Mischszenen in Hannover
Zwischen Stadion, Tattoo-Shop, Angels Place und (rechten) Konzerten...
Auch in Hannover gibt es Berichte über die Entwicklung von Schnittstellen zwischen den Szenen. Hannoveraner AntifaschistInnen beschreiben eine für dieses Milieu typische Szene: Im Juni 2004 findet im eher linksliberalen Club »Bei Chez Heinz« in Hannover ein Konzert der Hardcoreband »Blood for Blood« statt. Vor dem Konzert versammelt sich ein Grüppchen um den Rocker und (Ex-) Hooligan Markus Warnecke (»Maxe«) und seinen Freund aus der Tätowierer-Szene Andre Nölke (»Peanuts«), um gemeinsam das Konzert zu besuchen.
Ebenfalls dabei Thomas B. aus dem Hooligan-Spektrum, der 1986 wegen eines Messerangriffs auf einen jungen Punk verurteilt wurde. Zu ihnen stößt Johannes ("Hannes") Knoch vom »Last Resort Tattoing & Piercing Studio« aus Hildesheim. Dieser wird von Kennern der Szene dem Rechtsrock-Spektrum zugerechnet. Im Zusammenhang mit dem Verbot des deutschen Neonazi-Skinheadnetzwerkes »Blood & Honour« war sein Tattoo-Studio von einer Durchsuchung betroffen.1 Solche Szenen sind auf ein Milieu aus Hooligans, Rockern und Tätowierern mit einer geringen Distanz zur extremen Rechten zurückzuführen, dass vor einigen Jahren entstand.
Von Lens...
Am 21. Juni 1998 kam es nach dem Fußballweltmeisterschaftsspiel Deutschland-Jugoslawien in der nordfranzösischen Kleinstadt Lens zu einer Straßenschlacht zwischen deutschen Hooligans und der Gendarmerie. Dabei wurde der Polizist Daniel Nivel von deutschen Hooligans schwer verletzt. Nivel überlebte, aber er bleibt mit schweren Hirnschäden für den Rest seines Lebens geistig und körperlich behindert. Der Hannoveraner Hooligan Markus Warnecke wurde nach der Tat festgenommen und wegen des Angriffs auf Nivel zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Vor seiner Festnahme in Lens war Warnecke Teilhaber des von Hooligans frequentierten Piercing- und Tätowierstudios »Tattoo-Corner Hannover«.
So verwundert es kaum, dass die Hannoveraner Hooligans nicht das einzige Milieu waren, in dem sich Warnecke bewegte. Er war zusätzlich Mitglied des Rocker-MCs »Bones«2 und arbeitete als Disko-Türsteher für deren privaten Ordnerdienst »Bones Security«.3 In diesem Zusammenhang wurde gegen ihn bereits 1997 wegen schwerer Körperverletzung ermittelt.4 Der Hannoveraner Chef des »MC Bones«, Frank Hanebuth, erklärte nach der Festnahme Warneckes einer Zeitung: »Ja er gehört zu uns (...) Der ist allein hingefahren, ganz privat.« 5 In der Öffentlichkeit wurde nach den Auseinandersetzungen von Lens auch über Kontakte der Hannoveraner Hooligans zur rechten Szene spekuliert. Der Hooligan Jörg Draht, der den Hannoveraner Bus gemietet hatte, mit dem Warnecke und weitere Hannoveraner nach Frankreich fuhren, beklagte vor Gericht, dass sie hinterher als organisierte Neonazis dargestellt worden seien.6 In einem anderen Interview erklärte der Organisator des Busses unter dem Decknamen »Kai« jedoch: »Ich bin national. So möchte ich das definieren. Ich schäme mich nicht, ein Deutscher zu sein.«7
Ein Hooligan-Bekannter berichtete einer Zeitung über Warnecke und Jörg D. weitere Details: »Ich kenne Markus Warnecke. Er ist ein Rechtsradikaler – und das schon seit Jahren.« Jörg D. sei ein Freund Warneckes und sei in der Szene als »Hoyerswerda« bekannt. Er hätte nicht nur den Bus geordert, sondern sei auch Besitzer eines 96-Fan-Shops8 . Er habe: »(...) die Reichskriegsflagge und Heß-Bilder in seiner Wohnung hängen.«9 Wenig verwunderlich erscheint demnach, dass Warnecke in der französischen Haft Post von deutschen Freunden erhielt, die mit dem Vermerk »mit altem deutschen Gruss« endeten.10 Nachdem Warnecke im Jahr 2001 trotz eines Fluchtversuches frühzeitig aus der Haft in Frankreich entlassen worden war und nach Hannover zurückkehrte, endete damit erst mal eine Geschichte, die in Hannovers Dunstkreis aus Neonazis, Hooligans und Rockern eine Menge Staub aufgewirbelt hatte und Sensationsberichte quer durch die Medien verursacht hatte. Letztendlich konnte jedoch recht schnell Gras über die Sache wachsen und besonders der Teil der Geschichte, wo es um Warneckes Mitgliedschaft bei dem Rocker-MC »Bones« ging, verlief im Sande.
Zurück nach Hannover
Als die Zeitungen im April 2002 von der frühzeitigen Entlassung Markus Warneckes schrieben, wurde im Internet-Forum der »Kameradschaft Weser/Ems« umgehend eine »fette Party« angekündigt.11
Die Hannoversche »Neue Presse« veröffentlichte ein Foto des vermeintlichen Heimkehrers mit Stinkefinger vor der Tür Warneckes.12
Es handelte sich bei der Person auf dem Bild jedoch nicht um Markus Warnecke, sondern um Andre Nölke, genannt »Peanuts«. Nach Aussagen von Szenekennern soll dieser bereits dem Kreis um den »Tattoo Corner Hannover« von Warnecke angehört haben. Ein Milieu-Ausstieg Warneckes erscheint bei diesen Begrüßungsumständen unwahrscheinlich. Auch von Schlägereien im Zusammenhang mit Fußballspielen schien sich Markus Warnecke trotz seiner Verurteilung nicht fern halten zu können. Der Hooligan war gerade vor zehn Wochen wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft in Longuenesse entlassen worden, da ging sein Name erneut durch die Medien. Nach einer Videoübertragung des Fußball-WM-Finales im Stadion von Hannover 96 kam es im Sommer 2002 auf dem hannoverschen Schützenfest an einem Festzelt zu einer Schlägerei mit Türstehern. Gegen Warnecke und fünf weitere Männer wurde anschließend wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt.13
Zwischen Milieu, Clubs und Tattoo-Szene
Es hatte sich zwischenzeitlich auch in Hannover einiges verändert. Der Tattooladen »Tattoo Corner Hannover« war nach Glasbruch geschlossen worden, ebenso der Fanshop »Pitch Invasion Hannover«. Der Motorradclub »Bones« war dem MC »Hells Angels« angegliedert worden. Der Hamburger Polizeibericht von 2001 bezeichnete das neue Hannoveraner Chapter der Hells Angels daraufhin als »eine Gruppe von rund 50 Zuhältern, Angehörigen des Milieus und Motorradfreaks«. Die »Hells Angels« hatten trotz dieser polizeilichen Stigmatisierung, oder womöglich gerade deswegen, im Rotlichtviertel Hannovers vor vielen Clubs ihre Leute als Ordner stehen. Der langjährige »Bones«- und spätere »Angels«-Präsident, Frank Hanebuth, genießt hier den Ruf des »Kiez-Königs« vom Rotlichtviertel am Steintor. Der »Steintor-König« verdankt seine Position laut Presseberichten gezielten Machtdemonstrationen der »Bones« Mitte der 90er Jahre. Damals sei es für alle Chapter Pflicht gewesen, an den Wochenenden »je zwei Typen bewaffnet nach Hannover zu schicken«. Höhepunkt sei »ein Großaufmarsch von 200 Leuten« in »Bones-Kutten« gewesen.14
Aber man hatte mittlerweile versucht, das schlechte Image zu verbessern und auch andere Funktionen zu übernehmen. Nachdem hannoversche Zeitungen lange mit negativen Berichten über das Steintorviertel gefüllt waren, fand ein kultureller Wechsel statt. Aus dem Rotlichtviertel entstand ein Schwerpunkt der Clubszene nach Hamburger Vorbild. Für die unterschiedlichsten kulturellen Vorlieben gibt es mittlerweile kleine Bars, in denen sich verschiedene Teile der Partygänger am Wochenende treffen. Die Bordelle blieben trotzdem fester Bestandteil des Viertels und »Der Lange«, wie der Boss der »Hells Angels« Hannover genannt wird, schickt hier nach Berichten von Steintorviertel-Besuchern allabendlich eine Ordnertruppe durch die Gassen.
Selbst die »Neue Presse« schreibt: »Sicherheit spielt eine große Rolle in dem Viertel. Starke Hand ist Frank Hanebuth (...) Seine Firma Bodyguard Security stellt die Sicherheitskräfte aller Clubs.«15 Diese wirken auf die Besucher als eine Art Privat-Polizei im Rotlichtgebiet und scheinen recht freie Hand zu haben. Zeitungen berichteten beispielsweise von einem Zwischenfall vor einem Club, bei dem ein junger Kurde wiederholt von den »Hells Angels«-Türstehern abgewiesen wird und auf diese schießt. Der Täter wurde nicht etwa umgehend von der Polizei verhaftet, sondern von einigen »Angels« verfolgt, überwältigt und bekam »eine Abreibung«, bevor er der Polizei übergeben wurde.16 Eine von Sicherheitsbehörden favorisierte gesellschaftliche Isolation der »Hells Angels« scheint in dieser Region kaum mehr auf Interesse zu stoßen. Als sich in den vergangenen Jahren jährlich mehrere Tausend Besucher zur Techno-Musik-Parade »Reincarnation« versammelten, waren hier auch die »Hells Angels« und ihr Umfeld öffentlich präsent.
In diesem Zusammenhang trat auch Andre Nölke im Umfeld der »Hells Angels« in Erscheinung. Ebenfalls dabei Wolf Z. im »Hells Angels-Supporter« T-Shirt. Im November 1998 war er noch als Ordner einer Demonstration der Freien Kameradschaften gegen die »Wehrmachtsaustellung« tätig. Für 2004 wurde gleich ein eigenes Kiez-Fest organisiert. Im kostenlosen Hochglanzheft »Steintor News« (Auflage 15.000) jubelt das Editorial: »Liebe Leser, diesen September wird wohl keiner so schnell vergessen. Erst hat das 1. Steintorfest mit mehr als 30.000 Zuschauern an zwei Tagen neue Maßstäbe in der Stadt Hannover gesetzt und bewiesen, dass hier und nirgendwo anders das Herz der Stadt schlägt (...) später feierte Steintor-Chef Frank Hanebuth mit 300 Gästen seinen 40. Geburtstag.« Ein eigener Artikel beschreibt, dass die Sicherheitsleute der Bodyguard Security GmbH beim Steintor-Fest alles im Griff gehabt hätten.17
Auf den Geschmack gekommen scheint man auch beim Veranstalten von Tattooconventions zu sein. Das »Rock & Bike & Tattoo-Festival Hannover 2004« stand schon rein layouttechnisch unter dem Stern der »Hells Angels«. Viele dort gesichtete Aussteller sind alte Bekannte, unter anderem das bereits erwähnte »Last Resort Tattoing & Piercing Studio« aus Hildesheim. Offensiv und selbstverständlich sollen auch hier Besucher und Aussteller in T-Shirts und mit Tätowierungen mit rechtsextremer Symbolik gesehen worden seien.
Konzerte in der Grauzone
Doch trotz dieses Imagewandels der Rocker tauchten noch 2004 »alte Bekannte« wie Andre Nölke (»Peanuts«) im Zusammenhang mit dem Rocker-MC der »Hells Angels«, mit Konzerten und rechten Kreisen wieder auf. Nölke ist mittlerweile ebenfalls in die Kulturszene eingestiegen und hat verschiedenste Anläufe gemacht, in das Konzertgeschäft einzusteigen. Nach Berichten von Konzertbesuchern sollen bei einem Konzert mit der Street-Rock‘n-Roll-Band »Discipline« im Januar 2004 im »Angels Place«, dem Clubhaus der »Hells Angels« in Hannover, einige Gäste offen Nazisymbole zur Schau getragen haben. Auch an der Anwesenheit ehemaliger Aktivisten der Neonazi-Skinhead-Bewegung »Blood & Honour« soll sich hier niemand gestört haben. Im März 2004 sollte ein weiteres Konzert mit »Troopers« und »Broilers« im »Angels Place« stattfinden. Jedoch wurde dem Betreiber des »Angels Place« die Konzession entzogen. So griff man auf einen alten Bekannten zurück, der im Jugendzentrum Klecks in Hannovers Vorort Sarstedt tätig ist. Hier fand ein Konzert mit »The Waltons« und »Discipline« statt.
Bei zwei Konzerten wiederholte sich in unterschiedlicher Deutlichkeit das Szenario vom »Angels Place«. Unter den Gästen befanden sich nach Berichten lokaler AntifaschistInnen auch Besucher mit einer Vergangenheit in der extremen Rechten. Aber auch auswärts scheint Nölke im Konzertgeschäft mitzumischen. Für die »Goodfellas Punknight« in Speyer mit »Mad Sin«, »Discipline« und »Voice of a Generation« im Mai 2004 wurde Nölkes Handynummer als »Reiseleiter«- Kontakt veröffentlicht.18
Als im November 2004 in Bad Nenndorf ein Konzert mit der extrem rechten Hooliganband »Kategorie C« stattfand, wurde auch hier Nölke gesehen. Er soll hier nach Berichten von Konzertbeobachtern zusammen mit dem eingangs erwähnten Thomas B. aufgetreten sein. Auf der Homepage der Konzert-Veranstalter um den Internetvertrieb »Der Versand« von Timo Schubert wurde »Peanuts (Hannover)« für die Unterstützung des Konzertes gedankt. Timo Schubert ist in der Rechtsrockszene kein Unbekannter, so spielte er bei den Rechtsrockbands »Violent Solution« – eine der erklärten B&H-Bands – und »Hauptkampflinie« (HKL) mit.
Neben dem Ausflug ins Konzert- Business hat Nölke noch weitere Projekte am Laufen. So die Bar »Goodfellas« in direkter Nachbarschaft des Steintorviertels und einen Internetvertrieb für Tattoo-Maschinen und Tattoo-Ausrüstung mit dem Namen »Oldschoolindustries«. Außerdem hat er sich die Internet-Domain für einen 1896-Shop gesichert.
Fazit
Die Herausbildung einer Mischszene in Hannover scheint erst am Anfang zu stehen. Personen der extrem rechten Szene oder mit guten Kontakten dorthin sind noch weit davon entfernt, Rocker-MCs wie die »Hells Angels« maßgeblich zu unterwandern. Dass Rechtsextreme hier den Ton angeben könnten, ist im Moment äusserst unwahrscheinlich. Rocker-Gruppen bieten schlichtweg nicht den Rahmen, um politische Aktivitäten zu entfalten. Daher sollte es nicht die Aufgabe von Antifaschisten sein, gemeinsam mit konservativen Medien und Justizbehörden hysterisch ins Anti-Rocker-Horn zu blasen. Jedoch ist zunehmend zu beobachten, wie Personen mit einer Vergangenheit in der rechten Szene oder guten Verbindungen zu ihr im Windschatten großer Rocker-MCs ihren eigenen geschäftlichen Projekten nachgehen, ohne dass dies die Führungsgremien der MCs stört.
Wenn diese Projekte dann noch auf ein rechtes Klientel zielen, ist antifaschistische Aufmerksamkeit und Intervention angebracht. Gerade die zunehmenden Aktivitäten einiger Rocker-Gruppen im Tattoo-Bereich und in der Veranstaltungsbranche bieten potentielle Anknüpfungspunkte für Aktivisten des Rechtsrockspektrums und des rechtsextremen Lifestyles.
- 1»Razzia bei Blood & Honour Aktivisten«, AIB Nr. 56, Sommer 2002.
- 2Sämtliche 16 Gruppen (»Chapter«) der Bones haben sich im November 1999 dem MC Hells Angels angeschlossen.
- 3Dorothea Hahn: »Gendarm und Hooligan«, Taz 21.5.2001
- 4Cornelia Bolesch: »Gewalt aus der falschen Kartei«, Süddeutsche, 24.6.1998.
- 5AdB: »Das sagt der Chef der Motorradgang«, Neue Presse, 24.7.1998.
- 6Andreas Juhnke: »Überall nur weiße Schafe«, Berliner Zeitung, 25.06.1998 und HAZ 24.6.1998.
- 7»Es war ein heiteres Jagen«, Interview, Die Woche, 3.7.1998.
- 8Nach Aussagen lokaler Antifaschisten war dies der Laden »Pitch-Invasion Hannover«.
- 9Vera König: »Medizinstudent: ›Gewalt gibt mir den Kick‹«, Neue Presse, 26.6.1998
- 10Rudolf Balmer: »Fünf Jahre Haft für den deutschen Hooligan Warnecke«, Frankreich-Informationsdienst, Paris 22.05.2001.
- 11Kommentar zum Eintrag durch »Erfreuter« aus Norddeutschland, 24.4.2002.
- 12Stefan Fleer: »Zur Heimkehr Stinkefinger gezeigt«, NP 24.4.2004.
- 13»Hooligan schlägt wieder zu«, HAZ 2.7.2002.
- 14Robert Vernier: »Kopfgeld auf Hagen« www.driversmc.at/BGA.htm
- 15Stefan Gohlisch: »Wachgeküsst – heiße Nächte im Kiez«, Neue Presse 26.7.2004.
- 16»Zwei Türsteher niedergeschossen«, HAZ 29.9.2003 und »Bild« und NP 29.9.2003.
- 17Steintor News, Ausgabe 2, Oktober 2004
- 18z.B. Vultureculture-Gästebuch und Slyde-Gästebuch.