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Mörder in weißen Kitteln

Einleitung

Beschimpfungen auf der Straße und seit einiger Zeit vermehrt auftretende körperliche Angriffe – so sieht die Realität aus, in der behinderte Menschen heute leben. Realität ist auch, daß im letzten Jahr Urlauber das Recht auf finanzielle Entschädigung erfolgreich vor Gericht einklagen konnten, weil sie ihr Frühstück im Hotel in Anwesenheit Behinderter verspeisen mußten. Realität ist, daß behinderte Menschen in dieser Gesellschaft zur Randgruppe gemacht und isoliert werden. Der unfreiwillig am häufigsten gegangene Weg ist von der Sonder-Kita über die Sonderschule (damit einhergehend ein Schulabschluß, der wenig Möglichkeiten der Berufswahl läßt) zu Werkstätten für Behinderte; also Isolation in allen Lebensabschnitten. Weiterhin wird bereits wieder die "Euthanasie" Behinderter von Nichtbehinderten diskutiert und angedacht. Die Aktualität dieser Debatte und die damit einhergehende Gefahr, Behinderte erneut zu entrechten, zwingen uns ebenso wie das Wissen um die heutige Lebensituation Behinderter zum Hinsehen und entschiedenen Eingreifen. Dabei müssen wir die Geschichte bis zum Nationalsozialismus zurückverfolgen, um eine Wiederholung erkennen und verhindern zu können. Dieser Artikel ist ein Anfang - ein Versuch, das Vorgehen gegen Behinderte während des Nationalsozialismus aufzuzeigen - den "Mord vom Schreibtisch aus". In diesem Zusammmenhang möchten wir unseren LeserInnen, die sich intensiver mit diesem Thema auseinandersetzen wollen, "die randschau. Zeitschrift für Behindertenpolitik" empfehlen.

Bild: wikimedia, Pressestelle der Diakonie Neuendettelsau, Gemeinfrei

Verlegung von Behinderten im Rahmen der Euthanasie-„Aktion T 4“ aus der Pflegeanstalt „Schloß“ Bruckberg der Diakonissenanstalt Neuendettelsau in staatliche "Heil- und Pflegeanstalten"

Isolation - Sterilisation – Ermordung

Das Leben behinderter Menschen war, soweit die Geschichte zurückzuverfolgen ist, immer von gesellschaftlicher Ausgrenzung - auf der einen Seite durch Vergötterung und Heiligsprechung, auf der anderen, weitaus häufiger praktizierten, durch Verteufelung, Isolation und Tötung, geprägt. Das hatte verschiedene Gründe, deren Ursprung jedoch derselbe war: Die Angst und Unsicherheit gegenüber Unbekanntem und "Andersartigem". Eine Verschärfung der Situation wurde durch den Beginn der Industrialisierung herbeigeführt. Menschen wurden zunehmend unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit und Arbeitsproduktivität eingestuft - ein Kriterium, das sich bis heute nicht nur gesellschaftlich sondern auch in den Köpfen Vieler unverrückbar festgesetzt hat - und dem Menschen mit Behinderungen so nicht entsprechen können. Diskriminierung durch Definierung und Isolierung war demzufolge keine neue Erscheinungsform des Nazismus, sondern lange zuvor entstanden.

Daneben muß aber auch gesehen werden, daß es in Deutschland vor der nationalsozialistischen Machtübernahme Bemühungen um Förderungsmöglichkeiten für Behinderte gab, es existierten Hilfsorganisationen, besondere Schulformen und Heime. Es stellt sich die Frage, wie es den Nationalsozialisten vor diesem Hintergrund möglich war, eine bis dahin in der Geschichte nie dagewesene groß angelegte Vernichtungsaktion durchzuführen, der Hunderttausende Behinderte zum Opfer fielen. Warum wurden die Nazis in ihrem Wahn, den geplanten Massenmord zu realisieren, nicht gestoppt?

Propaganda - Kalkuliertes Mittel und erste Stufe des nationalsozialistischen Massenmordes

Der industrielle Ausrottungsversuch behinderter Menschen wurde nicht von heute auf morgen vollzogen. Die Nationalsozialisten töteten nach Plan, wohldurchdacht bis ins Detail, sozusagen "alles zu seiner Zeit". Das Mordprogramm sah stufenweises Vorgehen vor, erster und unverzichtbarer Bestandteil war eine Propaganda, die eine qualitative Wertung von Menschen nach Rassenzugehörigkeit und verbunden damit eine Kosten-Nutzen-Rechnung transportieren sollte.

Einen hohen Stellenwert erhielt in diesem Zusammenhang die bereits Mitte der 1920er Jahre erschienene Schrift mit dem Titel "Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens", in der sich der derzeit anerkannte Prof. der Psychiatrie und Neuropathologie Alfred Erich Hoche über die Minderwertigkeit und Wertlosigkeit behinderten Lebens äußert. Er bezeichnet Behinderte als "Ballastexistenzen, Fremdkörper im Gefüge der menschlichen Gesellschaft und leere Menschenhülsen, neben denen ganze Generationen von Pflegern dahinaltern". Er untermauert diese Aussagen mit Hilfe von Kosten-Nutzen-Rechnungen, die aufzeigen sollen, welche Summen "dem Nationalvermögen für einen unproduktiven Zweck entzogen werden". In der selben Schrift erläutert der Strafrechtslehrer Karl Binding die rechtlichen Möglichkeiten der Freigabe der Tötung von behinderten Menschen. Die Nationalsozialisten nutzten dankbar dieses Material, zumal es von Professoren verfaßt worden war, die schon während der Weimarer Zeit bedeutende Stellungen innehatten.

Ein weiterer Versuch, dem nationalsozialistischen Wahn einen Anstrich von "wissenschaftlicher Erkenntnis" zu geben, bestand in der Auslegung der Theorie von Charles Robert Darwin zur Abstammungslehre. Es wurde erklärt, daß die natürliche Auslese (Das Stärkere besiegt das Schwache, nur das Gesunde überlebt...) durch Industrialisierung und durch Fortschritte in Medizin und Forschung nicht mehr gewährleistet sei und nur deshalb geistig und körperlich Behinderte überleben würden - es also eine natürliche Konsequenz sei, diesen Part der Natur zu übernehmen und "nachzuhelfen".

Wichtigstes Hilfsmittel zur Vermittlung der rassistischen Ideen waren die Medien. Vor allem im Film konnte der Gegensatz zwischen dem Idealbild des gesunden, schönen, arbeitsfähigen Deutschen und dem Zerrbild des hilflos dahinvegetierenden, unproduktiven Behinderten, der selbst unter seiner Existenz leidet, besonders plastisch transportiert werden. Erhalten gebliebene filmische Dokumente aus der Nazi-Zeit zeigen deutlich auf, welches Bild der nichtbehinderten Bevölkerung vermittelt wurde - im denkbar ungünstigsten Licht unter Hervorhebung unattraktiver Äußerlichkeiten wurden behinderte Menschen zu abstoßenden, angstmachenden Gestalten degradiert.

Bereits 1936 erschien der Roman "Sendung und Gewissen", von Hellmuth Unger (Pseudonyme: Fritz Herrmann, Hans Holm, Peter Moy) seit 1933 Pressechef des "Reichsärzteführers" Gerhard Wagner war. Das Buch wurde verfilmt und stieß auf großen Publikumszuspruch. Die Handlung: Die Ehefrau eines Arztes ist unheilbar krank, er bittet von ihrem Mann den Tod und erhält von ihm das tödliche Gift - aber erst, nachdem den Zuschauern in eindrücklichen Szenen geschildert wurde, wie sehr sie selbst unter diesem Dasein leidet und wie wenig Wert sie ihrem eigenen Leben beimißt. Der Ausgang der Handlung ist vorprogrammiert: Der Arzt, selbstverständlich Mitglied der Nazi-Partei, bekennt sich vor Gericht heroisch zu seiner Tat und wird freigesprochen. Bei genauer Betrachtung dieses Filmes wird ein für die faschistische Propaganda äußerst wichtiger Bestandteil deutlich: Dem Publikum mußten Behinderte nicht nur als Ballast der Gesellschaft vor Augen geführt werden, sondern auch als Existenzen, die ihren Unwert selbst begreifen, darunter leiden und nur durch die eigene Unfähigkeit daran gehindert werden, diesem Leben ein Ende zu setzen.

Auch heute kämpfen viele behinderte Menschen gegen die Anmaßung Nichtbehinderter, ihr Lebensgefühl beurteilen zu wollen. In dem Film "Der Pannwitz-Blick" erzählt ein Spastiker davon, wie oft ihm Außenstehende Schmerzen beim Gehen zuschreiben, die er gar nicht empfindet. So interpretieren Nichtbehinderte das, was sie nicht verstehen und deshalb auch nicht ertragen können. In dem selben Film berichtet eine Frau, als sogenanntes Contagan-Kind ohne Arme geboren, von ihrem Kampf gegen Annprothesen, die Ärzte ihr gegen ihren Willen anpaßten, obwohl ihre geschickten Füße längst deren Funktion übernommen hatten. Nicht die Frau hatte Schwierigkeiten, mit ihrer Behinderung zu leben, sondern ihre Umwelt.

Wenn wir die heutige Situation behinderter Menschen richtig einschätzen wollen mit dem Ziel, sie zu verbessern, sind wir gezwungen, Vergleiche zu ziehen und bestehende Parallelen zur Nazi-Zeit aufzuzeigen, um sie zu bekämpfen. Kosten-Nutzen-Rechnungen, die die Nationalsozialisten als stärkstes Argument in ihrer Kampagne gegen Behinderte benutzten, tauchen seit Jahren in veränderter Form wieder auf, wenn es um die Forderung nach gleichberechtigten Lebensbedingungen Behinderter geht.

Damals freilich hatte die Demagogie der Nationalsozialisten offenere und aggressivere Züge. Deutlicher Ausdruck dafür war der Unterricht in Schulen und Hochschulen, der willkommenen Zugriff auf Kinder und Jugendliche bot, und das nicht nur im Pflichtfach "Rassenlehre". Im "Lehrbuch der Mathematik für höhere Schulen" von Adolf Dorner (Aufl. 1935/36) lautet beispielsweise eine Rechenaufgabe folgendermaßen: "Der Bau einer Irrenanstalt erforciert sechs Millionen RM. Wieviel neue Wohnblocks a 15 000 RM würden für diese Summe gebaut werden können?". Als sich die Deutschen euphorisch auf den Krieg vorbereiteten, bedeutete dies eine erneute Verschärfung der nationalsozialistischen Propaganda. Es ging nicht mehr allein um "sinnlos vergeudetes Geld" - es ging um Gelder, die für den Krieg benötigt wurden. Es wurde nicht von "verschwendetem Wohnraum" gesprochen, sondern von dem Bedarf an Lazaretten, wo die im mutigen Kampf fürs Vaterland verwundeten Helden gepflegt werden sollten. Und letztendlich wurden gesunde Männer nicht in Heimen neben den "leeren Menschenhülsen" gebraucht, sondern an der Front.

Die ersten Schritte des Mordplans als unabdingbare Vorausetzung für die Umsetzung der folgenden hatten die Nazis hinter sich gebracht „Isolierung“ der Behinderten in allen Bereichen war das Ergebnis der planmäßig verlaufenen Kampagne. Der Boden war bereitet, die Nazis konnten nun an die Realisierung ihres Mordprogrammes gehen.

Die 2. Stufe - Sterilisation und Kindestötung

Am 14. Juni 1933 wurde vom nazistischen Reichstag das "Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses" verabschiedet. Es ermöglichte die Zwangsterilisation von Behinderten und auch Alkoholikern. In den Jahren 1933 - 1936 wurden 200.000 Menschen auf diese Weise ihres Rechtes auf Selbstbestimmung beraubt und entmündigt. Darunter befanden sich auch AntifaschistInnen und Menschen jüdischen Glaubens, deren Gesinnung als Zeichen "geistiger Beschränktheit" zur Krankheit erklärt wurde. Ausdruck für den Umgang mit dem Nationalsozialismus und dessen Opfern nach 1945 in der Bundesrepublik ist, daß niemand der Zwangsterilisierten als Verfolgter des Naziregimes anerkannt und entschädigt wurde. Nach Aussage bundesdeutscher Gerichte wurde das Sterilisationsgesetz für rechtmäßig erklärt, da es derzeit durch sogenannte "Erbgesundheitsgerichte" bestätigt worden war.

Die Mörder in weißen Kitteln

Die Verstümmelungsaktion reichte den Nazis nicht aus, sie wollten die totale Vernichtung des sogenannten "lebensunwerten Lebens". Bereits 1934 erklärte der bayrische Staatskommissar für Gesundheitswesen Dr. Walter Schultze, daß die Zwangssterilisation nicht genüge, sondern daß, so wörtlich: "Psychopathen, Schwachsinnige und andere Minderwertige abgesondert und ausgemerzt werden müßten". Adolf Hitler äußerte sich zum ersten Mal öffentlich und konkret 1935 auf dem Nürnberger Parteitag zum Reichsärzteführer Wagner zu diesem Thema: Er gedenke, im Kriegsfalle "Euthanasie" anzuwenden.

"Der Fall Knauer"

Am 23. Mai 1939 fand eine Unterredung zwischen dem Ehepaar „Kressler“ oder „Knauer“ und dem Direktor der Leipziger Universitätsklinik Prof. Werner Catel statt. Auf die Frage der Eltern, welche Lebenserwartung ihr schwer geschädigtes Kleinkind habe, antwortete der Arzt: "Das Beste wäre der Tod ... für das Kind und für die Eltern". Das Ehepaar wehrte sich nicht gegen dieses Urteil, sondern fragte: Ist es nicht möglich, das Kind zu "erlösen"? Jahrelange Propaganda hatte Früchte getragen, Minderwertigkeitsgefühle auf der einen Seite, Mißbrauch von Macht auf der anderen. Der Arzt verwies die Eltern an die "Kanzlei des Führers der NSDAP". Diese Kanzlei gewann in den Jahren des Naziregimes vor allem in Fragen der "Euthanasie" noch an enormer Bedeutung. Dorthin richteten die Knauers ihr Bittschreiben um Tötung des eigenen Kindes, von wo aus es auf Grund seiner Erstmaligkeit direkt Hitler selbst zugestellt wurde. Der beauftragte seinen Leibarzt Dr. Karl Brandt, "die erforderlichen Feststellungen in Leipzig zu treffen und dementsprechend das Weitere zu veranlassen". Dies bedeutete nichts anderes, als nach Prüfung des Briefinhaltes die Einschläferung des Kindes vorzunehmen, was auch unverzüglich geschah.

Der "Fall Knauer" war der Startschuß für die Ermordung von vorerst weiteren 5.000 Kindern. Hitler ermächtigte nun den bereits erwähnten Brandt und außerdem den Chef der "Kanzlei des Führers" Philipp Bouhler dazu, in Fällen ähnlicher Art analog dem Fall Knauer zu verfahren. Die Aktion Kindestötung begann. Um Verdachtsmomente auszuschließen, gab sich die "Kanzlei des Führers" den Tarnnamen "Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden". Diesem anfangs aus nur sieben Eingeweihten bestehenden Gremium gehörten u.a. auch Dr. Unger (Roman "Sendung und Gewissen") und Dr. Catel ("Fall Knauer") an.

Die Ergebnisse der Arbeit des Gremiums fanden ihren Niederschlag in einem Runderlaß des Reichsinnenministers vom 18. August 1939, in dem allen Geburtshelfern eine Meldepflicht über Neugeborene mit erkennbaren psychischen oder physischen Schädigungen auferlegt wurde. Dasselbe Schreiben verpflichtete Arzte, behinderte Kinder bis zum dritten Lebensjahr zu melden. Diese Auflage wurde verschickt unter der Begründung: "Klärung wissenschaftlicher Fragen auf dem Gebiet der angeborenen Mißbildung und der geistigen Unterentwicklung". Die in Frage kommenden Fälle wurden an sogenannte Gutachter weitergeleitet: Prof. Werner Catel, Prof. Hans Heinze und Dr. Ernst Wentzler, die einzig aufgrund der Einsicht in die Meldebögen, also ohne die Kinder gesehen zu haben, über Tod oder Leben entschieden. Die zur Tötung vorgesehenen Kinder kamen in sogenannte "Kinderfachabteilungen" des Reichsausschusses, deren leitende Arzte der Tötungsaktion positiv gegenüberstanden. Begründet wurden die Einweisungen den Eltern gegenüber mit der therapeuthischen Qualität der Behandlung und der Aussicht auf Heilerfolg. Die meisten Eltern fielen auf diese Versprechen herein und übergaben ihre Kinder den Anstalten und somit letztendlich dem Tod.

Nach Terminkalender wurden die Opfer in der "Kinderfachabteilung" planmäßig getötet, so wurde der Tötungskurve der Anschein eines natürlichen Verlaufs gegeben. Bis auf eine Anstalt in Eigfing-Haar (Bayern), wo die Kinder durch gezielten Nahrungsentzug einen qualvollen Tod erlitten, wurden überwiegend Überdosen Luminal verabreicht, was Lungenentzündungen und Bronchitis und somit einen scheinbar naturlichen Tod zur Folge hatte.

Eltern, die nicht bereit waren, ihre Kinder einweisen zu lassen, wurden mit Hilfe vielfältigster Methoden gezwungen. Ihnen wurde der Entzug des Sorgerechts angedroht, alleinstehende Mütter erhielten die Aufforderung zum Arbeitseinsatz oder Kriegsdienst, so daß ihnen nur die Anstalt als Unterbringungsort für ihr Kind blieb, die "Kanzlei des Führers" arbeitete aus diesem Grunde mit den Arbeitsämtern zusammen. Es gab vertrauensseelige und mißtrauische Eltern. In jedem Fall hieß es, geschickt Ahnungen zu widerlegen und jeden Verdacht aus dem Weg zu schaffen. Paradoxerweise gab es auch Eltern, die die Bitte äußerten, das Kind zu töten. Darauf konnten die Anstalten natürlich nicht ohne weiteres eingehen, war die Tötung doch immerhin ungesetzlich. Bis zum Ende der Nazi-Herrschaft war der "Reichsausschuß" tätig. Circa 5.000 Kinder, später nicht selten auch 10 bis 12jährige, fielen einer Aktion zum Opfer, die keinerlei schriftliche Grundlage hatte, denn Hitler hatte seine Ermächtigung nur mündlich erteilt, ebenso die Zusage, daß alle Beteiligten straffrei handeln würden.

Die dritte und letzte Stufe des nationalsozialistischen Mordauftrages

Am 19. Juli 1939 sprach Hitler mit dem Reichsleiter Philipp Bouhler über die Möglichkeiten der Tötung erwachsener "Geisteskranker". Nach einigen Wochen erging an die "Kanzlei des Führers", die auch mit der Kindestötung beauftragt war, der Mordauftrag. Eine gesetzliche Grundlage gab es auch für diese Aktion nicht, da Hitler dies kategorisch ablehnte. Alle Beteiligten verließen sich auf die mündliche Zusage auf Straffreiheit und die einzige vorhandene schriftliche Ermächtigung Hitlers, die lautete: "Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster der Beurteilung ihres Krankheitszustandes Gnadentod gewährt werden kann. gz.: Adolf Hitler". Auf der ersten Beratung des aus 14 Beteiligten bestehenden Gremiums am 10. August 1939, an der unter anderem erwähnter Bouhler und Dr. Karl Brandt teilnahmen, wurden die anwesenden Arzte von Bouhler über die geplante Tötungsaktion in Kenntnis gesetzt. Auf die Frage, wer von ihnen freiwillig an der Durchführung des Programms teilnähme, erhielt er, bis auf eine Ablehnung, nur zustimmende Antworten. Es folgten zahlreiche Sitzungen und Besprechungen. Einen Namen hatte die Aktion schon - T4, nach dem Sitz des zentralen Büros in der Tiergartenstr. 4 benannt.

Die Realisierung des Mordplanes

Am 9. Oktober 1939 gingen an alle Pflege- und Heilanstalten Meldebögen heraus, die bis zum 1. November 1939 ausgefüllt zurückgeschickt werden mußten. Die ausgefüllten Formulare wurden zum zentralen Büro der Aktion gebracht, wo für jeden Meldebogen eine Einzelakte, eine Karteikarte und 4 bis 5 Kopien angefertigt wurden. Allein aufgrund dieses Materials entschieden die "Gutachter" über Leben und Tod.

Hermann Pfannmüller zum Beispiel begutachtete auf diese Weise vom 14. November 1940 bis 1. Dezember 1940 2190 Fragebögen, also durchschnittlich 137 täglich, ohne jemals einen Patienten gesehen zu haben. Nach der Beurteilung durch die "Gutachter" gab der "Obergutachter" sein endgültiges Urteil. Dann wurden die mit "+" versehenen Meldebögen zur Transportabteilung gesandt.

Die Transportabteilung war für den Weg von der Pflegeanstalt zur Tötungsanstalt verantwortlich. Um diesem Vorgang einen seriösen Anstrich zu geben und jeden Verdacht zu vermeiden, wurde die "Gemeinnützige Kranken-Transport-GmbH" (GEKRAT) gegründet. Am Ende des Jahres 1939 waren alle Vorbereitungen zur Durchführung der geplanten Massen-Aktion abgeschloßen. In der 1. Hälfte des Januar 1940 fand das erste Vergasungs-Experiment statt 18 bis 20 Personen wurden in der Heilanstalt Brandenburg in den sogenannten "Duschraum" gebracht und dort vergast, mehrere Tötungsärzte schauten dabei zu. Zweck des Probemordes war die Einweisung der zukünftigen Tötungsärzte, ein Durchtesten des Ablaufes und das Prüfen der Gaskammerkapazitäten. Das Experiment verlief zur Zufriedenheit der Mörder. Bis 1945 wurden über Hunderttausend behinderte Menschen Opfer der Massenmordaktion, sie wurden vor allem durch Nahrungssenkung, medikamentöse Überdosen und Vergasung getötet.