Gewaltspirale Rinks/Lechts
Das Märchen von der Konfrontationsgewalt
Bereits in unserer letzten Ausgabe beleuchteten wir in dem Artikel »Statistische Mogelpackung. Das Innenministerium und seine Statistik über politisch motivierte Straftaten.« die Hintergründe der Debatte um den angeblichen Anstieg linker Straftaten.
Einen Schwerpunkt der »politisch motivierten extremistischen Gewaltkriminalität« stellt die behauptete Links-/Rechts-Konfrontation dar. So wird ein nicht unerheblicher Teil der politisch motivierten Gewaltkriminalität als »Konfrontationsgewalt«, also als links/rechts bzw. rechts/links Auseinandersetzung eingeordnet. Nicht verwunderlich also, dass das Bundeskriminalamt einer Forschungsgruppe um den »Extremismusexperten« Prof. Dr. Uwe Backes vom Hannah-Arendt-Institut Dresden mit der Untersuchung möglicher Wechselwirkungen zwischen NPD-Wahlmobilisierungen und rechter wie linker Gewalt beauftragte.
Erkenntnisse der Studie
Ergebnis ist die nun vorliegende Studie mit dem Titel »NPD-Wahlmobilisierung und politisch motivierte Gewalt«, die den Zeitraum von 2003–2006 in einer Vergleichsstudie zwischen Sachsen und Nordrhein-Westfahlen näher beleuchten soll.1 Im Mittelpunkt stand die Frage nach den Auswirkungen von NPD-Wahlerfolgen wie 2004 in Sachsen. Zwar konnte in der Datenanalyse ein Anstieg rechter Gewalt nicht ausgemacht werden, wohl aber eine signifikante Zunahme sogenannter Konfrontationsgewalt. Datengrundlage war die polizeiliche Einspeisung von politisch motivierten Gewalttaten in die jeweiligen Themenfelder »Hasskriminalität«2 und »Konfrontation/Politische Einstellung gegen links« auf Seiten rechtsmotivierter Taten und für die PMK links die Themenfelder »Antifaschismus« und »Konfrontation/Politische Einstellung gegen rechts« und »gegen sonstige politische Gegner«. Insgesamt konnte kein Anstieg rechter Gewalttaten nach NPD-Wahlerfolgen nachgewiesen werden, aber ein Anstieg von »Konfrontationsgewalt« auf beiden »Seiten«.
Dabei wurde ein starker Zusammenhang zwischen rechten Demonstrationen und linker Gegengewalt festgestellt. Auch hier handelt es sich bei der Hälfte der als linken »Konfrontationsgewalt« eingeordneten Delikte um angezeigte Straftaten, die sich gegen Polizeibeamte richtete. Rechte »Konfrontationsgewalt« dagegen richtete sich in über einem Drittel der Fälle gegen links und nur in 3,5 Prozent gegen die Polizei.
Ein weiteres Untersuchungsergebnis ist, dass ein Anstieg linker »Konfrontationsgewalt« einige Tage später einen Anstieg rechter »Konfrontationsgewalt« nach sich zieht. Nach Analyse der Autoren deute dies auf eine verspätete Reaktion gegenüber zufällig angetroffenen als links wahrgenommenen Personen hin. Ein umgekehrtes Verhalten Linker konnte nicht festgestellt werden.
Die Autoren, welche den Ansatz der »Konfrontationsgewalt« nie grundsätzlich in Frage stellen, sind dennoch bemüht, über die Betrachtung von Tatspezifik und Tatschwere die besondere Dimension rechter Gewalt zu verdeutlichen. So wird rechte Gewalt als expressiv und als Mittel zur Selbstdarstellung/-verwirklichung sowie Abreaktion von Wut und Hass benannt. Linke »Konfrontationsgewalt« wird dagegen als instrumentell (Gewalt als Mittel zum politischen Zweck) und zielgerichtet benannt und ist demnach stark verbunden mit Demonstrationen und geprägt von geplantem, aufsuchendem Verhalten.
Falscher Ansatz – falsche Erkenntnisse
Das schlichtweg der Ansatz der Konfrontationsgewalt falsch ist, kommt für die Verfechter des Extremismusbegriffes um Backes nicht in Frage. Betroffene, die ausschließlich aufgrund ihres nichtrechten bzw. alternativen Erscheinungsbildes und/oder aufgrund ihrer Ablehnung gegenüber Neonazis angegriffen werden, werden innerhalb der polizeilichen Statistik zu »der gewaltsamen Konfrontation mit militanten linksautonomen Gruppen und sonstigen aus rechter Tätersicht als links gedeuteten Szenen und Lebensstilen (Punker, Hip Hopper)«3 gezählt.
Der Begriff der »Konfrontation« vermittelt dabei die Existenz zweier »Seiten« (rechts und links), die ihren Konflikt gewalttätig ausleben. Die Untersuchung lässt aber die statistische Angriffshäufigkeit völlig außer Acht. So stellt rechte Gewalt seltener eine direkte Reaktion auf Anti-Neonazi Proteste, sondern den Alltag der Betroffenen dar. In Sachsen wurden beispielsweise in den vergangenen Jahren jeweils zwischen 150–250 Personen aufgrund ihres nichtrechten Erscheinungsbildes bzw. wegen ihrer Einstellung gegen Neonazis angegriffen. Insofern ist es logisch, dass dies auch im zeitlichen Zusammenhang mit Protesten gegen Neonaziaufmärsche passiert.
Die Angriffe häufen sich an den Wochenenden aufgrund des Freizeitverhaltens der Täter und nicht aufgrund einer sogenannten links/rechts-Auseinandersetzung. So finden zwar jedes Wochenende Angriffe von Neonazis aber nicht jedes Wochenende Proteste gegen Neonazis statt. Wenn aber wie in der Untersuchung geschehen nur kurze Zeiträume überprüft werden, kommt man zu dem falschen Schluss, dass zwischen Angriff und Protest eine Kohärenz besteht.4
Diesen Denkfehler revidieren die Autoren auch nicht bei der qualitativen Untersuchung von Gerichtsakten. Stur im Sinne des »Extremismusansatzes« werden dann schwere rechte Gewalttaten der »Skinheads Sächsische Schweiz« (2005) oder die so genannten Streifenfahrten des »Sturm 34« im Raum Mittweida als »Konfrontationsgewalt« gewertet. Diese organisierten Neonaziangriffe dienten dem Ziel das Gebiet »zeckenfrei« zu machen und die Hegemonie der Neonazis gewaltsam umzusetzen. Wo in solchen brutalen Überfällen der Moment der »Konfrontation« lag, dieser Antwort bleiben sowohl die Verfasser der Studie als auch die Polizei den Betroffenen schuldig.
Mit einer solchen Studie wirken Wissenschaft und Staat aktiv an der Sekundärviktimisierung von Betroffenen rechter Gewalt mit. Die gesellschaftliche Stigmatisierung von häufig jugendlichen Opfern wird vorangetrieben und die Zuschreibung eines öffentlichen Schuldanteils der Geschädigten zumindest billigend in Kauf genommen. Statt den Extremismusansatz aufzugeben und tiefverwurzelte Ungleichwertigkeitsvorstellungen der Mehrheitsbevölkerung sowie daraus resultierende Gewalttaten zu untersuchen, wird rechte Gewalt durch den Vergleich bagatellisiert und legitimer Widerstand kriminalisiert.
- 1Backes, Uwe/Mletzko, Matthias/Stoye, Jan: NPD-Wahlmobilisierung und politisch motivierte Gewalt. Köln, 2010. Im Internet unter: www.bka.de/kriminalwissenschaften/veroeff/band/band39/band39_npd-wahlmo…; (zuletzt eingesehen am 10. November 2010)
- 2Darunter werden die Zielrichtungen »fremdenfeindlich«, »rassistisch«, »antisemitisch« und sonstige gegen »Religion«, »Behinderung« oder »gesellschaftlichen Status« gerichtete Heterophobie subsumiert
- 3siehe die nähere Definition der »Konfrontationsgewalt« bei Backes, Uwe/Mletzko, Matthias/Stoye, Jan, S. 126
- 4Es wurde jeweils das Auftreten von »Konfrontationsgewalt« am Tag selbst und den vier folgenden Tage nach dem Ereignis überprüft.