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Rechte Attentate auf „Volksverräter“

Einleitung

In weiße Kapuzen des "Klu-Klux-Klans" (KKK) gehüllt trainieren Männergruppen für den kommenden Aufstand. Andere erfassen Mitglieder der Regierung auf Todeslisten. Am Tag des Umsturzes soll mit militärischen Truppen in Berlin einmarschiert, zentrale Plätze eingenommen und die Personen auf der Todesliste von Kommandos aufgesucht und sofort exekutiert werden. Das politische Ziel: Eine rechte Militärdiktatur. Das rechte Netzwerk besteht in ganz Deutschland, und hat gute Kontakte zu Militär, Polizei und rechten Parteien. Deutschland im Jahr 2019? Nein. Es handelte sich um Vorbereitungen der „Schwarzen Reichswehr“ und weiterer völkischer Terror-Gruppierungen in der Weimarer Republik. Die zahlreichen Parallelen zur aktuellen innenpolitischen Situation mit sich bewaffnenden und klandestin vorgehenden Neonazigruppierungen sind frappierend.

Anton Graf von Arco auf Valley verübte am 21. Februar 1919 den Anschlag auf den Ministerpräsidenten Kurt Eisner.

Ein Blick zurück

Nach der Niederlage des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg suchte die sich formierende völkische und revanchistische Rechte nach Schuldigen, um sich die Niederlage zu erklären. Sie fanden diese schnell: Juden, Demokraten und Marxisten seien der angeblich siegreichen deutschen Armee in den Rücken gefallen und hätten Deutschland den Feinden ausgeliefert. Diese Dolchstoßlegende wurde in zahlreichen Kundgebungen, Broschüren und Versammlungen verbreitet, demokratische Politiker als „Volksverräter“ diffamiert und unverhohlen zum Mord aufgerufen. In Zeitungen und Veranstaltungen hieß es unverblümt, dass die Politiker vom Deutschen Volk zur Rechenschaft gezogen werden würden. Besonders verbreitet und berüchtigt war das sogenannte "Rathenau-Lied" mit den Zeilen: „Auch Rathenau, der Walther, Erreicht kein hohes Alter, Knallt ab den Walther Rathenau, Die gottverdammte Judensau!

Die Namen dieser Organisationen sind heute fast nur noch Historiker_innen geläufig: "Schwarze Reichswehr", "Organisation Escherich" oder "Frontbann" sind nur einige von ihnen. Die konspirativ arbeitenden Netzwerke setzten sich aus ehemaligen Offizieren und "Freikorps" mit besten Verbindungen zur politischen Rechten, Reichswehr und Polizei zusammen. Diese tödliche Melange hatte nur ein Ziel: den Umsturz der verhassten Republik. Gleichzeitig bildeten diese Männer einen Personenpool für die erstarkende NSDAP und die SA, in welche viele nach und nach eintraten. Besondere Brisanz erhielt dieses unübersichtliche Geflecht aus rechtsextremen Gruppen und Organisationen durch die Tatsache, dass diese von der Reichswehr und zahlreichen rechten Politikern wenn nicht offen unterstützt, dann doch sträflich ignoriert und verharmlost wurden.

Die wahrscheinlich gefährlichste rechte Terror-Organisation in den ersten Jahren der Weimarer Republik: Die "Organisation Consul" (OC). Von München aus geführt, gehörten dieser Gruppierung auf ihrem Höhepunkt ca. 5.000 Personen an. Als Tarnorganisation diente eine „Bayerische Holz-Verwertungs-Gesellschaft“, von dem Münchner Polizeipräsidenten und Politikern der "Bayerischen Volkspartei" (BVP) wurde die Organisation wohlwollend toleriert. In der schriftlichen Satzung der OC waren alle „Fremdrassigen“ ausgeschlossen – Ziel war der Kampf gegen „Judentum, Sozialdemokratie und linksradikale Parteien“.

Die Strategie der OC war es, Attentate auf verhasste linke Politiker durchzuführen, in der Hoffnung, dadurch einen linken Aufstand auszulösen. Bei der Niederschlagung dieses selbst provozierten Aufstandes wäre die OC herbeigeeilt und hätte das Chaos genutzt, um sich selber an die Macht zu bringen und die Republik zu stürzen.1

Politiker im Fokus

Besonders verhasst waren, neben der linken Arbeiterbewegung, demokratische Politiker, die den "Versailler Vertrag" zähneknirschend unterstützt hatten und statt einer revanchistischen Politik eine Politik des Ausgleichs mit den ehemaligen Kriegsgegnern suchten. Die rechten Terroristen handelten in einem Umfeld, in dem der Mord an Politikern als legitimes Mittel der Notwehr gegen „Volksverräter“ angesehen wurde. Den Worten folgten sehr bald Taten. Den rechten Mördern fiel 1919 der erste Ministerpräsident Bayerns Kurt Eisner (USPD) zum Opfer, ermordet durch einen Täter aus dem Umfeld der "Thule-Gesellschaft" – einem völkischen Geheimbund, welcher hauptsächlich in München aktiv war.

Im gleichen Jahr starb auch Hugo Haase (USPD) nach einem Mordanschlag. Der Täter wurde als „geistig verwirrt“, aber nicht politisch organisiert bezeichnet, eine Verharmlosung der damals allgegenwärtigen Hetze und Mordphantasien gegen Linke. Die Attentate rissen nicht ab: 1921 lauerten Mitglieder der "Organisation Consul" (OC) dem Reichsfinanzminister Matthias Erzberger (Zentrum) während eines Waldspaziergangs auf und töteten ihn durch mehrere Schüsse. Kurz zuvor hatte die OC in München den USPD-Politiker Karl Gareis erschossen. Der bis heute bekannteste Anschlag auf einen Politiker der Weimarer Republik war das tödliche Attentat auf den Deutschen Außenminister Walther Rathenau (DDP) im Jahr 1922 durch die OC. Nur durch viel Glück überlebte im gleichen Jahr Philipp Scheidemann (SPD) einen Anschlag der OC durch Blausäure. Es war offensichtlich: Die gesamte Staatsführung war zu Beginn der Republik im Visier der extremen Rechten und für Vogelfrei erklärt.

Reaktion des Staates

Die Antworten auf diese Attentate waren ambivalent. Einerseits entstand für kurze Zeit eine breite Front gegen die faschistischen Umtriebe. Auf Massenkundgebungen stellten sich Demonstrant_innen vor die Republik – USPD, SPD, Demokraten und das katholische Zentrum rückten im Kampf gegen rechts enger zusammen. Im Reichstag fand Reichskanzler Wirth (Zentrum) klare Worte: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!

Als konkrete Maßnahme gegen die Gefahr von rechts wurde 1922 das sogenannte Republikschutzgesetz erlassen. Organisationen, die sich gegen die „verfassungsmäßige republikanische Staatsform“ richteten, sowie deren Druckerzeugnisse und Versammlungen konnten verboten werden.

Die KPD, mit nur vier Sitzen im Reichstag unbedeutend und schwach, lehnte die Einführung der Republikschutzgesetze ab. Zwar wollte auch sie ein konsequenteres Vorgehen gegen rechts – befürworteten aber nicht das Mittel der Gesetzesverschärfungen bzw. die Einführung neuer Gesetze, da diese immer auch gegen links eingesetzt werden konnten. Die KPD hatte nicht vergessen, dass es gerade die sozialdemokratisch geführte Regierung gewesen war, die die rechten Freikorps regelmäßig gegen Linke eingesetzt und damit die brutalen Morde, wie z.B. bei den Märzkämpfen 1919 in Berlin oder bei der Niederwerfung der Aufstände im Ruhrgebiet 1920, billigend in Kauf genommen hatte.

Und es zeigte sich: Die Republikschutzgesetze gegen rechts wurden tatsächlich hauptsächlich gegen links in Stellung gebracht. Der ebenfalls neu eingerichtete Staatsgerichtshof verurteilte in den nächsten Jahren hunderte Linke zu hohen Zuchthausstrafen – meistens wegen Lappalien wie revolutionäre Gedichte, Lieder, Demonstrationen und Flugschriften. Gegen die anwachsende rechte Gefahr durch die SA und die NSDAP und das Bündnis mit den konservativen Kräften wurden die erlassenen Republikschutzgesetze nicht bzw. nur völlig unzureichend angewandt.

Bei den polizeilichen Ermittlungen gegen die OC zeigte sich, dass diese von einflussreichen Personen aus Politik und Polizei geschützt wurde, ja Attentäter kurz vor ihrer Verhaftung gewarnt wurden, so dass diese sich über die Grenze absetzen konnten. Auch die Gerichtsverhandlungen gegen die rechten Mörder trugen nicht zur Aufklärung bei. Die strukturellen Hintergründe wurden ignoriert und die politischen Strukturen dahinter nicht nachhaltig zerschlagen. Zwar bekamen die Täter im Rathenau-Prozess relativ hohe Strafen, jedoch wurde das Mitwirken der "Organisation Consul" bei der Durchführung des Attentats vollständig ausgeklammert. Die Täter wurden stattdessen als Einzeltäter behandelt.

Auch dem Mörder von Kurt Eisner, Graf Arco-Valley, wurde mit viel Verständnis begegnet. Seine Verbindungen und die Rolle der "Thule-Gesellschaft" spielten im Prozess keine Rolle – auch er wurde nur als Einzeltäter verurteilt. Das ursprüngliche Todesurteil wurde durch die bayerische Landesregierung wieder aufgehoben – bereits 1924 befand er sich wieder in Freiheit.

Von Rathenau zu Lübcke?

Waren viele Jahrzehnte vor allem Migrant_innen, Jüdinnen und Juden sowie Linke Opfer rechter Gewalttäter, begannen ab 2015, dem Beginn der sogenannten „Flüchtlingskrise“, auch Angriffe und Attentate auf Politiker_innen, die bis heute anhalten. Hierbei ist eine stetige Radikalisierung erkennbar. Die extreme Rechte interpretierte die Einreise von Flüchtlingen nach Europa als Staatsversagen und diffamiert alle Politiker_innen, die den Flüchtlingen mit einem grundsätzlich menschlichen Selbstverständnis begegneten als „Volksverräter“. In sozialen Netzwerken wird unverhohlen zum Mord aufgerufen. In der irrationalen Furcht wird vom „Volkstod“ und vom „Verrat“ der Politiker an der eigenen Bevölkerung schwadroniert – eine Stimmung, wie sie zuletzt nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg anzutreffen war. Der Widerstand gegen eine menschliche Politik wurde damit für die extreme Rechte zu einer existentiellen Frage des völkischen Überlebens.

Ähnlich wie in der "Weimarer Republik" bildete sich ein breites konspiratives Netzwerk unterschiedlicher extrem rechter Organisationen mit teilweise personellen Überschneidungen zu Parteien, Polizei und Bundeswehr. Dieses Amalgam ist in Bewegung begriffen: Gruppen bilden sich, lösen sich auf oder verbünden sich. Ähnlich wie in der Weimarer Republik gibt es keine feste „Zentrale“, welche diese Gruppierungen lenkt, sondern wechselnde Kooperationen und unterschiedliche Organisations- und Politikformen – die aber geeint werden durch den gemeinsamen Hass.

Ebenfalls wie in der Weimarer Republik folgten die Anschläge auf eine Phase der hasserfüllten Propaganda: Seit 2015 werden Bürgermeister_innen und Kommunalpolitiker_innen, die sich für Flüchtlinge einsetzen von der extremen Rechten beschimpft und attackiert. In Sachsen-Anhalt trat 2015 der ehrenamtliche Bürgermeister Markus Nierth aus Furcht um Leib und Leben von seinem Amt zurück. Vor allem die mangelnde Solidarisierung bewog ihn zu diesem Schritt, schrieb er später in seinem Buch „Brandgefährlich - Wie das Schweigen der Mitte die Rechten stark macht.“ Ebenfalls 2015 stach ein Neonazi auf die Bürger­meisterkandidatin Henriette Reker in Köln ein, die nur mit viel Glück überlebte. In Schleswig­-Holstein wurde 2016 der ehrenamtliche Bürgermeister einer kleinen Gemeinde, Joachim Kebschull, bewusstlos geprügelt, in Westfalen der Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU) 2017 mit einem Messer angegriffen. Auch Angriffe auf Partei­büros und Wahlstände gehören mittlerweile zum Alltag. Es ist zwar festzustellen, dass alle Parteien in den letzten Jahren verstärkt von Angriffen auf Parteibüros und Infoständen betroffen sind. Offene Mordversuche wurden aber bislang nur von Anhängern der extremen Rechten begangen.

Dass diese Angriffe nur ernste Warnsig­nale einer viel größeren Gefahr sind, zeigte sich 2017: Ein Netzwerk aus aktiven Bundes­wehrsoldaten und Spezialkräften der Polizei wurde enttarnt, welches sich für den „Tag X“ vorbereitete. Leichensäcke und Löschkalk für eine schnellere Zersetzung der Leichen waren schon bestellt. Ziel der Attentatsplanungen: Erneut Politiker_innen. Der letzte Tote war 2019 Walter Lübcke – höschstwahrscheinlich erschossen von einem Neonazi, der aus den Strukturen der neonazistischen Netzwerke kam.

Es ist zu befürchten, dass auch in 2020 Anschlagsplanungen auf Politiker_innen weitergehen. Angela Merkel wird bis zum Ende ihres Lebens unter Polizeischutz leben müssen.

Rezepte dagegen können nicht alleine härtere Strafen oder die strengere Überwachung des Internets sein. Der vorhandene Rahmen reicht für eine effektive Strafverfolgung aus – er müsste nur von staatlicher Seite gegen rechts konsequenter angewandt werden. Viel wichtiger wäre jedoch die Zerschlagung rechter Netzwerke bei der Polizei, im Militär oder bei den Geheimdiensten. Diese haben ein Interesse an einem „starken Staat“ und einer schwachen humanistisch orientierten Zivilgesellschaft, die deren Handlungen kritisch begleitet und teilweise sogar einschränkt – eine Schnittmenge zur deutschen extremen Rechten.

Statt einer Aufrüstung staatlicher Organe, die sich auch in einer totalitär verfassten Gesellschaft gut aufgehoben fühlen würden, müsste die Unterstützung antifaschistischer Initiativen und Gruppen stehen. Diese haben umfassende Kenntnisse über die extrem rechte Szene und sind, im Gegensatz zum Verfassungsschutz, an einer konsequenten Bekämpfung dieser Szene und an einer pluralen demokratischen Gesellschaft interessiert. Studien haben gezeigt: Wo antifaschistische Strukturen stark sind, sind neonazistische Strukturen schwach.