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Warum wir einen queerfeministischen Antifaschismus brauchen

Diskussionsbeitrag einer Anarcha-Queerfeministischen Gruppe (Gastbeitrag)
Feminismus Stangentranspi
(Bild: Screenshot: Youtube/Stream)

Wo der Verrat beginnt

Taten sprechen mehr als Worte - das zeigt die aktuelle Situation um das Antifa-­Ost-Verfahren von Lina und dem Verräter Domhöver schmerzlich auf - ein feministisch solidarisches Handeln ist leider noch keine Normalität in unseren Strukturen. Das demnächst zu erwartende erste Urteil in diesem Verfahren wollen wir als Anlass nehmen, uns zu vergegenwärtigen, wie wir uns ein Miteinander - im Privaten und Politischen - vorstellen. Wir wollen uns fragen, wofür und wogegen wir kämpfen. Unsere (queer)feministische Haltung und Analyse betrachten wir hierbei als notwendiges Mittel einen Weg aufzuzeigen, wie wir Dinge anders handhaben können.

In Bezug auf das SAO-Verfahren wurden bereits einige Texte auf verschiedenen Plattformen veröffentlicht. Mit dem vorliegenden Text knüpfen wir an die Analysen zum patriarchalen Ist-Zustand der Veröffentlichung der Antifa-Friedrichshain (vgl. AIB Nr. 136)1 an.

Um die Momente der erdrückenden Repression zu nutzen, plädieren wir für mehr Selbstreflexion, Mut und konsequentes Handeln. Es braucht mehr Diskussionen und eine Streitkultur, um die eigenen Strukturen und Verhaltensweisen zu hinterfragen, die dazu beigetragen haben, einen solchen Verrat, wie den von Domhöver möglich zu machen und die weiterhin dazu beitragen, dass gewaltvolle und unterdrückende Mechanismen in unserer Szene aufrechterhalten werden.

Gewaltvolle Verhältnisse

Ein Kampf gegen Faschismus und faschistische Tendenzen ist nicht ohne einen Kampf gegen das Patriarchat und dessen maßgebenden Werte und Verhaltensmuster denkbar - wie auch andersherum. Denn bis heute sind patriarchale Werte für faschistische Systeme maßgebend. Patriarchat, das heißt männliche Vorherrschaft, stellt eine Form struktureller Diskriminierung dar, die mit vielen anderen Unterdrückungsmechanismen verschränkt ist. Um gegen Unterdrückung und Herrschaft kämpfen zu können, müssen wir auch eine ganzheitliche Perspektive auf diese erarbeiten und gesellschaftliche Verhältnisse zusammendenken. Intersektionale Ansätze sind hilfreich, um zu verstehen, wie unterschiedliche Formen von Diskriminierung und Unterdrückung zusammenwirken und wie wir selbst in diesen Strukturen verwoben sind. Wir alle sind unterschiedlich sozial positioniert und erfahren unterschiedliche Formen von Diskriminierung und Privilegierung. Wichtig ist zu betonen, dass Diskriminierung eine Form der Gewaltausübung darstellt und viele Facetten haben kann, d.h. sie entsteht nicht erst dann, wenn jemand offensichtlich körperlicher Gewalt, wie etwa einem sexualisierten Übergriff, ausgesetzt ist.

Strukturelle Diskriminierung bedeutet, dass wir alle durch Herrschaftsverhältnisse geprägt sind, die zu Diskriminierung und Unterdrückung beitragen. Patriarchale Herrschaft hat sich in uns allen kleinteilig verfestigt, wir sind mit ihr sozialisiert worden. Nur wer eine Analyse von patriarchaler Gewalt entwickelt und (eigene) Handlungen hinterfragt, kann diese auch wahrnehmen, benennen und verändern. Ansonsten bleibt patriarchale Gewalt die Norm, die weder besonders auffällig noch falsch erscheint.

Beispielsweise gilt das Bild einer weißen Männlichkeit als Idealvorstellung, und gibt vor wie Menschen zu agieren und zu sein haben. Eigenschaften, die von dieser Norm abweichen, erhalten negative Zuschreibungen, werden als „weniger wert“ gedeutet. Teile dieser Norm werden auch unter Antifaschist*innen idealisiert. Dazu zählen unter anderem Gefühlskälte bzw. eine sogenannte Rationalität und die Kontrolle über jegliche Emotionen, insbesondere Trauer, Mitgefühl und Empathie. Auch die Disziplinierung des eigenen Körpers, das heißt z.B. sportlich zu sein, „able-bodied“ und in keiner Situation Angst zu zeigen, gehören weiterhin zu positiv besetzten und anzustrebenden Eigenschaften. Das ist die Reproduktion der Logik: „Je mehr ich von dieser weißen Männlichkeit anhäufen kann, desto wertvoller bin ich und desto höher ist mein sozialer Status.“ Eigenschaften wie Weichheit oder Zweifel und Ängste zu zeigen werden dagegen eher abgewertet, als unnütz oder als störend betrachtet.

Wir möchten darauf hinweisen, dass auch FLINTA* durchaus dazu beitragen können, diese patriarchalen Strukturen zu reproduzieren. So werden sich cis-männlich konnotierte Verhaltensweisen angeeignet, um eine bessere Position in der patriarchalen Hierarchie zu erlangen. Andere FLINTA*, insbesondere neu der Gruppe hinzugekommene, werden so oft als Bedrohung der eigenen „hart erarbeiteten“ Position wahrgenommen. Und als solche, teils unterbewusst, abgewertet, ignoriert oder ausgegrenzt.

Gewalt innerhalb von Gruppen beginnt dementsprechend selten mit einem körperlichen Übergriff, sondern durch eine langanhaltende Abwertung von allen Eigenschaften, die nicht als nützlich betrachtet werden. Sie tritt da zu Tage, wo Menschen oberflächliche Beziehungen führen, wo es keinen Austausch über Gefühle und Emotionen gibt und wo FLINTA* und BiPoC weniger ernst genommen werden oder deren Meinung und Erfahrung nicht als wichtig erachtet werden. Sie beginnt in Räumen, wo manche Menschen stetig lauter sind als andere; wo einige auf ein „Held*innentreppchen“ gestellt werden und gleichzeitig anderen ihr Können und ihr Einschätzungsvermögen abgesprochen wird - besonders denjenigen, die am „Held*innentum“ Kritik üben. Sie beginnt da, wo manchen ein hoher Status zugesprochen wird, der sie unantastbar erscheinen lässt, wo Warnsignale und Kritik ignoriert oder relativiert werden.

Wir wollen aufzeigen, dass übergriffiges Verhalten nicht aus „dem Nichts“ heraus entsteht, sondern sich vielmehr in sozialen Kontexten mit bestimmten Dynamiken entwickelt - dass es also Kontinuitäten zwischen ‚Menschen nicht ernst nehmen oder ihnen nicht zuhören und psychischer oder physischer (sexistischer) Gewalt’ geben kann.

Der Verrat an uns beginnt, wo unsere eigenen Genoss*innen diese Auseinandersetzung „nicht wichtig“ finden oder sich ihr verweigern. So sehen wir es auch bei dem Verräter Domhöver - sein Verrat hat nicht erst damit begonnen, dass er mit den Repressionsbehörden zusammengearbeitet hat, sondern mit seinen unreflektierten, patriarchalen Verhaltensweisen, welche in körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt gipfelten. Große Teile seines Umfelds haben ihn und sein Verhalten weder hinterfragt, noch ihn mit den bekannten Vorwürfen konfrontiert. Sie haben ihn schlichtweg gedeckt. Aus diesen Fehlern müssen wir alle lernen!

Unsere Forderungen

Antifaschismus war und ist offensiv, aber sollte auch immer eine queere und feministische Analyse einbeziehen. Wir wollen ein Ende von struktureller, unterdrückender Gewalt. Ein Ende der Herrschaft, die uns in Rollen zwängt, für die wir uns nicht frei entschieden haben. Dazu gehört, sowohl innerhalb antifaschistischer Zusammenhänge als auch außerhalb dieser, gewaltvollen Strukturen und diskriminierendem Verhalten konsequent zu begegnen. Und das bedeutet, das Problem von Unterdrückung und der Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen nicht nur auf den „politischen Feind“ auszulagern, sondern Gewalt in ihren verschiedenen Facetten zu hinterfragen, auch als Instrument für den eigenen Statuserhalt.

Genauer gesagt: Wenn wir uns dazu entscheiden, Gewalt auszuüben, sollte dies immer ein Akt gegen Unterdrückung und Herrschaft sein. Unser Aufbegehren gegen patriarchale Zustände und gegen Faschismus findet nicht nur statt, wenn wir gemeinsam auf die Straße gehen – vielmehr spiegelt sich antifaschistischer Widerstand auch in unseren Verbindungen und in unseren Beziehungen zueinander wider.

Antifaschismus bedeutet Haltung zu beweisen: Eine Haltung, die sowohl einen liebevollen, wertschätzenden und fürsorglichen Umgang miteinander einschließt, als auch Entschlossenheit und Härte gegen jegliche unterdrückerischen Verhältnisse und Täter*innen aufweist!

Dazu plädieren wir für ein erweitertes Verständnis von Radikalität und Militanz: Militanz ist, wenn FLINTA* sich gegen ihre gewalttätigen Partner*innen auflehnen. Militanz ist auch, wenn sich geschlossen gegen rassistische Aussagen gestellt wird und queere Positionen verteidigt werden. Militanz ist aus unserer Perspektive unabdingbar verbunden mit der stetigen Reflexion eigener Dynamiken, einer Reflexion der eigenen Rassismen und Sexismen und mit einer Veränderung toxischer Verhaltensweisen.

Eine Möglichkeit könnte sein, sich gegenseitig kontinuierlich und konstruktiv zu kritisieren sowie Feedback zu geben. Kritik sollte als eine wertschätzende Praxis wahrgenommen werden, die uns dabei hilft, unser Verhalten hinsichtlich der Wirkung auf unser Gegenüber zu verstehen, und uns deshalb hilft, unserem Gegenüber weniger durch verinnerlichte Machtstrukturen zu schaden. Das heißt zum Beispiel, dass wir nicht schweigen, wenn wir abwertendes Verhalten gegenüber FLINTA* wahrnehmen.

Wir erwarten, sich selbst anhand folgender Fragen zu prüfen:
Aus welcher Motivation heraus wird wie gehandelt? Welche Arbeit wird wie in unseren Gruppen wahrgenommen, wer übernimmt welche Aufgaben? Wie führen wir Beziehungen zueinander, zu wem setzen wir uns in Bezug? Wem gegenüber zeigen wir uns weich und verletzlich? (Wem gegenüber) können wir Emotionen zeigen? Wann strahlen wir Härte und Gewaltbereitschaft aus? Wie wirkt es sich auf uns und unsere Beziehungen aus, wenn wir (physische) Gewalt gegenüber Neonazis anwenden? Wem gegenüber zeigen wir uns zugänglich? Wen nehmen wir ernst, wenn eine Person spricht und welche Personen überhören wir? Mit wem können wir Zweifel und Ängste besprechen, und können wir diese äußern, ohne dass unser konsequentes Handeln und unsere antifaschistische Haltung in Frage gestellt wird?

Die Anfänge sind gemacht. In den letzten Monaten gibt es immer mehr Wertschätzung für Arbeit, die die Stärkung und Emanzipation von Betroffenen fokussiert und sich mit sexualisierter Gewalt auseinandersetzt. Im Zuge dessen müssen wir weiter daran arbeiten und verstehen, wo strukturelle Diskriminierung und Unterdrückung reproduziert werden und inwiefern wir selbst/unser Umfeld unseren Freund*innen, unseren Verbündeten schaden/schadet.

Wir müssen für uns definieren, welche Gewalt revolutionär ist, was als (legitime) Gegengewalt verstanden werden kann; und wie mensch zur*zum Täter*in wird, wer Täter*innen sind und wer diese Täter*innen und ihr Verhalten schützt.

Es hilft, wenn in linken Räumen ein konsequenter Fokus darauf gelegt wird, Betroffene und potenziell Betroffene zu schützen und marginalisierte Positionen zu stärken. Täter*innen sollten nicht im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung stehen. Wie häufig haben wir gehört, es sei so schade, dass ein*e Täter*in aus der Bewegung fliegt (vor allem, wenn diese Person potenziell viel Arbeit geleistet hat, die wertvoller als andere Arbeit gewertet wurde und diese dadurch einen hohen Status genoss). Gleichzeitig wird oftmals nicht wahrgenommen, wie viele Betroffene sich schon vorher aus Zusammenhängen zurückgezogen haben, weil wir nicht authentisch unsere Werte vertreten haben und geschwiegen wurde.

Es ist wichtig, marginalisierten Personen und FLINTA* ihre Erfahrungen nicht abzusprechen, sondern sie in ihrem Erleben (beispielsweise hinsichtlich sexistischer oder rassistischer Diskriminierung und Abwertung) ernst zu nehmen und aktiv darin zu stärken, sich Raum zu nehmen; anstatt sie durch Schweigen dazu zu drängen, sich zurück zu ziehen.

In dieser Hinsicht möchten wir insbesondere Cis-Typen auffordern, eure Verantwortung ernst zu nehmen und euer Verhalten sowie das eures Umfeldes auf gewaltvolle und sexistische Handlungsweisen und hinsichtlich einer kontinuierlichen Abwertung hin zu überprüfen und zu hinterfragen. Das heißt ein generelles Verantwortungsgefühl für euer Umfeld zu entwickeln, und nicht erst Verantwortung zu übernehmen, wenn es zu offensichtlichen Grenzüberschreitungen und Verletzungen gekommen ist. Sich in Cis-Männerbünden zu bewegen, verstärkt das Problem. Teilt Netzwerke und Erfahrungen, anstatt an Machtpositionen festzuhalten.

Wir FLINTA* müssen weiterhin unseren Blick für patriarchale Dynamiken schärfen, um uns solidarisch miteinander zu verbünden und gemeinsam stärker zu werden.

Ausblick

Mit dem Artikel wollen wir insbesondere Kontinuitäten gewaltvoller Strukturen herausstellen und argumentieren, dass Unterdrückung nicht im luftleeren Raum, sondern vielmehr in sozialen Kontexten - eben auch in unseren- entsteht. Auch wenn die Verhältnisse gerade richtig beschissen sind und es so wirkt, als würden uns Repressionen erdrücken, liegt es an uns, die gegenwärtige Lage als Chance zu nutzen und Dinge anders zu machen: konsequent solidarisch gegen jegliche Form von Unterdrückung zu stehen und gleichzeitig mit Verantwortung und Fürsorge füreinander unsere Verbindungen zu stärken.

Trotz aller Kritik halten wir es für richtig und notwendig, sich auch im Zuge der ersten Urteilsverkündung im Antifa Ost-Verfahren am TagX in Leipzig solidarisch zu zeigen sowie die Notwendigkeit des antifaschistischen Widerstands und einer queerfeministischen Haltung im antipatriarchalen Block erneut zu betonen. Kommt mit!

In Love & Rage