Skip to main content

Was bleibt von den „Autonomen Nationalisten“?

Einleitung

Wo sind sie hin, die „Autonomen Nationalisten“? Vor ein paar Jahren noch waren die „AN“ der große Hype im parteifernen Neonazismus. Doch mittlerweile schmücken sich immer weniger Kameradschaften mit dem einst so hippen Label. Ist die Mode vorbei, kommt etwas Neues, geht es back to the roots? Lief sich das Modell tot oder war es so erfolgreich, dass es sich selbst überflüssig gemacht hat?

Foto: Mario Bialek

Schenkt man vielen aktuellen Aufklä­rungsbroschüren „gegen Rechts“ Glauben, dann sind die „Autonomen Nationalisten“ (AN) weiterhin ein ganz neues und ganz großes Ding im bundesdeutschen Neonazismus. Zu lesen sind sachlich völlig zutreffende Ana­ly­sen: zum Style der AN gehören der „schwarze Block“ als Stilelement auf Demonstrationen, eine experimentierfreudige, theorieferne und praxisorientierte, vor allem nach Systemantagonismus strebende Haltung, kombiniert mit einem umfassenden Symbolklau bei der radikalen Linken und aus der Popkultur. Als AN-Anhängsel sorgten jüngst zudem die als besonders ausgefuchst geltenden „Nipster“ (für Nazi-Hipster) für mediale Aufmerksamkeit. Doch blickt man auf die tatsächliche Rolle der AN im gegenwärtigen Neonazismus, so findet man vor allem: fast nichts.

Krisenerscheinungen des Neonazismus

Der Neonazismus insgesamt befindet sich in einer Krise. Die NPD zerreibt sich zwischen laufendem Verbotsverfahren, Wahlschlappen und internen Querelen. Auch die „Freien Kameradschaften“ sind viel weniger präsent und entfalten wesentlich geringere politische Handlungsfähigkeit als noch vor wenigen Jahren. Ausstrahlungsstarke Demonstrationen mit tausenden teilnehmenden Neo­nazis sind mittlerweile zu einer Seltenheit geworden, was nicht nur aber auch auf antifa­schistische Blockadeaktionen zurück­zufüh­ren ist. Diese Krise hat auch die AN, als eine Strömung innerhalb der Kame­­rad­schafts­szene, mit erfasst.

Gruppen, die sich selbst „Autonome Natio­nalisten“ nennen sind zu einer Rand­erscheinung geworden und beschränken sich vielfach auf die halbherzige Pflege ihrer Internetseiten. Der Esprit der Anfangstage, als über das Label AN tatsächlich noch so etwas wie eine Aufbruchstimmung verbrei­tet wurde, ist verflogen. Was anno 2005 noch aufregend war, die Überwindung unzeitgemäßer Aktionsformen anstrebte und den Zugang zu neuen, jugendlichen Zielgruppen versprach, ist mittlerweile ein alter Hut. Ihre hauptsächliche Quelle der reaktionären Vergemeinschaftung und Iden­ti­täts­­herstellung kommt den AN zusehends abhanden: größere Demonstrationen, bei denen man im „schwarzen Block“ Militanz ausstrahlen und sich offensiv zum National­sozialismus bekennen kann. Die Durchsetzungsfähigkeit „des Blocks“ gegen Repressionen durch Staat und Polizei sowie den Widerstand der Linken war schon immer mehr Mythos denn Realität und hat sich durch die jüngeren Demonstrations-Miss­erfolge zu einer Farce entwickelt.

Vom parteifreien Neonazismus zum ­Neonazismus der Parteien?

Wo Neonazis derzeit eine größere Straßenpolitik betreiben können, liegt diese quer zu den Grundannahmen der „auto­nomen“ Politik. Bei PEGIDA-Demonstrationen oder rassistischen Protesten gegen die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften mischen Neonazis mal am Rande, mal maßgeblich mit. Dieser neue Zugang zu Bevölkerungsschichten, die sonst von neo­nazistischer Politik entfernt standen, ist eine der wenigen Freuden, die Neonazis dieser Tage haben — und steht dem alten AN-Befund, dass das hoffnungslos umerzogene „Volk“ höchstens Kulisse für aber nicht Träger oppositioneller Politik sein könne, entgegen. Zudem ist den AN das Bedürfnis zu eigen, die Treue zum Nationalsozialismus offen und öffentlich zu zelebrieren — vermummt wird das Gesicht, nicht aber die Ideologie. Bei den jetzigen rassistischen Protesten verhält es sich umgekehrt. Die rechten Straßenproteste brauchen einen bürgerlichen Charakter oder zumindest eine zivile Fassade — die teilneh­menden Neo­nazis vermummen ihre Ideologie und nicht ihr Gesicht. Randale-Episoden wie die Aus­schreitungen bei „LEGIDA“ in Leipzig, wo Hooligans und organsierte Neonazis aus dem Spektrum der „Freien Kräfte“ vereint gegen Presseleute und Ge­gen­proteste anstürmten, kehren diesen Trend nicht um, sondern bleiben einzelne Streicheleinheiten für die Neonazi-Seele.

Von der AN-Gründungsgeneration wurde der Begriff der „Autonomie“ vor allem mit dem parteifreien, also unabhängigen Charakter ihrer Strömung gefüllt. Der Mehrwert zum älteren Begriff der „Freien Nationalisten“ bestand in der Wortpiraterie, die das Spektrum nur scheinbar an die linken Autonomen heranrückte. Die Übernahme war immer selektiv: Die Posen der „Entschlossenheit“ und des „Systemantagonis­mus“ wur­den freudig mitgenommen, Basis­dis­kus­sionen, Hierarchieüberwindung, Geschlechterrollenreflektion blieben exkludiert.

Die „Organisierung ohne Organisation“ in neonazistischer Couleur wurde von den „Freien Kameradschaften“ wie den „Auto­nomen Nationalisten“ beileibe nicht erfunden. In ihrer Neuauflage diente es vor allem der Absicherung gegen Repression. Wenn man keine Parteien oder Vereine gründet, dann kann der Staat nicht so leicht Verbote aussprechen, so die Hoffnung. Auf die Dauer hat genau das nicht geklappt. Das Konzept des „autonomen Nationalismus“ wurde um das Jahr 2004 von der Berliner „Kameradschaft Tor“ aus der Taufe ge­ho­ben. Auch im Beweis der Repressionsanfälligkeit des eigenen Ansatzes war „die Tor“ vorne mit dabei: Ihr Verbot im März 2005 jährt sich dieser Tage zum zehnten Mal. Seitdem hat es zahlreiche andere Gruppen erwischt. Ein paar Beispiele aus jüngerer Zeit: Seit 2012 wird gegen Neonazis des „Aktionsbüro Mittelrhein“ mit schweren Vorwürfen verhandelt, Verbotsbescheide gab es gegen die „Kameradschaft Aachener Land“, die „Kameradschaft Hamm“, die „Nationalen Sozia­listen Chemnitz“, den im AN-Kosmos herausragend bedeutenden „Nationalen Widerstand Dortmund“ sowie die Initiative „Besseres Hannover“. Zuletzt wurden im Dezem­­ber 2014 die „Auto­nomen Nationalisten Göppingen“ verboten.

Aus den Trümmern der DVU, in Erwartung eines möglichen NPD-Verbotes in der Zukunft und vor allem in Reaktion auf die kleine Verbotswelle erfolgte ein Schritt, der kaum als „autonome Politik“ verteidigt werden kann. 2012 wurde die Partei „Die Rechte“ gegründet, die vor allem im Ruhrgebiet als Auffangbecken für die ehemals strikt parteifeindlichen „Autonomen Nationalisten“ fungiert. Ähnlich motiviert war 2013 die Gründung der Partei „Der III. Weg“ in Antizipation des wenig später erfolg­ten Verbots vom (eher völkisch und damit nicht „autonom“ ausgerichteten) Kameradschaftsverbund „Freies Netz Süd“ in Bayern.

Neue Impulse und Experimentierfreudigkeit

Die vermutlich kaum geplante, sondern dyna­misch sich selbst hervorbringende Experi­mentierfreude der „Autonomen Natio­­nalisten“ war der eigentliche Verdienst dieses Spektrums. Diese Funktion haben die AN mit Bravour erfüllt. Es gelang, den Neo­nazismus von der staubigen Ästhetik der völkischen „Scheitel“ und der dumpfen Neo­naziskins (siehe AIB Nr. 82) zu emanzipie­ren und mit dem Zeitgeist zu versöhnen. Mit den „Autonomen Nationalisten“ wurde eine Brücke zwischen den Bedürfnissen einer poli­tischen Bewegung und jugendkulturellen Szenen der Internetgeneration geschlagen. Rechten Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurde die Partizipation ermöglicht und gleichzeitig wurden sie nicht mehr — wie früher — mit Verhaltens- und Kleidungsregeln überschüttet. War es bei den frühen Rudolf-Heß-Gedenkmärschen in Wunsiedel noch undenkbar, ist das subkulturelle Bild der Szene mittlerweile selbst auf den „Trauermärschen“ integriert. In Dresden wie auch  in Magdeburg störte sich scheinbar niemand daran, dass vereinzelt sogar Jogginghosen getragen wurden. Dabei hatten Teile der AN schon weitaus früher erkannt, wann sich welches Outfit strategisch verkaufen lässt. Die verbotene „Kameradschaft Tor“ war Vorreiter der AN, samt dem szenetypischen Habitus, doch auf Demonstrationen wie dem Heß-Marsch 2004 präsentierte sie sich im völkischen NS-Chic. Ein Konzept, mit dem sich zum einem einer Jugendkultur geöffnet wird, zum anderen der Bezug zum historischen Nationalsozialismus nicht aufgegeben werden musste. Auch Werbeformen wie Webblogs, YouTube-Videos und Facebookaktivismus wurden erst von den AN systematisch in das Spektrum eingeführt. Kulturell brachten sie neue Impulse und eine jugendkulturelle Ausdifferenzierung ein, die teilweise auch auf die politischen Inhalte strahlte. „National Socialist Hardcore“ und Neonazi-Rap wurden etabliert, „Straight Edge“-Lebensstil und Graffiti als Propagandakunst hielten Einzug. Die Vermittlung zwischen Kultur und Politik besorgten die AN. Parolen und Themen wurden so manches mal aus der Linken recyclet, was dort zur Freude der Neonazis für reichlich Unsicherheit sorgte. Dabei gingen die AN in ihren Entwendungen durchaus grobschlächtig vor. Man kann über das emanzipatorische Potenzial von Imperialismus-Analysen uneins sein, aber es ist doch ­leicht zu erkennen, dass im propagierten Antiimperialismus der „Friedensdemos“ der „Autonomen Nationalisten“ aus Dortmund lupen­reiner, nationalsozialistischer Anti­se­mi­tis­mus steckte. Und das wurde offen von ihnen eingeräumt, keineswegs verborgen, wenn überhaupt nur aus Jux und Provokation, nie in Täuschungsabsicht kodiert. Wo die AN-Experimentierfreude über die Stränge schlug, geriet sie alsbald ins Stocken: Symbolklau gerne, aber doch bitte keine Antifafahnen mit zur Demo bringen, wurde verkündet und diese Maßgabe setzte sich durch. Also, war es das gewesen mit den „Autonomen Nationalisten“ — nur eine Episode? Nicht ganz. Es mag sein, dass das Label „Autonomer Nationalismus“ nicht mehr zu einer neuen Blüte kommt, sondern allmählich verschwinden wird. Der AN-Stil hingegen war und ist überaus attraktiv und hat sich spektrenübergreifend verbreitet. In Berlin etwa ist der „autonome Nationalist“ Sebastian Schmidtke bereits seit 2012 Landeschef der NPD. Das ist nicht nur als Abkehr vom AN-Stil interpretierbar, sondern im Gegenteil auch als seine Ausweitung. AN bringen zusammen, was eigentlich nicht zusammen passt. Und so konnte und kann Schmidtke im Anzug den Parteipolitiker mimen und nebenher mit den alten Netzen des autonomen „Nationalen Widerstand Berlin“ die alte Anti-Antifa-Politik betreiben. Musikalisch konnte durch die AN der Rap in das Spektrum Einzug halten. Bei den Antiflüchtlingsprotesten in Berlin bestand der Demosoundtrack manches Mal ausschließlich aus Rap-Songs und vorneweg marschierte der Neonazirapper Patrick Killat, der sich unter dem Namen „Villain 051“ ebenso bei den HoGeSa-Demonstrationen mit Liveauftritten versuchte. Weder diese Demonstrationen noch der Althooligan „Villain 051“ sind „autonom“, doch ohne die „autonomen“ Impulse der Vorjahre hätten die Aktio­nen ein gänzlich anderes Antlitz gehabt.

„Autonome Nationalisten“ 2.0?

Als eine Spur der „Autonomen Nationalisten“ können auch die Stilelemente im Neonazismus zählen, die in vielen Medienberichten als „Nipster“ (für: Nazi-Hipster) bezeichnet werden. Nipster waren immer ein Phantom, ein bloßes Schlagwort, das 2014 seit einem Artikel des US-Popmagazins „Rolling Stone“ kursierte. Neben dem Treiben des bayerischen Neonazi Patrick Schröder (vom Internetsender „FSN-TV“) und einem „Harlem Shake“-Video der „Jungen Nationaldemokraten“ aus Magdeburg, fand im „Rolling Stone“ auch das „Bala­clava“-Projekt ein Forum. „Balaclava“ (englisch für „Hasskappe“) ist die erste „nationale Koch-Show“ auf YouTube. Die beiden Macher der Sendung erklären, dass sie „nicht mit geschlossenen Augen durch die Innenstädte laufen“ und dass „alles was im Mainstream entsteht, irgendwann in der Neonazi-Szene landet, nur eben mit Ver­zögerung“. Das entspricht in weiten Teilen dem AN-Prinzip und ist nur mit einem neuen Label versehen. Gewissermaßen AN 2.0. Bei den ersten „Autonomen Nationalisten“ spielten auch Distinktion und Provokation der eigenen Reihen eine Rolle. Jetzt gibt es eine Generation von Neonazis, die mit dem AN-Stil politisch sozialisiert wurde, die in eine Neonaziszene einsteigen, in der Stilexperimente schon lange nicht mehr zum Skandal taugen. Sogar ein Funken Selbstironie ist dann und wann zu erkennen. Eine Aufweichung der ideologischen Bezugnahmen auf den Nationalsozia­lismus bedeutet das genauso wenig wie ein Ende der Diskussion über das angemessene Auftreten. Die inzwischen verbotene Gruppe „Besseres Hannover“ forderte 2011, die „szeneinterne Modenschau“ aufzugeben „zugunsten einer positiven, dem Volk zugewandten Darstellung unserer Bewegung“. Im Rahmen von „Besseres Hannover“ war ausgerechnet der 1993 geborene Neonazi Patrick Kruse aktiv, der im „Rolling Stone“ als Vorzeige-Nipster zu Wort kommt. Der aus Pattensen bei Hannover kommende und mittlerweile in Chemnitz wohnende Balaclava-„Koch“ veröffentlichte als Liedermacher „Jugendgedanken“ im Jahr 2013 das vor Weltschmerz triefende Album „Porno im Radio“ beim Rechtsrocklabel „One People One Struggle“ (OPOS) aus Dresden. Sein Tumblr-Blog „KindStattGross“ mixt harte NS-Bildchen, den bekannten „AN“-Krawall-Stil und die derzeit angesagte alternative Jutebeutel-Ästhetik. In den „Balaclava“-Sendungen juxt Patrick Kruse vermummt durch das private Kochstudio, empfängt Gäste (wie die Berliner Neonazistin Maria Fank) und offeriert vegane Gerichte. Ideologie wird eher beiläufig transportiert — man solle regionale Lebensmittel, „möglichst auch bio“ und nicht die „Nestlé-, Coca-Cola-, Kraft-, Unilever- und Israel-Wichse“ kaufen.

Das Label AN verschwindet also vielleicht nur, weil es auf diesen Ebenen so erfolgreich war. In der Symbolpolitik haben die AN nicht mehr verwischbare Spuren hinterlassen. Das Emblem der „Antifaschistischen Aktion“ wird nicht mehr gezeigt, diverse Abwandlungen des runden Fahnenlogos sind jedoch weiterhin überall im Neonazismus zu finden. Der Stil der Bejahung von neuen Medien, der Integration von Jugendkulturen, des Umherschweifens und Ausprobierens ist AN. Und er ist mittlerweile common sense des Neonazismus.

Wenn sich durch aktuelle politische Entwicklungen neue Gelegenheiten für einen militanten, aktions- und straßenorientierten Neonazismus ergeben sollten, werden viele der neonazistischen „Altautonomen“ bestimmt wieder aus der Versenkung auftauchen — und mit Freude werden Jüngere mitziehen und eigene Impulse einbringen. Die Potenziale dafür sind zweifelsohne vorhanden.