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„Wir hatten uns eine solidarische Streitkultur erhofft“

Einleitung

Mit dem im Oktober 2016 veröffentlichten Text „Ein Schritt vor, zwei zurück“ hat das selbstverwaltete Jugend- und Kulturzentrum Conne Island in Leipzig eine enorme Resonanz auch über die Szene hinaus erfahren. Der Brief liest sich wie ein Hilferuf. Aufgrund von Verhaltensweisen von Männergruppen auf Partys werde „für Frauen der ausgelassene Tanzabend schnell zum Spießrutenlauf.“ Der eigene Anspruch, Sexismus von den Tanzflächen zu verbannen sei mit dem Versuch, Geflüchteten über einen reduzierten Eintritt einen leichteren Zugang zu den Veranstaltungen zu ermöglichen, zunehmend nicht mehr vereinbar gewesen. „Die stark autoritär und patriarchal geprägte Sozialisation in einigen Herkunftsländern Geflüchteter und die Freizügigkeit der westlichen (Feier-)Kultur bilden auch bei uns mitunter eine explosive Mischung.“ Während extrem rechte Akteure Beifall klatschten und viele Medien bis hin zu "Der Spiegel" berichteten, waren die Reaktionen der linken Szene zwiegespalten. Während ein Teil eine öffentliche Diskussion ablehnt und dem Conne Island vorwarf, rassistische Stereotype zu reproduzieren, gab es auch Stimmen, die für eine offene und ehrliche Debatte plädierten.

Foto: Conne Island; CC BY 2.0

AIB: Ihr habt in eurem offenen Brief geschrieben: „Wir halten eine Thematisierung der Problematik innerhalb der Linken für längst überfällig und wollen dem Rechtspopulismus nicht die Deutungshoheit in dieser Debatte überlassen.“ Was genau habt ihr euch von der Veröffentlichung erhofft?

Conne Island: In erster Linie wollten wir den von sexistischen Übergriffen Betroffenen klar zeigen, dass wir mit ihnen solidarisch sind, die schwierige Situation erkennen und an Lösungen arbeiten. Wir sahen uns einmal mehr gezwungen, über Sexismus zu reden und offen zu legen, dass sich die Zahl der sexuellen Übergriffe deutlich erhöht hat. Außerdem suchten wir den Austausch mit anderen Clubs, Veranstalter_innen sowie der linken Szene — auch über Leipzig hinaus. Während wir den Austausch mit linken Kulturzentren und Clubs als sehr hilfreich und konstruktiv empfanden, stellt sich für uns die Debatte innerhalb linker Gruppen und Publikationen eher problematisch dar. Wir hatten uns eine sachliche und solidarische Streitkultur erhofft, in der es möglich ist, Fehler zu machen und die eigene Position zu reflektieren, anstatt sich in Vorwürfen und Anschuldigungen zu verlieren.
Das Conne Island wird von einem großen und heterogenen Kollektiv getragen, welches zwangsläufig verschiedene linke Positionen in sich vereint. Wir halten es für falsch, reflexartig den Diskurs allein auf Rassismus zu beschränken und dabei die sexistischen Übergriffe zu verharmlosen oder ganz zu verschweigen.

AIB: Habt ihr auch diskutiert, die Partys vorerst ganz auszusetzen, um einen gemeinsamen Umgang zu finden, anstatt eine öffentliche Debatte zu führen, die zu Lasten von allen nichtweißen Männern in dem Bereich geht?

Conne Island: Ja, es wurde auch in diese Richtung diskutiert, jedoch recht schnell von diesem Lösungsansatz Abstand genommen. Was für eine Reaktion wäre das gewesen? Das Aussitzen von Problemen ist vielleicht ein klassischer, für die Debatte jedoch äußerst kontraproduktiver Umgang. Probleme zu lösen, indem sie nicht thematisiert werden, ist so ziemlich das Gegenteil unseres Verständnisses von linker Politik.
Das Auslassen dieser Debatte wäre ebenso zu Lasten von „nichtweißen Männern“ gegangen und zudem einer Bankrotterklärung gegenüber den Betroffenen und der eigenen politischen Arbeit gleichgekommen. Unser Anspruch war es, keine Gruppen von Leuten unter Generalverdacht zu stellen, sondern die Häufung der Vorfälle zu thematisieren.
Wir veranstalten Hip Hop-, Pop- oder Oi!-Konzerte und wissen, dass es auch da zum Teil Inhalte und Verhaltensweisen gibt, die problematisch sind. Die Auseinandersetzung damit kann anstrengend und konfliktreich sein, hat sich in den letzten 25 Jahren jedoch oft gelohnt.

AIB: Es hat gerade von linker Seite sehr viel Kritik an eurem Brief gegeben, insbesondere am Zeitpunkt der Veröffentlichung, aber auch am Duktus. Wie habt ihr die Reaktionen insgesamt empfunden, hat sich die von euch gewünschte konstruktive Auseinandersetzung eingestellt, gerade auch mit den Kritiker_innen?

Conne Island: Es ist für uns derzeit nicht abzusehen, ob sich die oft angeführte „politische Großwetterlage“ so bald ändern wird und damit ein vermeintlich besserer Zeitpunkt gegeben wäre. Nicht der Zeitpunkt der Veröffentlichung, sondern die Notwendigkeit einer Veröffentlichung ist für uns relevant. 
Erschreckend ist nach wie vor, dass es so wenige Reaktionen gab, die sich ernsthaft mit den Betroffenen beschäftigt haben. Das fällt auch bei euren Fragen auf, in denen ihr kein einziges Mal von den von Übergriffen betroffenen Personen sprecht.
Wir sehen hier die Gefahr der Relativierung bis hin zur Negierung der Übergriffe. Die Kritik an Rassismus und Sexismus sollte nicht wechselseitig ausgespielt werden. Dass dies aber geschieht, ist ein Dilemma linker Identitätspolitik.
Zur Kritik an unserem Text lässt sich sagen, dass wir diese grundsätzlich begrüßen und für wichtig halten, um politisch arbeiten zu können. Wir wollen eine lebendige Streitkultur, in der sich eine sachliche Debatte führen lässt. Insofern erkennen wir in unserem Statement sprachliche Defizite, die zu Missverständnissen geführt haben und zu Recht kritisiert worden sind.

AIB: Ihr schreibt, die Angst vor einem ungerechtfertigten Rassismusvorwurf habe die Lösung von Konflikten einige Male erschwert —gleichzeitig hätten sich Gäste mit einem „vorauseilendem Antirassismus“ gegenüber dem Einlasspersonal eingemischt. Habt ihr einen Umgang damit gefunden?

Conne Island: Ein Umgang kann nur Sensibilität und die Hoffnung auf das Reflexionsvermögen von Menschen sein. Dies versuchen wir individuell durch sachlich geführte Auseinandersetzung vor Ort zu erreichen.

AIB: Ihr habt zunächst mit einer Erhöhung des Eintrittsgeldes für Geflüchtete sowie mit Kursen für eure Security reagiert. Wie sahen die Kurse konkret aus? Wurden auch Gespräche mit den Geflüchteten gesucht? Welche Möglichkeiten seht ihr noch?

Conne Island: Wir haben den Eintrittspreis für Geflüchtete nicht erhöht, sondern eine Mailadresse eingerichtet, über die sich angemeldet werden kann. So müssen die betreffenden Personen nicht viel zu ihrer Situation erklären, sondern stehen einfach auf der Gästeliste.
Selbstverständlich haben wir mit Geflüchteten gesprochen. Was sagt das aber in Bezug auf die Leute aus, die bei uns Ärger gemacht haben? Die geflüchteten Menschen in Leipzig sind keine Gruppe, die als Ganzes angesprochen werden kann. Wir glauben weder, dass sich alle Geflüchteten in Leipzig kennen, noch, dass es unter ihnen keine Kritik an sexistischem Verhalten gibt.
Die regelmäßig stattfindenden Kurse haben vor allem das Ziel, auf eine sich verändernde Einlasssituation zu reagieren und behandeln u.a. Themen wie Deeskalationsstrategien und Kommunikation mit Gästen.
Wir haben Gespräche mit den Betroffenen gesucht und ihnen Unterstützung angeboten. Es sind mehr Leute im Saal als Ansprechpersonen präsent und es wurden Aushänge in mehreren Sprachen angebracht.
In unserer Crew sind auch Geflüchtete. Aber wie oben schon erwähnt, sehen wir zwischen ihnen und den Leuten, die hier Ärger gemacht haben, keinen Zusammenhang — außer vielleicht der Möglichkeit Sprachbarrieren zu überwinden. Sprache bleibt aber in unserer Auseinandersetzung mit Sexismus ein geringes Problem.

AIB: Sowohl beim linksalternativen Club „White Rabbit“ in Freiburg, um dessen Einlasspolitik es bereits Anfang 2016 medialen Wirbel gegeben hatte, als auch bei euch scheinen sich die Schwierigkeiten auf die Partys zu beschränken. Was gibt es von eurer Seite darüber hinaus an Angeboten insbesondere für jugendliche Geflüchtete? Seht ihr im Bereich der Jugendarbeit Möglichkeiten, auch auf die von euch problematisierten Verhaltensweisen einzuwirken?

Conne Island: Wir wollen und können keine soziale Arbeit leisten. Das gilt für alle Jugendlichen, die sich bei uns treffen. Es gibt im Conne Island unterschiedliche Projekte, die von jungen Leuten genutzt werden können: Einen DJ-Proberaum für Frauen, freie Flächen für Sprayer_innen, eine großen Hof mit Skatepark oder freiem WiFi — unbeabsichtigt das vielleicht beste Angebot für die Jugendlichen aus den Unterkünften in der Nähe.
Seit zwei Jahren haben wir Angebote wie die „Bike Days“. Dabei werden gemeinsamen mit jungen Geflüchteten Fahrräder aufgebaut und Ausflüge unternommen. Das werden wir weiter machen, jedoch nicht weil wir glauben, damit die „problematisierten Verhaltensweisen“ aus der Welt zu schaffen, sondern weil wir es wichtig finden, Geflüchteten die Möglichkeit zu geben sich unabhängiger in Leipzig zu bewegen.

AIB: Nach viel Kritik an eurem Text wurde im Februar in dem von euch herausgegebenen Newsletter ein Text unter dem Titel „Wer schweigt, stimmt zu“ abgedruckt – in dem die Auseinandersetzungen kulturrassistisch auf „den Islam“ verengt und zurückgeführt werden. Der Text wirbt für sich als „Verteidigung des Conne Island gegen seine Freunde“ — wir würden eher sagen, er gießt eine erhebliche Menge Öl ins Feuer des Versuches einer konstruktiven Debatte. Was meint ihr?

Conne Island: Wir finden nicht, dass der Text weniger konstruktiv ist als viele andere Veröffentlichungen innerhalb dieser Debatte. Hier ließe sich ein Liste mit blödsinnigen Zitaten anfügen, welche die Debatte kein Stück weiter gebracht haben. Dennoch gibt es einige Menschen im Conne Island, die eine deutliche Kritik am Text der AG No Tears for Krauts und der „Verengung auf den Islam“ haben, und wieder andere, die sich dem inhaltlich anschließen.
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