm, an Hartz IV angelehnte sozialpolitische Maßnahmen und ein neues Überwachungs­paket sind da nur einige Stichworte. Mit Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) steht der Polizei, den Abschiebebehörden sowie den Geheimdiensten ein stramm-rechter Ideologe vor.

Als im Herbst 2017 immer mehr dieser Pläne und Maßnahmen konkrete Gestalt annahmen, regte sich endlich breiterer Widerstand. Egal ob Gewerkschaften oder Studierendenvertretungen, feministische, antirassistische und antifaschistische Zusammenhänge — vielen wurde deutlich, dass es Widerstand gegen diese Regierung geben muss, um einerseits einer weiteren Verschlechterung der Verhältnisse und der Verrohrung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung etwas entgegenzusetzen und um andererseits die Perspektive auf eine bessere, solidarische Gesellschaft jenseits von Herrschaftsverhältnissen aufrecht erhalten zu können.

Im Anschluss an die Proteste am Tag X, dem Tag, an dem die neue Regierung ins Amt eingeführt wurde, beteiligten sich an der Großdemonstration zum „Neujahrempfang“ in Wien am 13. Januar 2018 rund 60.000 Menschen. Es war eine der größten und eindrucksvollsten Demonstrationen der letzten Jahre, viele sprachen vom Beginn einer Bewegung gegen Schwarz-Blau. Doch so wichtig diese Proteste waren, um einen Kontrapunkt gegen die allgemeine Lethargie und Ohnmacht zu setzen, wurde es im weiteren Verlauf des Jahres nicht geschafft, an diese Mobilisierungen anzuknüpfen und sie in alltägliche Kämpfe zu übersetzen.

Dilemmata im Umgang mit der FPÖ

Unter dem Banner des Antifaschismus war es schon in der Vergangenheit gelungen, eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Menschen zu mobilisieren und zu bestimmten Anlässen auf die Straße zu bringen. Die sich immer weiter ausbreitende extreme Rechte und ihrer Netzwerke in Österreich sowie deren ohnehin traditionelle Stärke machten antifaschistische Proteste immer auch zu Protesten gegen die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse im Land. Stellenweise nahmen sie den Charakter einer sozialen Bewegung an. So war auch unsere Gruppe über Jahre hinweg an der Mobilisierung gegen den Ball der deutsch-­völkischen Studentenverbindungen in Wien beteiligt. Hier ist es gelungen, die starken personellen wie inhaltlichen Verbindungen zwischen Burschenschaften und der FPÖ zum Thema zu machen. Nur: Geschadet hat es der FPÖ nicht. Sogar dann nicht, als durch den Druck der antifaschistischen Proteste der damalige WKR-Ball1 nicht mehr unter diesem Namen in der Wiener Hofburg, dem Sitz des österreichischen Bundespräsidenten, stattfinden konnte. Beispielhaft für die Österreichischen Zustände sprang den Schmissgermanen ihre politische Vertretung — die FPÖ — zu Hilfe und die Wiener Landesgruppe meldete ab 2012 den Akademikerball unter ihrem Namen als Fortführungsveranstaltung an. Die Partei bewies einmal mehr, wie stark sie hinter ihren Korporationen steht.

Hier zeigt sich ein allgemeines Dilemma im Umgang mit der FPÖ: Wer Skandal­trächtiges in Bezug auf die FPÖ und die extreme Rechte finden will, macht sich auf die Suche nach dem Heu im Heuhaufen. Was soll man noch über eine Partei sagen, die als Sammelbecken ehemaliger Nazis gegründet wurde, deren erster Bundesparteiobmann SS-Brigadeführer war, deren aktuelle Führung in antisemitischen Burschenschaften korporiert ist und vor nicht allzu langer Zeit sich mit Neonazis bei Wehrsportübungen in den Kärntner Wäldern auf den nationalen Ernstfall vorbereitete? Wie viele „Einzelfälle“ braucht es denn noch, wie viele Hitlergruß-Fotos, NS-Facebookpostings und Holocaust-besingende Liederbücher? Wie viele Recherchen müssen noch veröffentlicht werden über das direkte publizistische Umfeld der FPÖ, in denen das antisemitische, rassistische und antifeministische Gedankengut noch krasser hervortritt, um sich über den ideologischen Charakter dieser Partei im Klaren zu werden?

Hier stößt Aufklärung an ihre Grenzen. Was vor der extrem rechten Regierungsbeteiligung nur antifaschistischen Zusammenhängen und einigen wenigen Journalist*innen vorbehalten war, ist jetzt zum journalistischen Tagesgeschäft geworden: Durch die Regierungsbeteiligung der FPÖ werden deren extrem rechte bis neonazistische Umtriebe verstärkt von bürgerlichen Medien aufgegriffen und skandalisiert.

Doch die FPÖ wird nicht trotz sondern wegen ihres völkischen Rassismus gewählt. Auch wenn diese Skandalisierung des extrem rechten Charakters der FPÖ nicht schadet, kann aus diesem Misslingen der Aufklärung nicht der Schluss gezogen werden, jenes Misslingen noch voranzutreiben, in dem man gänzlich auf Aufklärung verzichtet. Es zeigt sich hier aber, dass es (zusätzlich) eine andere, tiefergehende antifaschistische Strategie braucht, um dem gesellschaftlichen Rechtsruck etwas entgegenzusetzen.

Der gesellschaftliche Rechtsruck wurde nicht alleine von der FPÖ losgetreten und endet auch nicht mit ihr. Auch alle anderen Parteien und die gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung haben sich ein gutes Stück weiter nach rechts verschoben. Selbst wenn rassistische Ressentiments schon immer in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft verankert waren, hat sich die Grenze des Sagbaren zu Gunsten der extremen Rechten verschoben. Damit wurde aber auch diesen Ressentiments ein stabiler diskursiver Rahmen gesetzt, extrem rechte Gruppen und Parteien fungieren hier als Lautsprecher und Verstärker.

Der Grund und die Ursachen des Rechtsrucks liegen aber nicht (nur) in der erfolgreichen diskursiven Strategie der extremen Rechten. Sie liegen in einer Gesellschaft, die die einzelnen Menschen in Konkurrenz zueinander setzt, die Ohnmachtsgefühle und die Gewissheit der eigenen Überflüssigkeit und Ersetzbarkeit aus sich heraus produziert. Ideologien kollektiver Identität wie Rassismus und Nationalismus, aber auch Kategorien wie Kultur und Geschlecht bieten hier die Möglichkeit, eine vorpolitische Anspruchsberechtigung an gesellschaftlicher Teilhabe qua Herkunft und „Identität“ abzuleiten. Sie ermöglichen es, sich als Teil des großen Ganzen, der Nation, dem Volk zu sehen und darin aufzugehen, um an der Macht teilhaben zu können. Die extreme Rechte spricht genau das offen aus und schafft damit ein Angebot: Ihr Versprechen ist der Nationalismus und Rassismus, also Solidarität durch Ausschluss — bei Unterordnung unter das nationale Kollektiv, das im kollektiven Narzissmus noch als psychischer Lohn daherkommt. Wo nur noch der Volkskörper zählt, ist der Einzelne nur Funktion für dessen Erhalt.

Neue autoritäre Formierungen

Viel wurde in Österreich auch über den „drohenden Faschismus“ diskutiert, der jetzt vor der Tür stehe. Und ganz unberechtigt ist die Angst nicht. Gerade aus einem historischen Bewusstsein wissen wir, dass es eine reale Gefahr bleibt, dass die bürgerliche Gesellschaft in Barbarei umschlägt und dass die rechtlich eingehegte Gewalt entfesselt wird. Vieles spricht auch dafür, dass dies partiell umgesetzt wird, der Ausnahmezustand zur Normalität wird, die er für die Ausgeschlossenen, die Entrechteten und als fremd Bestimmten schon länger ist. Eine falsche Analogiebildung zum historischen Faschismus verstellt jedoch den Blick auf die aktuellen autoritären Formierungen. Es gibt eine Eigenlogik innerhalb der Politik des Kapitalismus, die hier auch die extreme Rechte auf Standort und demokratisches Prozedere verpflichtet. Das Primat des Völkischen gewinnt Einzug in die Politik, ohne sich aber offen gegen die Demokratie zu wenden.  Dennoch ist zu befürchten, dass die Katastrophe sich durch kleine Schritte anbahnt.

Gerade das extrem rechte publizistische Netzwerk arbeitet an einer hochsubventionierten Gegenöffentlichkeit, dessen Auswirkungen noch nicht abschätzbar sind. Wenn hochrangige Politiker*innen in antisemitischer Manier gegen George Soros kampagnisieren, öffentlich-rechtliche Medien angreifen und an einem Umbau des Kunstbetriebes für heimatdienliche Zwecke arbeiten, zeigt dies schon an, dass es nicht den direkten Schlag gegen die organisierte Linke und Arbeiter*innenbewegung braucht, der den Faschismus historisch ausgezeichnet hat. Auf am Boden Liegende muss man nicht eintreten — die extreme Rechte in Regierungsverantwortung baut derzeit an anderen mächtigen Feindbildern. Und doch droht hier der autoritäre Umbau des Staates, der sich aber nicht nur in Österreich anmeldet. Es ist eine allgemeine Entwicklungstendenz innerhalb des globalen Kapitalismus, die eskalierenden Widersprüche autoritär zu befrieden. Der Unterschied in der konkreten Umsetzung ist ein gradueller, kein prinzipieller. Für viele Menschen bedeutet dieser Unterschied jedoch einen über Leben und Tod. Das zeigt sich an der Abschiebepolitik und an dem tödlichen Ausbau der Festung Europa.

Never let the fascists have the streets

Für eine künftige politische Praxis ergeben sich für uns vor allen Dingen zwei Strategien: Natürlich müssen wir uns als antifaschistische Linke einerseits der Gefahr bewusst sein, die beispielsweise von Gruppen wie den „Identitären“ ausgeht, eine Gruppe, die die antifaschistische Linke anfangs vor neue Herausforderungen stellte. Über Jahrzehnte hinweg gab es keine Neonazi-Aufmärsche in Österreich. Dementsprechend war es für die antifaschistische Linke Neuland, als sie mit den international mobilisierten Aufmärschen der „Identitären“ konfrontiert wurde. Dennoch gelang es schon bald, verschiedene Aktionsformen auszuprobieren und an ihnen zu lernen. Egal ob durch Militanz oder Finger- und Blockadekonzepte: In Wien kamen ihre Aufmärsche bald nur wenige Meter weit, weshalb es unattraktiv wurde, die Demonstrationen dort abzuhalten. Auch bei ihren Infoständen wurden unlängst neue Aktionsformen ausprobiert, um ihre Inszenierung zu durchbrechen. Beispielhaft dafür steht die Aktion „Faschist*innen abschirmen“, bei der Antifaschist*innen die Identitären über Stunden hinweg mit Regenschirmen wortwörtlich von der Öffentlichkeit abschirmten und so die Verbreitung ihrer Propaganda verunmöglichten.

Antifaschistische Strategien sollten daran ausgerichtet sein, wie stark und gefährlich ihre Gegner sind. Dazu ist Recherche über deren Strukturen eine Notwendigkeit. Aus ihr leiten sich Erkenntnisse darüber ab, wie Neonazis am wirksamsten bekämpft werden können. Um nicht auf der Stelle zu treten, ist ein ständiges Weiterentwickeln von vielfältigen Ideen und Aktionsformen ratsam. Außerdem muss eine erfolgversprechende antifaschistische Strategie Organisationsangebote schaffen, um Wissen weitergeben zu können und Menschen auch außerhalb der Szene die Möglichkeit zu geben, aktiv zu werden. Mit den „Offenen Antifa Treffen“ haben wir in Wien damit sehr gute Erfahrungen gemacht.

A better future for all! — Antikapitalistisch in die Offensive!

Bei der gesamtgesellschaftlichen Betrachtung österreichischer Zustände zeigt sich, dass es eine linke Politik bräuchte, die mehr ist als antifaschistisch, die sich über die beschriebenen Zusammenhänge im Klaren ist und die emanzipatorische Gegenentwürfe erarbeitet. Denn auch wenn man der außerparlamentarischen extremen Rechten immer wieder durch antifaschistische Aktionen Erfolge abringen und sie hier erheblich in ihrem Handlungsspielraum einschränken konnte, sollte man sich nicht selbst betrügen.

Die Positionen der extremen Rechten werden nun auf Regierungsebene verhandelt, dementsprechend muss sich auch eine antifaschistische Strategie neu ausrichten und mit neuen Maßstäben messen lassen. Eine Gefahr besteht dort, wo man sich durch den allgemeinen gesellschaftlichen Rechts­ruck in den Trott antifaschistischer Abwehrkämpfe treiben lässt, die einem Kampf gegen Windmühlen gleichen.

So muss eine antifaschistische radikale Linke an den Stellen aktiv sein, wo die bürgerlichen Antifaschist*innen bis heute versagen, kann ihnen aber dort das Geschäft überlassen, wo sie es ganz gut alleine zu Stande bringen, der extremen Rechten etwas entgegenzusetzen.

Ein Punkt, wo die Proteste gegen die österreichische Bundesregierung auf eine neue Stufe gestellt werden können und der Versuch unternommen werden könnte, aus der thematischen Verengung der Proteste auf den Bereich des Antifaschismus auszubrechen, bietet die österreichische Übernahme der EU-Rats­präsidentschaft ab der zweiten Jahreshälfte 2018. Hier will das autoritär-konservative bis extrem rechte Regierungsprojekt aus ÖVP und FPÖ seine Politik der Abschottung nach außen und der sozialen Kontrolle und Disziplinierung nach innen auf die europäische Ebene tragen. Für uns Anlass genug, die Proteste gegen die Regierung ebenfalls auf eine neue Stufe zu stellen und gemeinsam mit Genoss*innen aus verschiedenen Ländern zu zeigen: Wir sind eine transnationale Bewegung, die sich weder auf die Seite der autoritär Neoliberalen, noch die der nationalistischen Kleinstaaterei stellt. Es geht um eine bessere Zukunft für alle — und diese ist nur jenseits des Kapitalismus zu haben.

  • 1Der "Wiener Akademikerball" wird seit 2013 jährlich von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Landesgruppe Wien, organisiert. Er gilt als Nachfolger des "Wiener Korporations-Ball" bzw des "Ball des Wiener Korporationsrings" (WKR-Ball), der zuvor von 1952 bis 2012 jährlich aus dem Spektrum der Burschenschaften von dem "Wiener Korporations-Ring, Ballausschuss – Verein für Brauchtumspflege" ausgerichtet wurde.