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Die Schwarze Reichswehr

Interview mit Dr. Bernhard Sauer
Einleitung

Die Geschichte der frühen NSDAP ist ohne die Verwurzelung der Partei im Milieu rechtsextremer Wehrverbände der Weimarer Republik nicht zu verstehen. Eine Vielzahl nachmaliger führender NSDAP-Aktivisten erwarb ihre präfaschistische politische Sozialisation im Milieu von Freikorpsverbänden und radikalen völkischen Gruppen. Eine politisch-militärische Schnittstelle zwischen rechtsextremen Wehrverbänden und Reichswehr stellte die so genannte »Schwarze Reichwehr« dar, die sich als Sammelbecken antirepublikanischer, rechtsradikal-militanter Soldaten erwies. Die Bezugnahme mancher heutiger neonazistischer Gruppen auf Freikorpsverbände  und Reichwehr war für das Antifaschistische Infoblatt (AIB) Anlass, den historischen Kontext genauer zu erkunden.

Bild: Bundesarchiv, Bild 102-16108 /CC BY-SA 3.0

Vereidigung von Reichswehr-Soldaten auf Adolf Hitler im August 1934.

Können Sie bitte kurz die Entstehung der Schwarzen Reichswehr in der Weimarer Republik skizzieren?

Unter Schwarzer Reichswehr werden die illegalen oder halblegalen militärischen Formationen verstanden, die neben oder außerhalb der legalen Reichswehr in der Weimarer Republik existierten. Sie wurden von der legalen Reichswehr eingerichtet, unterhalten und zum großen Teil finanziert, um die alliierten Bestimmungen einer Begrenzung der Reichswehr auf 100.000 Mann zu umgehen und so die Schlagkraft der Reichswehr heimlich zu erhöhen. Solche militärisch formierten Organisationen, nach außen »Arbeitskommandos« genannt, gab es im gesamten Reich, im Bereich des Wehrkreiskommandos III im Raum Berlin Brandenburg gelang es aber, eine weitgehend eigenständige Organisation aufzubauen, die in der Folgezeit dann auch besondere Bedeutung erlangen sollte. Dies lag daran, dass in den anderen Wehrkreiskommandos die »schwarzen« Formationen direkt den örtlichen Reichswehrleitungen unterstanden, während das Wehrkreiskommando III den Führern der Schwarzen Reichswehr, Bruno Ernst Buchrucker und Paul Schulz, weitgehend freie Hand ließ. Buchrucker und Schulz, beide schillernde Persönlichkeiten, die sich später wie zahlreiche andere Kader der Schwarzen Reichswehr dem Nationalsozialismus anschlossen und die zuvor schon den Feldzug der deutschen Freikorps im Baltikum mitgemacht und sich aktiv am Kapp-Putsch /artikel/die-niederschlagung-des-kapp-putsches beteiligt hatten, nutzten die Gunst der Stunde und bauten systematisch unter den Fittichen der legalen Reichswehr eine reaktionäre Putscharmee auf, mit der sie zu gegebenem Zeitpunkt in Berlin einmarschieren und die Regierung stürzen wollten. Buchrucker und Schulz rekrutierten die Schwarze Reichswehr vornehmlich aus den verschiedenen Freikorps, wobei darauf geachtet wurde, dass deren Angehörige streng »national« eingestellt waren. Vor allem Angehörige der Freikorps, die zuvor im Baltikum gekämpft hatten sowie die Mitglieder der beiden größten Freikorps in Norddeutschland, das Freikorps Roßbach und die Marinebrigade Ehrhardt und deren Nachfolgeorganisation, die Organisation Consul (O.C.), stellten die Kader der Schwarzen Reichswehr. Das erste Arbeitskommando der Schwarzen Reichswehr wurde bereits 1921 von Paul Schulz in Küstrin gebildet. Später wurde Schulz, ebenso wie Buchrucker mit der Reichswehr durch einen zivilen Vertrag verpflichtet, in das Wehrkreiskommando III in der Kurfürstenstraße 63 in Berlin berufen und mit der Einrichtung weiterer Arbeitskommandos beauftragt. So entstand im Verlauf des Jahres 1923 alsbald ein weites Netz von Kommandos, insgesamt 23 Standorte, in und um Berlin. Diese Kommandos, mit denen die Reichshauptstadt quasi eingekreist war, waren militärisch vollkommen ausgebildet und politisch geeint in dem fanatischen Willen, die verhasste »Judenregierung« so bald wie möglich zu stürzen. Zugleich wurden in ihnen Angehörige der verschiedenen anderen nationalistischen Organisationen in vier- bis sechswöchigen Lehrgängen militärisch ausgebildet, die jederzeit innerhalb weniger Stunden bei Bedarf mobilisierbar waren.

Ist es zutreffend, wenn man das Verhältnis der Reichsregierung und Reichswehrführung im Kontext der Begrenzung der Truppe auf 100.000 Mann zur Schwarzen Reichswehr als politisch instrumentell bezeichnet?

Ja und nein. Die Reichswehrführung und Teile der Reichsregierung wollten die Schlagkraft der Reichswehr mit den illegalen Formationen erhöhen, weil sie das Reich im Westen durch die Anfang des Jahres 1923 erfolgte Ruhrbesetzung der Franzosen und Belgier und im Osten durch die Polen bedroht sahen. Ob diese Stellen mit der heimlichen Aufrüstung auch innenpolitische und weitergesteckte außenpolitische Ziele verfolgten, kann hier nicht erörtert werden, Tatsache ist aber, dass die Geldgeber aus Industrie und Landwirtschaft, die neben der legalen Reichswehr die Formationen der Schwarzen Reichswehr finanzierten, diese vor allem auch bei Unruhen im Innern einsetzen wollten. Die Führer der Schwarzen Reichswehr jedenfalls entwickelten alsbald weitergehende Ziele. Sie bauten über die bewilligte Stärke der Arbeitskommandos hinaus eine schlagkräftige Armee auf, mit der sie nach dem Vorbild der italienischen Faschisten mit einem »Marsch auf Berlin« die Hauptstadt besetzen und die Reichsregierung »beseitigen« wollten. »Beseitigen« war dabei durchaus wörtlich gemeint. Die Regierungsmitglieder sollten bis auf den Stadtkommandanten exekutiert werden. Umfangreiche Judenpogrome waren vorgesehen und eingeleitet werden sollte der Putsch durch ein Attentat auf den preußischen Innenminister Carl Severing und die Sprengung der Börse. Unter Führung einer starken Militärdiktatur sollten dann die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges revidiert werden. Die Reichswehrführer des WK III bestritten später mit Vehemenz, mit derartigen Plänen etwas zu tun gehabt zu haben. Im Gegenteil. Sie seien von Buchrucker und Schulz systematisch hintergangen und belogen worden. Dies kann ihnen durchaus geglaubt werden. Tatsache ist ja auch, dass die Reichswehrführung sich schließlich gegen den geplanten Staatsstreich stellte, nachdem Reichspräsident Friedrich Ebert den Ausnahmezustand für das Reich ausrief und die Reichswehr unmittelbar die exekutive Gewalt übernahm. Dennoch bleibt die Haltung der Reichswehrführung zwiespältig und teilweise undurchsichtig. Die Führer der Schwarzen Reichswehr behaupteten später, dass zumindest Teile der legalen Reichswehr mit ihren Plänen durchaus sympathisierten und erst dann absprangen, als die Lage aussichtslos erschien. In jedem Fall hat die Reichswehrführung äußerst fahrlässig gehandelt, indem sie die Arbeitskommandos der Schwarzen Reichswehr einrichtete und förderte, die Kontrolle aber, was sich da in den Kommandos entwickelte, entweder nie gehabt oder alsbald verloren hatte. Sie trägt letztlich die Verantwortung, dass sich unter ihren Fittichen eine antidemokratische Umsturzarmee entwickeln konnte.

Welche politischen und lebensweltlichen Erfahrungen prägten die Aktivisten und Offiziers der Schwarzen Reichswehr? Gab es einen Prozess politischer Radikalisierung?

Alle Angehörigen der Schwarzen Reichswehr, von denen aufgrund der erhalten gebliebenen Ermittlungs- und Prozessakten biografische Angaben gemacht werden können, waren durch den Ersten Weltkrieg und die Nachkriegswirren sozialisiert worden. In jungen Jahren, nicht selten mit 16, 17 oder 18 Jahren, wurden sie in den Krieg eingezogen oder hatten sich freiwillig zu diesem gemeldet. Rudolf Höß beispielsweise, der sich später dem Freikorps Roßbach anschloss, dort an einem Fememord beteiligt war und dann als Kommandant von Auschwitz traurige Berühmtheit erlangen sollte, meldete sich mit 16 Jahren freiwillig zum Krieg. Dort erlebte diese Generation die Hölle des Gas- und Granatkrieges. In den Schützengräben der Front, in der täglichen Erfahrung mit dem Tod und dem Gefühl des gegenseitigen Angewiesenseins entwickelte sich jene Männergemeinschaft, die dann für die Freikorps des Nachkrieges typisch war und in der Schwarzen Reichswehr ihre deutlichste Ausprägung fand. Das »Fronterlebnis« war die zentrale Schlüsselerfahrung im Leben dieser Menschen. Die Niederlage Deutschlands im Weltkrieg und der Zusammenbruch der Monarchie erlebten die aktiven Frontoffiziere als Schock. Schuld daran trug in ihren Augen nicht die politische und militärische Führung des Kaiserreichs, sondern ein innerer Feind, der mit Defätismus und Landesverrat systematisch die Heimat zersetzt habe. Während die Frontheere draußen noch für den »Sieg« kämpften, wurde in der Heimat bereits in Streiks und Massendemonstrationen die Beendigung eines für sinnlos gehaltenen Krieges gefordert. Dies erweckte bei den Frontoffizieren den Eindruck, »dass hinter ihrem Rücken (...) die verbrecherische Fackel der Revolution das deutsche Haus in Brand gesteckt hatte«. Ihr Hass richtete sich gegen Sozialdemokraten und Spartakus, gegen die Arbeiter- und Soldatenräte, die für die Beendigung des mörderischen Krieges eingetreten waren. Die völkische Propaganda hat dann vor allem »den Juden« für den »Landesverrat« ausfindig gemacht. Die Weimarer Republik, als »Judenrepublik« beschimpft, wurde von den ehemaligen Frontoffizieren, die nun die Freikorps arbeitslos gewordener Soldaten führten, in ihrer großen Mehrheit abgelehnt und aktiv bekämpft. Die meisten hatten sich an den Nachkriegskämpfen und den verschiedenen nationalistischen Abenteuern beteiligt und fanden sich nun in der Schwarzen Reichswehr zusammen, um erneut den Versuch zu starten, die Weimarer Republik gewaltsam zu beseitigen. Im Verlauf der Nachkriegskämpfe hatten sich bei ihnen eine zunehmende Radikalisierung und Politisierung entwickelt. Viele gewannen eine gezielt antisemitische Einstellung und schlossen sich später der NSDAP, SA und SS an und stellten dort nicht selten die Kader.

Wie lässt sich das Interaktionsverhältnis zwischen Schwarzer Reichswehr und rechtsextremen Wehrverbänden in den zwanziger Jahren beschreiben?

Die Schwarze Reichswehr war ein Sammelbecken, eine Art Dachverband der verschiedenen nationalistischen Verbände. In den zahlreichen Geheimbünden und Wehrverbänden hatte es sich schnell herumgesprochen, dass da »bei der Reichswehr« eine »neue Sache« aufgezogen werden sollte. Das zog die alten Kämpfer automatisch an. Andere wiederum erhielten von ihren ehemaligen Vorgesetzten in den Freikorps den direkten »Befehl«, sich sofort »bei der Reichswehr« einzufinden. So sammelten sich in der Schwarzen Reichswehr die Aktivisten aus den verschiedenen Wehrverbänden zu einer Art »nationaler Einheitsfront« mit dem gemeinsamen Ziel des gewaltsamen Umsturzes der Republik. Besonders die Organisation Consul, bekannt geworden durch die Anschläge auf Matthias Erzberger, Philipp Scheidemann und Walther Rathenau, hat gezielt die Schwarze Reichswehr als Instrument des Umsturzes benutzt. Selbst zu schwach, um alleine einen Putsch herbeizuführen, schickte sie »ihre besten Leute« zur Schwarzen Reichswehr, um zusammen mit den Angehörigen der anderen »vaterländischen« Verbände den gewaltsamen Umsturz nach dem Motto »Wer Berlin hat, hat das Reich« zu organisieren. Umgekehrt haben die Führer der Schwarzen Reichswehr Verbindungen zu allen relevanten rechten Organisationen aufgenommen, insbesondere zur Deutschvölkischen Freiheitspartei, dem Alldeutschen Verband, den an der sächsisch-thüringischen Grenze postierten Kampfverbänden des Kapitäns Ehrhardt und zu Hitlers NSDAP in Bayern. Nach den Angaben von Walther Stennes, einem weiteren wichtigen Führer der Schwarzen Reichswehr, hat Ende August 1923 in München eine Besprechung stattgefunden, an der unter anderem Ludendorff, Hitler, Buchrucker und er selber teilnahmen und auf der beschlossen wurde, dass der Auftakt zu einem gewaltsamen Staatsstreich vom Norden durch die Schwarze Reichswehr ausgehen und Hitler dann mit seinen Verbänden in Bayern folgen sollte. Allerdings habe sich Hitler nicht an die getroffenen Abmachungen gehalten.

Welche Rolle spielte die antidemokratische Tradition der Schwarzen Reichswehr im Kontext der Etablierung des NS-Regimes in den Jahren 1933-35?

Die Schwarze Reichswehr war eine wichtige Vorläuferorganisation der NSDAP in Norddeutschland. Fast alle Angehörigen der Schwarzen Reichswehr, von denen biografische Angaben gemacht werden können, haben sich später der NSDAP, SA und SS angeschlossen und dort oft Führungspositionen eingenommen. Bekannt geworden sind vor allem Walther Stennes und Paul Schulz. Stennes wurde 1927 von Hitler zum Obersten SA-Führer Ost (OSAF-Ost) ernannt. Unter seiner Führung entwickelte sich die SA östlich der Elbe zu einer der stärksten Formationen. Doch kam es schon bald zum Konflikt mit Hitler. Neben Fragen der finanziellen Ausstattung der SA und deren Stellung zur Partei ging es in diesem Konflikt vor allem um zwei unterschiedliche Positionen wie die Macht im Staate errungen werden könne: Während Hitler nach dem gescheiterten Putschversuch vom November 1923 die Partei auf das Legalitätsprinzip festlegen wollte, wandten sich verschiedene SA-Führer, allen voran der ehemalige Weltkriegsoffizier und Freikorpskämpfer Walther Stennes, gegen die »Verweichlichung« und »Verbürgerlichung« der Partei und das »erbärmliche Legalitätsgeschwätz«. Die SA bezeichnete er als die »Speerspitze der Revolution« und in einer Artikelserie, die er im Berliner Angriff veröffentlichen konnte, berief er sich auch auf die in der Schwarzen Reichswehr gemachten Erfahrungen und betonte, dass der Sieg nur über eine gewaltsame Revolution und einen Putsch errungen werden könne. Kommissarischer Nachfolger von Walther Stennes im Amt des OSAF-Ost wurde Paul Schulz. Schulz hatte von Hitler im April 1931 die Aufgabe bekommen, die 2. »Stennes-Revolte« niederzuschlagen und die SA von den Stennes-Leuten zu säubern. Damit standen an der Spitze der SA in Berlin-Brandenburg sich nun zwei ehemalige Führer der Schwarzen Reichswehr gegenüber, die den Kampf mit der gewohnten Härte führten. Stennes und Genossen wurden von Paul Schulz und seinen Mitstreitern aus der Partei und SA gedrängt, doch 1934, während des Röhm-Putsches, ereilte dann Paul Schulz selber das Schicksal – und mit ihm vielen seiner Kampfgefährten, die an der Niederschlagung der »Stennes-Revolte« beteiligt waren. Die meisten von ihnen wurden 1934 erschossen, Paul Schulz gelang es schwerverletzt zu flüchten und sich in die Schweiz abzusetzen. Wie schon in der Schwarzen Reichswehr herrschte in der nationalsozialistischen Bewegung das Prinzip »jeder gegen jeden«. Insgesamt war die Schwarze Reichswehr eine »Männergemeinschaft« in ihrer krassesten Form. Missliebige Personen wurden von den eigenen Kameraden bestialisch geprügelt. Dem Opfer wurde ein Sack über den Kopf gestülpt und mit Eisenstangen, Knüppeln, Reit- und Hundepeitschen so lange auf den Betreffenden eingeschlagen, bis buchstäblich die Haut in Fetzen am Körper hing. Zahlreiche Angehörige der Schwarzen Reichswehr wurden unter den fadenscheinigsten Begründungen als angebliche »Verräter« regelrecht hingerichtet. Die in der Schwarzen Reichswehr praktizierten Methoden fanden in der SA und SS ihre Fortsetzung. Die Prügelszenen innerhalb der Schwarzen Reichswehr erinnern stark an die Foltermethoden in den zahlreichen »wilden« Konzentrationslagern, die nach 1933 von der SA eingerichtet wurden, oder an die Verhörmethoden in dem von der SS geführten Columbia Haus.

Dr. Bernhard Sauer ist Historiker.
Kürzlich erschien seine Studie »Schwarze Reichswehr und Fememorde« in der Schriftenreihe des Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung im Metropol Verlag.

Sauer, Bernhard: Schwarze Reichswehr und Fememorde; Metropol Verlag; Berlin 2005