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Einer für Alle!?

Einleitung

Dem Berliner Antifaschisten Matthias Z., von FreundInnen und KollegInnen »Matti« genannt, war vorgeworfen worden, an einer Auseinandersetzung mit zwei Neonazis in Berlin-Lichtenberg beteiligt gewesen zu sein. Die Neonazis wurden dabei leicht verletzt. Wegen »versuchten Totschlags« wurde er fast 2 Wochen später verhaftet und saß 101 Tage in Untersuchungshaft. Polizei und Justiz setzten alles an eine harte Verurteilung, ihm drohten mehrere Jahre Haft.

»No-go-Area« Weitlingkiez: Neonazis bedrohen BesucherInnen eines antifaschistischen Konzertes unter anderem mit Holzlatten.

Was ist passiert?

Am 29. November 2006 wurden die zwei stadtbekannten Neonazis und Anti-Antifa-Aktivisten Stefanie P. und Sebastian Z. nach eigener Aussage von drei dunkel gekleideten und maskierten Personen im Berliner Bahnhof Lichtenberg angegriffen und leicht verletzt. Das Boulevard-Blatt Berliner Kurier erörterte nicht ohne dezente Häme: »Auszuteilen sind sie ja gewohnt. Aber diese Angst am eigenen Leib zu spüren? Mal selbst Opfer sein?«.1 In der Berliner Zeitung war zu lesen: Die unbekannten Täter hätten »ohne viele Worte zu machen« zugeschlagen und bei dem Angriff ihren Opfern nichts geraubt. »Daher schließen wir nicht aus, dass die Täter aus dem linken Spektrum kommen«, so ein Polizeisprecher. Kaum waren die Neonazis aus dem Krankenhaus mit ein paar Pflastern und Kopfschmerztabletten entlassen worden, da tippte das Berliner Landeskriminalamt (LKA) schon an ihrer ersten reißerischen Presseerklärung.

No-Go-Area Lichtenberg

Der Lichtenberger Weitlingkiez gilt aus gutem Grund als Problemfall: Neonazis begreifen den Stadtteil als ihr Gebiet. Immer wieder kommt es dort zu gewalttätigen Übergriffen von Neonazis auf Migranten und politische Gegner.2 Mitte Oktober 2006 lauerten vermummte und mit Schlagwerkzeugen bewaffnete Neonazis einem alternativen Jugendlichen vor seiner Schule am Nöldnerplatz auf und fügten ihm schwere Verletzungen zu. Obwohl Zeugen das Nummernschild des Fluchtautos der Neonazis notierten, verliefen die Ermittlungen im Sande. Durch die Polizei wird der Überfall gegenüber der Öffentlichkeit verschwiegen.

Seitdem verschiedene antifaschistische und zivilgesellschaftliche Initiativen im letzten Jahr eine gemeinsame Kampagne gegen die Neonazi-Hegemonie starteten, befürchtet das LKA eine gewaltsame Eskalation zwischen AntifaschistInnen und Neonazis. Es wird gar von einer »Gewaltspirale« schwadroniert, für die sich keine realen Belege finden. Vielmehr wird so unterstellt, dass erst eine erfolgreiche Intervention von AntifaschistInnen die No-Go-Area Lichtenberg zu einem gefährlichen Ort machen würde. Ganz so, als ob die Gewaltexzesse der Neonazis gegen MigrantInnen, Behinderte, Obdachlose, Homosexuelle und Linke dort erst mit der antifaschistischen Kampagne begonnen hätten und diejenigen, die Neonazigewalt verhindern wollen, für diese verantwortlich seien. Diese eigentümliche These vom »drohenden Krieg der Extremisten« kann getrost als politische Propaganda gewertet werden, da Teile des LKA seit Jahren eine nahezu private Feindschaft gegen einzelne Antifa-Aktivisten pflegen.

Schlechte Mischung: Anti-Antifa und Polizei

Kurz nach dem Vorfall meldeten sich die Neonazis mit einem privaten Anti-Antifa-Foto beim LKA und meinten, dass der darauf abgebildete Matthias Z. einer der Angreifer gewesen sei. Sie würden ihn von diversen Demonstrationen und Kundgebungen her kennen. Das Verhältnis sei so intim, dass sie ihren politischen Gegner während der Auseinandersetzung auch vermummt identifiziert hätten. Darüber hinaus behaupteten die Neonazis auf ihrer Internetseite, dass die Angreifer den Satz »Nazischweine, wir bringen euch um« gerufen hätten. Die Ermittler vom Staatsschutz liefen zu Hochform auf, observierten, überwachten Handys und durchsuchten Matthias Z.’s Wohnung wegen »versuchten Totschlags«. Hätte sich das ganze ohne politischen Hintergrund auf dem Pausenhof der legendären Rütlischule oder dem Parkplatz irgendeiner Bowlingbahn im Berliner Plattenbauviertel Marzahn abgespielt, wäre sicherlich kein LKA-Beamter auf die Idee gekommen, einen versuchten Totschlag zu unterstellen.

Auch wenn davon auszugehen ist, dass alle Beteiligten wissen, dass niemand versucht hat, die zwei Neonazis in Lichtenberg zu erschlagen, zeigten sich die Ermittlungsbehörden als willige Unterstützer des wackligen Staatsschutzkonstrukts. Die eigentlich vorgesehene Kontrollfunktion der Justiz gegenüber der Polizei wurde hier mit einem augenzwinkernden Einverständnis darüber, dass es angesichts der angespannten Situation in Lichtenberg mit einem »Antifa-Aktivisten« wohl keinen Falschen träfe, außer Kraft gesetzt. Erst vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht wurde Mitte März der Vorwurf in den der »gefährlichen Körperverletzung« abgeschwächt.

Antifa = Totschläger?

Neben den immensen strafrechtlichen Konsequenzen wirkt der Tatvorwurf auf der politischen Seite als eine Denunziation des Charakters des Beschuldigten und der Bewegung zu der er gehört. Totschläger schlagen andere Menschen tot – solche Leute sind aus guten Gründen unbeliebt. Mit dem Tatvorwurf sollte nicht nur jede Form von Solidarisierung erschwert, sondern auch der moralische Vorschuss, den die antifaschistische Bewegung aufgrund der Legitimität ihres Anliegens genießt, angegriffen werden. Mit der grundfalschen Gleichung »Linksextremisten gleich Rechtsextremisten« wird »die Antifa« als extremistische Bande potentieller Totschläger dargestellt. Es ist Unsinn hier aufzuführen, warum das Totschlagen von anderen Menschen, und seien sie noch so widerwärtig, indiskutabel ist und mit gutem Grund – schon aus dem eigenen emanzipatorischen Selbstverständnis heraus – nicht zur Praxis der antifaschistischen Bewegung gehört.

Schaut man in das Jahr 2006 zurück, so findet sich in Potsdam ein Vorläufer des Szenarios: Vier junge AntifaschistInnen wurden nach einer Auseinandersetzung mit Neonazis wegen versuchten Mordes angeklagt. Auch hier war der betroffene Neonazi mit einer Platzwunde in keinster Weise reell im Leben bedroht. Das Landgericht Potsdam verurteilte die Hauptangeklagte Julia S. nach mehr als fünf Monaten Untersuchungshaft schließlich zu einer Bewährungsstrafe wegen einfacher Körperverletzung. Die eigentliche Bestrafung wurde also noch vor Prozessbeginn mittels der dünn begründeten Untersuchungshaft vollstreckt. So wird nach dem Motto: »Bestrafe einen und erziehe Hundert« an einem Einzelnen ein Exempel statuiert. Recht unverblümt wurde bei der Verhängung der Untersuchungshaft gegen Matthias Z. von generalpräventiven Gründen gesprochen, ferner sei solchen Straftaten generell mit unbedingten Freiheitsstrafen zu begegnen.

Fazit:

Die Situation war nicht nur für Matthias Z. deprimierend, sondern ein handfester politischer und juristischer Skandal. Matthias Z. saß in Untersuchungshaft, weil zwei Neonazis offensichtlich darauf hoffen, so einen politischen Gegner unschädlich zu machen und weil polizeilicherseits versucht wird, die Antifa als Ganzes zu kriminalisieren. Dass dafür ein Unschuldiger womöglich für Jahre hinter Gefängnismauern verschwindet, geriet dabei zur Nebensache. Das gezielte Anzeigen von bekannten AntifaschistInnen ist eine in der Neonaziszene oft und gern benutzte Methode, um an Informationen zu gelangen und die Betroffenen unter Druck zu setzen.3

Pikant ist, dass Matthias Z. selbst Zeuge in einem Verfahren gegen Sebastian Z. ist, der im Mai 2006 einen PDS-Stand in Lichtenberg angegriffen haben soll. Der Umstand, dass ein bekannter Antifaschist und Gewerkschafter einzig aufgrund der Denunziation zweier bekannter Neonazis im Gefängnis landet (mehr Beweise oder Indizien gab es trotz intensivster LKA-Ermittlungen nicht), empörte nicht nur die Antifaszene. Die Gewerkschaft ver.di forderte die Freilassung ihres Mitglieds und neben Politikern des Berliner Abgeordnetenhauses unterstützten auch Abgeordnete des Bundestags diese Forderung. Eine umfangreiche Öffentlichkeits- und Unterstützungsarbeit – die von Veranstaltungen, Konzerten und Kundgebungen bis zu einer Matti-»Myspace«-Seite reicht – versucht die politische Dimension der Anklage zu verdeutlichen. Benedikt Lux, Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, bilanzierte recht klar: »Das jetzige Vorgehen der Ermittlungsbehörden ist eine Einladung an alle Neonazis, mit ihren privaten Fotoalben vorbeizukommen und eine Aussage zu machen. Dann sitzen bald alle aktiven Linken, die auf Demonstrationen abgefilmt und fotografiert werden, in Untersuchungshaft. Wenn die Staatsanwaltschaft keine weiteren Erkenntnisse hat, muss sie die sofortige Freilassung von Matti Z. prüfen. Sonst macht sie sich zum Büttel übler Zeitgenossen.«


Mehr Informationen: www.freiheitfuermatti.com
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