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#Antifa: Diskurskampf und Mindeststandards

Einleitung

Im Editorial der letzten Ausgabe bilanzierten wir die immer wiederkehrenden Versuche, den Begriff des Antifaschismus zu skandalisieren oder auf der anderen Seite zu verflachen, zu entwenden, zu entwerten, umzudeuten und zu vereinnahmen. Es ist deshalb notwendig, den Begriff zu schärfen und ihn zu verteidigen. Denn ihm gegenüber steht nicht weniger als ein mörderischer Rassismus, getragen von einem breit aufgestellten rechten Diskurskampf. Bereits im Zuge der Affäre um den frei erfundenen Mordversuch an AfD-Mann Frank Magnitz durch vermeintliche Antifaschisten hatte es Friedrich Burschel im AIB Nr. 122 treffend auf den Punkt gebracht: „Während bis auf höchste Ebene ein Geschrei um antifaschistische Gruppen anschwillt und ein Verbot von Roter Hilfe und Antifa gefordert wird, ignoriert eine bürgerliche Mitte mit ihren Medien schlicht, wie sehr sie mal wieder von der in Teilen offen neofaschistischen AfD für ihre Zwecke eingespannt wird. Den Kitt liefert dafür der traditionelle deutsche Antikommunismus (...). Während bei rassistischem und rechtem Terror das Auge stets fest zugedrückt bleibt, gilt schon der geringste Verdacht auf der Linken als rechtskräftiges Urteil.

Foto: Black Mosquito

Antifa – Militanz – Aufregung

Die medialen Aufreger, die einem konsequenten Vorgehen gegen Neonazis folgen, gehen an den Adressaten – der Antifa – weitestgehend ungehört vorbei. Was okay ist: Die Antifa hat keinen Sprecher und organisiert sich in unterschiedlichsten Formen. Sie kann weder jedem gefallen, noch kann sie von Allen immer verstanden werden, sie will im Wesentlichen wirksam sein. Die meisten Betroffenen von Neonazigewalt und solidarische Strukturen wissen es eh: Wer sich und andere vor Neonazi­gewalt schützen will, muss sich mit Selbstschutz im weiteren Sinne beschäftigen. Die Polizei ist sowieso kein Partner und die Medien können schnell zu Gegner*innen werden. Auf die eigene Kraft zu vertrauen heißt aber auch, solidarische Strukturen zu schützen, die stellvertretend angegangen werden - insofern diese nicht vorschnell einknicken und sich mit Distanzierungen aus der Schusslinie zu bringen versuchen. Bei Auseinandersetzungen mit Neonazis stehen vermehrt Teile der „Zivilgesellschaft” medial unter Beschuss, einige sind damit überfordert. Die Kampagne „Kein Ort für Nazis“ aus Berlin-Neukölln schlussfolgert daher: „Selbst von AfD-Trollen und staatlichen Förderungen unter Druck gesetzt, wird sich bei jedem unglücklich stolpernden Nazi von einer lang erprobten und halbwegs erfolgreichen Praxis im Kampf gegen Neonazis distanziert. Als fader Ausweg ertönt gleichzeitig der Ruf nach den Sicherheitsbehörden“.

Zwar gibt es in der bürgerlichen Mitte eine Erwartungshaltung, etwas gegen den fortschreitenden Rechtsruck in der Gesellschaft unternehmen zu müssen. Sobald sich im Kampf gegen Neonazigewalt aber die konkrete Frage „Wer und Wie?“ stellt, scheint vieles von Stimmungs- und Meinungsschwankungen abzuhängen.

Auf der einen Seite werden Bundesverdienstkreuze verliehen, auf der anderen Seite erleben wir Stigmatisierungen von Antifaschist*innen, die den Aufrufen der Zivilgesellschaft Folge leisten und sich Neonazis aktiv widersetzen. Die Einhegung von antifaschistischem Protest in zivilgesellschaftliche Organisationen ist dabei oft Teil des Problems geworden. Wer das Glück hat, einen spannenden und akzeptabel bezahlten Job in einer interessanten Institution der Zivilgesellschaft zu ergattern, wird durch diese Institution im eigenen Verständnis und Aktivismus mehr verändert, als sie*er die Institution verändern wird. Die ständige Unsicherheit und Abwägung darüber, wie aktiv dann noch in der Öffentlichkeit gegen Neonazis vorgegangen werden kann, wenn ein solcher Job in Aussicht steht, können robusten Antifaschismus hemmen und zur Handlungsunfähigkeit führen.

Darüber hinaus kommt es im Nachgang von offensiven antifaschistischen Aktionen gegen Neonazis oft zu eiligen Distanzierungen durch sich als antifaschistisch bezeichnende Akteur*innen der Zivilgesellschaft. Der Grund für diese vorschnellen Distanzierungen liegt meist darin, die nachfolgenden gegen diese Akteur*innen gerichteten Kampagnen oder Shitstorms abzuwehren. Gleichzeitig besteht die wahrscheinlich nicht unberechtigte Angst, dass staatliches Wohlwollen und Förderungen künftig ausbleiben könnten, wenn nicht vorauseilend Distanz oder sogar Abscheu proklamiert wird.

Der Rechtsruck nimmt aber nicht durch Wegducken ab – vielmehr ist jede Distanzierung ein Zeichen dieses Prozesses und unnötige Selbstbeschränkung. Distanzierungen tragen gerade nicht zur Legitimierung der Akteur*innen selbst bei, sondern vertiefen ein Misstrauen in deren Handlungsfähigkeit und beschädigen das Verhältnis zur eigenen Basis. Berliner Antifa-Gruppen richteten sich deshalb mit einem Handout „10 Punkte für antifaschistische Courage“ insbesondere an Akteur*innen wie Stiftungen, Bildungsträger und sich als kritisch verstehende Medien. Sie verstehen dies aber auch als einen an aktive Antifaschist*innen gerichteten Leitfaden und wenden sich an alle, die ihre Meinungen auf Twitter vorschnell kundtun zu müssen:

1. Keine vorauseilende Entsolidarisierung: Soll heißen, sich nicht voreilig und um erwartetem Druck von Rechts zu entgehen, von antifaschistischen Aktivist*innen zu distanzieren. Bevor die Sachlage geklärt ist, ist jegliche Distanzierung unnötig und kontraproduktiv. Vielmehr heißt es Ruhe bewahren und prinzipiell solidarisch sein.

2. Die rechtsstaatlichen Mindeststandards nicht relativieren: Es gilt die Unschuldsvermutung. Gerade von bürgerlichen Akteur*innen erwarten wir, zumindest diesen rechtsstaatlichen Standard als gesetzt zu betrachten und Personen nicht vorzuverurteilen oder ihre Persönlichkeitsrechte durch umfassende Weitergabe von Informationen zu ihrem Arbeits- oder Privatleben zu verletzen.

3. Linke und rechte Militanz sind nicht das Gleiche: Während rechte Gewalt und Terror als Mittel der Unterdrückung dienen, richtet sich linke Militanz genau gegen diese Unterdrückung. Sie stellt sich als Gegenmacht zu dieser realen Bedrohung dar. Es ist noch ein weiter Weg bis hin zu einer befreiten Gesellschaft und bis dahin sehen es viele Linke als ihre Aufgabe an, die Handlungsfreiheit von Neonazis einzuschränken. Dazu gehört es, ihnen ihre Strukturen und Ressourcen zu nehmen und das persönliche Sicherheitsgefühl zu untergraben, um sie politisch handlungsunfähig zu machen.

4. Widerstand gegen Neonazis ist vielfältig: Lange Zeit herrschte die Einsicht, dass der Kampf gegen Neonazis sich vielfältiger Aktionsformen bedient, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Über die jeweilige strategische Eignung kann gestritten werden, ohne Aktionen den antifaschistischen Gehalt abzusprechen. Ein gemeinsamer Kampf fordert gegenseitige Akzeptanz und nicht Gleichmacherei.

5. Solidarischer Umgang im Kampf: Solidarität bedeutet eine wohlwollende Prüfung der Fakten und Befragung der Betroffenen bevor öffentlich Stellung genommen wird. Dazu gehören auch die Fähigkeit, differenzierte Kritik - anstatt pauschaler Distanzierungen - abgeben und entgegennehmen zu können, ohne gleich den gemeinsamen Kampf in Frage zu stellen.

6. Skepsis gegenüber polizeilichem Handeln: Der NSU-Komplex hat aufgedeckt, dass (vermeintliche) Paranoia oft Wirklichkeit ist. Die offensichtliche Verstrickung staatlicher Institutionen in den rechten Terror hat weder zu einem Umbau der Sicherheitsorgane noch zur politischen Einsicht geführt. Gerade angesichts der fehlenden Lehren aus dem NSU-Komplex ist eine grundlegende Skepsis gegenüber polizeilichem Handeln erforderlich.

7. Grundsätzliche Kritik an den Geheimdiensten: Geheimdienste als Institutionen wurzeln in der Vorstellung, Gefahren für die Gesellschaft würden von konspirativ agierenden Extremist*innen an isolierten Enden der Gesellschaft ausgehen. Diese Konzeption hat sich als grundfalsch erwiesen. Zudem neigen Geheimdienste in Struktur und Arbeitsweise zu autoritärem Denken, weshalb sie Gefahren nur links ihres eigenen Standpunkts beziehungsweise von „außerhalb“ eindringend erkennen können. Die fatalen Fehleinschätzungen zum NSU, die Beteiligung von V-Personen an der NSU-Unterstützung und die mehr oder weniger direkte Unterstützung rechter Strukturen durch den VS fordern dessen Abschaffung und nicht den weiteren Ausbau der Kompetenzen.

8. Keine unbedachte Zusammenarbeit mit der Polizei: Sich nicht auf polizeiliche Informationen zu verlassen oder vermeintlich neutrale Informationen an sie weiterzugeben, ist geboten, um sich und andere zu schützen. Die Polizei verfolgt eigene politische Interessen, nutzt soziale Medien und Ermittlungsergebnisse um die eigene Agenda voranzubringen. PR-Kampagnen sollten Antifaschist*innen nicht auf den Leim gehen und unbedarft Informationen beisteuern. Stattdessen sollten eigene Recherchen angestellt werden.

9. Medien haben die Aufgabe der Informations- und Meinungsweitergabe, der Kritik und Begleitung des öffentlichen Diskurses. Die betreffenden Akteur*innen stehen in der Verantwortung, keinen „medialen Rufmord“ gegen Antifaschist*innen zu ermöglichen und das eigene Handeln kritisch zu überprüfen. Dazu gehört, keine Polizei-Zuarbeit zu leisten und einen (medialen) Strafverfolgungseifer nicht weiter zu potenzieren.

10. Auch wenn in den (sozialen) Medien eifrig spekuliert wird, heißt es an allererster Stelle: tief durchatmen. Wenn ihr euch schon äußern müsst, dann sprecht nur von euch selbst, nicht im Allgemeinen. Kommentiert nicht alles, wonach ihr gefragt werdet, sondern nur, wovon ihr Ahnung habt. Untereinander Kritik zu üben ist richtig und wichtig - in einem geeigneten Rahmen.