Meine Spitzel, deine Spitzel
Andreas FörsterGrenzüberschreitende Spitzeleinsätze in Europa
Das Foto vom 18. Januar 2006 zeigt Max M.1 im Kreis Leipziger DKP-Genossen, die den 70. Geburtstag ihres Parteivorsitzenden feiern. Max, Brillenträger mit Kurzhaarschnitt und Pullover, hält eine rote Mappe in der Hand, aus der er ein kämpferisches Grußwort vorliest. Ein paar Monate nach dieser Feier schließt sich Max der Wahlinitiative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) in Leipzig an. Nach der Vereinigung mit der Linkspartei wird er Vorstandsmitglied der Leipziger Linken und Mitglied im mächtigen Landesrat der Partei. Kritiker sehen in ihm jedoch einen Sektierer, der mit seinen radikalen Ansichten die Partei spaltet. 2009 will Max M. für den Landtag in Dresden kandidieren. Daraus wird aber nichts: Ein Jahr vor der Wahl kommt heraus, dass Max M. offenbar als V-Mann vom Verfassungsschutz in die linke Politszene eingeschleust worden ist.
Im Mai 2010 stellt sich ein Simon Brenner im Heidelberger Uniprojekt Campus Camps der linken Studentengruppe Kritische Initiative vor. Er studiere Ethnologie und Soziologie in Heidelberg und stamme aus Bad Säckingen. Ein stets hilfsbereiter Typ, erinnern sich Studenten später an ihn. Er sei im Rahmen der Kritischen Initiative Heidelberg sehr aktiv gewesen und habe sich auch in anderen Gruppen zum Thema Klimaschutz und Antirassismus engagiert. Auf diese Weise habe er Einsicht gewonnen in viele politische Aktivitäten, aber auch in private Bereiche, wie Wohngemeinschaften oder Elternhäuser.
Mitte Dezember 2010 aber kommt es zu einer verhängnisvollen Begegnung auf einer Geburtstagsfeier: Eine junge Frau erkennt Brenner, der sich ihr bei einem Frankreichurlaub als Polizist vorgestellt hatte. Und tatsächlich – Brenner räumt im Gespräch mit seinen vermeintlichen Kommilitonen ein, gar kein Student zu sein. Vielmehr habe er als V-Mann des baden-württembergischen Landeskriminalamtes den Auftrag gehabt, die Antifaschistische Initiative Heidelberg zu unterwandern. Stuttgarts Innenminister Heribert Rech (CDU) bestätigt Wochen später den V-Mann-Einsatz. Der Mann mit dem Decknamen Simon Brenner sei in Heidelberg »gegen konkrete Zielpersonen der antifaschistischen/anarchistischen Szene und einzelne Kontaktpersonen dieser Zielpersonen« eingesetzt worden, heißt es in einer Erklärung des Ministers.
Für deutlich mehr Schlagzeilen als Max M. und »Simon Brenner« sorgt Anfang des Jahres aber ein Engländer: der britische Polizeispitzel Mark Kennedy, der unter dem Namen Mark Stone von 2003 bis 2009 die linke Szene in Westeuropa infiltriert hatte, ist der spektakulärste Spitzelskandal seit Jahren. Zwar wurde Kennedy alias Stone bereits im Oktober vergangenen Jahres enttarnt – seine Geschichte aber wurde erst Anfang dieses Jahres durch den britischen Guardian enthüllt. Auch in Deutschland war der Polizeispitzel demnach im Einsatz – mit Wissen und Billigung der hiesigen Behörden, die von Kennedys Maulwurftätigkeit profitierten.
Als Mark Stone war Kennedy ein Bild von einem Revoluzzer: Dunkle Haare bis auf die Schultern, stählerne Ringe im Ohr, Sonnenbrille im Gesicht und ein verwegenes Lächeln um die Lippen. »Flash« haben sie ihn in den linken Gruppen in Europa genannt. Er war großzügig mit Geld und schien doch ein Anarchist wie sie zu sein.
Was jahrelang niemand ahnte: Stone alias Kennedy gehörte der für Extremismus-Bekämpfung zuständigen National Public Order Intelligence Unit (NPOIU) an. Die 1997 gegründete und von hochrangigen Polizeioffizieren geleitete Einheit war eine Art Privatagentur, die für die britischen Sicherheitsbehörden, aber auch im Auftrag von Konzernen, linke Protestgruppen, Umweltaktivisten, Tierschützer und globalisierungskritische Initiativen ausforschte. Das Unternehmen soll über eine Datenbank mit Profilen von rund 2000 Aktivisten verfügen, auf die auch die Polizei Zugriff hat.
Kennedy tauchte bereits 2003 unter seiner Falschidentität als undercover agent in die britische Anarcho-Szene ein. Und in die europäische: 22 Länder soll er mit seinem gefälschten Pass bereist haben, um linke Protestbewegungen auszuspähen. Er war in Frankreich, Spanien, Italien, Island – und Deutschland. Kennedys Spitzeleien wurden fürstlich entlohnt: Nach seinen Angaben habe er zusätzlich zu seinem normalen Polizeigehalt von 60.000 Euro jährlich rund 240.000 Euro für seine zeitweise fast täglich abgelieferten Spitzelberichte kassiert. Insgesamt soll sein siebenjähriger Spitzeleinsatz in der linken Szene 1,75 Millionen Pfund gekostet haben.
In Berlin lebte Kennedy über einen längeren Zeitraum hinweg in Häusern, in denen auch Angehörige der Autonomen- und Antifaszene der Hauptstadt verkehrten. Einige von ihnen erinnern sich an den Engländer als einen agilen und hilfsbereiten Organisator, der ein Faible für Massenproteste hatte. So habe er unter anderem an der Vorbereitung der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 und den Nato-Gipfel in Baden-Baden und Strasbourg 2009 aktiv mitgewirkt. Er soll aber auch der Antifa angeboten haben, für sie Überfälle auf Neonazis auszuführen. Er könne mit seinen Freunden aktiv werden, die Deutschen müssten ihm nur die Namen der Zielpersonen nennen, habe er gesagt. Zumindest in Heiligendamm und in Baden-Baden war Kennedy im Auftrag deutscher Sicherheitsbehörden unterwegs.
Das bestätigte der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, im Februar in einer nichtöffentlichen Sitzung des Bundestags-Innenausschusses. Der BKA-Präsident gab an, Mecklenburg-Vorpommern habe 2007 vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm ausdrücklich um die Nutzung des Briten nachgesucht. Das BKA sei daraufhin vermittelnd tätig geworden und habe den Abschluss eines entsprechenden Vertrages zwischen dem Schweriner Innenministerium und ihrer Polizei-Sondereinheit »Kavala« sowie der britischen Polizeibehörde beratend begleitet. In gleicher Weise habe das BKA auch den Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg zur Seite gestanden, als es um die Vorbereitung des Nato-Gipfels im Sommer 2009 ging.
Welche Aufträge Kennedy für die Deutschen zu erledigen hatte, wollte Ziercke nicht verraten. Der Spitzel hingegen war weniger verschwiegen. In einem Interview mit der Mail on Sunday sagte er, in Heiligendamm habe er der deutschen Polizei einsatzrelevante Informationen überliefert. So schickte er an seinen Verbindungsbeamten per SMS die Nachricht, dass die Protestgruppen sich zerstreuen werden, um an den Absperrzaun zu gelangen. Daraufhin habe die deutsche Polizei kurzfristig ihr Einsatzkonzept verändert.
Ende Januar wurde übrigens noch ein weiterer britischer Polizeispitzel enttarnt, der ebenfalls in Deutschland unterwegs war. Bei ihm handelt es sich um Marco Jacobs, der Mitglied der lokalen Dissent!-Gruppe in Brighton gewesen ist. Laut Indymedia habe sich Jacobs ebenfalls an den Protesten gegen den NATO-Gipfel 2009 in Baden-Baden und Strasbourg beteiligt. Dabei habe er sich auch mehrere Tage im Freiburger Autonomen Zentrum KTS aufgehalten, das linken Aktivisten damals als Medienzentrum und Schlafplatzbörse diente.
Die deutsch-britische Polizeikooperation war und ist übrigens keine Einbahnstraße. Auf der Innenausschuss-Sitzung im Februar räumte BKA-Chef Ziercke ein, dass auch deutsche V-Leute 2005 beim G8-Gipfel im schottischen Gleneagles im Einsatz gewesen seien. Berlin habe damals fünf Undercover-Beamte entsandt, die unter Führung der NPOIU – für die auch Kennedy arbeitete – Aufgaben erledigt hätten. In Gleneagles war es seinerzeit zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen.
Laut Sitzungsprotokoll gab der BKA-Chef an, dass solch ein grenzüberschreitender Spitzeleinsatz längst zum europäischen Polizeialltag gehöre. Die Polizeien in den EU-Mitgliedstaaten unterstützten sich gegenseitig, indem man »die Szene in die jeweiligen Länder begleite«, etwa »was Euro-Anarchisten, militante Linksextremisten und -terroristen angehe«. Man könne der organisierten und konspirativen Vorgehensweise internationaler Netze nur begegnen, in dem man »genauso international und konspirativ« agiere, sagte Ziercke. Für diesen Einsatz der Polizisten aus anderen Ländern, sagte der BKA-Chef nicht ohne Stolz, würde man »auch stets Lob von Seiten der Politik bekommen«.
Andreas Förster ist freier Journalist in Berlin und arbeitet für die Berliner Zeitung und die Frankfurter Rundschau. Er ist Autor mehrerer Bücher über Geheimdienste.